RA Morton Douglas zum Zuweisungsverbot-Urteildes BGH

Zuweisungsverbot: Schon wieder eine Lücke im Gesetz?

Berlin - 09.11.2018, 10:00 Uhr

EU-Versandapotheken dürfen für Applikationsarzneimittel, wie Spiralen, bei Ärzten in Deutschland werben und sie ihnen zur Anwendung
liefern – und das ohne Preisbindung. Der BGH hat das entschieden, die Urteilsgründe liegen nun vor. (Foto: Beate Panosch / stock.adobe.com)

EU-Versandapotheken dürfen für Applikationsarzneimittel, wie Spiralen, bei Ärzten in Deutschland werben und sie ihnen zur Anwendung liefern – und das ohne Preisbindung. Der BGH hat das entschieden, die Urteilsgründe liegen nun vor. (Foto: Beate Panosch / stock.adobe.com)


Eine EU-Versandapotheke kann für Applikationsarzneimittel, zum Beispiel Spiralen, bei Ärzten in Deutschland werben und sie ihnen zur Anwendung liefern – und das ohne Preisbindung. Dabei gilt für sie nicht einmal das apothekenrechtliche Zuweisungsverbot. Das entschied im vergangenen April der Bundesgerichtshof. Jetzt liegen die bemerkenswerten Urteilsgründe vor. Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas erläutert im Interview mit DAZ.online die wichtigsten Punkte des Urteils und warum es dennoch riskant für Ärzte ist, solche Angebote anzunehmen.

Ende April hatte der Bundesgerichtshof (BGH) die Revision gegen ein Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf zurückgewiesen und damit Aufsehen erregt: Die Regelung im Apothekengesetz, die Absprachen zwischen Apotheke und Arzt verbietet, die die Zuweisung von Verschreibungen zum Gegenstand haben, soll für niederländische Versandapotheken nicht gelten.  Ein Signal, das Apothekern in Deutschland gar nicht gefallen konnte.

Worum ging es genau? Der Verband Sozialer Wettbewerb wollte der niederländischen Apotheke gerichtlich untersagen lassen, bei deutschen Gynäkologen mit einem „Informationsschreiben“ für den Bezug von Verhütungsmitteln zu werben, die Patientinnen selbst zahlen müssen, die aber nur in der Arztpraxis appliziert werden können – unter anderem Intrauterinpessare. Im ersten Absatz des Schreibens heißt es: „Sie möchten in Ihrer Praxis die Kosten für Ihre selbstzahlenden Patienten deutlich reduzieren? Dann beziehen Sie jetzt für Ihre Patienten Medikamente von den Originalherstellern aus der Apotheke Bad Neuschanz.“ Die bestellten Produkte konnten bei der Apotheke in den Niederlanden selbst, durch einen Logistikdienstleister oder durch einen sogenannten Apothekenboten abgeholt werden.

Während die erste Instanz noch zugunsten des Wettbewerbsvereins entschied und die Gefahr zu einem Verstoß gegen das Zuweisungsverbot in § 11 Apothekengesetz sah, kassierte dass OLG diese Entscheidung ein. Der OLG-Senat war übrigens derselbe, der die Rx-Preisbindung für niederländische Versandapotheken auf den Prüfstand des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gestellt und damit letztlich zu Fall gebracht hat. Nun liegen die schriftlichen Gründe des Urteils vor, mit dem der BGH die OLG-Entscheidung bestätigt hat. Auch hier ist anzumerken: Am Zuge war der I. Zivilsenat, der kurz nach dem EuGH-Urteil vom 19. Oktober 2016 zur Rx-Preisbindung in einem anderen DocMorris-Verfahren („Freunde werben Freunde“) eine erneute Vorlage zum EuGH nicht ausschloss.

Doch was steckt nun in den jetzt veröffentlichten Gründen des BGH? Wir haben bei dem Freiburger Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas von der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen nachgefragt.

BGH wiederholt Kritik am EuGH-Urteil zur Preisbindung

Dr. Morton Douglas

DAZ.online: Herr Douglas, das Zuweisungsverbot soll nicht für ausländische Versandapotheken gelten. Warum?

Douglas: Der BGH hat hier sehr formal entschieden. Insoweit hat das Gericht zwar anerkannt, nach Sinn und Zweck sei das Abspracheverbot zwischen Ärzten und Apothekern nicht nur auf inländische Apotheken zu beschränken. Allerdings habe der Gesetzgeber dies nicht ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen, sodass hier eine Lücke im Gesetz besteht. Diese Lücke könne nach Ansicht des BGH auch nicht durch eine analoge Anwendung überwunden werden. Da ein Verstoß gegen § 11 ApoG eine Ordnungswidrigkeit darstellt, sind der Möglichkeit einer analogen Anwendung enge Grenzen gesetzt.

DAZ.online: Daneben wurden auch die Regelungen des Berufsrechts der Ärzte geprüft. Warum verstoßen die Ärzte nicht gegen Recht und Gesetz?

Douglas:  Das OLG Düsseldorf hatte noch angenommen, ein Verstoß liege nicht vor, da die direkte Versendung von Applikationsarzneimitteln an die Arztpraxis für die Patientinnen ja ein Vorteil darstelle, weil sie sich einen Weg in die Arztpraxis sparten. Dieser Sichtweise hat der BGH eine Absage erteilt, da die reine Bequemlichkeit kein hinreichender Grund für eine Verweisung an eine bestimmte Apotheke darstelle. Gleichwohl hat der BGH keinen Verstoß gegen das berufsrechtliche Zuweisungsverbot angenommen, da ja nicht die Patientinnen veranlasst wurden, in einer bestimmten Apotheke zu bestellen, sondern der Arzt die Applikationsarzneimitteln unmittelbar für seine Praxis erworben hatte. Es fehlte somit an eine wie auch immer gearteten Einwirkung des Arztes auf die Patientinnen mit der Absicht, deren Wahl unter Apotheken zu beeinflussen.

Somit war dann zu prüfen, ob die Apotheke die Ärzte angestiftet hat, ihre Patientinnen an die Apotheke zu verweisen. Insoweit fehlte es jedoch an tatsächlichen Feststellungen, dass die Ärzte aufgrund des Schreibens auf ihre Patientinnen eingewirkt haben. Eine bloße versuchte Anstiftung kann jedoch nicht geahndet werden. Es fehlte schlicht an ausreichenden Feststellungen, wie die Ärzte auf das Schreiben der Versandapotheke reagiert haben. Nimmt eine Arztpraxis dies aber zum Anlass, auf Patientinnen einzuwirken, ihre Arzneimittel bei der Versandapotheke zu bestellen, wäre dies auch nach der Lesart des BGH unzulässig.

DAZ.online: Sehen sie jetzt den Gesetzgeber gefordert?

Douglas:  Es wäre zu begrüßen, wenn der Gesetzgeber in § 11 ApoG klarstellt, dass diese Vorschrift für alle Marktteilnehmer gilt. Insoweit kann den Urteilsgründen des BGH auch eine gewisse Erwartung des Gerichtes entnommen werden, dass der Gesetzgeber hier doch aktiv wird.

Für Ärzte bleibt es aber auch ohne Änderung des Gesetzes riskant, aufgrund eines solchen Schreibens das Verhalten entsprechend anzupassen. Zum einen bleibt das Risiko eines Verstoßes gegen das Berufsrecht. Zum anderen gilt inzwischen ja das Antikorruptionsgesetz im Gesundheitswesen. Dies wurde im Verfahren nicht geprüft, da der Sachverhalt bereits aus dem Februar 2014 stammte, somit vor Inkrafttreten von §§ 299a/b StGB. Da es sich inhaltlich um Arzneimittel handelt, die in der Arztpraxis den Patientinnen eingesetzt werden sollen, sind die Vorschriften auch ohne weiteres anwendbar. Der Begriff des Vorteils wird sehr weit gefasst und kann daher auch die Zeitersparnis der Patientinnen und die damit verbundene wohlwollende Betrachtung gegenüber ihrem Gynäkologen umfassen. Damit bestehen hier nun ganz andere rechtliche Risiken, als dies zum Zeitpunkt des durch den BGH entschiedenen Sachverhalts der Fall war.

DAZ. online: Was ist für Sie das bemerkenswerte an dem Urteil?

Douglas: Interessant finde ich insbesondere die Ausführungen zur Anwendbarkeit des Arzneimittelpreisrechts auf ausländische Versandapotheken. Der BGH hat hierzu Stellung genommen, obgleich es im fraglichen Verfahren hierauf gar nicht ankam, da der Kläger in diesem Verfahren sich hierauf gar nicht berufen hatte. Insoweit hat der BGH trotzdem seine Kritik am OLG Düsseldorf und dem EuGH noch einmal wiederholt. Dies ist insoweit bemerkenswert, als sich die Zusammensetzung des ersten Zivilsenates seit seinem letzten Urteil geändert hat. Offensichtlich hält auch der neue Senat an der Kritik fest. Insoweit bleibt zu hoffen, dass möglichst bald die entsprechenden Verfahren weitergeführt werden, an deren Ende eine erneute europarechtlich Überprüfung des Preisrechtes steht.

 DAZ.online: Vielen Dank für Ihre Einschätzung!

Hier finden Sie das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. April 2018, Az. I ZR 121/17, im Wortlaut.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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