„Behandlungsapotheker“

Dänemark: Apotheker sollen Ärztekompetenzen bekommen

Berlin - 02.10.2018, 07:00 Uhr

In dänischen Apotheken sollen Patienten in Zukunft häufiger eine patientenindividuelle Verblisterung nach Anordnung des Apothekers erhalten. (Foto: s / DAZ.online)

In dänischen Apotheken sollen Patienten in Zukunft häufiger eine patientenindividuelle Verblisterung nach Anordnung des Apothekers erhalten. (Foto: s / DAZ.online)


Seit Jahren drängt der dänische Apothekerverband auf eine Ausweitung der apothekerlichen Kompetenzen. Nun soll es soweit sein: Die konservativ-liberale Minderheitsregierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem Apotheker unter anderem patientenindividuelle Abgaben anordnen sowie Folgerezepte ausstellen und selbst beliefern können sollen. Und: Über eine neue „Medikationskarte“ sollen sich Apotheker, Ärzte und Kliniken über die Medikation der Patienten austauschen.

Bei der diesjährigen BAH-Mitgliederversammlung unterhielten sich in der vergangenen Woche Gesundheitspolitiker, Pharma-Vertreter und Kassen-Vertreter über eine mögliche Ausweitung der Kompetenzen der Apotheker. Es ging um Folgerezepte, Impfen in der Apotheke und Rx-Abgaben ohne Rezept im Notfall. Alle Diskussionsbeteiligten zeigten sich offen gegenüber neuen Aufgaben für die Pharmazeuten, sogar Johann Magnus von Stackelberg, Vizechef des GKV-Spitzenverbandes, deutete an, dass die Apotheker wegen der hohen Fallzahlen in den Arztpraxen den Arztsektor entlasten könnten. Allerdings folgte dann Ernüchterung: Gegenüber der Politik hat die ABDA solche Kompetenzerweiterungen stets abgelehnt – sie sind deswegen kein Thema.

In vielen anderen europäischen Ländern ist das genau umgekehrt. Dänemark ist ein gutes Beispiel: Hier kämpft der Apothekerverband seit Jahren unerbittlich darum, dass dem Apotheker eine neue Rolle im Gesundheitswesen zugeschrieben wird. Hört man sich unter dänischen Apothekern um, so hat man das jüngste Liberalisierungsgesetz, mit dem das Mehrbesitzverbot entschieden gelockert wurde, nur als „bittere Pille“ geschluckt, weil die Politik zugesichert hatte, dass zu einem späteren Zeitpunkt ein Gesetz entworfen werden solle, das die neuen Aufgaben für die Pharmazeuten ins Leben rufen soll.

Genau das ist nun geschehen. Die liberal-konservative Regierung hat im Juli einen ersten Referentenentwurf vorgelegt, der sich mit den Aufgaben der einzelnen Gesundheitsberufe beschäftigt. Konkret sollen die Kooperationen zwischen den einzelnen Berufssparten ausgebaut werden. Für die Apotheker sieht das Vorhaben sogar eine ganz neue Berufsbezeichnung vor, den „Behandlungspharmazeuten“. Konkret ist vorgesehen, dass der Apotheker – nach dem Absolvieren einer Weiterbildung – gewisse Leistungen übernimmt, die bislang nur Ärzte ausüben dürfen. Im Entwurf heißt es zur Erklärung: „Ziel des Vorschlags ist es, die Apotheken enger an das Gesundheitswesen anzubinden und das Serviceniveau für die Bürger sowie die Verfügbarkeit von Arzneimitteln zu verbessern. Der Professionalität und dem Arzneimittelwissen der Apotheke sollte mehr Aufmerksamkeit (…) geschenkt werden.“

Apotheker dürfen patientenindividuelle Verblisterung anordnen

Welche Mehrkompetenzen sollen die dänischen Apotheker also erhalten? Zunächst einmal legt die Regierung großen Wert auf die individualisierte Arzneimittelabgabe. Patienten, die einer „stabilen“ Arzneimitteltherapie unterliegen – also zumeist Chroniker mit einer klar definierten Medikation – sollen künftig patientenindividuelle Packungen erhalten. Im Gesetzentwurf ist davon die Rede, dass auf die individualisierten Packungen der Name des Patienten, die Einnahmezeiten, die Einnahmemenge, der Arzneimittelname und den Wirkstoff aufgedruckt sind. Damit soll in erster Linie die Compliance verbessert werden. Bislang mussten in Dänemark Ärzte festlegen, in welchen Fällen der Apotheker patientenindividuell verblistern kann. In Zukunft sollen das die spezialisierten Apotheker selbst dürfen.

Apotheker sollen gewisse Rx-Arzneimittel abgeben dürfen

Des Weiteren sollen Apotheker künftig auch selbst Rx-Arzneimittel verschreiben und Folgerezepte ausstellen dürfen. Diese Regelung ist im Gesetzentwurf aber noch nicht genauer definiert. Der Entwurf enthält lediglich einen Passus, in dem die Behörde für Patientensicherheit damit beauftragt wird, das Konzept zu konkretisieren. Offen sind zum Beispiel die Wirkstoffe und Indikationen, in denen die Apotheker das dürfen. Schließlich soll dem neuen Gesetz zufolge eine Medikationskarte für alle Patienten geschaffen werden: Auf dieser Karte sollen alle wichtigen Informationen über die Medikation der Patienten gespeichert werden. Apotheker, Ärzte und Kliniken sollen alle gleichberechtigt eintragen dürfen, welche Medikation wann verordnet beziehungsweise geändert wurde. Ziel der Karte soll es sein, Doppel- und Fehlverordnungen zu vermeiden. 

Weiterbildung nötig

Um die Mehrleistungen anbieten zu dürfen, müssen die Apotheker an einer Fortbildung teilnehmen. Auch die Inhalte dieser Fortbildung sollen noch genauer festgelegt werden. Die Finanzierung und Konzeption des Lehrgangs sollen die Apotheker aber selbst übernehmen. Natürlich soll es auch ein Honorar für die neuen Leistungen geben. Aber auch das wurde noch nicht beziffert. Zur Erklärung: In Dänemark handeln der Apothekerverband und das Gesundheitsministerium jedes Jahr für das Folgejahr die Höhe des Apothekenhonorars aus. Sobald die ersten „Behandlungsapotheker“ fertig ausgebildet sind, muss also auch das Honorar dafür ausgehandelt sein.

Die dänischen Ärzte haben kürzlich aber schon Gesprächsbedarf angemeldet. Sie sind dagegen, dass Apotheker selbstständig entscheiden können, dass Patienten individualisierte Verblisterungen bekommen. Ihr Argument: Die Apotheker haben keinen Zugriff auf die Behandlungsakten des Patienten, die nur den Arztpraxen vorliegen dürfen. Somit könnten sie es gar nicht oder erst zu spät mitbekommen, dass es eine Umstellung in der Medikation gegeben hat.

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Derzeit gibt es in Dänemark knapp 460 Apotheken. Die Zahl der Abgabestätten ist in den vergangenen Jahren explodiert, weil die Regierung das Mehrbesitzverbot 2015 stark gelockert hatte. Seitdem ist es Apothekern erlaubt, insgesamt sieben Filialen zu betreiben.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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