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Sondersitzung im Landtag
Lunapharm: Warum die Gesundheitsgefahr so schwierig zu beurteilen ist
Nach dem Rücktritt von Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke) kam am gestrigen Dienstag der Gesundheitsausschuss in Brandenburg erneut wegen des sogenannten Lunapharm-Skandals zusammen. Gegenstand der dritten Sondersitzung waren die Ergebnisse der siebenköpfigen Taskforce. Die Taskforce-Mitglieder Professor Martin Schulz (AMK) und Professor Wolf-Dieter Ludwig (AkdÄ) erläuterten, weshalb das tatsächliche Ausmaß der Gesundheitsgefährdung so schwer einzuschätzen ist.
Der dritten Sondersitzung des Gesundheitsausschusses im Brandenburger Landtag am vergangen Dienstag eilten die Schatten voraus: Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke) erklärte am gestrigen Dienstagvormittag ihren Rücktritt und wurde ad interim von Justizminister Stefan Ludwig (Linke) abgelöst. Der Bericht der Taskforce, die im Auftrag des Gesundheitsministeriums die Vorfälle aufklären sollte, enthielt schwere Vorwürfe gegen die Landesbehörden und wurde wenige Stunden vor Sitzungsbeginn veröffentlicht. DAZ.online berichtete bereits über die Eckpunkte.
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Inkompetent, Unterbesetzt, Unorganisiert
Lunapharm-Taskforce attestiert Ministerium und Arzneimittelbehörde Versagen
Landesamt-Chef erscheint nicht
Die externen Mitglieder der Taskforce – Dr. Ulrich Hagemann, Professor Martin Schulz und Professor Wolf-Dieter Ludwig – standen den Abgeordneten Rede und Antwort. Detlev Mohr, Präsident des für die Aufsicht zuständigen Landesamtes, dessen Befragung ebenfalls auf der Tagesordnung der Sondersitzung stand, erschien am gestrigen Dienstag allerdings nicht. Der kommissarische Gesundheitsminister Stefan Ludwig begründete die Abwesenheit Mohrs, dass dieser kein Mitglied der Taskforce sei. Mohr, dem von mehreren Abgeordneten Falschaussage vorgeworfen wurde, war bereits der vorangegangenen Sitzung am 16. August ferngeblieben.
Hagemann, der das Gremium leitet und bis 2010 Chef der Abteilung Pharmakovigilanz beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) war, fasste die Hauptkritikpunkte zusammen. Die Auswertung der Vorfälle um Lunapharm habe gezeigt, dass die Brandenburger Behörden personell unterbesetzt, die Zuständigkeiten nicht spezifisch genug organisiert und die Mitarbeiter nicht angemessen qualifiziert seien.
Lunapharm bleibt stillgelegt
Doch der Bericht gehe weit über Brandenburg hinaus, so Hagemann. Die Experten waren sich einig, dass die Importquote auf Bundesebene sowie der Parallelvertrieb von zentral zugelassenen Arzneimitteln auf EU-Ebene abgeschafft werden müssen. Ebenso solle aus Sicht des Gremiums den Behörden ein „Durchgreifen“ erleichtert werden und Widersprüche oder Anfechtungsklagen von Herstellern keine aufschiebende Wirkung haben. Lunapharm hat inzwischen erneut Widerspruch gegen das Ruhenlassen seiner Betriebserlaubnis eingelegt. Doch in diesem Fall darf der Brandenburger Händler dennoch nicht weiter agieren, da das Ruhenlassen seiner Betriebserlaubnis im Sofortvollzug angeordnet wurde, wie der CDU-Abgeordnete Jan Redmann klarstellte.
Wenig Hoffnung in Analytik der Rückstellmuster
Viele Fragen der Abgeordneten drehten sich um das Ausmaß der Gesundheitsgefährdung, weil die Transportbedingungen im Rahmen des Arzneimittelschmuggels möglicherweise nicht optimal waren. Dadurch könnten temperatursensible Wirkstoffe zerfallen und die Wirksamkeit des Arzneimittels beeinträchtigt sein. Außerdem könnten Zersetzungsprodukte entstehen, die immunologische Unverträglichkeitsreaktionen hervorrufen könnten.
Große Erwartungen werden in die Analysen der Rückstellmuster, die die Staatsanwaltschaft Potsdam bei Lunapharm sichergestellt hatte, gelegt. Derzeit werden 22 Arzneimittel, die biologische Antikörper enthalten, bei den jeweiligen Originalherstellern untersucht, weil die Analytik zu aufwändig für ein amtliches Labor sei. Die Ergebnisse sollen bis Ende August vorliegen – demnach in wenigen Tagen.
Der AMK-Vorsitzende Professor Martin Schulz relativierte allerdings die Erwartungen. Die Rückstellmuster seien von bedingter Aussagekraft, da pro Charge nur Kleinstmengen – teilweise nur eine Packung – importiert wurden. Insgesamt lägen zu wenige bis gar keine charegenbezogenen Muster vor. Zeige eines oder mehrere der Proben eine Abweichung von der Spezifikation, sei dies ein Hinweis auf einen möglichen Wirkverlust. Es könne aber auch der Fall sein, dass die Analysen keine Beanstandung ergeben und eine Gesundheitsgefahr dennoch nicht auszuschließen sei.
Auf die Frage des CDU-Abgeordneten Raik Nowka, ob die Analyse der zurückgerufenen Präparate repräsentativer wäre, antwortete Schulz, dass bisher keine Lunapharm-Packung aus dem Handel zurückgekommen sei. Die Apotheken bestellen die Zytostatika kurz vor der Herstellung der patientenindividuellen Rezeptur und nicht auf Vorrat, so der Apotheker.
Auch hypothetische Ausführungen äußerte der Pharmazeut mit Vorsicht. „In 2018 die Qualität von Arzneimitteln aus 2016 einzuschätzen, die nicht mehr vorliegen, ist schwierig.“ Denn Unterlagen über die tatsächlichen Transportbedingungen fehlen. Bei Arzneimitteln, die nicht kühlkettenpflichtig sind und die zwischen 2 und 8 Grad gelagert werden sollen, führe es nicht zu großen Qualitätseinbußen, wenn die Temperatur kurzfristig überschritten werde.
Mediziner fordert Identifizierung der Patienten
Die Mehrzahl der betroffenen Arzneimittel seien Krebsarzneimittel, die im Rahmen der Palliativmedizin eingesetzt werden, erklärte Taskforce-Mitglied und Onkologe Wolf-Dieter Ludwig. Bei der Palliativmedizin gehe man nicht von der Heilung der Patienten aus. Hinzu käme, dass häufig nur eine von mehreren Dosen über den Lunapharm-Vertriebsweg gekommen sei. „Wir wissen auch nicht, welche Patienten zu welchem Standpunkt der Erkrankung betroffen sind“, so Ludwig. „Deshalb müssen wir unbedingt die Patienten über die Apotheken identifizieren“, forderte der Onkologe.
Die CDU-Fraktion im Brandenburger Landtag hat laut dpa einen Entschädigungsfonds für die Opfer des Medikamenten-Skandals angeregt. Nach dem Bericht der Expertenkommission habe es gravierende Mängel in der Arzneimittelaufsicht des Landes gegeben, sagte Fraktionschef Ingo Senftleben am vergangenen Dienstag.
Skandal nicht auf Brandenburg beschränkt
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Potsdam sind noch nicht abgeschlossen. Die Auswertung der Taskforce bezieht sich auf die Vorfälle im Zeitraum 2015 bis 2017. Recherchen des ARD-Magazins Kontraste zufolge sollen die fragwürdigen Geschäfte von Lunapharm allerdings bereits 2013 begonnen haben.
Außerdem hat sich der Kreis der Beschuldigten erweitert: In der vergangenen Woche wurden die Wohnungen von ehemaligen hessischen Geschäftspartnern durchsucht. Ebenso wurden die Räumlichkeiten des in Wiesbaden ansässigen Pharmahändlers Rheingold Pharma durchsucht, der von dem griechischen Apotheker gegründet wurde, der mutmaßlich gestohlene Krebsarzneimittel an Lunapharm lieferte. Laut Wiesbadener Kurier zählt der Anwalt des Apothekers, Gunter Kowalski, der Rheingold zwischenzeitlich leitete, nun ebenfalls zum Kreis der Beschuldigten. Weitere Spuren führen nach Italien, Schweiz und in die Niederlande.
1 Kommentar
Lunapharm
von Gunter Kowalski am 30.08.2018 um 14:32 Uhr
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