Kommentar

Das Valsartan-Desaster

Stuttgart - 13.07.2018, 07:00 Uhr

Apotheker, die an vorderster Front die Patienten beraten und beruhigen sollen, sind über viele Dinge im Unklaren, kritisiert DAZ-Chefredakteurin, Dr. Doris Uhl. (Foto: b / picture alliance / chromorange)

Apotheker, die an vorderster Front die Patienten beraten und beruhigen sollen, sind über viele Dinge im Unklaren, kritisiert DAZ-Chefredakteurin, Dr. Doris Uhl. (Foto: b / picture alliance / chromorange)


Die Rückrufwelle valsartanhaltiger Arzneimittel verunsichert Patienten, Apotheker und Ärzte gleichermaßen: Die Informationen zu den Hintergründen sind nach wie vor dürftig und lassen Raum für abenteuerliche Spekulationen. Ein unhaltbarer Zustand, meint Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der Deutschen Apotheker Zeitung.

Valsartan, produziert von dem chinesischen Hersteller Zhejiang Huahai Pharmaceutical, soll mit N-Nitrosodimethylamin (NDMA) verunreinigt sein, man arbeite mit Hochdruck an der Aufklärung. So lauteten die ersten offiziellen behördlichen Verlautbarungen am 4. Juli 2018. Am 5. Juli erfolgten dann tatsächlich die ersten Rückrufe, die dann bis Anfang dieser Woche so vor sich hinplätscherten.

Dass dies so schleppend ging, ist in Zeiten der digitalen Datenverarbeitung schon sonderbar. Warum können unsere Überwachungsbehörden nicht mit einem Klick nachvollziehen, in welchen Präparaten denn der unter Verdacht geratene Wirkstoff des chinesischen Herstellers enthalten ist? Und warum können sie nicht mit einem zweiten Klick zeitnah den Rückruf veranlassen? Stattdessen hatte  man das Gefühl, dass jeder „endfreigebende Hersteller“ erst einmal in den Keller steigen und händisch in seinem Archiv den Wirkstoffhersteller jeder Charge identifizieren musste.

Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der DAZ

Hier rächt sich wieder einmal, dass in Deutschland und Europa kein Inverkehrbringer transparent machen muss, wer denn der Wirkstoff- bzw. Lohnhersteller ist. Wären solche Angaben inklusive Herstellungsdatum den Produktinformationen oder der Packung zu entnehmen gewesen, hätten Apotheker und auch die Patienten sehr schnell betroffene Präparate identifizieren und handeln können. 

Eine weitere Frage, die einen Pharmazeuten umtreibt, ist die: Warum wurde diese Verunreinigung nicht schon früher von einem der zahlreichen „endfreigebenden“ Hersteller bei der Chargenprüfung entdeckt? Wie konnte es überhaupt zu dieser Verunreinigung kommen? Ein Syntheseproblem, von dem vielleicht weitere Wirkstoffe betroffen sind? Oder, man mag es sich gar nicht ausmalen, eine auf anderem Wege eingebrachte NDMA-Verunreinigung, die auch alle weiteren bei Zhejiang Huahai Pharmaceutical produzierten Wirkstoffe betreffen könnte? 

Apotheker sollen informieren und tappen selber im Dunkeln

Und ganz entscheidend: Seit wann besteht die Kontamination und mit welchen Konzentrationen des als wahrscheinlich krebserregend eingestuften N-Nitrosodimethylamins muss denn pro mg Valsartan gerechnet werden? EMA und BfArM beschwichtigen zwar und verkünden, dass das Arzneimittel abzusetzen gefährlicher sei, als ein eventuell belastetes weiter einzunehmen. Doch das reicht nicht! Warum werden wir Apotheker nicht über die Erkenntnisse informiert, die man zu den tatsächlichen Konzentrationen hat? So tappen wir, die an vorderster Front die Patienten beraten und beruhigen sollen, auch in dieser Frage vollkommen im Dunkeln. 

Ungeachtet all dieser ungeklärten Fragen werden jetzt als Folge der Rückrufwelle die ersten Lieferengpässe bekannt. Über das gesamte Ausmaß kann nur spekuliert werden. Denn bislang scheinen gefühlt alle Generika mit Rang und Namen betroffen zu sein. Lediglich TAD Pharma, Mylan Dura und Aurobindo sollen ihre Wirkstoffe nicht von Zhejiang Huahai Pharmaceutical bezogen haben. Und ja, auch der Originalhersteller Novartis versicherte, dass das Valsartan aus konzerneigener Produktion stamme und die Originale nicht betroffen seien. Nur liegen die Preise dieser Präparate über dem Festbetrag und sind ein Vielfaches teurer als Generika. Wie werden sich die gesetzlichen Krankenkassen verhalten, wenn kein preiswertes Generikum mehr zu beziehen ist? Werden sie die teuren Novartis-Präparate, so sie denn noch verfügbar sind, wirklich klaglos erstatten oder bleiben die Patienten auf den Kosten sitzen?

Alles kann noch viel schlimmer kommen

Fragen über Fragen, die dringend beantwortet werden müssen. Fakt ist, dass unsere Abhängigkeit von immer weniger und gleichzeitig immer größer werdenden Wirkstoffherstellern die sichere Arzneimittelversorgung massiv gefährdet. Das Beispiel Ibuprofen zeigt, dass schon der Ausfall einer Produktionsanlage ungeahnte Folgen haben kann (s. DAZ 2018; Nr. 28, S. 19). Das Valsartan-Desaster unterstreicht, dass alles noch viel schlimmer kommen kann. 



Dr. Doris Uhl (du), Apothekerin
Chefredaktion DAZ

redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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10 Kommentare

Gefahren nicht kleinreden

von Prof. Dr. jur. Hilmar Fenge am 13.07.2018 um 15:05 Uhr

Ältere erinnern sich gewiss noch an das Contergan-Desaster, bei dem man auch zunächst "den Ball flach halten" wollte, mit katastrophalen Folgen. Ärzte und Apotheker sind verpflichtet, die Patienten sachgerecht aufzuklären. Das ist keine Panikmache, sondern eine juristisch und nicht zuletzt standesethisch gebotene Verpflichtung.

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AW: re: Gefahren nicht kleinreden

von Simone Grözinger am 13.07.2018 um 15:25 Uhr

Sachgerechte Aufklärung ist selbstverständlich sinnvoll und absolut notwendig, aber unsinnige Panikmache, Skandalisierung und generelles Gesundheitssystem-Bashing eher nicht.

Flacher Ball...

von Rolf Lachenmaier am 13.07.2018 um 12:58 Uhr

Zitat aus der PZ heute: "Patienten sollten Valsartan-Tabletten der Hersteller, die von den derzeitigen Rückrufen betroffen sind, nicht weiter einnehmen und in Rücksprache mit ihrem Arzt auf ein anderes Präparat wechseln."(Bfarm)

» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten

AW: Flacher Ball

von Berliner Nutzer am 13.07.2018 um 16:47 Uhr

Schöner unpraktischer Kommentar...
Gestern von der Praxishilfe das Rezept erhalten und heute vom Apotheker die Info, dass er momentan kein alternives Med. der 3 anderen Anbieter besorgen kann. Zu dumm nur dass das Med Sonntag alle ist und der Kardio erst im Laufe der nächsten Woche erreichbar sein wird. Das ist wieder eines der vielen typischen Beispiele für unsere deutsche Überreglementierung mit inkosequenter Handlungsanweisung.
Gruß von einem betroffenen Berliner.

AW: Flacher Ball

von Rolf Lachenmaier am 13.07.2018 um 17:50 Uhr

@Berliner Nutzer: Mein Post war nicht als Handlungsanweisung gedacht, sondern sollte den Stand des Bfarms zum Thema zu dieser Zeit sein (vgl. Kommentar W. Müller) ... Kommunikation in digitaler Zeit. Jeden Tag ein neuer Wasserstand und nichts Konkretes.
Dass Sie und alle weiteren Betroffenen davon nichts haben, ist das Traurige an dieser Situation. Hoffe, Sie haben Erfolg mit Ihren Bemühungen. Ich würde es zeitnah noch bei weiteren Berliner Apotheken versuchen. Vielleicht haben die noch etwas an Lager. Das ist durchaus möglich. Beste Grüße

Valsartan

von Salomo am 13.07.2018 um 12:04 Uhr

Ihr nüchterner Kommentar ist durchaus richtig,
aber was würden sie als Betroffener machen?
Würden sie selbst ein verunreinigtes Valsartan weiter einnehmen? Ich nicht, auch wenn keine akute Gefahr besteht und so kann ich alle Patienten verstehen.

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AW: Re: Valsartan

von Simone Grözinger am 13.07.2018 um 13:01 Uhr

...z.B. ganz unspektakulär mittelfristig auf ein alternatives Sartan dosisäquivalent umstellen lassen, es ist ja nun kein hochspezifisches, alternativloses Biological.

Ball flach halten!

von Wolfgang Müller am 13.07.2018 um 8:57 Uhr

Mal eine ganz nüchterne, "unsensationelle" Situationsschilderung, so wie wir es an Ärzte und Patienten weitergeben:

- Ein Valsartan-Wirkstoff-Hersteller aus China hat auf mögliche sehr geringfügige Verunreinigungen mit einer in Tierversuchen krebserregenden Substanz in seinem Produkt hingewiesen, die bereits seit 2012 existieren können.

- Daher gibt es Probleme mit Valsartan-Produkten bestimmter FAM-Hersteller, die Wirkstoff von diesem Produzenten eingesetzt haben.

- In der letzten Woche wurde von den Behörden eine erste Bewertung der Relevanz versucht, um geeignete, angemessene Maßnahmen festzulegen.

- Beginnend Ende letzter Woche wurden die betroffenen Hersteller und Chargen identifiziert und zurückgerufen. Dieser Prozess war Anfang dieser Woche zunächst abgeschlossen.

- Mit -zigtausenden Packungen verschiedenster Hersteller und Chargen wird nun intensiv ermittelt, welche Mengen der Verunreinigung in einzelnen Zubereitungen TATSÄCHLICH enthalten sein könnten.

- Bisher wurden ganz offensichtlich noch keine so beunruhigenden Mengen gefunden, dass ein Rückruf bis zu den bereits an Patienten abgegebenen Packungen notwendig erschiene.

- Das BfArM sieht bis heute keine akute Patientengefährdung.

- Da sich theoretisch aber immer noch herausstellen könnte, dass es sich um ein größeres Verunreinigung-Problem handelt, und weil nun sowieso die Bestände auch der nicht verunreinigten Fertigprodukte recht schnell zur Neige gehen werden, sollten Ärzte zumindest neuen Sartan-Patienten lieber andere Sartane verschreiben. Und bei laufender Valsartan-Medikation einen Umstieg in Erwägung ziehen.

Einhellige Meinung der Ärzte: Bloß die Patienten nicht verrückt machen! Das nützt niemandem, am wenigsten den Patienten. Vorauseilende Rückrufe bis zur Patienten-Ebene seitens einzelner Apotheken, die wohl auch auf sehr frühen eher aufbauschenden und dazu anratenden Artikeln und Kommentaren in einem bestimmten Medium der Apotheker-Fachpresse beruhen, werden mit - vorsichtig formuliert - Kopfschütteln kommentiert. Augenhöhe ist manchmal schwierig, als "Arzneimittelexperte".

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AW: Re: Ball flach halten

von Simone Grözinger am 13.07.2018 um 12:45 Uhr

Vielen herzlichen Dank für diesen ersten sinnvollen, da pragmatisch-realistischen Kommentar, den ich bislang zum Thema las. So handhabe ich das auch, alles andere ist unsinniger, energieverschwendender "Empörialismus".

AW: AW: Ball flach halten ???

von W. Berger am 15.07.2018 um 0:13 Uhr

Der Herr Müller kann wahrlich weder Pharmazeut noch Mediziner noch Chemiker noch Toxikologe sein, wenn er die vorliegende gravierende Problematik dermaßen fahrlässig verharmlost: Da wird (durch eine zweifellos profitorientierte Umstellung eines Syntheseverfahrens) dem gutgläubigen Patienten nunmehr über Jahre hinweg still und leise eine üble Noxe verabreicht, und dem "Experten" fällt nichts Besseres ein, als diese unerträglichen Schlampereien in ketzerisch-ignoranter Weise zu einer Nichtigkeit herunterzuspielen. Jeder betroffene Patient muss sich durch derlei unqualifizierte, beschönigende Äußerungen hochgradig veräppelt fühlen!

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