Kommentar
auch drei Jahre nach der Entlassung der „Pille danach“ aus der Rezeptpflicht können die Frauenärzte es nicht lassen, bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen die Apotheker und ihre Beratungskompetenz zu stänkern.
Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ist 2017 gegenüber 2016 gestiegen – um 2,5 Prozent. Die Frauenärzte machen in einer Pressemitteilung zwei Faktoren dafür verantwortlich. Einmal die massive Medienkritik an der hormonellen Verhütung, die Frauen dazu bringe, leichtfertig mit Zyklus-Apps zu verhüten. Zum anderen sehen die Frauenärzte einen Zusammenhang mit dem OTC-Switch der „Pille danach“ und der damit verbundenen unzureichenden Beratung in der Apotheke.
Die Frauenärzte schlagen Alarm. Sie sprechen von einer „alarmierenden Zunahme von Schwangerschaftsabbrüchen“. Tatsächlich haben diese im Jahr 2017 im Vergleich zum Vorjahr um 2,5 Prozent zugenommen. In absoluten Zahlen ist das eine zusätzlich Abtreibung pro 10.000 Frauen – nämlich 57 im Jahr 2016 und 58 im Jahr 2017. Insgesamt gab es 2016 98.721 und 2017 101.209 Schwangerschaftsabbrüche. Die Frauenärzte beziehungsweise ihr Berufsverband, der dazu eine Pressemitteilung herausgegeben hat, halten es für naheliegend, dass das mit zwei Ereignissen aus dem Jahr 2015 zusammenhängt.
Da wäre zum einen der OTC-Switch der „Pille danach“, seit dem die Notfallkontrazeptiva ohne Rezept in der Apotheke erhältlich sind. „Wir haben von Anfang an darauf hingewiesen, dass die Apotheker durch ihre eigene Standesorganisation ungenügend auf diese anspruchsvolle Beratung vorbereitet wurden, und das zu einer Zunahme unerwünschter Schwangerschaften führen könnte“, erläutert Dr. med. Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte. Eine ähnliche Steigerung hat es übrigens auch von 2016 auf 2017 gegeben. Für Albring ein weiterer, möglicher Beweis für eine Zusammenhang. Er geht davon aus, dass der neue Bundesgesundheitsminister die Qualität der Apothekenberatung kritisch überprüfen wird, schließlich habe das Bundesgesundheitsministerium im Zuge der Rezeptfreigabe der „Pille danach“ eine Evaluation dieses Prozesses angekündigt.
Der andere Grund, der nach Ansicht der Frauenärzte zum Anstieg der Zahl der Schwangerschaftsabbrüche geführt hat, ist, dass im besagten Jahr 2015 ein Prozess gegen Bayer begonnen hatte. Eine junge Frau hatte unter hormoneller Verhütung eine Lungenembolie erlitten und war der Auffassung, dass die Herstellerfirma ihrer Informationspflicht auf dem Beipackzettel nicht ausreichend nachgekommen war. Danach häuften sich die negativen Schlagzeilen zur hormonellen Verhütung in den Medien, neben dem Thromboembolie-Risiko ging es beispielsweise auch um Depressionen, die durch die „Pille“ verursacht werden können und die zu leichtfertige Verordnung von „Pillen“ mit unklarem Risiko. Anscheinend hat das dazu geführt, dass einige Frauen angefangen haben, ihre Verhütungsmethode zu überdenken.
Laut dem Berufsverband ging der Verkauf der hormonellen Kontrazeptiva um 4 Prozent zurück – nur etwa die Hälfte sei auf den demographischen Wandel zurückzuführen, heißt es. Aber wie verhüten die Frauen stattdessen? Die Frauenärzte befürchten, dass sich in vielen Fällen leichtfertig auf Apps verlassen wird. So erklärt Albring: „Sich in die Prinzipien einer hormonfreien, natürlichen Verhütung einzuarbeiten braucht einiges an Zeit und Sorgfalt. Wir fürchten, dass viele Frauen denken, sie könnten sich das erleichtern, indem sie eine Zyklus-App zur Verhütung verwenden. Die meisten Zyklus-Apps legen aber unzureichende Berechnungen zugrunde, um die fruchtbaren und unfruchtbaren Tage voneinander zu unterscheiden, auch solche, die sich selbst bescheinigen, so sicher zu sein wie die Pille. Es steht zu befürchten, dass die meisten Verhütungs-Apps Frauen geradewegs in unerwünschte Schwangerschaften führen."
auch drei Jahre nach der Entlassung der „Pille danach“ aus der Rezeptpflicht können die Frauenärzte es nicht lassen, bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen die Apotheker und ihre Beratungskompetenz zu stänkern.
Sind wir doch mal ganz ehrlich: Der größte Einnahmefehler, den man vermutlich bei der „Pille danach“ machen kann, ist, sie nicht zu nehmen. Warum dann eine leichtere Verfügbarkeit zu mehr ungewollten Schwangerschaften führen sollte, erscheint nicht ganz plausibel. Auch der Blick in die Statistik unterstützt die Argumentation der Frauenärzte nicht wirklich. So war die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche pro 10.000 Frauen über Jahre hinweg rückläufig und erreichte in den Jahren 2014 und 2015 ein vorläufiges Minimum von 56. In den Jahren 2010 bis 2012 zum Beispiel lag sie aber über dem Niveau von 2017, und da war die „Pille danach“ noch allein in ärztlicher Hand.
Daher scheint die zweite Erklärung der Gynäkologen wahrscheinlicher: Dass die negative Berichterstattung über hormonelle Kontrazeptiva dazu geführt hat, dass aktuell mehr Frauen als noch vor ein paar Jahren deren Einnahme kritisch hinterfragen. In der Folge greifen sie zu „natürlichen“ Verhütungsmethoden. Die erfordern aber ein hohes Maß an Wissen über den eigenen Körper und viel Sorgfalt und Disziplin. Mit einer App alleine ist es da nicht getan. Wenn sich aber in vielen Fällen darauf verlassen wird, braucht man kein großer Prophet zu sein, um vorauszusagen, dass das schief geht.
Mit natürlichen Verhütungsmethoden, also ohne Hormone, ohne Kupfer in ihrem Körper und ohne Barrieremethoden, kann tatsächlich eine Sicherheit erreicht werden, die ähnlich hoch ist wie die der Pille oder Spirale. Das erfordert aber Sorgfalt und Disziplin. Eine App kann hier lediglich als Unterstützung dienen, darauf weisen die Frauenärzte in ihrer Mitteilung auch hin. Sie schreiben:
„Wenn eine Frau tatsächlich ohne Hormone, ohne Kupfer in ihrem Körper und ohne Barrieremethoden verhüten will und dabei eine Zuverlässigkeit erwartet, die so hoch ist wie bei Pille und Spirale, dann muss sie sich Zeit nehmen. Sie muss ihren Zyklus und ihren Körper kennenlernen, sich in die Methoden der natürlichen Verhütung einschließlich Messung der Körpertemperatur und Beobachtung des Schleims aus dem Gebärmutterhals einarbeiten und danach entscheiden, ob das für sie und ihren Partner ein geeigneter Weg sein kann. Statt ihre Beobachtungen über die Monate mit Stift und Papier festzuhalten, kann sie dann eine geeignete App verwenden. Aber keine App kann diese notwendige Selbstbeobachtung ersetzen, weil es immer notwendig ist, Stress, Action oder Unvorhergesehenes im normalen Zyklusablauf zu berücksichtigen.“
Im Vorfeld bedarf es natürlich einer entsprechenden Beratung. Laut Berufsverband wären um eine Frau in die natürliche Verhütung einzuführen inklusive der obligatorischen Beobachtung des Zervixschleims zwei, drei oder mehr Schulungstermine notwendig. So sehe es etwa das Sensiplan-Programm, ein Programm zur natürlichen Familienplanung (NFP), vor, heißt es. Die NFP-Beraterinnen von Sensiplan nehmen dafür 180 Euro. Die GKV hingegen zahle 11 Euro für die Beratung zur Verhütung, das zeige wie das Thema dort bewertet wird.
7 Kommentare
Sachlich bleiben
von Reinhard Rodiger am 10.03.2018 um 1:07 Uhr
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Abtreibung?
von Magda Lena am 09.03.2018 um 10:13 Uhr
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Keinerlei praktische Kompetenz der Abgabe in Apotheke
von Ratatosk am 09.03.2018 um 8:42 Uhr
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Notfall
von Sven Larisch am 09.03.2018 um 8:22 Uhr
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Fake-News vom Albrich
von Andreas P. Schenkel am 08.03.2018 um 19:57 Uhr
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Frauenärzte
von Florian Becker am 08.03.2018 um 17:44 Uhr
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Beratung durch Frauenärzte??
von Peter Bauer am 08.03.2018 um 14:26 Uhr
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