Der Fall Hüffenhardt

Ein Konstrukt mit Sprengkraft für die Arzneimittelsicherheit

Berlin - 04.08.2017, 16:50 Uhr

Die DocMorris-Videoberatung hat nach Auffassung namhafter Juristen keine Zukunft. Ohne Erlaubnis zum Betrieb einer Apotheke geht es nicht – und die bekommt DocMorris N.V. nicht. (Foto: diz)

Die DocMorris-Videoberatung hat nach Auffassung namhafter Juristen keine Zukunft. Ohne Erlaubnis zum Betrieb einer Apotheke geht es nicht – und die bekommt DocMorris N.V. nicht. (Foto: diz)


Ein Buch nicht nur für Herrn Oberhänsli und den DocMorris-Vorstand

Dr. habil. Sabine Wesser, Rechtsanwältin aus Köln

DAZ.online: Was ist der entscheidende Punkt?

Wesser: Dass das Gesetz an den Betrieb einer Apotheke hohe Anforderungen stellt, um zu gewährleisten, dass bei der Abgabe von Arzneimitteln an Verbraucher der Besonderheit dieser Ware und ihrer Ambivalenz Rechnung getragen wird. Diese Anforderungen betreffen nicht nur die räumliche, sächliche und personelle Ausstattung einer Apotheke, sondern auch und vor allem die Qualifikation und Zuverlässigkeit ihres Betreibers sowie dessen Unabhängigkeit von der Pharmaindustrie, dem Pharmahandel und der Ärzteschaft. Leitbild des deutschen Gesetzgebers ist der „Apotheker in seiner Apotheke“, der zur persönlichen Leitung der Apotheke in eigener Verantwortung verpflichtet ist und mit seiner gesamten beruflichen Existenz dafür einzustehen hat, dass er seine Apotheke ordnungsgemäß betreibt. Diesen gesetzlichen Vorgaben entsprechend sind Betreiber von Apotheken umfassender behördlicher Kontrolle unterworfen. Wer etwa Zugaben verspricht, um den Absatz verschreibungspflichtiger Arzneimittel zu steigern, und handelt es sich auch nur um Centbeträge in Gestalt von Kuschelsocken, wer verschreibungspflichtige Arzneimittel abgibt, ohne dass ihm die ärztliche Verschreibung im Original vorliegt, wer Arzneimittel nicht so lagert, wie vorgeschrieben oder bei ihrer Zustellung an den Kunden nicht den vorgeschriebenen Temperaturkorridor einhält, wer sich weigert, ein dem Patienten ärztlich verschriebenes Rezepturarzneimittel herzustellen oder wer zulässt, dass ein Angehöriger des nichtpharmazeutischen Personals die Beratung über Arzneimittel vornimmt, muss nicht nur damit rechnen, mit Ordnungsverfügungen, berufsrechtlichen Maßnahmen und Strafen diszipliniert zu werden. Nein: Er muss damit rechnen, seine gesamte berufliche Existenz zu verlieren; denn bei gröblicher oder beharrlicher Zuwiderhandlung gegen die Vorgaben, die das Gesetz in Bezug auf den Betrieb einer Apotheke macht, ist dem Betreiber der Apotheke die Erlaubnis hierzu wegen Unzuverlässigkeit zu entziehen.

Apothekenbetreiber, die im Ausland sitzen, sind hingegen den Vorgaben der deutschen Rechtsordnung grundsätzlich nicht unterworfen. Nur insoweit, als sie hier Arzneimittel im Wege des Versandes an Endverbraucher abgeben dürfen, haben sie die deutschen Vorschriften zum Versandhandel zu beachten. Damit unterliegen sie auch nur insoweit der Kontrolle durch die deutschen Behörden. Eine Überwachung des Apothekenbetreibers in Bezug auf seine Zuverlässigkeit und die Einhaltung der für den Betrieb einer Apotheke in Deutschland geltenden Vorgaben scheidet somit aus. Wer nicht über die Erlaubnis verfügt, in Deutschland eine Apotheke zu betreiben, darf hier daher Arzneimittel allenfalls im Wege des Versandes an Verbraucher abgeben. Das Betreiben einer (Zweig-) Apotheke hingegen ist ihm unter Strafe verboten.

DAZ.online: Wem legen Sie Ihr Buch ans Herz?

Wesser: Den Mitgliedern des Vorstands der DocMorris N.V. Und Herrn Oberhänsli. Nein, im Ernst: Es sei denjenigen anempfohlen, die sich dafür interessieren, das deutsche System einer in die Hände von öffentlichen Apotheken gelegten, flächendeckenden Arzneimittelversorgung am Leben zu erhalten. Jenen Menschen, die sich unwohl fühlen bei dem Gedanken, ihre Arzneimittelversorgung künftig nicht mehr unabhängigen Heilberuflern anvertrauen zu können, sondern einigen wenigen, naturgemäß allein auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Kapitalgesellschaften überlassen zu müssen. Jenen Menschen, die nicht jedem digitalen Modetrend hinterherrennen, sondern spüren, dass ein tradiertes Konzept, wie es in Deutschland bei der Arzneimittelversorgung der Verbraucher aufzufinden ist, nicht allein deswegen schlecht ist, weil es seit Jahrhunderten gepflegt wird. Manchmal ist eine Tradition auch einfach nur ein Indiz dafür, dass sich das ihr zugrundeliegende Konzept bewährt hat.

 DAZ.online: Vielen Dank!



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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