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Antidepressiva in der Schwangerschaft
Absetzen kann Mutter und Kind gefährden
Etwa jede zweite Frau, die Antidepressiva einnimmt, setzt diese ab, wenn sie schwanger wird – meist aus Angst vor Fehlbildungen. Dies geschieht nicht nur auf eigene Faust, sondern offensichtlich zum Teil auch auf den Rat von Ärzten, die mit dem Thema Pyschopharmaka in der Schwangerschaft überfordert sind.
Es gibt wohl keine Patientengruppe, die so zurückhaltend mit der Einnahme von Arzneimitteln ist, wie Schwangere. Und das aus gutem Grund. Auch wenn der Skandal um Contergan viele Jahre her ist, lässt man in diesen Bereich extreme Vorsicht walten. Nur wenige Arzneimittel sind explizit für eine Anwendung in der Schwangerschaft zugelassen. Studien sind aus ethischen Gründen nicht möglich. Schwammige Formulierungen, die sich aus haftungsrechtlichen Gründen in Beipackzettel und Fachinfo finden, verwirren mehr als sie nützen – und das betrifft offensichtlich nicht nur Patienten sondern auch Ärzte.
So berichtete der „Spiegel“ vor kurzem über eine junge Frau, die wegen einer geplanten Schwangerschaft ihr Antidepressivum, Opipramol, absetzte. Und zwar nicht aus eigenen Stücken, sondern auf Anraten des Hausarztes. Ihr ungeborenes Kind wünsche das sicherlich so, soll er gesagt haben. Da es in der Packungsbeilage heißt, das Arzneimittel dürfe „insbesondere im ersten Trimenon nur nach strenger Nutzen-Risiko-Abwägung durch den behandelnden Arzt angewendet werden“, wandte sie sich an ihren Psychiater. Der kannte sich aber mit Schwangerschaften nicht aus, so folgte sie dem Rat des Hausarztes. „Ein gefährlicher Rat“ heißt es im Spiegel.
Nur noch 30 Prozent im letzten Trimenon
Und das ist offensichtlich kein Einzelfall. Laute einer Untersuchung der Barmer GEK zur Pharmakotherapie chronischer Erkrankungen in der Schwangerschaft, setzen bereits 15 bis 20 Prozent in den drei Monaten vor der Schwangerschaft ihre Antidepressiva ab. Die Autoren haben zwei verschiedene Erklärungen, denn die Gründe für den Therapieabbruch gehen aus der Studie nicht hervor. Einmal könnte sich die Erkrankung soweit gebessert haben, dass keine Therapie mehr notwendig ist. Es könnte aber auch eine Reihe von Frauen, die Arzneimittel aus Vorsicht weggelassen haben, weil sie planten, schwanger zu werden – auf eigene Faust oder auf ärztlichen Rat. Mit Beginn der Schwangerschaft nahm dann nur noch etwa die Hälfte ihre Antidepressiva ein, im letzten Trimenon war es nur um die 30 Prozent. Mit der Geburt stiegen die Werte wieder an.
Wie bei allen Arzneimitteltherapien in der Schwangerschaft gilt es, den möglichen Schaden für Mutter und Kind durch Nichtbehandlung gegen eine potenzielle Schädigung des Ungeborenen abzuwägen. Dass ein Therapieabbruch nicht nur der Mutter, sondern auch dem Kind schaden kann, ist wenig bekannt, heißt es in dem Spiegel-Beitrag. So scheinen Mütter mit einer unbehandelten Depressionen mehr Fehl- und Frühgeburten zu haben, außerdem wird über Wachstums- und Entwicklungsverzögerungen bis hin zu Verhaltensaufälligkeiten berichtet. Auch das Risiko nach der Entbindung wieder eine depressive Episode zu erleiden ist größer, wenn die Therapie unterbrochen wird. Suizide oder die Tötung des Kindes, auch im Rahmen eines erweiterten Suizids, sind zwar selten, heißt es in dem Bericht der Barmer. Doch auch diese schweren Fälle gibt es.
Kein Antidepressivum ist zugelassen
Leider ist kein Antidepressivum und kein Stimmungsaufheller in der Schwangerschaft zugelassen. Es gilt also eine vernünftige Nutzen-Risikoabwägung zu treffen. Eine unrealistische Einschätzung kann sogar dazu führen, dass Frauen von Schwangerschaften abgeraten wird. Laut dem Spiegel-Bericht sind viele Ärzte mit psychischen Erkrankungen in der Schwangerschaft überfordert. Nicht alle Psychiater kennen sich mit Schwangerschaften aus und bei Frauenärzten fehlt unter Umständen das Wissen über die Psychopharmaka-Therapie. So kommen dann solche Ratschläge zustande, wie in dem geschilderten Fall.
Zur Behandlung einer Depression kommen unterschiedliche Substanzen zum Einsatz. In der neuen S3-Leitlinie finden sich Empfehlungen zur Behandlung von Depressionen in der Schwangerschaft. Weitere wertvolle Hilfestellung bietet die kostenfreie online-Datenbank Embryotox. Mit trizyklischen Antidepressiva (TCA) wie Amitriptylin hat man die meisten Erfahrungen, sie gelten daher mit als Mittel der Wahl.
Aufgrund der geringeren Nebenwirkungen bevorzugen viele Verordner aber SSRI. Laut der Auswertung der Barmer sind sie die am häufigsten verordneten Antidepressiva bei Frauen im gebärfähigen Alter. Ihr Einsatz ist mit einem geringfügig höheren Risiko für Fehlbildungen assoziiert als die TCA, aber auch sie können in der Schwangerschaft eingenommen werden. Wirkstoffe der Wahl sind Sertralin und Citalopram. Für alle Antidepressiva wird über ein sogenanntes postnatales Adaptationssyndrom berichte. Es tritt bei etwa 30 Prozent der Neugeborenen auf. Es handelt sich um eine Art Entzug, der sich unter anderem durch Gereiztheit und abnormes Schreien äußert. Die Symptome seien jedoch in der Regel mild und von begrenzter Dauer – einzelne Tage bis zu zwei Wochen, heißt es in der Leitlinie.
Bei Johanniskraut wird eher hoch dosiert
Bei den Frauen, die in der Schwangerschaft weiter therapiert werden, geschieht dies – was die Wirkstoffauswahl betrifft – leitliniengerecht mit TCA und SSRI. Auch das zeigen die Daten der Barmer. Die Empfehlung, die Dosis zu senken, wird allerdings nicht immer umgesetzt. So bleibt diese bei den SSRI in der gesamten Schwangerschaft konstant, bei den TCA hingegen scheint man der Leitlinie diesbezüglich öfter zu folgen. Auffällig finden die Autoren des Berichts, dass in der Gruppe der „sonstigen Antidepressiva“ die Dosierungen im späteren Verlauf der Schwangerschaft stark ansteigen. Dieser Effekt kommt ihren Analysen zufolge durch Johanniskraut zustande. Möglicherweise werde das Phytopharmakon als „weniger bedrohlich“ eingeschätzt und man habe wohl auch weniger Hemmungen bei Bedarf die Dosis zu steigern, vermuten sie. In der Leitlinie spielt Johanniskraut aber keine Rolle. Dass bei den SSRI die mittleren Dosen sofort nach der Geburt zunehmen, passt nach Ansicht der Autoren ins Bild. Frauen, bei denen während der Schwangerschaft sicherheitshalber auf eine Therapie verzichtet wurde, zeigen vermehrt Symptome, lautet ihre Annahme. Diese werden nach der Geburt schnell und zum Teil auch mit höheren Dosen behandelt.
Einen weiteren Aspekt geben die Autoren zu bedenken: Insbesondere bei ungeplanten Schwangerschaften nehmen die Frauen oft fünf bis sechs Wochen Arzneimittel ein, ohne zu wissen, dass sie schwanger sind. Wird dann die Therapie abgebrochen, lassen sich etwaige Organschäden ohnehin nicht mehr verhindern, denn wesentliche Schritte der Organogenese sind dann schon abgeschlossen. Psychische Probleme sind aber bei einem plötzlichen Absetzen sehr wahrscheinlich.
Die junge Frau in der Spiegel-Geschichte hat letztendlich Hilfe gefunden. Der Verein „Schatten und Licht" hat ihr die entsprechenden Experten vermittelt. Sie ist mittlerweile Mutter von drei gesunden Kindern, obwohl sie ihre Arzneimittel während der Schwangerschaft weiter genommen hat. Ihre Depression ist sie aber nie wieder losgeworden.
2 Kommentare
Dauermedikation ohne weitere Behandlung
von Anna am 23.07.2019 um 16:12 Uhr
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Studien
von Iris Heffmann am 07.10.2016 um 23:34 Uhr
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