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Interview mit AOK-Expertin Sabine Richard
„Zyto-Verträge verbessern die Versorgung“
Der AOK-Bundesverband steht mit seinen Zyto-Ausschreibungen in der Kritik. Im Interview mit DAZ.online erklärt Sabine Richard, zuständig für Versorgungsthemen, warum die Verträge aus ihrer Sicht sogar positive Auswirkungen haben, warum ihre Kasse gegen eine Honorarerhöhung für Apotheker ist und warum ein EuGH-Urteil zugunsten von DocMorris nicht im Interesse der Kassen liegt.
Nun haben sich auch die Ärzte offen gegen die Zyto-Ausschreibungen der AOK ausgesprochen. Erik Engel, Vorstandsmitglied im Bundesverband der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (BNHO), sagte am Wochenende gegenüber der Welt am Sonntag, dass in den belieferten Praxen teils chaotische Zustände herrschten, weil die Apotheken die Ärzte offenbar fehlerhaft belieferten.
In den ersten beiden Augustwochen sei es in 60 untersuchten Arztpraxen zu mehr als 30 als gravierend oder sehr gravierend eingestuften Vorfällen gekommen, zitiert der Verband die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Untersuchung. So seien fehlende Chemotherapien, nicht lieferbare Begleitmedikationen, unbefüllte Infusionsbestecke, unbeschriftete Spritzen, falsche Packungsgrößen sowie unvollständige oder verspätete Lieferungen gemeldet worden.
Doch der AOK-Bundesverband, der stellvertretend für die Ortskrankenkassen, in immer mehr Regionen exklusiv ausschreibt, zeigt sich unbeeindruckt: Sabine Richard, Versorgungschefin im AOK-BV, erklärt, warum an Aufhören nicht zu denken ist.
DAZ.online: Frau Richard, der AOK-Bundesverband steht für seine Zyto-Ausschreibungen in der Kritik. Mit dem Skandal um den bezuschlagten Apotheker Günther Zeifang war auch der Start in den neuen Regionen holprig. Warum halten Sie trotzdem an dem Modell fest?
Richard: Dass der Anfang einer solchen Ausschreibungsrunde etwas problembehaftet ist und ein paar Irritationen im Markt auftreten, kennen wir bereits aus Berlin, wo wir Zytostatika zuerst ausgeschrieben haben. Die Aufregung wird sich aber wieder legen. Daran machen wir jedenfalls nicht die Bewertung unserer Zyto-Ausschreibungen fest.
DAZ.online: Auch auf politischer Ebene gab es schon kritische Stimmen. Das sogenannte Pharma-Gesetz kommt ja bald in den Bundestag. Befürchten Sie, dass die exklusiven Ausschreibungen dort noch zum Thema werden könnten?
Richard: Ich hoffe nicht, denn auch den Reflex „Wir müssen die Verträge abschaffen“ hat es schon oft gegeben. Wir haben aber gute Argumente für die Weiterführung der Ausschreibungen im Zyto-Bereich. Denn letztlich können wir die Versorgung verbessern, wir bringen mit den Verträgen mehr Transparenz und Nähe in die Zytostatika-Versorgung.
DAZ.online: Was meinen Sie mit „Nähe“?
Richard: Eine der zentralen Vorgaben in unseren Verträgen ist die „adhoc-Belieferung“ innerhalb von 45 Minuten. Wenn Sie sich die bezuschlagten Apotheken anschauen, werden Sie feststellen, dass wir den Anteil lokaler Apotheken an der Versorgung gesteigert haben. Mit der 45-Minuten-Regel bringen wir die Versorgung in vielen Landesteilen also näher an die Versicherten heran.
DAZ.online: Funktioniert denn die Versorgung aus Ihrer Sicht ohne Rabattverträge nicht gut genug?
Richard: Heute lassen sich doch bei Weitem nicht alle Praxen von der nächstgelegenen Apotheke beliefern. Dies wird seltsamerweise nur im Rahmen von Ausschreibungen, nicht aber in der Kollektivversorgung hinterfragt. Durch unsere Ausschreibungen haben wir die Distanz überwiegend verringert. Hinzu kommt, dass die novellierte Apothekenbetriebsordnung, an der die Apotheker ja selbst mitgewirkt haben, den Markt erheblich verändert hat. Die höheren Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen haben dazu geführt, dass viele Apotheken ihre Zyto-Herstellung aufgegeben haben. Daher sehen wir auch ohne Ausschreibungen schon Konzentrationstendenzen im Bereich der Zyto-Apotheken.
AOK will zurzeit keine Honorarerhöhung für Apotheker
DAZ.online: Wie würden eigentlich die Krankenkassen reagieren, wenn der EuGH im Herbst Rx-Boni für ausländische Versandapotheken erlaubt?
Richard: Für fertige Szenarien ist es noch zu früh. Grundsätzlich sehen wir die Frage der Rx-Boni aber kritisch. Denn der Preiswettbewerb der Apotheken richtet sich ausschließlich an Versicherte, die für die Inanspruchnahme einer Kassenleistung einen finanziellen Vorteil erhalten, wenn sie die „richtige“ Apotheke wählen. Daran können Krankenkassen kein Interesse haben. Ebenso kritisch würden wir es sehen, wenn eine Klinik Patienten einen 50-Euro-Gutschein anbieten würde, wenn diese sich in dieser Klinik operieren lassen würden.
DAZ.online: Ein anderes wichtiges Thema für Apotheker sind die derzeit vom Bundesgesundheitsministerium geplanten Honorarerhöhungen in den Bereichen der Rezepturherstellung und für die BtM-Abgabe. Ist es aus Ihrer Sicht richtig, dass Apotheker in diesen Bereichen mehr Geld bekommen?
Richard: Nein, jedenfalls nicht jetzt. Wir finden es äußerst schwierig, zu diesem Zeitpunkt diese selektiven Eingriffe in das Apothekenhonorar zu unternehmen. Das Bundeswirtschaftsministerium hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, bei dem das Gesamtkonzept der Apothekervergütung unter die Lupe genommen werden soll. Bevor wir die Arzneimittelpreisverordnung antasten, sollten wir verstehen, welche Grundlagen es für Änderungen der Apothekervergütung gibt. Derzeit liegt einfach keine ausreichende Datenbasis vor, um zu sagen, ob Anpassungen gerechtfertigt sind. Aber das ist bei Weitem nicht der einzige Punkt, der uns am Arzneimittel-Versorgungsstärkungsgesetz stört.
Die Vertraulichkeit könnte teuer werden
DAZ.online: Die größten Probleme dürften Sie mit den Neuregelungen im Pharma-Bereich haben, oder?
Richard: Insbesondere die geplante Vertraulichkeit der Arzneimittelpreise sehen wir kritisch. Eine geheime Behandlung der Arzneimittelpreise würde das gesamte System teurer machen. Dann könnten Apotheker und Großhändler ihre Margen beispielsweise wieder auf Basis des höheren Listenpreises berechnen. Gleiches gilt für die Umsatzsteuer. Auch auf spätere Nutzenbewertungsverfahren hätte das fatale Auswirkungen: Denn der ausgehandelte Erstattungsbetrag wird in späteren Nutzenbewertungen vergleichbarer Medikamente oft als Vergleichspreis herangezogen. Und die Preise neuer Medikamente könnten dann viel zu hoch angesetzt werden, weil wir für die Preisbildung nur den höheren Listenpreis erfahren. Ich glaube auch nicht daran, dass die Unternehmen dann höhere Rabatte anbieten. Bislang hat das Bundesgesundheitsministerium ja nichts klargestellt. Es wird nur von einer Rechtsverordnung gesprochen. Fest steht, dass es auch technisch sehr schwer wird, den Preis in der Lieferkette wirklich geheim zu halten.
DAZ.online: In den Arzneimittel-Rabattverträgen scheint das System der Preisvertraulichkeit ja ganz gut zu funktionieren…
Richard: Das ist etwas anderes. Die Rabattverträge haben sich seit Jahren als Sparinstrument bewährt. Sie haben durch eine deutliche Senkung der Arzneimittelkosten ihren Erfolg schon gezeigt. Dazu hat auch die mit den bezuschlagten Herstellern vereinbarte Vertraulichkeit beigetragen. Eine grundsätzliche Vertraulichkeit auch der kollektiven Arzneimittelpreise wäre hingegen teuer und schwer umsetzbar.
2 Kommentare
Glauben und Wissen
von Bernd Jas am 22.08.2016 um 10:35 Uhr
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Sehenden Auges ins Chaos
von Bernd Jas am 22.08.2016 um 9:26 Uhr
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