Demenzforschung & Verbot von Online-Rezepten

Große Koalition verschiebt AMG-Novelle kurzfristig

Berlin - 05.07.2016, 15:19 Uhr

Kein Ende abzusehen: Fällt das bisherige Verbot von fremdnütziger Forschung? (Foto: Sandor Kacso / Fotolia)

Kein Ende abzusehen: Fällt das bisherige Verbot von fremdnütziger Forschung? (Foto: Sandor Kacso / Fotolia)


Eigentlich sollten umfangreiche Änderungen des Arzneimittelgesetzes am Freitag im Bundestag beschlossen werden. Doch auch das Verbot von online-Rezepten kann nun über die Sommerpause erneut diskutiert werden – da die Opposition Druck gegen umstrittene Pläne zur Forschung an demenzkranken Patienten gemacht hat. 

Die Pläne von Gesundheitspolitikern der Großen Koalition gehen nicht auf: Am heutigen Dienstag nahmen die Fraktionen das umstrittene 4. AMG-Änderungsgesetz kurzfristig von der Tagesordnung des Bundestages. Es enthält zahlreiche Änderungen, die sich auch aus der EU-Verordnung für klinische Studien ergeben, welche 2018 in Kraft treten wird. Aus Apothekersicht ist wohl das geplante Verbot von Online-Rezepten am Wichtigsten. Die Verschiebung der Gesetzesänderung bietet nun Kritikern die Möglichkeit, das Verbot erneut anzugreifen.

Die öffentliche Diskussion hatte sich in den letzten Wochen auf einen anderen Aspekt konzentriert: Die Bundesregierung will zukünftig in einigen Fällen Forschung an Demenzkranken erlauben, auch wenn diese selber nicht von den Forschungsvorhaben profitieren können.

Die Verabschiedung sei nun auf September verschoben worden, weil die Grünen- und Linken-Fraktion auf die Einhaltung von Gesetzgebungsfristen bestanden hätten, heißt es von Seiten der SPD. Nachdem die Freigabe von fremdnütziger Forschung bei Erwachsenen auf starke Kritik von Patientenschützern und Kirchen sowie einer interfraktionellen Gruppe von Parlamentariern gestoßen war, sollte diese in namentlicher Abstimmung im Bundestag beschlossen werden.

Nicht bis zur Sommerpause übers Knie brechen

Hierzu wäre es notwendig gewesen, die zweite und dritte Lesung des Gesetzes mit einem zeitlichen Abstand von zwei Tagen anzusetzen – und nicht beides am Freitag abzuhalten, wie zwischenzeitlich geplant. Doch auch eine für den morgigen Mittwoch angedachte Sondersitzung des Bundestages zur AMG-Änderung ist nun abgeblasen.

Der behindertenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Uwe Schummer begrüßt gegenüber DAZ.online die Verschiebung. „Ich habe nicht nachvollziehen können, warum das unbedingt bis zur Sommerpause übers Knie gebrochen werden soll“, sagt er. „Ethische Erwägungen müssen sorgfältig beraten werden.“ Er sieht den Informationsbedarf über die schwierige Thematik bei den Kollegen als sehr hoch an. „Wir nehmen uns die nötige Zeit“, erklärt Schummer.

Der Staat muss schützen

Der CDU-Politiker sieht die Verschiebung auch als Erfolg des fraktionenübergreifenden Gruppenantrags, welcher Forschung ohne individuellen Nutzen für erwachsene Probanden weiterhin verbieten soll. Dieser fand in den vergangenen Tagen bereits mehr als hundert Unterstützer. „Ich denke, dass ein Nachdenken durch die Reihen der Fraktionen geht“, sagt Schummer. „Je schwächer das menschlichen Lebens, desto stärker muss die Schutzfunktion des Staates sein.“

Wie auch die Bundestags-Vizepräsidentin und ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt oder Kollegen aus der Opposition verweist Schummer darauf, dass ein Verbot fremdnütziger Forschung bis vor kurzem noch breiter Konsens im Bundestag war. „Ich weiß nicht, weshalb sich in den letzten drei Monaten die Welt verändert hätte, dass wir diese Einstellungen einfach über Bord werfen“, sagt er. Schummer fürchtet einen Dammbruch – indem die geplanten Regelungen nach und nach aufgeweicht werden. So ist geplant, dass die Probanden bei zuvor klarem Verstand und nach Aufklärung eingewilligt haben müssen. „Der Damm wird immer rissiger – und am Ende fällt er“, befürchtet Schummer.

Ist die Freigabe überhaupt nötig?

Ähnlich sieht es auch Kordula Schulz-Asche, Sprecherin für Prävention und Gesundheitswirtschaft der Grünen-Fraktion. „Es legt die Vermutung nahe, dass es aus den Reihen der Koalitionsfraktionen viele Unterstützer für unseren fraktionsübergreifenden Antrag gab, der auf die Beibehaltung der derzeitigen Rechtslage abzielt“, vermutet sie angesichts der Verschiebung. „Ich rate der Koalition nun, die Sommerpause zu nutzen, um endlich zur Vernunft zu kommen und die Schutzstandards für besonders schutzbedürftige Menschen zu erhalten.“

Nach Einschätzung der Grünen-Politikerin sollte gruppennützige Forschung an Nichteinwilligungsfähigen nur dann erlaubt werden, wenn die Betroffenen einen daraus auch einen individuellen medizinischen Vorteil von ihrer Teilnahme haben. Der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller hatte geäußert, dass klinische Studien entsprechend konzipiert werden können. Hingegen hatten sich akademische Forscher zur Wort gemeldet, die für eine Gesetzesänderung eintreten.


Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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