Inkontinenz-Versorgung in Gefahr

Von wegen Qualität statt Dumpingpreisen

Stuttgart - 04.07.2016, 10:00 Uhr

Die Pauschalen für Windeln sind in vielen Fällen nicht kostendeckend. Viele Apotheken machen deshalb nicht mehr mit. (Foto: adrian_ilie825 / Fotolia)

Die Pauschalen für Windeln sind in vielen Fällen nicht kostendeckend. Viele Apotheken machen deshalb nicht mehr mit. (Foto: adrian_ilie825 / Fotolia)


Apotheken am Scheideweg

Apotheken stehen derzeit angesichts dieser Preisentwicklung vor der Frage, wo es hingehen soll mit wohnortnahen Inkontinenzversorgung. Sie können sich an den Verträgen beteiligen. Dabei müssen sie dann darauf setzen, dass vermehrt Versicherte bereit sind, Aufzahlungen zu leisten und sich nicht nur mit der Basisversorgung zufrieden geben.

Was Basisversorgung bedeutet, hängt von der Kasse ab. Für Versicherte der AOK Nordwest bedeutet Basisversorgung etwa alles das, was für monatlich 20,90 Euro (brutto) zu haben ist. Die AOK Baden-Württemberg zahlt 29 Euro im Monat, die allgemeinen Ortskrankenkassen in Bayern zwischen 25 und 38 Euro. Hier hängt die Höhe der Pauschale davon, ob nur Harn- oder Harn- und Stuhlinkontinenz vorliegen. Außerdem gibt es für Erwachsenen weniger als für Kinder (25 bzw. 29 Euro vs. 38 Euro). Die IKK classic veranschlagt eine Pauschale von 35 Euro.

Die Alternative ist der Abschied von der Inkontinenzversorgung aus der Apotheke. Patienten fernab der Ballungszentren ohne Sanitätsfachgeschäfte wären dann in vielen Fällen allein gelassen, prognostiziert der AVWL. Einige Kassen, zum Beispiel die Barmer GEK, versorgen ihre Patienten allerdings ohnehin schon anderweitig. Diese Verträge wurden ausgeschrieben - ohne Möglichkeit für Apotheken beizutreten.

Keine einheitliche Tendenz

Einige Apotheker haben offensichtlich bereits Konsequenzen gezogen und sich für den zweiten Weg entschieden. So berichtet der AVWL, dass heute nur noch 40 Prozent der Mitglieder an Beitrittsverträgen mit Inkontinenzpauschalen teilnehmen, 2015 waren es noch rund 90 Prozent.

In Bayern hingegen scheint es so eine Tendenz nicht zu geben, zumindest nicht beim Vertrag des Bayerischen Apothekerverbandes (BAV) mit der AOK Bayern. Den Vertrag mit abgesenkten und gestaffelten Pauschalen gebe es seit 2014, erklärt der stellvertretende BAV-Geschäftsführer Dr. Wolfgang Schneider gegenüber DAZ.online. Über 1000 bayerische Apotheken seien inzwischen beigetreten. Beim vorher gültigen Vertrag mit der AOK Bayern, BKK Landesverband und IKK, waren es weniger Apotheken bei einer deutlich höheren Pauschale, berichtet Schneider. Konkrete Zahlen für BKKen habe der BAV wegen der undurchsichtigen Vertragslandschaft nicht. Am Vertrag des BAV mit dem BKK-Landesverband nähmen aber ca. 750 Apotheken teil.  

Anbieter der Dumpingpauschalen tragen Mitschuld

Der AVWL sieht allerdings nicht nur die Kostenträger in der Verantwortung. Der Verband erhebt auch Vorwürfe gegen die Leistungserbringer aus Industrie und Großhandel. Durch Dumpingangebote bei Ausschreibungen leisteten sie den Kassen Schützenhilfe. Die Angebote dienten weniger dem Ziel einer angemessenen Vergütung für eine angemessene Qualität, sondern vielmehr dem Erwerb eines Kundenstammes von Versicherten. Diese sollen den Anbietern über teils hohe Aufzahlungen entsprechende Erträge garantieren, schrieben Verbandsvertreter in einem Brief an Laumann.

AVWL will Mindestpauschale

Damit der Sachleistungsanspruch der Patienten kein leeres Versprechen bleibt, fordert der AVWL in einer Stellungnahme eine Mindestpauschale. Diese müsse sich an „marktgängigen Produktpreisen einer Durchschnittsversorgung“ orientieren, findet der AVWL. So solle die Nachfragemacht der Kassen angemessen begrenzt und Dumping-Pauschalen verhindert werden.

Wie es weiter geht, bleibt abzuwarten. Anlässlich der Versprechen der Kassen, das Hilfsmittelverzeichnis zu überarbeiten, hatte Laumann angekündigt, genau hinzuschauen, ob die Maßnahmen bei den Patienten ankommen. Folgt man der Auffassung des AVWL ist das bislang nicht der Fall. 



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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3 Kommentare

Ich höre immer Aufzahlen lassen

von Klaus Schweinberger am 04.07.2016 um 14:12 Uhr

bei den ganzen Verträgen ist doch geregelt, dass du den Patienten kostenfrei bzw ohne Aufzahlung optimal Versorgen musst!
Wenn ich zu den Kunden sagen kann: " Kasse zahlt nur 15€ Rest musst du zahlen" wäre ja das ganze kein Problem!

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Parallele

von Apotheker B am 04.07.2016 um 12:46 Uhr

Weitaus brisanter ist, wenn man parallel hierzu die Zyto-Ausschreibungen betrachtet. Hier ist schon die flächendeckende Versorgung in Gefahr, wenn einige wenige Apotheken in einer Region die Belieferung wegen Preisdruck einstellen müssen.
Das geht sehr schnell, denn da ist bald das Problem, dass wenn AOK und DAK (zusammen mit etwa 38 % der Verordnungen) bei einer Apotheke wegfallen würden.

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Untätigkeit

von Heiko Zimny am 04.07.2016 um 10:47 Uhr

Erste E-Mail vom 31.03.16 an Herrn Laumann:

Guten Tag Herr Laumann,

ich danke ihnen für ihren Einsatz für die Qualitätssteigerung bei der Versorgung mit Inkontinenzhilfsmitteln im ambulanten Bereich. Wie ich aus der “Pharmazeutischen Zeitung” vom 24.03.2016 erfahren durfte, “begrüßen sie auch die Ankündigung der Kassen, dass künftig kein Versicherter mehr Aufzahlungen leisten müsse, um wirklich gut versorgt zu werden.” Weiteres Zitat:”Ich fordere die Krankenkassen, die Versorgung schnellstens umzustellen. Es wäre unverantwortlich, die Übergangsfrist von einem Jahr bis zum Ende auszureizen.” Sie würden sich das weitere Vorgehen der Kassen genau anschauen und es wäre entscheidend, dass die Versicherten tatsächlich die Hilfsmittel erhalten, die sie benötigen. Zudem müssten die Produkte qualitativ und quantitativ dem aktuellen Stand der Medizin entsprechen, was bisher in vielen Fällen ganz klar nicht der Fall gewesen wäre. In diesen Punkten stimme ich mit ihnen überein. Die schlechte Nachricht ist, dass sich die Krankenkassen dafür nicht zu interessieren scheinen. Im Anhang sende ich ihnen ein aktuelles Schreiben der Knappschaft für die Versorgung mit aufsaugenden Inkontinenzhilfen im ambulanten Bereich zu. Unter Berücksichtigung einer Prozessvereinfachung (man muss jetzt nur alle 3 Jahre und nicht mehr jedes Jahr ein Rezept anfordern! Anmerkung: Welch großzügige Prozessvereinbarung) und der aktuell stattfindenden Marktentwicklung würde der Vertragspreis für die monatliche Versorgung auf 15,00€ netto vereinbart. Mir sind keine Marktbewegungen bekannt! Da bisher 21€ vereinbart waren, ist dies nur eine Kürzung von annähernd 30%(!!) bei bestenfalls gleichbleibenden Einkaufspreisen, frage ich mich schon wie die von ihnen erhoffte Qualitätssteigerung durchgesetzt werden soll. Es ist in diesem Bereich übrigens auch nicht die erste Kürzung in dieser Größenklasse. Ich sehe mich als Inhaber von 2 Apotheken auf dem ganz flachen Land auf jeden Fall nicht in der Lage eine qualitativ ausreichende Versorgung gewährleisten zu können. Das widerspräche unseren im QMS festgelegten Qualitätsstandards. Für die Patienten bedeutet dies, dass im Umkreis von vorsichtig geschätzten 25 Kilometern keine Versorgung gewährleistet sein wird. Die anderen Apotheken habe die Versorgung schon vorher eingestellt. Wir hatten die Versorgung lediglich als Dienstleistung für unsere Kunden angeboten. Geld war damit auch bisher nach Abzug aller Kosten nicht verdient.
Die Aufgabe der Apotheken ist die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Auf diese Aufgabe werde ich mich und mit mir viele Kollegen konzentrieren. Im Inkontinenzbereich wird es in Zukunft zu noch mehr Aufzahlungen kommen. Viele Versender verdienen ja genau damit ihr Geld. Ihre Bemühungen für eine qualitative und quantitative Versorgung nach dem aktuellen Stand der Medizin werden im Sand verlaufen und es wird sogar zu einer weiteren Fehlversorgung der betroffenen Patienten kommen. Ich werde dies, aber auch ihre (vergeblichen) Bemühungen etwas dagegen zu tun, unseren Patienten gegenüber kommunizieren.

Zweite Mail vom 04.05.2016:

Guten Tag,

anbei meine unbeantwortete Mail vom 31.03.16. Ich wundere mich schon, dass es ihnen nicht möglich ist, binnen eines Monats eine Mail zu beantworten. Ich deute das dahin, dass sie den öffentlich gesprochenen Taten keine Taten folgen lassen wollen und das Thema scheinbar nur medial behandeln. Meine zuvor vorsichtig optimistische Wahrnehmung zu ihren Aussagen werden damit in das Gegenteil verkehrt und ich werde im Kundengespräch den Hergang unserer (einseitigen) Kommunikation sachlich darlegen und das Gebaren des für unsere Kunden zuständigen “Patientenbeauftragten der Bundesregierung” im Patientengespräch zu würdigen wissen.
Ca. 3 Wochen später kam dann ein Brief, dass die Beantwortung noch Zeit bräuchte!!
Heute ist der 04.07.2016 und nichts hat sich getan. Steuergeldverschwendung erster Klasse, dieser Patientenbeauftragte.

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