Foto: vahit/AdobeStock

Beratung

Gezielt gegen Blasenschwäche

S2k-Leitlinie gibt neue Empfehlungen zur Therapie und Prävention bei Frauen

Kennzeichen der Incontinentia vesicae ist der unwillkürliche Urinverlust kleiner oder größerer Harnmengen. Im Frühjahr 2022 erschien die erste vereinheitlichte S2k-Leitlinie „Harninkontinenz der Frau“. Im Mittelpunkt stehen wissenschaftlich re­levante Informationen zur Belastungsinkontinenz, der überaktiven Blase und Dranginkontinenz. Viele Patientinnen sind multimorbid und suchen erst im fort­geschrittenen Stadium einen Arzt auf. Als Mittel der ersten Wahl gilt die Verhaltenstherapie, in der Leitlinie werden auch eine Vielzahl medikamentöser Möglich­keiten genannt. | Von Alexandra Hinsken

Harninkontinenz wird umgangssprachlich als „Blasenschwäche“ bezeichnet. Die Blase ist nicht immer die Ursache für den ungewollten, psychisch belastenden Harnverlust. Die unbehandelte Blaseninkontinenz kann Harnwegsinfektionen und schwere Hautirritationen verursachen. Eine ausführliche Anamnese ist wichtigste Voraussetzung für die Behandlung, da die Therapie je nach Inkontinenzform unterschiedlich ist. Das Blasentagebuch ist eine hilfreiche Methode zur Quantifizierung der Symptome. In einem Miktionsprotokoll wird die Flüssigkeitsaufnahme, Zeiten der Miktion und das Miktionsvolumen festgehalten und die Ausprägung der funktionellen Beschwerden des unteren Harntrakts (lower urinary tract symptoms, LUTS) objektiviert. Der Vorlagenwiegetest, die Urinanalyse zur Abklärung eines Harnwegsinfektes und die Restharnbestimmung präzisieren die Diagnose.

Anamnese wichtigste Therapievoraussetzung

Belastungsinkontinenz: kein Harndrang

Druck im Bauchraum erhöht den Blaseninnendruck. Sobald dieser intravesikale Druck die Schließkraft des Sphinkters übersteigt, kommt es zum Harnverlust, ohne dass vorher Harndrang verspürt wurde. Eine Schwäche der Beckenbodenmuskulatur und/oder eine Schädigung des Bandhalteapparates kann Ursache der Insuffizienz des Sphinkter-Mechanismus am Blasenauslass sein. Die frühere irreführende Bezeichnung Stressinkontinenz bezog sich schon immer auf die physische und nicht auf die psychische Belastung des Harnblasen-Verschlusses. Beim Heben schwerer Gegenstände, Husten, Niesen oder dem Liegen im Bett kommt es zu unkontrolliertem Urinverlust. Frauen nach Schwangerschaften und vor den Wechseljahren sind von der Belastungsinkontinenz weit häufiger betroffen als Männer, bei denen die Prostata den Verschlussmechanismus unterstützt. Descensus von Organen im Beckenbereich wie ein Gebärmuttersenkung oder eine Scheidensenkung, Adipositas und chronische Bronchitis bei Rauchern begünstigen eine Belastungs­inkontinenz.

Dranginkontinenz: Verlust kleiner Urinmengen möglich

Bei der Dranginkontinenz (früher Urgency-Inkontinenz) ist die Blasenwandmuskulatur überaktiv. Die Kontraktion gibt den Abfluss frei und drückt den Harn aus der Blase heraus, auch wenn sie mit wenig Urin gefüllt ist. Sensorische Ursachen für das vorzeitige Füllungsgefühl können Entzündungen, obstruktive Veränderungen durch Blasensteine oder eine Prostatahyperplasie sein. Bei der motorischen Form kommt es zur vorzeitigen Stimulierung des Musculus detrusor durch neurologische Erkrankungen wie multiple Sklerose oder Parkinson. Ein Estrogen-Mangel fördert das Entstehen der Dranginkontinenz. Einige Patientinnen leiden unter der Mischinkontinenz mit Symptomen der Belastungs- und der Dranginkontinenz.

Überaktive Blase: multifaktorieller Symptomen­­komplex

Bei der überaktiven Blase (ÜAB) spielen mechanische, neuronale und psychische Aspekte eine Rolle. Vermehrte muskarinerge Reize verursachen häufige Kontraktionen des Detrusors. Durch mangelhafte zentralnervöse Hemmung kommt es zu stärkeren Harndrangimpulsen. Der imperative Harndrang verursacht mehr als acht Miktionen pro Tag und Nykturie. Wegen der noch gut funktionierenden Beckenbodenmuskulatur bleibt der unwillkürliche Harnverlust aus. Diese überempfindliche Blase oder sogenannte Reizblase geht meist mit einer Dranginkontinenz einher.

Unter- und Überaktivität des Detrusors

Unteraktivität des Detrusors oder Verschluss des Blasenauslasses zum Beispiel durch Harnblasensteine oder Tumore erhöht die Restharnmenge. Es sammelt sich viel Urin an und überdehnt die Blase. Sobald der Blaseninnendruck den Druck des Verschlussapparates übersteigt, läuft die Blase mit kleinen Urinmengen über. Bei der Inkontinenz mit chronischer Harnretention (früher Überlaufinkontinenz) verspüren Patientinnen einen ständigen Harndrang. Bei der Harninkontinenz mit neurogener Detrusorüberaktivität (früher Reflexinkontinenz) kommt es zum Urinverlust ohne Harndranggefühl. Neurologische Erkrankungen wie Parkinson, multiple Sklerose oder Schädigungen des Spinalkanals provozieren reflektorische Kontraktionen des Detrusors.

Weitere Formen der Inkontinenz

Urogenitale oder Recto urethrale Fisteln bedingen eine extraurethrale Harninkontinenz. Der Urinverlust entsteht über andere Öffnungen als die Harnröhre. Urinverlust während des Schlafes kennzeichnet die Enuresis nocturna. Sonderformen der weiblichen Harninkontinenz sind die Lagerungsinkontinenz bei einem Wechsel aus dem Sitzen oder Liegen in eine andere Lage, die Giggle-Inkontinenz mit Urinverlust während des Lachens oder die koitale Inkontinenz. Der Urinverlust erfolgt während der Kohabitation durch Penetration und/oder Orgasmus.

Möglichkeiten der Prävention

Untersuchungen lieferten Hinweise, dass die systemische Anwendung von Estrogenen Inkontinenz verschlechtert oder provoziert. Das wird noch kontrovers diskutiert. Im Gegensatz dazu wird eine lokale vaginale Applikation von Estrogenen als Therapie für die Incontinentia vesicae empfohlen, da sie den urethralen Verschlussdruck erhöht und somit zu einer Stabilisierung der überaktiven Blase beiträgt. Es fehlen noch ausreichend Studien, ob die lokale Östrogentherapie auch zur Prävention der Harninkontinenz eingesetzt werden kann. Frauen mit Diabetes mellitus Typ 2 haben eine höhere Prävalenz für Blaseninkontinenz. Gesunde Lebensweise, die eine Diabeteserkrankung verhindert, könnte das Risiko senken, an einer Harninkontinenz zu erkranken. In der S2-Leitline „Harninkontinenz“ wird darauf hingewiesen, dass eventuell ein Zusammenhang zwischen Harninkontinenz und einem niedrigen Vitamin-D-Spiegel bestehen könnte: In einer Longitudinalstudie wurde 2004 ein dosisabhängiger, protektiver Effekt einer erhöhten Vit­amin-D-Aufnahme auf das Risiko, eine überaktive Blase zu entwickeln, beobachtet.

Therapiemöglichkeiten

Die Ursache von Belastungsinkontinenz, Dranginkontinenz und neurogener Detrusor-Überaktivität ist auf Störungen der Harnrückhaltung zurückzuführen. Hingegen liegt bei der Inkontinenz mit chronischer Harnretention eine Störung der Harnentleerung vor. Als Mittel der ersten Wahl gilt die Verhaltenstherapie. Bei Belastungsinkontinenz wird insbesondere Beckenbodentraining und bei Dranginkontinenz Blasentraining empfohlen. In zweiter Linie steht in der S2k-Leitlinie die pharmakologische Therapie. Medikamente der neueren Generation sind selektive Muskarinrezeptor-Antagonisten und Beta-3-Adrenorezeptor-Agonisten. Die Drittlinien-Therapie empfiehlt Injektion mit Onabotulinumtoxin (100 U) in die Harnblasenwand und elektrische Neuromodulation als invasive Maßnahmen. Als weitere Möglichkeit bleibt die Lasertherapie der vorderen Scheidenwand. Aufgrund der Datenlage ist die Wirksamkeit noch unsicher.

Verhaltens- und Physiotherapie

In einem Blasentraining (BT) erlernen die Frauen ein geplantes Entleerungsschema, bei dem die Miktionsintervalle allmählich angepasst werden. So können fehlerhafte Gewohnheitsmuster korrigiert werden. Die verlängerten Entleerungsintervalle sollen die Blasenkapazität vergrößern und eine Dranginkontinenz verbessern. Auch kann mit diesem Training das Vertrauen der Frauen in die eigene Fähigkeit gestärkt werden, dass sie ihre Blasenfunktion selber kontrollieren können. Aufforderung zur Entleerung (prompted voiding) zeigt in Studien positive Effekte.

Nichtmedikamentöse Maßnahmen

  • Reduktion des Coffein-Konsums (wasserausschwemmende Wirkung) kann nach Einzelberichten eine Harn­inkontinenz verbessern
  • moderate körperliche Aktivität stärkt die Becken­bodenmuskulatur
  • zu starke körperliche Belastung schadet dem Beckenboden
  • Gewichtsabnahme im Zusammenhang mit Sport, da Adipositas besonders eine Belastungsinkontinenz verstärken kann
  • Obstipation therapieren, da häufiges starkes Pressen beim Stuhlgang die Beckenbodenmuskulatur belastet
  • Flüssigkeitszufuhr reduzieren verbessert eine überaktive Blase - hat aber geringen Einfluss auf eine Belastungsinkontinenz
  • Raucherentwöhnung, denn Raucherhusten geht oft mit Belastungsinkontinenz einher

Bei der Belastungsinkontinenz ist ein intensives Becken­bodentraining (BBT) effektiver zur Optimierung der Harnröhrenstabilität als das Blasentraining. Pessare unterstützen die Stabilisierung der Urethra und erhöhen den urethralen Widerstand. Patientinnen, die hauptsächlich bei stärkeren körperlichen Belastungen unter unwillkürlichem Harnverlust leiden, profitieren signifikant von Pessaren.

Spüren Patientinnen ihre Beckenbodenmuskulatur kaum oder gar nicht und können sie diese daher auch nicht anspannen, so kann eine Elektrostimulation eingesetzt werden.

Muskarinrezeptor-Antagonisten

Bei Dranginkontinenz und überaktiver Blase sind Antimuskarinika eine effektive orale Therapieoption (s. Tab. 1). Oxybutynin (Dridase®) und Propiverin (Mictonorm®) gehören zu den meistverordneten Arzneimitteln. Sie inhibieren die muskarinischen Rezeptoren der Detrusorzelle und reduzieren auf diese Weise spontane, unkoordinierte Micromotions (lokale Kontraktionen). Zusätzlich beeinflussen Muskarinrezeptor-Antagonisten die Blasensensorik am afferenten Schenkel des Miktionsreflexes und verringern das afferente Hintergrundrauschen. Wegen ihrer atropinergen Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Sehstörungen, Tachykardie, Obstipation, Sedation, Gesichtsrötung und Verwirrungszustände ist die Abbruchrate bei dieser Therapie relativ hoch. Retardierte Präparate vertragen Patientinnen besser als Formulierungen mit rascher Wirkstofffreisetzung. Co-Medikamente müssen auf anticholinerge Wirkung überprüft werden, damit beim Patienten die anticholinerge Last nicht zu sehr erhöht wird. Oxybutynin hat vor allem bei intravesikaler Anwendung eine direkte muskelrelaxierende und lokalanästhetische Wirkung. Bei muskarinergen Rezeptoren werden fünf verschiedene Subtypen unterschieden. M2- und M3-Rezeptoren befinden sich an der glatten Muskulatur und am Gehirn. Eine M3-Selektivität von Arzneistoffen ist vorteilhaft für die Therapie. Allerdings sind in exokrinen Drüsen und am Auge auch M3-Subtypen. Tolterodin (Detrusitol®) wirkt teilweise blasenselektiv. Solifenacin (Vesikur®) ist ein oral wirksamer spezifischer Muskarin­rezeptor(M3)-Antagonist. Mit der Einführung des Oxybutynin-Pflasters (Kentera®) ist es möglich, die Leberpassage und damit den First-Pass-Effekt zu umgehen.

Tab. 1: Antimuskarinerge Wirkstoffe zur symptomatischen Behandlung der Harninkontinenz (nach [S2k-Leitlinie „Harninkontinenz der Frau“]).
Wirkstoff
(Arzneiformen)
Präparate (Beispiele)
tägliche Dosierung
Besonderheiten
Darifenacin Retardtabletten
Darifenacin Aristo,Emselex®
einmal 7,5 bis 15 mg
CYP3A4- und CYP2D6-Interaktionen beachten
Fesoterodin Retardtabletten
Fesoterodin Aristo,Toviaz®
einmal 4 bis 8 mg
CYP3A4- und CYP2D6-Interaktionen beachten
Vorsicht bei QT-Zeit-Verlängerungen
Oxybutynin Tabletten
Dridase®,Oxybutynin AL
zwei- bis dreimal (maximal viermal) 2,5 bis 5 mg
Oxybutynin ist auch als transder­males Pflaster (Kentera®) oder als Lösung zur intravesikalen Anwendung (Vesoxx®) verfügbar
Propiverin Filmtabletten
Mictonetten®, Mictonorm® FT
zwei- bis dreimal 15 mg
CYP3A4-Interaktionen beachten,
auf nüchternen Magen einzunehmen
Propiverin Hartkapseln mit veränderter Wirkstofffreisetzung
Mictonorm Uno®
einmal 30 mg
Solifenacin Filmtabletten
Solifenacin Puren,
Vesikur®
einmal 5 bis 10 mg
CYP3A4-Interaktionen beachten;
Vorsicht bei QT-Zeit-Verlängerungen
Tolterodin Filmtabletten
Detrusitol®, Tolterodin-1A Pharma
zweimal 1 bis 2 mg
CYP3A4-Interaktionen beachten;
Vorsicht bei QT-Zeit-Verlängerungen
Tolterodin
Retardkapseln
Detrusitol® retard, Tolterodin AbZ Retardkapseln
einmal 4 mg
Trospium
(Filmtabletten)
Spasmex® , Spasmolyt®
zwei- bis dreimal 15 mg zweimal 20 mg
passiert Blut-Hirn-Schranke nicht (weniger zentrale anticholinerge Nebenwirkungen, Verwirrung),
wird renal eliminiert,
auf nüchternen Magen einzunehmen
Trospium
(Retardtabletten)
Urivesc®
einmal 60 mg

Neue Option durch Beta-3-Agonisten

Beta-3-Adrenorezeptoren dominieren in der glatten Muskulatur der Harnblase. Ihre Stimulation bewirkt eine Relaxation der Harnblasenmuskulatur. Mirabegron (Betmiga®) ist ein selektiver Agonist der Beta-3-Adrenorezeptoren. Er hat keinen Einfluss auf das muskarinerge System und gilt als gleichwertig in der Anwendung mit Antimuskarinika, ohne dass Mirabegron die Blasenkontraktibilität beeinträchtigt. Bei ungenügender Wirksamkeit von antimuskarinen Arzneistoffen wird dieser selektive Agonist zur Therapie der Dranginkontinenz oder der überaktiven Blase eingesetzt. Im Gegensatz zu anticholinerg wirkenden Substanzen ist ein Beta-3-Rezeptorantagonist für den Einsatz bei älteren Patientinnen geeignet, zumal er keine negativen Auswirkungen auf die Kognition hat.

Induzieren Arzneimittel Inkontinenz?

Harninkontinenz geht oft mit mindestens einer Begleiterkrankung einher, die immer angemessen behandelt werden soll. Patienten berichten, dass Arzneimittel eine bestehende Inkontinenz verstärken (s. Tab. 2). Dabei ist es schwierig, den Einfluss ihrer Medikation, ihres Alters oder der Begleiterkrankungen auf ihre Harninkontinenz zu beurteilen. Fachinformationen erwähnen bei zahlreichen Arzneimitteln ihren Einfluss auf Harnspeicherung oder Harnentleerung. Anticholinergika können eine Harnretention durch die Blockade der Muskarinrezeptoren fördern. Muskelrelaxanzien führen als Nebenwirkung zu einer Relaxation des Blasenausgangs. Indirekte Parasympathomimetika hemmen den Abbau des körpereigenen Acetylcholins im synaptischen Spalt. Dadurch erhöhen sie möglicherweise die Detrusor­aktivität und verstärkten den Harndrang. Cholinesterase-Hemmer (z. B. Donepezil, Rivastigmin, Galantamin) können die Harnfrequenz erhöhen. Sedativa machen die Betroffenen manchmal so benommen, dass ein unwillkürlicher Harnabgang nicht bemerkt wird.

Tab. 2: Arzneistoffe, die eine Inkontinenz fördern können (Beispiele) (nach [DuBeau CE et al. 2020] und [Heim TM. 2022]).
Wirkstoffklasse
möglicher Effekt auf die Inkontinenz
Alpha-Adrenergika
Tonuserhöhung innerer Blasenschließmuskel (begünstigt Restharnbildung)
Alpha-Blocker
Tonusverminderung innerer Blasenschließmuskel (begünstigt Belastungs­inkontinenz)
Angiotensin-Converting-Enzyme(ACE)-Hemmer
Nebenwirkung Husten (begünstigt Belastungsinkontinenz)
Anticholinergika
  • dämpfend (begünstigt Restharnbildung)
  • Obstipation fördernd (kann Blasenentleerung behindern)
  • kognitive Defizite (können die Kontrolle über die Blasenfunktion behindern)
Calciumkanal-Blocker
  • Detrusor dämpfend (begünstigt Restharnbildung)
  • Obstipation fördernd (kann Blasenentleerung behindern)
  • Ödeme (können mit Nykturie einhergehen)
Diuretika
Polyurie (verstärkt Pollakisurie)
Lithium
nephrogener Diabetes insipidus mit Polyurie (begünstigt überaktive Blase)
Opioide
anticholinerge Effekte (s. Anticholinergika)
Sedativa, Schlafmittel
kognitive Defizite, Delir, Immobilität (können die Kontrolle über die Blasen­funktion behindern)
Antipsychotika, trizyklische Antidepressiva
anticholinerge Effekte (s. Anticholinergika)
selektive Serotoninwiederaufnahme-Hemmer (SSRI)
cholinerge Effekte (begünstigen überaktive Blase)
Gabapentin
Ödeme (begünstigen Nykturie, Polyurie und vermutlich eine überaktive Blase)
Inhibitoren der Sodium glucose linked transporter (SGLT-2-Hemmer)
Glucose-induzierte Polyurie (begünstigt überaktive Blase)
nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR)
Ödeme, Polyurie, Detrusor dämpfend (begünstigen Restharnbildung)
Cholinesterase-Hemmer
parasympathomimetisch (begünstigt überaktive Blase)

Pflanzliche Unterstützung bei Inkontinenz

Für den Einsatz von Phytopharmaka wird in der S2k-Leitlinie keine Empfehlung ausgesprochen, da die wenigen vorliegenden Untersuchungen aus dem Bereich der Phytotherapie keine randomisierten Studien mit ausreichenden Fallzahlen stellen. Es gibt jedoch Wirksamkeitshinweise. So konnte in einer prospektiven Beobachtungsstudie mit Kürbissamen (Granu Fink® femina) mit 117 Patientinnen mit überaktiver Blase eine signifikante Verbesserung gezeigt werden. Für viele weitere Pflanzen­extrakte, die zur Therapie der Inkontinenz verwendet werden, fehlen noch größere klinische Studien, die die Wirksamkeit belegen.

Auch zu den Therapiemöglichkeiten aus dem Bereich der Erfahrungs- und Komplementärmedizin liegen kaum Studien vor. Bryophyllum pinnatum zeigte in einer kleinen randomisierten Studie einen positiven Trend bei der Wirksamkeit. Die Pflanze wurde ursprünglich in der anthroposophischen Medizin von Rudolf Steiner 1921 zur Behandlung von Hysterie verwendet. Da diese übermäßige Erregung als überaktiver Zustand anzusehen ist, entwickelte sich daraus das Indikationsgebiet der überaktiven Blase. |

Auf einen Blick

  • Im Mittelpunkt der vereinheitlichten S2k-Leit­linie Harninkontinenz der Frau stehen die Be­lastungsinkontinenz, die überaktiven Blase und die Dranginkontinenz.
  • Wegen der vermutlich hohen Dunkelziffer existieren zur Prävalenz der Harninkontinenz sehr unterschiedliche Zahlen.
  • Nach gründlicher Anamnese wird als Erstlinien-Therapie die Verhaltenstherapie mit Becken­boden- und Blasentraining empfohlen.
  • Für die pharmakologische Zweitlinien-Therapie werden Arzneimittel der neuen Generation vorgestellt, die sich für multimorbide Patientinnen eignen.
  • Die Drittlinien-Therapie setzt sich mit invasiven Möglichkeiten wie Lasertherapie, Botox-Injektion oder elektrischer Neuromodulation auseinander.

Literatur

DuBeau CE et al. Incontinence in the frail elderly: report from the 4th International Consultation on Incontinence. Neurourol Urodyn 2010;29:165–278

Erste vereinheitlichte S2k-Leitlinie zu Harninkontinenz der Frau erschienen. Information der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), März 2022, www.dggg.de/presse/pressemitteilungen-und-nachrichten/erste-vereinheitlichte-s2k-leitlinie-zu-harninkontinenz-der-frau-erschienen

Harninkontinenz bei geriatrischen Patienten, Diagnostik und Therapie. S2e-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (Hrsg.), AWMF-Registernummer 084-001, Stand: Januar 2019, https://register.awmf.org/assets/guidelines/084-001k_S2e_Harninkontinenz_geriatrische_Patienten_Diagnostik-Therapie_2019-11.pdf

Harninkontinenz der Frau. S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (OEGGG) und der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG), AWMF-Registernummer 015-091, Stand Dezember 2021, https://register.awmf.org/assets/guidelines/015-091l_S2k_Harninkontinenz-der-Frau_2022-03.pdf

Heim TM. Arzneimitteltherapie im Alter – eine Herausforderung. MMP 2022;45(08):306-311, www.mmp-online.de/heftarchiv/2022/08/arzneimitteltherapie-im-alter-eine-herausforderung-kongress-der-deutschen-gesellschaft-fuer-innere-medizin-2022.html

Hellwig B. Muscarinrezeptor-Antagonist: Solifenacin zur Behandlung der Reizblase. DAZ 2004;38:34, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2004/daz-38-2004/uid-12617

Hilfsmittelberatung. S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie (Hrsg.). AWMF-Registernummer 043-054, Stand: Juli 2020, https://register.awmf.org/assets/guidelines/043-054l_S2k_Hilfsmittelberatung_2020-10_1.pdf

Katzemich S. Was die Blase stark macht: Fast jede Intervention ist besser als keine. DAZ 2019;21:26, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2019/daz-21-2019/was-die-blase-stark-macht

Mandach U et al. Bryophyllum pinnatum in der Geburtshilfe und Gynäkologie. info@gynäkologie 2011;3:16-20, medinfo-verlag.ch

NN. Harninkontinenz: Ursachen und Krankheitsbilder. Informationen der Frauenärzte im Netz, Stand: Juni 2018, www.frauenaerzte-im-netz.de/erkrankungen/harninkontinenz/ursachen-krankheitsbilder/

NN. Harninkontinenz: Welche Therapie für welche Form? DAZ 1999;40:46, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/1999/daz-40-1999/uid-10285

Ramm-Fischer A. Harninkontinenz: Schrittmacher hält die Blase dicht. Stand: September 2018, www.gelbe-liste.de/urologie/harninkontinenz-schrittmacher#

Ruscin JM, Linnebur SA: Arzneimittelassoziierte Probleme bei Älteren. MSD Manuals, Informationen der Merck & Co, Inc. (MSD), Stand: Dezember 2018, www.msdmanuals.com/de-de/profi/geriatrie/pharmakotherapie-bei-älteren/arzneimittelassoziierte-probleme-bei-älteren#v11730305_de

Said A. Hilfe gegen das Tröpfeln: Eine Übersicht zur Pharmakotherapie der Harn- und Stuhlinkontinenz. DAZ 2015;7:48, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2015/daz-7-2015/hilfe-gegen-das-troepfeln

Schmale I. Langzeitbehandlung der Inkontinenz. Onkologische Welt 2018;09(04):186-187, DOI: 10.1055/s-0038-1670948, www.thieme-connect.com/products/ejournals/html/10.1055/s-0038-1670948

Stahl V. Dem Druck standhalten. Mirabegron: Neuer Wirkmechanismus bei überaktiver Blase. DAZ 2014;28:28, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2014/daz-28-2014/dem-druck-standhalten

Wehnert I, Sage S. Therapie der Blaseninstabilität und Urge-Inkontinenz mit Propiverin hydrochlorid (Mictonorm®) und Oxybutinin chlorid (Dridase®) – eine randomisierte Cross-over-Vergleichsstudie. Aktuelle Urol 1992;23(1):7-11, DOI: 10.1055/s-2008-1060401, www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-2008-1060401

Autorin

Apothekerin Alexandra Hinsken studierte Pharmazie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seitdem arbeitet sie in öffentlichen Apotheken und als Autorin für die DAZ.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.