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Dienstleistungen

Medikationsanalyse: Nur eine romantische Idee?

Was Apothekeninhaber über die neue pharmazeutische Dienstleistung denken

Ergebnisse einer systematischen Übersichtsarbeit hatten gezeigt, dass Apothekeninhabern eine zentrale Rolle zukommt, wenn es um die Einführung von neuen Dienstleistungen wie der Medikationsanalyse geht [1]. Nur mit Unterstützung der „Chefs“ konnten Veränderungen erfolgreich durchgeführt werden, schließlich prägen sie die Unternehmenskultur, verteilen Ressourcen und sind die Verbindungsstelle zwischen „drinnen“ (dem Team) und „draußen“ (Vertragspartnern wie Krankenkassen). So schien es wichtig, die Inhaberperspektive einmal genau unter die Lupe zu nehmen.

Im Sommer 2021, also als die genaue Art und die Höhe der Vergütung der neuen Dienstleistungen noch verhandelt wurde, befragten die Autorinnen in einer Interview-Studie 21 Apothekeninhaber aus ganz Deutschland zu ihren Erfahrungen mit und Einstellungen zur Einführung von Medikationsanalysen [2]. Dabei wurden Inhaber aus möglichst allen Bundesländern sowie mit unterschiedlich viel Erfahrung einbezogen.

Äußere Rahmenbedingungen

Seit dem Zeitpunkt der Interviews im Sommer 2021 haben sich die äußeren Rahmenbedingungen grundlegend geändert. Seit Juni 2022 werden Medikationsanalysen als „erweiterte Medikationsberatung bei Polypharmazie“ von den Krankenkassen mit 90 Euro vergütet. Insbesondere die angemessene Vergütung, aber auch eine klare De­finition der Dienstleistung war den Studienteilnehmern sehr wichtig, um Medikationsanalysen nachhaltig anbieten und durchführen zu können. Viele Teilnehmer äußerten allerdings Besorgnis, dass Verträge mit den Krankenkassen nicht immer verlässlich seien. Zudem sahen die Inhaber die Kammern und Verbände in der Verantwortung, Ziel und Nutzen der Medikationsanalyse der breiten Öffentlichkeit und auch bei anderen Berufsgruppen bekannt zu machen. Ein Teilnehmer sagte wörtlich: „Ich glaube, dass es in der breiten Kommunikation total wichtig ist, das Ganze medial aufzubereiten und diesen Nutzen auch aufzuzeigen.“

Viel Vertrauen vor Ort

Als großes Plus für die Einführung von Medikationsanalysen beschrieben die Apothekeninhaber das gute Vertrauensverhältnis mit vielen Patienten vor Ort und die unkomplizierte Erreichbarkeit der Apotheke. Patienten wandten sich schon immer mit Fragen zu Medikamenten eher an ihre örtliche Apotheke als an den Hausarzt. Allerdings war den Patienten die Dienstleistung Medikationsanalyse völlig unbekannt, so dass es keine direkte Nachfrage gab. Ein Teilnehmer sagte, dass Patienten manchmal abgeschreckt reagierten, „wenn man ihnen diese Papierstapel hinlegt“ und ein Termin für das Gespräch vereinbart werden sollte. Viele Teilnehmer berichteten von sehr positivem Patientenfeedback, wenn die Medikationsanalyse dann stattgefunden hatte. Als Dankeschön gab es schon mal Blumen, großzügiges Trinkgeld oder auch eine Fünf-Sterne-Bewertung bei Google.

Hindernisse im Apothekenalltag

Praktisch alle Teilnehmer klagten über Personalmangel und ausufernde Bürokratie. Sie verbrauche wertvolle Zeit, die viel sinnvoller für patientenbezogene pharmazeutische Tätigkeiten genutzt werden könne. Viele Inhaber betonten, dass ihnen eine Orientierung hin zu mehr heilberuflichen Aufgaben sehr wichtig sei. Reine Logistik könnten auch Nicht-Pharmazeuten erledigen. Eine Teilnehmerin prognostizierte: „Dann wirft Amazon die Medikamente einfach auf den Balkon.“ Für die Durchführung von Medikationsanalysen müssten viele Arbeitsabläufe in der Apotheke neu organisiert werden. Bezahlbare Software mit Anbindung an die Warenwirtschaft als auch Unterstützung durch die anderen Teammitglieder sei zwingend erforderlich, um Medikationsanalysen auch wirtschaftlich darstellbar zu machen. Medikationsanalysen sind komplex. Es sind mehrere Datenquellen einzubeziehen (Brown Bag, Patientenhistorie in der Warenwirtschaft, Berichte vom Patienten selbst, gegebenenfalls Arztberichte und Laborwerte). Zudem besteht die Dienstleistung aus mehreren Schritten (Rekrutierungsgespräch, Terminfindung, Anamnesegespräch, pharmazeutische AMTS-Prüfung, gegebenenfalls Arztkontakt, Ergebnisgespräch). Alle diese Schritte benötigen Zeit und gute Planung, die unerfahrene Kollegen leicht von vornherein abschrecken können. Hierfür wurde dringend weitere Unterstützung bei der Einführung gewünscht. So ist es gut und richtig, dass vor Erbringen der Dienstleistung zumindest die Fortbildung „Medikationsanalyse, Medikationsmanagement als Prozess“ absolviert werden muss, in der die Prozessschritte vermittelt werden.

Motivation und Wissen

Viele Studienteilnehmer waren überzeugt, dass Medikationsanalysen einen großen Beitrag zur Arzneimitteltherapiesicherheit leisten und damit sogar Krankenhausaufenthalte vermieden werden könnten. „Wir schaffen das natürlich nicht vollkommen abzustellen, aber vielleicht die Hälfte davon. Das wäre so viel Geld und so viel nicht durchlebtes Leid, das hat einen totalen Mehrwert für die Gesellschaft,“ sagte ein Teilnehmer. Patienten helfen zu können, motivierte viele Studienteilnehmer, und erlerntes Wissen im Beruf anzuwenden, trägt zur eigenen Zufriedenheit bei, so dass nicht nur Patienten, sondern auch Apotheker profitieren. Gerade ältere Teilnehmer räumten allerdings ein, dass ihnen einiges Wissen in Pharmakotherapie fehlen würde, den jüngeren fehlte es dagegen an Erfahrung in Patientenkommunikation.

Neben der erhöhten Arzneimitteltherapiesicherheit wurden weitere Vorteile genannt, die für Apothekeninhaber wichtige Argumente für die Einführung sein können: Medikationsanalysen schärften das Image, sowohl ganz allgemein für die öffentliche Apotheke aus Sicht der Öffentlichkeit als auch für den einzelnen Betrieb relativ zum Mitbewerber, wie in einem Interview berichtet wurde: „Als ich im Vorstellungsgespräch geschildert habe, dass wir das hier anbieten, also ich glaube schon, dass das eine zusätzliche Motivation war, hier anzufangen.“

Fazit

Sind Medikationsanalysen doch „nur eine romantische Idee“, wie ein Studienteilnehmer äußerte, oder können die richtigen Rahmenbedingungen diese Dienstleistung zum Alltag in vielen Apotheken werden lassen?

Das Fazit lautet: Ja, es lässt sich machen. Fortbildung besuchen und einfach anfangen!

Die Patienten mit Polymedikation werden sich freuen, denn genau wie bei komplizierteren medizinischen Fragestellungen ein Besuch beim Facharzt angezeigt ist, braucht es für diese Patientengruppe einen Experten für Arzneimitteltherapie. Die Dienstleistung „erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation“ bietet endlich die Gelegenheit, dass Fachleute mit pharmazeutischem Fokus auf die gesamte Medikation schauen. Jede kleine Verbesserung der Arzneimitteltherapie ist ein Schritt in die richtige Richtung, jedes bisschen mehr Verständnis für die eigene Therapie bringt einen einzelnen Patienten weiter. Nehmen Sie das ganze Team mit, auch PTAs und PKAs wollen und können beitragen, bei der Patientenakquise, bei der Abrechnung, und freuen sich über vertiefte Patientenbeziehungen.

Sicher könnten äußere Faktoren die Einführung in der Masse deutlich beschleunigen. Die Studienteilnehmer wünschten sich neben Informationskampagnen auch weitere Unterstützung in den Apotheken. Was genau diese „Unterstützer“ machen sollten, blieb jedoch vage, genau wie der Wunsch nach weiteren „Incentives“ oder Anreizen, damit sich auch unerfahrene Kollegen zu den ersten Medikationsanalysen aufraffen.

Genau diese beiden Punkte sollen in je einem strukturierten Online-Workshop mit Inhabern bzw. Angestellten der Kammer-Geschäftsstellen, die für die Bereiche Pharmazie, Aus-, Fort- und Weiterbildung oder pharmazeutische Dienstleistungen zuständig sind, weiter konkretisiert werden.

Mitmachen! Gleich anmelden

Seit Sommer 2022 werden Medikationsanalysen als pharmazeutische Dienstleistung für Patienten mit mindestens fünf Dauermedikamenten von den Krankenkassen erstattet.

Welche externe Unterstützung wird benötigt, damit möglichst viele Apotheken „durchstarten“ und Medikationsanalysen Alltag werden lassen?

Welche besonderen Anreize (Incentives) scheinen geeignet, zögernden Kollegen die ersten Schritte zu erleichtern?

Diese beiden Fragen möchten wir mit Ihnen in einem zweistündigen Online-Workshop detailliert beleuchten, umsetzbare Maßnahmen sammeln und diese priorisieren. Inhaber und Angestellte der Apothekerkammern sind herzlich eingeladen!

Literatur

[1] Michel DE, Tonna AP, Dartsch DC, Weidmann AE. Experiences of key stakeholders with the implementation of medication reviews in community pharmacies: A systematic review using the Consolidated Framework for Implementation Research (CFIR). Res Soc Adm Pharm. Elsevier Inc.; 2022;18:2944–61.

[2] Michel DE, Tonna AP, Dartsch DC, Weidmann AE. Just a ‘romantic idea’? A theory-based interview study on medication review implementation with pharmacy owners. Int J Clin Pharm. Springer International Publishing; 2023; https://doi.org/10.1007/s11096-022-01524-2

 

Dorothee E. Michel, Univ.-Prof. Dr. Anita Weidmann, Dr. Dorothee C. Dartsch

 

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