Arzneimittel und Therapie

Haloperidol bei deliranten Intensivpatienten

Häufig praktiziert, aber ohne Nutzen

Einer neueren Studie zufolge ist die Gabe von Haloperidol bei Patienten im Delir wenig hilfreich. Dies widerspricht der gängigen Praxis, da im klinischen Alltag das Antipsychotikum bei deliranten Patienten auf Intensivstationen sehr häufig eingesetzt wird.

Ein Delir ist eine potenziell lebens­bedrohliche Erkrankung mit einer Letalität von über 30% und tritt mit zunehmendem Lebensalter immer häufiger auf. Es ist klinisch definiert als akut und fluktuierend auftretende Verwirrtheit, Vorhandensein von Aufmerksamkeitsstörungen und einer vorliegenden organischen Genese, also keiner psychiatrischen Grunderkrankung. Rund 30 bis 50% aller Intensivpatienten entwickeln ein Delir. Zur Therapie wird häufig Haloperidol eingesetzt. So erhält einer 2018 veröffentlichten Studie zufolge rund die Hälfte der betroffenen Patienten das Antipsychotikum. Dies steht nicht im Einklang mit klinischen Leitlinien, die den Einsatz von Haloperidol in dieser Situation nicht befürworten. Obwohl häufig praktiziert, gibt es kaum Studien, in denen Haloperidol mit Placebo verglichen wurde. Ein kürzlich ver­öffentlichter Review erwähnt nur eine Studie und sieht lediglich eine spärliche und nicht schlüssige Evidenz für den Einsatz von Haloperidol bei deliranten Intensivpatienten. Eine dänische Studie nahm sich daher dieser Fragestellung erneut an.

Kein überzeugender Nutzen

Für die randomisierte, placebo­kontrollierte Studie wurden 1000 erwachsene delirante Patienten ausgewählt, die auf eine Intensivstation eingeliefert wurden. 510 Patienten erhielten Haloperidol (i.v. 2,5 mg dreimal täglich plus 2,5 mg nach Bedarf bis zu einer maximalen Tagesdosis von 20 mg). 490 Patienten erhielten Placeboinjektionen mit Kochsalz. Die Therapie wurde über den Zeitraum des Delirs beibehalten. Der primäre Studienendpunkt erfasste die Anzahl der Tage, die die Patienten innerhalb von 90 Tagen nach Randomisierung lebend außerhalb der Klinik verbrachten. Ein weiterer Endpunkt war die Sterblichkeit innerhalb von 90 Tagen.

Leitliniengerecht gegen Delir

Arzneimittel überprüfen (z. B. Anticholinergika, Antihistaminika in OTC-Präparaten)

  • Patient engmaschig überwachen
  • Reizüberflutung, aber auch Reizdeprivation vermeiden
  • hohe Konstanz der therapeutischen und pflegerischen ­Bezugspersonen sowie enger Kontakt zu Angehörigen anstreben
  • mit nicht-medikamentösen Maßnahmen Auslösefaktoren eliminieren und Umgebungsverhältnisse optimieren (kognitive Aktivierung und Re­orientierung tagsüber, Schlafhygiene)
  • medikamentöse Therapie richtet sich nach Schweregrad und Form des Delirs, z. B. Melperon oder Pipamperon bei unkompliziertem hyperaktivem Delir, ggf. mit Lorazepam bzw. Clonazepam kombinieren bei Alkoholentzug, keine Benzodiazepine bei geriatrischen Patienten mit Delir anderer Ursache, hochpotente Neuroleptika nur bei inhaltlichen Denkstörungen (Verkennen der Situation, Halluzinationen)

Nach 90 Tagen hatten die Probanden der Haloperidol-Gruppe im Schnitt 35,8 Tage (95%-Konfidenzintervall [KI] = 32,9 bis 38,6) lebend außerhalb der Klinik verbracht, bei den Probanden der Placebogruppe waren es 32,9 Tage (95%-KI = 29,9 bis 35,8). Die Differenz betrug 2,9 Tage und war statistisch nicht signifikant. Auch die Zeit, die die Patienten in den ersten 90 Tagen lebend ohne Delir oder Koma verbrachten, war in der Verumgruppe mit 57,7 Tagen versus 52,6 Tagen unter Placebo nicht signifikant länger. Ebenso die Zahl der Tage ohne maschinelle Beatmung (57,9 versus 53,9 Tage).

Die Sterblichkeit nach 90 Tagen betrug 36,3% in der Haloperidol-Gruppe und 43,3% in der Placebogruppe ­(adjustierte absolute Differenz -6,9%, 95%-KI = -13,0 bis -0,6), woraus sich laut Studienautoren keine Schlüsse ziehen lassen. Schwere unerwünschte Wirkungen traten bei 11 Patienten der Haloperidol-Gruppe und bei 9 Teilnehmern der Placebogruppe auf. Aufgrund dieser Daten sehen die Studienautoren keinen überzeugenden Benefit einer Halo­peridol-Gabe bei deliranten Intensiv­patienten. |

Literatur

Andersen-Ranberg NC et al. Haloperidol for the Treatment of Delirium in ICU Patients. N Engl J Med 2022;387(26):2425-2435, doi: 10.1056/NEJMoa2211868

Delir und Verwirrtheitszustände inklusive Alkoholentzugsdelir. S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), AWMF-Registernummer: 030-006, Stand: Dezember 2020

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

Das könnte Sie auch interessieren

Elek­trolytstörung als Bindeglied verantwortlich

Erhöhen PPI das Risiko für ein Delir?

Elek­trolytstörung als Bindeglied

Erhöhen PPI das Risiko für ein Delir?

Neue Leitlinie differenziert zwischen Verwirrtheit, Delir und Alkoholentzugsdelir

Delir ist nicht gleich Delir

Palliativpatienten mit Delir scheinen nicht zu profitieren

Haloperidol und Risperidon mit wenig Nutzen

Verbesserte Funktionsparameter und weniger Symptome bei Diabetikern

Semaglutid punktet bei Herzinsuffizienz

Wenn der Geist die Spur verlässt

Gefürchtetes Delir

Patienten in frühen Krankheitsstadien können profitieren

Alzheimer-Antikörper Lecanemab lässt hoffen

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.