Arzneimittel und Therapie

Blutungsrisiko bei untergewichtigen Patienten erhöht

Nutzen-Schaden-Verhältnis oraler Antikoagulanzien ist gewichtsabhängig

Welchen Einfluss der Body-Mass-­Index auf die Wirksamkeit oraler Antikoagulanzien ausübt, wurde bei Patienten mit Vorhofflimmern untersucht. Der Vergleich zwischen Warfarin mit direkten oralen Antikoagulanzien fand bei normal- und übergewichtigen Probanden keinen Unterschied hinsichtlich des Schlaganfall- und Blutungsrisikos. Untergewichtige Patienten zeigten ein abweichendes Nutzen-Schaden-Verhältnis.

Patienten mit Vorhofflimmern weisen ein erhöhtes Schlaganfallrisiko auf und sollten zur Prophylaxe orale Antikoagulanzien erhalten. Leitlinien empfehlen mehrheitlich direkte orale Antikoagulanzien (DOAK). Der Vitamin-K-Antagonist Warfarin spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. DOAK können in fixer Dosierung eingesetzt werden, ein therapeutisches Drug-Monitoring entfällt. Da der Body-Mass-Index (BMI) beim Verteilungsvolumen und der Plasmakonzentration eine wichtige Variable ist, könnte ein stark von der Norm abweichender BMI, das heißt starkes Unter- oder Übergewicht, die Wirksamkeit eines DOAK beeinflussen. Da die zu dieser Fragestellung vorliegenden Studien ein unvollstän­diges Bild aufzeigen, nahm sich eine englische Kohortenstudie dieser Fragestellung an. Ihr Ziel war es, Nutzen und Risiken einer DOAK-Einnahme in Abhängigkeit des BMI mit Nutzen und Risiken einer Warfarin-Therapie zu vergleichen. Der Benefit war als Abnahme der Schlaganfallinzidenz definiert, die Risiken wurden durch die Zahl der Todesfälle und die Häufigkeit schwerer Blutungen erfasst.

Foto: lado2016/AdobeStock

Vorwiegend Warfarin verordnet

Die Kohorte der retrospektiven Studie bestand aus zwei großen Gruppen: der Warfarin-Gruppe und der DOAK-Gruppe. Alle Patienten litten an neu dia­gnostiziertem Vorhofflimmern (CHA2DS2-VASc-Score ≥ 3 bei Frauen und ≥ 2 bei Männern). In die Auswertung wurden insgesamt 29.135 Probanden eingeschlossen, davon 22.818 in der Warfarin-Gruppe und 6317 in der DOAK-Gruppe. Nach der BMI-Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation) waren

  • 2% der Studienteilnehmer unter­gewichtig (BMI < 18,5 kg/m²),
  • 28,9% normalgewichtig (BMI = 18,5 bis 24,9 kg/m²),
  • 36,7% übergewichtig (BMI = 25,0 bis 29,9 kg/m²),
  • 20,3% wiesen eine Adipositas Grad I (BMI = 30,0 bis 34,9 kg/m²) und
  • 12,0% eine Adipositas Grad II (BMI > 35 kg/m²) auf.

Endpunkte der Studie waren ischämischer Schlaganfall, schwere Blutungen und Gesamtmortalität in Abhängigkeit des BMI. Die Daten wurden in den Jahren 2010 bis 2018 erhoben. Zu Beginn des untersuchten Zeitraums wurde mehrheitlich Warfarin verordnet, später wurden direkte orale Antiko­agulanzien bevorzugt. Ältere und komorbide Patienten erhielten häufiger DOAK als Warfarin.

Großteil der Patienten profitiert

Nach einem Follow-up von 3,7 Jahren gab es bei den Risiken für einen ischämischen Schlaganfall sowie für schwere Blutungen keine BMI-abhängigen Unterschiede zwischen der Warfarin- und der DOAK-Gruppe.

Bezüglich des Endpunkts Gesamt­mortalität hatten normalgewichtige, übergewichtige und Grad-I-adipöse DOAK-Patienten ein höheres Morta­litätsrisiko als Warfarin-Patienten. Dieser Effekt wurde nicht mehr beobachtet, nachdem DOAK häufiger als Warfarin verordnet wurden.

Probanden, die ihre oralen Antiko­agulanzien (also Warfarin oder DOAK) nicht regelmäßig einnahmen, wiesen ein höheres Schlaganfall- und Morta­litätsrisiko auf. Dies traf auf alle BMI-Klassen in unterschiedlichem Ausmaß zu. In Nutzen-Schaden-Analysen zeigte sich, dass die Einnahme oraler Antikoagulanzien bei den meisten BMI-Gruppen mit einem Benefit verbunden war. Dies ergab sich aus Vergleichen der Endpunkte während der Einnahme oraler Antikoagulanzien mit den Endpunkten während einer Zeit ohne Verschreibung eines oralen Antikoagulans (Nutzen-Schaden-Verhältnis definiert als > 1). Eine Ausnahme waren untergewichtige Patienten, bei denen der Schaden (erhöhtes Blutungs­risiko) den Nutzen (Schlag­anfallprävention) überwog (Nutzen-Schaden-Verhältnis 0,35). |

Literatur

Nakao YM et al. Risks and benefits of oral anticoagulants for stroke prophylaxis in atrial fibrillation according to body mass index: Nationwide cohort study of primary care records in England. EClinicalMedicine 2022;54:101709, doi: 10.1016/j.eclinm.2022.101709

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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