Arzneimittel und Therapie

Das Polyethylenglykol-Paradoxon

Anti-PEG-Antikörper beeinträchtigen die Pharmakotherapie mit Nanopartikeln

Was haben das Voltaren® Schmerzgel, Ozempic® und die mRNA-COVID-19-Impfstoffe mit der täglich angewendeten Hautcreme gemeinsam? Sie alle enthalten Polyethylenglykole als Inhaltsstoffe. Die wandlungs­fähigen Polymere lösen Wirkstoffe, binden Granulate und stabilisieren Cremes in Pharmazie und Kosmetik. Sie induzieren aber auch Antikörper, was zur Herausforderung für nanopartikuläre Therapien wird.

Polyethylenglykole (PEG; Synonym: Macrogol) sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken – und das wird zum Problem. Im Jahr 1983 zeigten Wissenschaftler im Tierversuch erstmals, dass Polyethylenglykole nicht so inert sind wie gedacht: Sie lösten bei den Versuchstieren die Bildung von Antikörpern aus, was auch später am Menschen bestätigt wurde [1, 2]. Eine Arbeitsgruppe vom Mainzer Max-Planck-Institut für Polymerforschung hat jetzt untersucht, wie hoch die Prävalenz der Antikörper in der deutschen Bevölkerung ist und was diese Entwicklung für die Arzneimitteltherapie bedeutet [3].

Foto: Romolo Tavani/AdobeStock

Wie ein Regenschirm vor dem Nass schützt, bewahren Polyethylenglykol-Ketten pharmazeutische Nanopartikel vor dem Abbau. Der Schutz bekommt aber „Löcher“, wenn Anti-PEG-Antikörper die Partikel zum Abbau durch das Immunsystem markieren.

Anti-PEG-Antikörper weit verbreitet

Sie untersuchten 500 Plasmaproben von gesunden Spendern auf Antikörper gegen Polyethylenglykol. Die Ergebnisse waren deutlich: 81,8% der Proben von weiblichen Spendern wurden positiv auf Anti-PEG-IgG-Antikörper getestet (IgM: 55,1%) sowie 74,4% der Proben von männlichen Spendern (IgM: 54,1%). Nebeneinander traten IgG- und IgM-Antikörper bei insgesamt 48,8% der Proben auf. Nur 16,6% der Plasma­spenden waren frei von den Antikörpern. Damit bewegt sich die deutsche Stichprobe am oberen Ende bereits publizierter Prävalenzdaten. Die Forscher gehen davon aus, dass die Antikörper eine Folge der alltäglichen Präsenz der Polyethylenglykole sind. Sie machten in den Zahlen außerdem einen alters­abhängigen Trend aus: Je jünger die Spender, umso höher die Prävalenz der Anti-PEG-Antikörper. Womöglich liege das daran, dass besonders in den letzten Jahren PEG-haltige Kosmetika und Fertigprodukte häufiger benutzt werden, mutmaßen die Autoren. Vielleicht spiele auch die abnehmende Immunantwort im Alter eine Rolle.

Je länger, desto immunogener

Die Antikörper neutralisierten in Laborversuchen verschiedene Macrogole mit unterschiedlicher Effizienz. Wenig über­raschend banden sie leichter an langkettige Polyethylenglykole, bei denen sich das PEG-Motiv öfter wiederholt. Die Dissoziationskonstante (Kd) des PEG-Antikörper-Komplexes mit Macrogol 20.000 lag bei 44 ± 25 nM und damit deutlich niedriger als mit Macrogol 2000 (Kd = 2690 ± 946 nM). Die Werte decken sich mit anderen Studien, die eine Mindestgröße von 700 g/mol errechnet haben, ab der die Antikörper die PEG-Moleküle erkennen können [4]. Das entspricht ca. 16 Wiederholungen einer PEG-Einheit.

Umkehrreaktion durch Antikörper

Das bleibt nicht ohne Folgen für die Arzneimitteltherapie. Gerade neuartige Vehikel wie Nanopartikel nutzen PEG-Ketten an ihrer Oberfläche, sogenannte Pegylierungen, um die Wirkstoffe vor dem Abbau zu schützen. Die mRNA-COVID-19-Impfstoffe sind solche Beispiele: Die mRNA wird in Nanopartikel aus teilweise pegylierten Lipiden eingebettet. Selten reagierten Geimpfte mit anaphylaktischen Reaktionen auf das Vakzin, was mit den PEG-Ketten in Verbindung gebracht wurde. Gleichzeitig droht durch die Anti-PEG-Antikörper eine abgeschwächte Wirkung: Nachdem die Vehikel in den Körper eingebracht werden, lagern sich körpereigene Proteine um sie herum ab und bilden die sogenannte Proteincorona des Nanopartikels. Die Mainzer Forscher zeigten zum ersten Mal, dass PEG-haltige Nanopartikel Anti-PEG-Antikörper in ihrer Corona ansammeln, die die Nanocarrier zum Abbau markieren. Je mehr Antikörper in der Proteincorona, umso mehr Nanopartikel wurden in Zellkulturversuchen von Makrophagen phagozytiert. Die Pegylierung erreicht damit das Gegenteil ihres ursprünglichen Ziels. Die Wissenschaftler befürworten, die Prävalenz von Anti-PEG-Antikörpern zukünftig zu überwachen. Sie sprechen sich dafür aus, Alternativen zu Polyethylengly­kolen für Nanopartikel zu entwickeln. |

Literatur

[1] Richter AW und Akerblom E. Antibodies against Polyethylene Glycol Produced in Animals by Immunization with Monomethoxy Polyethylene Glycol Modified Proteins. Int Arch Allergy Appl Immunol 1983;70:124-131, doi: 10.1159/000233309

[2] Richter AW und Akerblom E. Polyethylene Glycol Reactive Antibodies in Man: Titer Distribution in Allergic Patients Treated with Monomethoxy Polyethylene Glycol Modified Allergens or Placebo, and in Healthy Blood Donors. Int Arch Allergy Appl Immunol 1984;74:36-39, doi: 10.1159/000233512

[3] Deuker MFS et al. Anti-PEG antibodies enriched in the protein corona of PEGylated nanocarriers impact the cell uptake. Nanoscale Horiz 2023;8:1377-1385, doi: 10.1039/d3nh00198a

[4] Huckaby JT et al. Structure of an anti-PEG antibody reveals an open ring that captures highly flexible PEG polymers. Commun Chem 2020;3:124, doi: 10.1038/s42004-020-00369-y

Apotheker Dr. Tony Daubitz

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