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Neue Arzneimittel
Ritlecitinib gegen kreisrunden Haarausfall
Neuer Januskinase-3-Inhibitor schon für Jugendliche ab zwölf Jahren zugelassen
In Deutschland sind mehr als 1,5 Millionen, vorwiegend jüngere Menschen, von Alopecia areata betroffen. Der Haarverlust kann innerhalb weniger Wochen auftreten oder sich über mehrere Monate entwickeln. Die meist kreisrunden Kahlstellen betreffen in 80% der Fälle den Kopfbereich und enthalten oft kein einziges Haar. Bei Männern ist zudem ein Haarverlust im Bartbereich möglich. Wimpern, Augenbrauen und sonstige Behaarung bleiben in der Regel erhalten. Wenn alle Kopfhaare ausgefallen sind, spricht man von einer Alopecia totalis. In Ausnahmefällen kann eine Alopecia areata auch im Bereich der Körperbehaarung auftreten. Als Erkrankungsursache wird eine genetisch bedingte Störung des Immunsystems vermutet, die zu einer Anreicherung von Entzündungszellen im Bereich der Haarzwiebeln führt. Über die Freisetzung von Zytokinen wird das Haarwachstum behindert oder bei völliger Zerstörung der Haarfollikel ganz unterbunden.
Bisherige Therapieoptionen
Die Alopezie-Behandlung erfolgt symptomorientiert mit peroralen Zink-Präparaten, Phototherapien und topischen Zubereitungen, beispielsweise auf Basis von Glucocorticoiden, Kontaktallergenen oder Thymuspeptiden. Obwohl die meisten Therapien bei 70 bis 75% der Patienten zu einer zumindest zeitweisen Wiederbehaarung führen, werden sie dennoch kontrovers diskutiert, da auch die Spontanheilungsrate bei bis zu 80% liegt. Insbesondere Personen, die unter einer schweren und anhaltenden Alopecia areata leiden und auf keine der genannten Therapieoptionen ausreichend ansprechen, sind durch die psychisch sehr belastende und stigmatisierende Erkrankung stark in ihrer Lebensqualität eingeschränkt. Für diesen Personenkreis kommt der Januskinase-Inhibitor Baricitinib (Olumiant®) infrage, der 2022 für diese Indikation zugelassen wurde, sowie der neue Wirkstoff Ritlecitinib (Litfulo®).
Januskinasen als Target
Januskinasen (JAK) leiten Signale von Zytokinen und Wachstumsfaktoren weiter, die unter anderem eine wichtige Rolle bei immunologischen und inflammatorischen Prozessen spielen. Die JAK-Enzymgruppe umfasst die vier Mitglieder JAK1, JAK2, JAK3 und TYK2 mit sich überschneidenden Funktionen. Ebenso wie die Tyrosin-Proteinkinasen-Familie TEC, die beispielsweise bei hepatozellulären Karzinomen exprimiert wird, vermittelt auch JAK3 Signalwege, die an der Pathogenese der Alopecia areata beteiligt sind. Offenbar wird über diese Kaskaden eine Aufhebung des Immunprivilegs von Haarfollikeln ausgelöst. Als Folge entfällt der Schutz gegenüber den körpereigenen Immunzellen, was zur Zerstörung der Follikel führt. Der Wirkstoff Ritlecitinib ist ein selektiver und irreversibler Inhibitor der erkrankungsauslösenden Tyrosinkinasen JAK3 und TEC (s. Abb. 1). Nach peroraler Gabe kommt es bei Alopezie-Patienten zu einer signifikanten Verbesserung des Haarwachstums. Die Substanz wird einmal täglich in einer Dosierung von 50 mg unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen.
Cave Infektionen und Malignitäten!
Die Therapie mit dem immunsuppressiv wirkenden Ritlecitinib (s. Abb. 2) ist mit einem erhöhten Infektionsrisiko assoziiert. In klinischen Studien kam es verstärkt zu Appendizitis, COVID-19-Infektionen einschließlich Pneumonien und zu Sepsis, ebenso zu Virus-Reaktivierungen, beispielsweise von Hepatitis-B- oder Herpes-zoster-Infektionen. In diesen Fällen sollte die JAK3/TEC-Inhibitor-Therapie zeitweise unterbrochen und eine effektive Behandlung eingeleitet werden. Eine eingehende Nutzen-Risiko-Abwägung vor dem Einsatz von Ritlecitinib ist angeraten bei Personen mit chronischen, rezidivierenden oder opportunistischen Infektionen, potenzieller Tuberkulose- oder Mykosen-Exposition sowie bei Personen mit Grunderkrankungen, die für eine Infektion prädisponieren.
Zudem sind JAK-Inhibitoren wie Ritlecitinib mit der Entwicklung von malignen Erkrankungen, einschließlich Lymphomen und nicht-melanozytärem Hautkrebs assoziiert. In der Vergangenheit kam es im Verlauf der Anwendung anderer JAK-Inhibitoren verstärkt zu schweren kardiovaskulären Ereignissen wie Myokardinfarkten, Schlaganfällen, tiefen Venenthrombosen und Lungenembolien. Derzeit kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch Ritlecitinib mit diesen Nebenwirkungen verbunden ist.
Kontraindiziert in Schwangerschaft und Stillzeit
Ritlecitinib ist während der Schwangerschaft kontraindiziert. Im Tierexperiment zeigte sich Reproduktionstoxizität und in hohen Dosen Teratogenität. Frauen im gebärfähigen Alter müssen während und bis zu einem Monat nach Beendigung der Behandlung eine zuverlässige Verhütungsmethode anwenden. Der JAK3/TEC-Inhibitor geht zumindest im Tierexperiment in die Muttermilch über. Da ein Risiko für den gestillten Säugling derzeit nicht ausgeschlossen werden kann, gilt auch für die Anwendung während der Stillzeit eine Kontraindikation. Vor Beginn einer Therapie mit Ritlecitinib sollten in Übereinstimmung mit den geltenden Impfempfehlungen alle Immunisierungen auf den aktuellen Stand gebracht werden, da keine Studien zum Ansprechen auf Impfungen während der immunsuppressiven Behandlung durchgeführt wurden. Die Gabe von attenuierten Lebendimpfstoffen ist während oder unmittelbar vor Beginn der Therapie zu vermeiden.
Ritlecitinib wird über eine ganze Reihe von Biotransformationsenzymen wie Glutathion-S-Transferasen und CYP450-Isoenzymen metabolisiert. Keiner dieser Clearance-Wege trägt zu mehr als 25% der Biotransformation von Ritlecitinib bei, sodass das Interaktionspotenzial für entsprechende Inhibitoren und Induktoren insgesamt gering ausfällt. Bei gleichzeitiger Anwendung von Substraten von CYP3A oder CYP1A2 sowie des Kationentransporters OCT1 ist Vorsicht geboten, da Ritlecitinib bekanntermaßen diese Enzyme bzw. diesen Transporter hemmt.
Keine Kassenleistung
dab | Patienten müssen für ihre Behandlung mit Litfulo® selbst aufkommen, denn durch § 34 Sozialgesetzbuch V wird die Erstattung von Arzneimitteln „zur Verbesserung des Haarwuchses“ ausgeschlossen. Der Apothekenverkaufspreis von Litfulo® liegt bei knapp 1270 Euro für eine Monatspackung mit 3 × 10 Hartkapseln à 50 mg (Lauer-Taxe, Stand: 13. November 2023).
Zulassungsstudie ALLEGRO
Die Zulassung von Ritlecitinib beruht auf der randomisierten, doppelblinden Phase-IIb/III-Studie ALLEGRO mit 718 Erwachsenen und Jugendlichen ab zwölf Jahren [2]. Die Teilnehmer litten seit mehr als zehn Jahren unter einer schweren Alopecia areata mit mindestens 50%igem Kopfhaarverlust. Sie erhielten Ritlecitinib in verschiedenen Dosierungen oder Placebo. In die Auswertung wurden 261 Patienten einbezogen, die mit der therapeutisch relevanten Dosis von 50 mg Ritlecitinib oder Placebo behandelt worden waren. Primärer Endpunkt war das Erreichen eines Wertes von maximal 20 auf der Skala „Severity of Alopecia Tool“ (SALT), entsprechend einer mindestens 80%igen Bedeckung der Kopfhaut mit Haaren. Innerhalb von 24 Therapiewochen wurde dieser Endpunkt bei etwa 23% der Patienten aus der Verumgruppe erreicht, im Vergleich zu 1,6% unter Placebo, entsprechend einer hochsignifikanten Überlegenheit der Ritlecitinib-Therapie (p < 0,0001). Bei mehr als 13% der Teilnehmer aus der JAK3/TEC-Inhibitor-Gruppe war sogar eine Bedeckung von mindestens 90% feststellbar, was als Remission eingestuft wurde. Der entsprechende Wert für eine Bedeckung der Kopfhaut von mindestens 80 bzw. 90% lag in der Placebogruppe bei 1,5%. Nach 24 Wochen berichteten 49% der Teilnehmer aus dem Ritlecitinib-Arm, dass sich ihr Erkrankungszustand nach eigener Einschätzung mäßiggradig bis stark verbessert hatte, im Vergleich zu 9% der Patienten unter Placebo.
Nur bei schwerer Alopezie
Obwohl etwa die Hälfte der Patienten mit der Ritlecitinib-Behandlung zufrieden war, ist der durch den JAK3/TEC-Inhibitor erzielte therapeutische Fortschritt nach derzeitigem Kenntnisstand gering. In der zulassungsrelevanten Studie erreichte etwa ein Viertel der Teilnehmer nach 24 Wochen eine mindestens 80%ige Bedeckung der Kopfhaut. Die Effektivität des JAK1/2-Inhibitors Baricitinib liegt allerdings in einem sehr ähnlichen Bereich. Direkt vergleichende Untersuchungen mit Ritlecitinib und dem derzeit ausschließlich für erwachsene Alopezie-Patienten zugelassenen Wirkstoff wären für eine fundiertere Einschätzung wünschenswert. In längerfristigen Untersuchungen sollten zudem das Anhalten der Wirkung und die Langzeitsicherheit von Ritlecitinib geprüft werden. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf die mit JAK-Inhibitoren assoziierten Risiken zu richten, darunter schwere Infektionen, kardiovaskuläre Ereignisse, maligne Erkrankungen, thrombotische Ereignisse sowie eine erhöhte Gesamtsterblichkeit. Dieses grundsätzlich für die hoch wirksamen JAK-Inhibitoren bereits bekannte Gefahrenpotenzial ist ursächlich dafür, dass Ritlecitinib nur bei Patienten mit schweren Alopecia-areata-Formen eingesetzt werden sollte. |
Neue Arzneimittel 2023
In der bisher monatlich erschienenen DAZ-Beilage „Neue Arzneimittel“ stellte Apothekerin Dr. Monika Neubeck neue Wirkstoffe ausführlich vor und ordnete sie in die bestehenden Therapieoptionen ein. Seit Januar 2023 finden Abonnentinnen und Abonnenten der DAZ die neuen Arzneistoffe auf DAZ.online unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de/pharmazie/arzneimittel.
Neu hinzugekommen sind:
- Nirsevimab
- Cipaglucosidase alfa und
- Ivosidenib
Dort steht Ihnen auch ein Archiv mit allen seit 2000 eingeführten Wirkstoffen zur Verfügung. Die für die Offizin bedeutsamen Wirkstoffe stellen wir in der Print-Ausgabe der DAZ regelmäßig in unserer Rubrik „Neue Arzneimittel“ vor.
Literatur
[1] Fachinformation zu Litfulo®, Stand September 2023
[2] King B, Zhang X, Harcha WG, Szepietowski JC et al. Efficacy and safety of ritlecitinib in adults and adolescents with alopecia areata: a randomised, double-blind, multicentre, phase 2b-3 trial. Lancet 2023;401(10387):1518-1529, doi: 10.1016/S0140-6736(23)00222-2
[3] EPAR summary for the public. Litfulo® Ritlecitinib. Informationen der Europäischen Arzneimittel-Agentur, EMA/342745/2023
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