Toxikologie

Problemfeld Wirkstoffe im Wasser

Bericht von der zweiten Summer School on Sustainable Pharmacy

gg | Vom 25. bis zum 28. September 2023 fand in Kiel die zweite Sommerakademie zum Thema nachhaltige Pharmazie statt. Ein Schwerpunkt war dem Thema Arzneistoffe in der Umwelt und besonders im Wasser gewidmet. Drei Referierende berichteten, wie sich das Umwelt­risiko der Substanzen bestimmen lässt, warum regulatorisch entgegensteuernde Maßnahmen oft lange brauchen und welche Möglichkeiten es gibt, Wirkstoffe wieder aus dem Wasser zu entfernen.
Foto: kaninstudio/AdobeStock

In Gewässern können Arzneistoffe schädigende Wirkungen auf Organismen ausüben, z. B. beeinflussen Hormon-Präparate die Fruchtbarkeit von Fischen.


Wirkstoffe wie Diclofenac, Carbamazepin oder Sulfamethoxazol werden mittlerweile weltweit und sogar in entlegenen Regionen in der Umwelt nachgewiesen. Betroffen sind sowohl Trink-, Oberflächen- und Grundwasser, aber auch die im Wasser lebenden Organismen wie Muscheln, Algen oder Fische. Wie sich der Einfluss der Wirkstoffe auf die Organismen ermitteln lässt, darum ging es in dem Vortrag von Dr. Jennifer Strehse vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel. Um das von einer Substanz auf einen spezifischen Organismus ausgehende Umweltrisiko abzuschätzen, müssen zwei Kenngrößen bestimmt werden. Zum einen die Konzentration der Substanz in der Umwelt (Predicted bzw. Measured Environmental Concentrat ion, PEC bzw. MEC) und zum anderen die höchste Konzentration, bei der keine Auswirkung auf den Organismus besteht (Predicted No Effects Concentration). Ein Verhältnis von PEC/PNEC > 1 zeigt hierbei ein Umweltrisiko auf. Das Umweltbundesamt hat 2011 für eine Auswahl von Arzneistoffen das MEC/PNEC­-Verhältnis berechnet. Das Ergebnis: Von 17-α-Ethinylestradiol ging mit einem Wert von weit über 1000 ein deutlich größeres Umweltrisiko aus als etwa von dem zytotoxischen Cyclophosphamid mit einem Verhältniswert von < 0,00001. Von Hormon-Präparaten im Wasser ist bekannt, dass sie einen Einfluss auf die Fruchtbarkeit von Fischen haben. So führte etwa Levonorgestrel in Laborstudien zu einer Maskulinisierung weiblicher Exem­plare der Amerikanischen Dickkopf-Elritze (Pimephales promelas).

Hormone sind aber bei Weitem nicht die einzige Wirkstoffgruppe, für die eine Auswirkung auf im Wasser lebende Organismen bekannt ist. Als zwei weitere Beispiele nennt Strehse Antidepressiva und Benzodiazepine, die sich auf das Verhalten von Fischen auswirken – und in diesen auch akkumulieren und somit Einzug in die Nahrungskette des Menschen erhalten. Forschungsbedarf sieht Strehse insbesondere bei der Untersuchung des Cocktaileffektes – also den Auswirkungen von verschiedenen Arzneistoffen, denen die Organismen zeitgleich ausgesetzt sind.

Summer School on Sustainable Pharmacy

Die zweite Sommerakademie zum Thema nachhaltige Pharmazie, unter dem Motto „Was können wir tun?“, wurde von Prof. Christian Peifer und Clemens Woitaske-Proske an der Universität Kiel organisiert. Virtuell oder in Präsenz nahmen in diesem Jahr insgesamt 71 Personen aus 13 Ländern teil. Auch in den kommenden beiden Jahren wird die Reihe fortgesetzt. Die dritte Sommerakademie wird vom 19. bis 22. August 2024 in Utrecht (Niederlande) stattfinden, 2025 wird es wieder eine Sommerakademie in Deutschland geben.

Von der Wissenschaft zur Politik

Mit der Frage, wie wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Auswirkungen von Arzneimitteln in der Umwelt in politische Prozesse eingehen, beschäftigte sich der anschließende Vortrag von Rodrigo Vidaurre vom Ecologic Institute. Erste Berichte über Wirkstoffe in der Umwelt stammen aus den 1970er-Jahren. In Deutschland wurden 1994 erstmals Spuren von Wirkstoffen im Trinkwasser nachgewiesen. Auf die politische Agenda kam das Thema rund um den Jahrtausendwechsel. Vorreiter ist hier Schweden, wo 2004 mit dem Klassifizieren und Labeln von Wirkstoffen sowie mit der Zusammenstellung von Umwelt­informationen zu Arzneimitteln in Form von Portalen und Broschüren begonnen wurde. Ebenfalls aus dem Jahr 2004 stammt die EU-Richtlinie 2004/27/EG, gemäß der Daten zu den Umweltauswirkungen eines Humanarzneimittels beim Zulassungsprozess mit einzureichen sind – jedoch kein Zulassungskriterium darstellen. Auch wenn seitdem weitere politische Schritte unternommen wurden, betont Vidaurre, dass politische Maßnahmen oft lange Zeiträume für ihre Erarbeitung und Umsetzung brauchen. Ein wesentliches, dem Henne-Ei-Dilemma ähnliches Problem stellt hierbei die Datenlage dar: Um das von einem Stoff ausgehende Risiko abzuschätzen, braucht es eine breite Datenbasis – jedoch wird mit dem Erheben solcher Daten zu oft erst dann begonnen, wenn es bereits konkrete Hinweise auf ein solches Risiko gibt. Als einen Meilenstein hebt Vidaurre den „Strategischen Ansatz für Pharmazeutika in der Umwelt“ der Europäischen Union von 2019 hervor, der unter anderem die Stärkung des öffentlichen Bewusstseins über den vernünftigen Einsatz von Arzneimitteln, die Förderung der Entwicklung weniger umweltschädlicher Arzneistoffe sowie die Reduktion und das Management von Arzneimittelmüll als Handlungsfelder nennt.

Problemlöser Klärwerke?

Wie sich bereits eingetragene Wirkstoffe aus dem Abwasser entfernen lassen, beleuchtete Dr. Issa Nafo vom Abwasserentsorger Emschergenossenschaft/Lippeverband. Er erklärte, dass in herkömmlichen Kläranlagen mit drei Reinigungsstufen – mechanische, biologische und chemische Behandlung – nur manche Wirkstoffe zufriedenstellend eliminiert werden. Hierzu gehören etwa Paracetamol und Ibuprofen. Andere Wirkstoffe, beispielsweise Carbamazepin und Roxithromycin, haben hier Eliminations­raten < 15%. Weiterentwickelte Methoden zur Abwasserreinigung stellen die Membranfiltration (Nanofiltration oder Umkehrosmose), die Behandlung mit Ozon oder mit Aktivkohle dar. Die Membranfiltration beschreibt Nafo als kostspielig, sodass er den Einsatz dieser eher im industriellen Kontext sieht. Die Ozon-Oxidation sowie die Aktivkohle-Adsorption kommen hingegen auch für den Einsatz im größeren Maßstab infrage. Eine perfekte, für alle Wirkstoffe funktionierende, Lösung stellt jedoch keiner der Ansätze dar. Ob Wirkstoffe an Aktivkohle adsorbieren, hängt etwa von ihrer Polarität und ihrer Molekülgröße ab. Gut adsorbiert etwa Carbamazepin; Roxithromycin hingegen gar nicht. Auch ist zu bedenken, dass die Gewinnung von Aktivkohle alles andere als umweltschonend ist. Wie gut Ozon Wirkstoffe eliminieren kann, ist unter anderem von der eingesetzten Dosis abhängig. Schon bei 2 mg/l zersetzt sich etwa Diclofenac, für Metoprolol benötigt es hingegen 5 mg/l. Der Energiebedarf für diese Methode ist hoch – Nafo berichtet von einer dosisabhängigen Steigerung des Energieverbrauches um 15 bis 50% in einem diese Methode verwendenden Klärwerk. Weiterhin wurden negative Effekte des mit Ozon behandelten Wassers auf Wasserorganismen gemessen. Diese können zu einem Teil vermieden werden, indem ein weiterer Behandlungsschritt mit Aktiv­kohle oder eine Sandfiltration angeschlossen wird, durch den zumindest einige der toxischen Beiprodukte entfernt werden.

Für den unbeabsichtigten Eintrag von Aktivkohle in die Umwelt wurden bis jetzt keine Hinweise auf negative Konsequenzen gefunden. Eine Herausforderung dürfte die Aufrüstung aller Kläranlagen mit entsprechenden weiteren Klärstufen werden. Auch hebt Nafo hervor, dass es parallel Maßnahmen braucht, um den Eintrag von Wirkstoffen in das Wasser zu verringern. Die Kampagne „Essen Macht’s Klar“ hat etwa Verbraucher dazu angehalten, nur wirklich benötigte Arzneimittel anzuwenden und Reste korrekt zu entsorgen. |

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