- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 40/2023
- Postpartale Depression ...
Arzneimittel und Therapie
Postpartale Depression bei Bedarf medikamentös behandeln
Selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren sind sicher und helfen Mutter und Kind
10 bis 15% aller Frauen entwickeln nach der Geburt ihres ersten Kindes eine Wochenbettdepression [1]. Diese Depression bleibt meist nicht isoliert, sie erhöht auch das Risiko für depressive Episoden bei weiteren Schwangerschaften sowie in den Folgejahren [2] und kann zu Beziehungsproblemen mit dem Partner führen [3]. Nicht zu vergessen: Eine postpartale Depression beeinträchtigt unter Umständen die kindliche Entwicklung, unter anderem die kognitive Entwicklung, und kann zu vermehrten Verhaltens- und emotionalen Problemen beitragen.
Dieser Hintergrund verdeutlicht die Wichtigkeit einer adäquaten antidepressiven Behandlung von Frauen mit postpartaler Depression, denn anders als beim „Babyblues“ verschwinden die Symptome einer postpartalen Depression nicht spontan, eine Behandlung ist indiziert – der S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ [4] zufolge kommen psychosozialen Maßnahmen und der Psychotherapie eine große Bedeutung zu, bei mittelschweren und vor allem bei schweren Depressionen können Antidepressiva zum Einsatz kommen. Mittel der Wahl sind selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI) und Tricyclica.
In einer im US-amerikanischen Ärzteblatt veröffentlichten Studie [5] haben Wissenschaftler 61.081 Mutter-Kind-Paare aus einer prospektiven Beobachtungsstudie untersucht (s. Kasten „Datengrundlage der Auswertung“). 8671 Mütter (mittleres Alter 30 Jahre) entwickelten nach Entbindung eine postpartale Depression (mindestens 7 Punkte auf der Edinburgh Postnatal Depressions Scale, EPDS-6). 177 Mütter (2%) erhielten einen selektiven Serotonin-Reuptake-Inhibitor zur Behandlung. Wie hilfreich sind SSRI für Mutter und Kind?
Datengrundlage der Auswertung
Die Daten der Studie stammten aus der „Mutter, Vater und Kind Kohortenstudie“ (MoBa), einer prospektiven bevölkerungsbasierten Kohortenstudie in Norwegen, die Frauen einschloss, die zwischen 1999 und 2008 einen Routineultraschall in Woche 17 bis 18 der Schwangerschaft erhalten hatten. Für ihre aktuelle Studie werteten die Wissenschaftler die Daten der schwangeren Frauen aus, die Informationen über ihre Depression in Woche 30 ihrer Schwangerschaft und sechs Monate nach Entbindung sowie über ihre Medikation bereitstellten (selbstberichtet). Die Wissenschaftler interessierten sich bei den Müttern für die Schwere ihrer Depression und dafür, wie zufrieden Frauen mit ihrer Partnerschaft waren (sechs Monate und eineinhalb sowie drei Jahre nach Entbindung). Bei den Kindern ging es den Forschern um deren Verhalten sowie deren motorische und sprachliche Entwicklung.
Auswirkungen einer schweren postpartalen Depression
Die erste Beobachtung: Je schwerer die Wochenbettdepression war, desto größer war auch das Risiko, dass die Frauen eineinhalb bis fünf Jahre nach der Geburt an einer Depression litten und dass sie mit ihrer Beziehung sechs Monate bis drei Jahre postpartum unzufrieden waren. Auch entwickelten sich die Kinder von Müttern mit schwerer Wochenbettdepression im Alter von eineinhalb bis fünf Jahren sprachlich und motorisch schlechter und zeigten häufiger externalisierende und internalisierende Verhaltensauffälligkeiten sowie Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssymptome (ADHS) im Alter von fünf Jahren.
Mütter zufriedener, Kinder weniger verhaltensauffällig
Wurde die Wochenbettdepression der Mutter mit einem selektiven Serotonin-Reuptake-Inhibitor therapiert, verringerte sich ihr Risiko für eine spätere Depression. Zudem milderte die SSRI-Einnahme die negativen Auswirkungen einer postpartalen Depression auf die Beziehungszufriedenheit der Frauen (sechs Monate sowie eineinhalb bis drei Jahre nach Entbindung). Positiv bei den Kindern: Sie zeigten seltener externalisierende Verhaltensweisen und Symptome einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. Die Wissenschaftler fanden darüber hinaus auch keine Hinweise darauf, dass SSRI mit einem erhöhten Risiko einer verzögerten motorischen und sprachlichen Entwicklung zusammenhängen, die mit einer postpartalen Depression in Verbindung stehen.
Wochenbettdepression untertherapiert?
In der Studie erhielten nur 2% der Frauen mit postpartaler Depression ein Antidepressivum aus der Klasse der SSRI. Zwar wisse man nicht um nichtpharmakologische Therapien der Mütter, doch deute die geringe Prävalenz der Verwendung von Arzneimitteln bei Frauen mit postpartaler Depression auf eine möglicherweise unzureichende Behandlung der Erkrankung hin, überlegten die Wissenschaftler. Gründe für die Behandlungsskepsis könnten nur begrenzte Daten zur langfristigen SSRI-Anwendung für die Kinder der behandelten Mütter gewesen sein. Die aktuelle Studie stützt den Studienautoren zufolge nun die Annahme, dass „eine angemessene Behandlung einer postnatalen Depression“ sogar vermuten lässt, dass sich die mit der Wochenbettdepression verbundenen Verhaltensprobleme bei den Kindern der Erkrankten normalisieren.
Einfluss des GABA-Signalwegs
dab | Man nimmt an, dass eine postpartale Depression multifaktoriell bedingt ist. Eine Schlüsselrolle spielt dabei vermutlich eine gestörte peripartale GABA-Signalübertragung aufgrund von stark schwankenden Spiegeln des neuroaktiven Steroids Allopregnanolon [8]. Allopregnanolon ist ein Metabolit von Progesteron und wirkt als positiver allosterischer Modulator am GABAA-Rezeptor. Der Spiegel des neuroaktiven Steroids steigt während der Schwangerschaft und fällt postpartal abrupt ab. Niedrige Allopregnanolon-Spiegel werden mit einer depressiven Stimmung in Verbindung gebracht [9]. Die in den USA zugelassenen Wirkstoffe Brexanolon und Zuranolon greifen in die gestörte GABA-Signalübertragung ein, indem sie als positive allosterische Modulatoren an GABAA-Rezeptoren wirken [10, 11]. Während Brexanolon nur in spezialisierten Zentren als kontinuierliche Infusion über 60 Stunden (zweieinhalb Tage) verabreicht werden kann, wird Zuranolon einmal täglich über 14 Tage oral eingenommen.
Wie wirksam sind SSRI bei postpartaler Depression?
Wissenschaftler von Cochrane fanden 2021 „nur wenige“ relevante Studien und nur eine geringe Evidenz, dass selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren Frauen mit Wochenbettdepression besser helfen als Placebo [6]. Dennoch zählen SSRI zu den Mitteln der Wahl bei Wochenbettdepressionen. Laut Embryotox [7] sind die Wirkstoffe zu bevorzugen, die nur wenig in die Muttermilch übergehen, wie Sertralin, Citalopram oder Escitalopram. Als sedierende Antidepressiva empfiehlt Embryotox Amitriptylin und Mirtazapin. In den Vereinigten Staaten sind mittlerweile zwei Wirkstoffe, Gamma-Aminobuttersäure-A(GABAA)-Rezeptormodulatoren, speziell zur Behandlung der postpartalen Depression zugelassen: Seit 2019 Brexanolon (Zulresso®), das intravenös verabreicht wird, und seit 2023 Zuranolon (ZurzuvaeTM), das oral eingenommen werden kann (s. Kasten „Einfluss des GABA-Signalwegs“). |
Literatur
[1] Woody CA et al. A systematic review and meta-regression of the prevalence and incidence of perinatal depression. J Affect Disord 2017;219:86-92, doi: 10.1016/j.jad.2017.05.003
[2] Prenoveau J et al. Postpartum GAD is a risk factor for postpartum MDD: the course and longitudinal relationships of postpartum GAD and MDD. Depress Anxiety 2013;30(6):506-514, doi: 10.1002/da.22040
[3] Garthus-Niegel S et al. The Impact of Postpartum Posttraumatic Stress and Depression Symptoms on Couples‘ Relationship Satisfaction: A Population-Based Prospective Study. Front Psychol 2018;9:1728, doi: 10.3389/fpsyg.2018.01728
[4] Unipolare Depression. Nationale Versorgungsleitlinie (S3-Niveau) unter Federführung der Bundesärztekammer, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften unter Beteiligung weiterer Fachgesellschaften, AWMF-Register-Nr.: nvl – 005, Stand: 29. September 2022
[5] Liu C et al. Long-Term Maternal and Child Outcomes Following Postnatal SSRI Treatment. JAMA Netw Open 2023;6(8):e2331270, doi: 10.1001/jamanetworkopen.2023.31270
[6] Brown JVE et al. Antidepressant treatment for postnatal depression. Cochrane Database Syst Rev 2021;2(2):CD013560, doi: 10.1002/14651858.CD013560.pub2
[7] Rohde A, Kittel-Schneider S. Depressive Krankheitsbilder. Informationen von Embryotox, Abruf am 22. September 2023, www.embryotox.de/erkrankungen/details/ansicht/erkrankung/depressive-krankheitsbilder/
[8] Deligiannidis KM et al. Effect of Zuranolone vs Placebo in Postpartum Depression. JAMA Psychiatry 2021; 78(9): 1–9, doi: 10.1001/jamapsychiatry.2021.1559
[9] Osborne LM et al. Lower Allopregnanolone during Pregnancy Predicts Postpartum Depression: An Exploratory Study. Psychoneuroendocrinology 2017;79:116–121, doi: 10.1016/j.psyneuen.2017.02.012
[10] Full prescribing information Zulresso®, Stand: Juni 2022
[11] Full prescribing information ZurzuvaeTM, Stand: August 2023
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.