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Just in case: Generika und Bioäquivalenz

Ein kommentierender Blick zurück auf die Historie der Austauschbarkeit von Arzneistoffen

Von Niels Eckstein | Der Titel „just in case“ ist ein Idiom und bedeutet vollständig so viel wie „falls Sie es noch nicht wussten …“. Gleichwohl ist es der Titelsong einer Serie über einen legendären US-amerikanischen Gangster, Ellsworth „Bumpy“ Johnson, und soll somit auf einen Graubereich in unserer alltäglichen pharmazeutischen Tätigkeit aufmerksam machen (s. a. Probleme beim Generikawechsel am Beispiel von Parkinson-Therapeutika. DAZ 2023, Nr. 2, S. 28)
Foto: Privat

Prof. Dr. Niels Eckstein, Leiter des Studiengangs der angewandten Pharmazie, Hochschule Kaisers­lautern, Standort Pirmasens

Viel ist in den letzten Jahren geredet und spekuliert worden über die Ausgestaltung der Substitutionspflicht für Biosimilars auf Apothekenebene, bis schließlich die Entscheidung fiel, das Gesamtkonstrukt um ein Jahr zu verschieben. Im Bereich der rekombinant hergestellten Arzneimittel darf man also weiterhin gespannt bleiben. Der fokussierte Blick auf polymere Arzneistoffe verstellt allerdings ein wenig den Blick auf den halblegalen Grau­bereich, der im generischen Marktsegment seit vielen Jahren gelebte Praxis ist. Doch diesen Graubereich aus dem Halbschatten ins direkte Sonnenlicht zu zerren vermag vielleicht das ein oder andere Problem sichtbar zu machen und eine Fehlerwiederholung im rekombinanten Bereich zu vermeiden.

Woher kommen wir?

Im Jahr 1962 – auch aber nicht nur getriggert durch den Contergan-Skandal – wurden Zulassungsbedingungen für Arzneimittel in den USA massiv verschärft. Dies zog natürlich nach sich, dass Arzneimittel-Entwicklungsprogramme sehr viel teurer wurden. Zu Beginn der 1980er-Jahre wuchs somit der Bedarf an preiswerteren Arzneimitteln stark an. Zu dieser Zeit war ein maßgeblicher Kostentreiber bei einer generischen AM-Entwicklung die Tatsache, dass Generika das gesamte AM-Entwicklungsprogramm (klinisch wie präklinisch) komplett durchlaufen mussten, also genauso wie der Originator als Erstanbieter. Dies führte dazu, dass es im Jahr 1983 für gerade einmal 35% aller Arzneimittel Generika gab. Dies führte dazu, dass die US-FDA 1984 mit dem sogenannten Hatch-Waxman Act, das Prinzip der Bioäquivalenz (englisch bioequivalence, BE) einführte. In der EU und in der heutigen Zeit übersetzt sich dies in eine sogenannte bezugnehmende Zulassung nach Artikel 10(1) der directive 2001/83/EC, dem Gemeinschaftskodex für Arzneimittel. Doch egal zu welcher Zeit und auf welchem Kontinent, das medizinische und naturwissenschaftliche Fundament ist identisch: ein generischer Marktzugang wird gewährt nach Ablauf von zehn Jahren Unterlagenschutz des Originators durch

a) eine reine Bezugnahme auf die präklinischen Daten des Originators ohne weitere Datenerhebung, sowie

b) eine BE-Studie, die pharmakokinetisch Äquivalenz im klinischen Bereich nachweist und für die gesamten klinischen Phasen I-III substituiert.

Es handelt sich also um ein bewusst eingeführtes und politisch gewolltes Kostendämpfungsinstrument, das den generischen Marktzugang rascher und vor allem preiswerter gestalten sollte.

Was ist eine BE-Studie?

Eine BE-Studie ist der Sonderfall einer vergleichenden Bioverfügbarkeits­studie. Im Fall der Generika, also kleiner chemischer Moleküle ist das Generikum stets chemisch struktur-identisch zum Originator. Soll heißen, pharmakodynamisch kann es also keinen Unterschied geben, denn ein identisches Molekül kann nicht einmal so und einmal anders wirken. Es stellt sich also nur noch die Frage, ob pharmakokinetisch Gleichheit (Äquivalenz) zwischen Generikum und Originator herrscht. Hierzu wird an einer überschaubaren Anzahl (oftmals im unteren zweistelligen Bereich) an in der Regel gesunden Probanden eine Blutspiegel-Zeitverlaufs-Kurve aufgenommen und nach den folgenden Maßgaben ausgewertet:

Generikum versus Originator in den zulassungsentscheidenden Zielparametern AUC0-t und Cmax mit den international etablierten Akzeptanzkrite­rien 80 – 125%.

Foto: mizar_21984/AdobeStock

Entscheidend für die hier in Rede stehende Betrachtungsweise ist jedoch nicht die mathematische Definition der Akzeptanzkriterien oder die klinisch-pharmakokinetischen Parameter, sondern der erste der drei Spiegelpunkte: es wird stets nur Generikum versus Originator gemessen. Das mathematische Konstrukt der Bioäquivalenz dient in dieser Betrachtung nur als Surrogat für die therapeutische Äquivalenz. Denn das Produkt, das wir als Apothekerinnen und Apotheker eigentlich in Verkehr bringen möchten, sind therapeutisch gleichwertige Medikamente im Sinne der Patientensicherheit. Bewiesen wurde dies jedoch nur für ein einziges Pärchen: das in Rede stehende Generikum ist austauschbar – im Sinne von therapeutisch äquivalent – gegenüber „seinem“ Originator. Wir wissen also aufgrund dieser Studien nicht, ob andere Pärchen austauschbar oder therapeutisch äquivalent sind und haben aufgrund des Studiendesigns auch keine Chance, das zu erfahren.

Wo stehen wir?

Wohl jede Apothekerin, jeder Apotheker kennt die Krux mit einem weiteren Kostendämpfungsinstrument: den Rabattverträgen. Ein Rabattvertrags-Verfahren ist im Prinzip ein Wettbewerb zwischen den Generika-Herstellern um einen Belieferungsvertrag mit einer bestimmten gesetzlichen Krankenkasse. Bei Rabattverträgen zu wirkstoffgleichen Arzneimitteln (Generika) erfolgt ein Austausch automatisch in der Apotheke – auf Basis der jeweils in Rede stehenden Krankenkasse. Was man selten hört zu Rabattverträgen, ist dasjenige was nicht explizit hierzu geäußert wird: man tauscht also wüst ein Generikum gegen ein anderes aus, wenn die jeweilige Kasse einen neuen Rabattvertragspartner hat. Dies ist aber – wie oben dargelegt – weder medizinisch noch naturwissenschaftlich erlaubt. Austauschbar im Sinne von therapeutisch äquivalent ist ein jedes Generikum nur gegenüber seinem Originator. Im Gegenteil: bei den Akzeptanzkriterien von 80 – 125% muss der 100%-Wert des Originators nicht einmal überstrichen werden. Soll heißen, wenn

  • Generikum 1 eine AUC im Bereich von 105% – 120% des Originators und
  • Generikum 2 eine AUC im Bereich von 82% – 98% des Originators hat,

ist feinsäuberlich und mit statistischer Signifikanz bewiesen, dass Generikum 1 und Generikum 2

  • nicht bioäquivalent,
  • nicht austauschbar und
  • nicht therapeutisch äquivalent sind.

Auf Basis eines Rabattvertrages würden sie trotzdem gegeneinander ausgetauscht. Dies nur „just in case you didn’t know“ und als kurzer Reminder, warum die Titelmelodie einer Serie über nicht immer ganz in der Legalität agierende Personen und Organisationen als Namensgeber dieses Beitrags herhalten musste.

Mein Fazit: Die regulatorische Historie der Generika in Betracht ziehend, stellt sich mir aus Sicht der Wissenschaft im Fall der biotechnisch hergestellten Arzneimittel nur die eine Frage: wollen wir wirklich ein bereits dokumentiert gescheitertes System auf hochkomplexe polymere Arzneistoffe übertragen, die nahezu ausschließlich bei schwersten und lebensbedrohlichen Erkrankungen eingesetzt werden? |

Weiterführende Literatur

Röper L, Eckstein N. Internetlehrbuch der Pharmazie, Kapitel 4.2 Bioäquivalenz. C. Keck & R. Müller (Herausg.), http://pharmazie-lehrbuch.de/ilb12/home.htm

Schwarz J. Leitfaden klinische Prüfungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten. 4. Auflage, ISBN 978-3-87193-394-3

Eckstein N. Arzneimittelentwicklung und -Zulassung für Studium & Praxis. 2. Auflage ISBN-13: 978-3769269925

Eckstein N, Haas B. Klinische Prüfungen. Publikationsreihe: Vom Wirkstoff zum Arzneimittel – die Einführung eines neuen Arzneimittels aus regulatorischer Sicht. Deutsche Apotheker Zeitung Jahrgang 152 (29), 19.07.2012

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