Neue Arzneimittel

Mit Mirikizumab gegen refraktäre Colitis ulcerosa

Interleukin-23-Inhibitor ermöglicht klinische Remission

Für Erwachsene mit mittelschwerer bis schwerer aktiver Colitis ulcerosa, die auf eine konventionelle Therapie oder eine Biologika­-Behandlung unzureichend angesprochen haben, nicht mehr darauf ansprechen oder eine Unverträglichkeit zeigen, steht seit Kurzem der Interleukin-23(IL-23)-­Inhibitor Mirikizumab (Omvoh®) zur Verfügung. Das Immunsuppressivum führt bei vielen der bislang als austherapiert geltenden Patienten zu einer relevanten Besserung der Symptomatik.

Eine Colitis ulcerosa ist mit Ent­zündungen assoziiert, die sich vom Rektum aus über das gesamte Kolon erstrecken können. Es kommt zu schubweise rezidivierenden oder chronisch aktiven Diarrhöen mit Fieber, Darmblutungen und Koliken. Häufig ist der Erkrankungsbeginn schleichend, die Colitis ulcerosa kann jedoch in schwerste bis lebensbedrohliche Verläufe, beispielsweise mit toxischem Megakolon münden. Als Ursache wird eine genetisch prädisponierte, überhöhte Immunreaktion gegen die Darmflora angenommen. Stress und Belastungen tragen mit­unter zu einem schweren Verlauf bei und begünstigen aktive Erkrankungsschübe, allerdings wirkt das psychosomatische Geschehen nach neueren Erkenntnissen lediglich modulierend. Die Lebensqualität der Patienten ist durch bis zu 40-mal täglich auftretende zwanghafte Stuhlgänge, Stuhl­inkontinenz mit Blähungen und die körperliche Schwächung aufgrund von Gewichtsabnahmen und Anämien stark beeinträchtigt. Die Behandlung der Colitis ulcerosa erfolgt zunächst mit Aminosalicylaten, systemischen und topischen Corticosteroiden sowie mit Immunmodulatoren wie z. B. Aza­thioprin oder Methotrexat. Bei schweren Verläufen kommen der Janus­kinase-Inhibitor Tofacitinib sowie verschiedene monoklonale Antikörper zum Einsatz. Zur Ver­fügung stehen aktuell die gegen den Tumornekrosefaktor-α (TNF-α) gerichteten Substanzen Adalimumab, Golimumab und Infliximab, der IL-12/IL-23-Antikörper Ustekinumab und das speziell für chronisch entzündliche Darmerkrankungen entwickelte Vedolizumab, das an das Adhäsionsmolekül α4β7-Integrin bindet. Jedoch zeigen diese Therapieoptionen nicht immer oder nicht dauerhaft eine adäquate Wirkung, sodass weiterhin ein thera­peutischer Bedarf besteht.

Neue Arzneimittel 2023

In der bisher monatlich erschienenen DAZ-Beilage „Neue Arzneimittel“ stellte Apothekerin Dr. Monika Neubeck neue Wirkstoffe ausführlich vor und ordnete sie in die bestehenden Therapie­optionen ein. Seit Januar 2023 finden Abonnentinnen und Abonnenten der DAZ die neuen Arzneistoffe auf DAZ.online unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de/pharmazie/arzneimittel.

Dort steht Ihnen auch ein Archiv mit allen seit 2000 eingeführten Wirkstoffen zur Verfügung. Die für die Offizin bedeutsamen Wirkstoffe stellen wir in der Print-Ausgabe der DAZ regelmäßig in unserer Rubrik „Neue Arzneimittel“ vor.

Target Interleukin-23-Signalweg

Interleukin 23 ist maßgeblich an Entzündungs- und Immunreaktionen im Rahmen der Colitis-ulcerosa-Patho­genese beteiligt. Es beeinflusst die Differenzierung, Proliferation und das Überleben bestimmter T-Zell-Sub­populationen, wie z. B. Th17- und Tc17-Zellen, sowie von unspezifischen lymphoiden Immunzellen, die wiederum proinflammatorische Effektor-Zytokine wie IL-17A, IL-17F und IL-22 produzieren. Der neue Wirkstoff Mirikizumab ist ein humanisierter monoklonaler IgG4-Antikörper, der spezifisch gegen Interleukin-23 gerichtet ist. Er unterbindet durch hochselektives Andocken an dessen p19-Untereinheit die Interaktion mit dem zugehörigen IL-23­-Rezeptorkomplex auf bestimmten T-Zellen (s. Abb. 1). Auf diese Weise werden die nachfolgenden Signal-, Aktivierungs- und Zytokin-Kaskaden unterbrochen. Es kommt zu einer reduzierten Expression von Genen des IL-23-/Th17-Signalwegs. Bei den erkrankten Patienten wird über die Hemmung der Autoimmunreaktion eine Reduktion der Entzündungs­vorgänge erreicht.

Abb. 1: Wirkmechanismus. Interleukin 23 (IL-23) bewirkt durch Andocken an den IL-23-Rezeptorkomplex auf bestimmten T-Zellen die Phosphorylierung von STAT-­Proteinen (Signaltransduktoren und Aktivatoren der Transkription) durch die Janus­kinasen Jak2 und Tyk2. Die phosphorylierten dimeren STAT-Proteine stimulieren nun ihrerseits die Replikation spezifischer Zielgene im Zellkern. Der gegen die IL-23-Untereinheit p19 gerichtete Antikörper Mirikizumab führt zu einer reduzierten Phosphorylierung von STAT-Proteinen und unterbindet die Aktivierung der nachgeschalteten Signalkaskade. Bei Patienten mit Colitis ulcerosa werden die Expression von Genen des IL-23-/Th17-­Signalwegs und die Produktion von proinflammatorischen Effektor­-Zytokinen gehemmt und somit die Symptomatik verbessert.

Subkutane Erhaltungstherapie folgt auf intravenöse Induktion

Zu Therapiebeginn wird Mirikizumab zunächst dreimal in den Wochen 0, 4 und 8 in einer Dosierung von jeweils 300 mg langsam intravenös appliziert. Bei adäquatem therapeutischem Ansprechen ist im weiteren Verlauf ab Woche 12 eine Erhaltungstherapie mit jeweils 200 mg Mirikizumab subkutan (zwei Fertigpens oder -spritzen à 100 mg) alle vier Wochen vorgesehen. Nach entsprechender Schulung kann die Gabe mittels Fertigpen oder -spritze auch durch den Patienten selbst erfolgen (Darreichungsformen s. Abb. 2). Bei nicht ausreichender Response auf die intravenöse Induktionsbehandlung sollte Mirikizumab in den Wochen 12, 16 und 20 weiterhin in einer Dosierung von 300 mg intravenös gegeben werden. Wenn mit dieser erweiterten Induktionstherapie ein therapeutischer Nutzen erzielt wird, kann ab Woche 24 mit einer subkutanen Erhaltungsdosis von 200 mg Mirikizumab alle vier Wochen begonnen werden.

Foto: Lilly Deutschland

Abb. 2: Omvoh® ist in drei Darreichungsformen verfügbar: als Injektionslösung in einem Fertigpen und in einer Fertigspritze mit jeweils 100 mg Mirikizumab seit 1. September 2023 sowie als Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung in einer Durchstechflasche mit 300 mg Mirikizumab bereits seit 15. Juli 2023.

Vorsicht bei Infektionen

Häufige Nebenwirkungen von Mirikizumab sind Infektionen der oberen Atemwege, Arthralgien, Kopfschmerzen, Hautausschläge und Reaktionen an der Injektionsstelle. Gelegentlich wird über Herpes-zoster-Infektionen, infusionsbedingte Überempfindlichkeitsreaktionen, Reaktionen an der Infusionsstelle sowie über erhöhte Alanin- und Aspartat-Aminotrans­ferase-Werte berichtet. Bei Vorliegen einer klinisch bedeutsamen aktiven Infektion darf die Behandlung mit Mirikizumab nicht begonnen werden. Vor Behandlungsbeginn wird daher zu einer Untersuchung auf eine bestehende Tuberkulose geraten. Bei Patienten mit latenter oder aktiver Erkrankung in der Vorgeschichte, die nicht angemessen mit Antituberkulotika behandelt wurden, ist vor dem Einleiten der Behandlung mit dem IL-23-Antikörper eine entsprechende Tuberkulose-­Therapie in Erwägung zu ziehen. Falls während der Anwendung von Mirikizumab andere relevante Infektionen auftreten, sollten eine engmaschige Überwachung und eine effektive antiinfektive Behandlung stattfinden. Gegebenenfalls muss die Medikation bis zum Abklingen der Infektion ausgesetzt werden. Vor dem Einsatz von Mirikizumab muss zudem geprüft werden, ob bei den Patienten alle erforderlichen Impfungen durchgeführt wurden, da während der Antikörper-Therapie zur Sicherheit zumindest keine Lebendimpfstoffe angewendet werden sollten. Mirikizumab ist möglicherweise mit Leberschädigungen assoziiert. Daher wird während der Behandlung eine regelmäßige Überwachung der Leberfunktion empfohlen. Bei einem entsprechenden Verdacht ist Mirikizumab zeitweise oder dauerhaft abzusetzen.

Studienprogramm LUCENT

Die Zulassung von Mirikizumab beruht auf den beiden hintereinander­geschalteten randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-III-Studien LUCENT-1 und LUCENT-2. Die 1162 teilnehmenden Patienten litten unter einer mäßiggradigen bis schweren Colitis ulcerosa. Sie mussten auf Corticosteroide oder Immunmodulatoren wie 6-Mercaptopurin bzw. Aza­thioprin oder mindestens ein Biologikum (ein TNF-α-Antagonist und/oder Vedolizumab) oder Tofacitinib unzureichend angesprochen oder diese nicht vertragen haben. Im ersten Studienteil LUCENT-1 erfolgte alle vier Wochen eine intravenöse Induktionstherapie mit Mirikizumab oder eine Placeboinfusion. Nach zwölf Wochen lag der Anteil an Teilnehmern mit klinischer Remission, basierend auf dem modifizierten Mayo-Score (MMS), mit 24% in der Verumgruppe signifikant höher als mit 13% in der Placebo­gruppe (p < 0,001). Die 554 Patienten mit einer therapeutischen Response wurden im Rahmen von LUCENT-2 nach erneuter Randomisierung alle vier Wochen mit subkutanem Mirikizumab oder Placebo weiterbehandelt. Nach 40 Wochen erreichten 50% der Teilnehmer unter dem IL-23-Anti­körper eine klinische Remission, im Vergleich zu 25% unter Placebogabe (p < 0,001), sodass auch für die Erhaltungsphase eine signifikante Über­legenheit für Mirikizumab bestand. Allerdings kam es im Verumarm bei 15 Patienten zu opportunistischen Infektionen, sechs davon waren Herpes-zoster-Infektionen. Bei acht Teilnehmern trat eine Krebserkrankung auf, wobei es sich in drei Fällen um ein kolorektales Karzinom han­delte. Nach Anwendung von Placebo wurde lediglich eine Herpes-zoster-­Infektion gemeldet, bei keinem der Teilnehmer im Placeboarm trat eine Tumorentwicklung ein.

Erhöhte Tumorgefahr?

Mirikizumab bietet neue Hoffnung für Patienten, deren Erkrankung gegen herkömmliche Colitis-Therapeutika refraktär ist. Zur besseren Einschätzung des klinischen Nutzens sind allerdings längerfristige Untersuchungen erforderlich. Insbesondere sollte die potenzielle Assoziation des IL-23-Antikörpers mit der verstärkten Entwicklung von Tumorerkrankungen betrachtet werden, wie sie sich im LUCENT-Studienprogramm ange­deutet hat. Der Wirkmechanismus von Mirikizumab ist nicht neu. Auch Substanzen wie Guselkumab, Risankizumab und Tildrakizumab, die für Plaque-Psoriasis und/oder Psoriasis-Arthritis indiziert sind, wirken über die Inaktivierung des IL-23-Signalwegs. Bislang haben sich bei diesen Wirkstoffen keine Hinweise auf ein signifikant erhöhtes Tumorrisiko ergeben. Auch Mirikizumab wird aktuell in klinischen Studien für den Einsatz bei Patienten mit Morbus Crohn und Plaque-Psoriasis geprüft. Langzeitsicherheit und -wirksamkeit müssen jedoch auch für Colitis-­Patienten im Auge behalten werden. |

Literatur

[1] Fachinformation zu Omvoh®, Stand Mai 2023

[2] D‘Haens G, Dubinsky M, Kobayashi T et al. Mirikizumab as induction and maintenance therapy for ulcerative colitis. N Engl J Med 2023;388(26):2444-2455, doi: 10.1056/NEJMoa2207940

[3] EPAR summary for the public. Omvoh®Mirikizumab. Informationen der Euro­päischen Arzneimittel-Agentur, 8. Juni 2023, EMA/175782/2023

Autorin

Dr. Monika Neubeck hat in Frankfurt am Main Pharmazie studiert und ordnet für die DAZ regelmäßig die neuen Arznei­mittel ein.

autor@deutsche-apotheker-zeitung.de

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