- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 37/2023
- Mit Mirikizumab gegen ...
Neue Arzneimittel
Mit Mirikizumab gegen refraktäre Colitis ulcerosa
Interleukin-23-Inhibitor ermöglicht klinische Remission
Eine Colitis ulcerosa ist mit Entzündungen assoziiert, die sich vom Rektum aus über das gesamte Kolon erstrecken können. Es kommt zu schubweise rezidivierenden oder chronisch aktiven Diarrhöen mit Fieber, Darmblutungen und Koliken. Häufig ist der Erkrankungsbeginn schleichend, die Colitis ulcerosa kann jedoch in schwerste bis lebensbedrohliche Verläufe, beispielsweise mit toxischem Megakolon münden. Als Ursache wird eine genetisch prädisponierte, überhöhte Immunreaktion gegen die Darmflora angenommen. Stress und Belastungen tragen mitunter zu einem schweren Verlauf bei und begünstigen aktive Erkrankungsschübe, allerdings wirkt das psychosomatische Geschehen nach neueren Erkenntnissen lediglich modulierend. Die Lebensqualität der Patienten ist durch bis zu 40-mal täglich auftretende zwanghafte Stuhlgänge, Stuhlinkontinenz mit Blähungen und die körperliche Schwächung aufgrund von Gewichtsabnahmen und Anämien stark beeinträchtigt. Die Behandlung der Colitis ulcerosa erfolgt zunächst mit Aminosalicylaten, systemischen und topischen Corticosteroiden sowie mit Immunmodulatoren wie z. B. Azathioprin oder Methotrexat. Bei schweren Verläufen kommen der Januskinase-Inhibitor Tofacitinib sowie verschiedene monoklonale Antikörper zum Einsatz. Zur Verfügung stehen aktuell die gegen den Tumornekrosefaktor-α (TNF-α) gerichteten Substanzen Adalimumab, Golimumab und Infliximab, der IL-12/IL-23-Antikörper Ustekinumab und das speziell für chronisch entzündliche Darmerkrankungen entwickelte Vedolizumab, das an das Adhäsionsmolekül α4β7-Integrin bindet. Jedoch zeigen diese Therapieoptionen nicht immer oder nicht dauerhaft eine adäquate Wirkung, sodass weiterhin ein therapeutischer Bedarf besteht.
Neue Arzneimittel 2023
In der bisher monatlich erschienenen DAZ-Beilage „Neue Arzneimittel“ stellte Apothekerin Dr. Monika Neubeck neue Wirkstoffe ausführlich vor und ordnete sie in die bestehenden Therapieoptionen ein. Seit Januar 2023 finden Abonnentinnen und Abonnenten der DAZ die neuen Arzneistoffe auf DAZ.online unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de/pharmazie/arzneimittel.
Dort steht Ihnen auch ein Archiv mit allen seit 2000 eingeführten Wirkstoffen zur Verfügung. Die für die Offizin bedeutsamen Wirkstoffe stellen wir in der Print-Ausgabe der DAZ regelmäßig in unserer Rubrik „Neue Arzneimittel“ vor.
Target Interleukin-23-Signalweg
Interleukin 23 ist maßgeblich an Entzündungs- und Immunreaktionen im Rahmen der Colitis-ulcerosa-Pathogenese beteiligt. Es beeinflusst die Differenzierung, Proliferation und das Überleben bestimmter T-Zell-Subpopulationen, wie z. B. Th17- und Tc17-Zellen, sowie von unspezifischen lymphoiden Immunzellen, die wiederum proinflammatorische Effektor-Zytokine wie IL-17A, IL-17F und IL-22 produzieren. Der neue Wirkstoff Mirikizumab ist ein humanisierter monoklonaler IgG4-Antikörper, der spezifisch gegen Interleukin-23 gerichtet ist. Er unterbindet durch hochselektives Andocken an dessen p19-Untereinheit die Interaktion mit dem zugehörigen IL-23-Rezeptorkomplex auf bestimmten T-Zellen (s. Abb. 1). Auf diese Weise werden die nachfolgenden Signal-, Aktivierungs- und Zytokin-Kaskaden unterbrochen. Es kommt zu einer reduzierten Expression von Genen des IL-23-/Th17-Signalwegs. Bei den erkrankten Patienten wird über die Hemmung der Autoimmunreaktion eine Reduktion der Entzündungsvorgänge erreicht.
Subkutane Erhaltungstherapie folgt auf intravenöse Induktion
Zu Therapiebeginn wird Mirikizumab zunächst dreimal in den Wochen 0, 4 und 8 in einer Dosierung von jeweils 300 mg langsam intravenös appliziert. Bei adäquatem therapeutischem Ansprechen ist im weiteren Verlauf ab Woche 12 eine Erhaltungstherapie mit jeweils 200 mg Mirikizumab subkutan (zwei Fertigpens oder -spritzen à 100 mg) alle vier Wochen vorgesehen. Nach entsprechender Schulung kann die Gabe mittels Fertigpen oder -spritze auch durch den Patienten selbst erfolgen (Darreichungsformen s. Abb. 2). Bei nicht ausreichender Response auf die intravenöse Induktionsbehandlung sollte Mirikizumab in den Wochen 12, 16 und 20 weiterhin in einer Dosierung von 300 mg intravenös gegeben werden. Wenn mit dieser erweiterten Induktionstherapie ein therapeutischer Nutzen erzielt wird, kann ab Woche 24 mit einer subkutanen Erhaltungsdosis von 200 mg Mirikizumab alle vier Wochen begonnen werden.
Vorsicht bei Infektionen
Häufige Nebenwirkungen von Mirikizumab sind Infektionen der oberen Atemwege, Arthralgien, Kopfschmerzen, Hautausschläge und Reaktionen an der Injektionsstelle. Gelegentlich wird über Herpes-zoster-Infektionen, infusionsbedingte Überempfindlichkeitsreaktionen, Reaktionen an der Infusionsstelle sowie über erhöhte Alanin- und Aspartat-Aminotransferase-Werte berichtet. Bei Vorliegen einer klinisch bedeutsamen aktiven Infektion darf die Behandlung mit Mirikizumab nicht begonnen werden. Vor Behandlungsbeginn wird daher zu einer Untersuchung auf eine bestehende Tuberkulose geraten. Bei Patienten mit latenter oder aktiver Erkrankung in der Vorgeschichte, die nicht angemessen mit Antituberkulotika behandelt wurden, ist vor dem Einleiten der Behandlung mit dem IL-23-Antikörper eine entsprechende Tuberkulose-Therapie in Erwägung zu ziehen. Falls während der Anwendung von Mirikizumab andere relevante Infektionen auftreten, sollten eine engmaschige Überwachung und eine effektive antiinfektive Behandlung stattfinden. Gegebenenfalls muss die Medikation bis zum Abklingen der Infektion ausgesetzt werden. Vor dem Einsatz von Mirikizumab muss zudem geprüft werden, ob bei den Patienten alle erforderlichen Impfungen durchgeführt wurden, da während der Antikörper-Therapie zur Sicherheit zumindest keine Lebendimpfstoffe angewendet werden sollten. Mirikizumab ist möglicherweise mit Leberschädigungen assoziiert. Daher wird während der Behandlung eine regelmäßige Überwachung der Leberfunktion empfohlen. Bei einem entsprechenden Verdacht ist Mirikizumab zeitweise oder dauerhaft abzusetzen.
Studienprogramm LUCENT
Die Zulassung von Mirikizumab beruht auf den beiden hintereinandergeschalteten randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-III-Studien LUCENT-1 und LUCENT-2. Die 1162 teilnehmenden Patienten litten unter einer mäßiggradigen bis schweren Colitis ulcerosa. Sie mussten auf Corticosteroide oder Immunmodulatoren wie 6-Mercaptopurin bzw. Azathioprin oder mindestens ein Biologikum (ein TNF-α-Antagonist und/oder Vedolizumab) oder Tofacitinib unzureichend angesprochen oder diese nicht vertragen haben. Im ersten Studienteil LUCENT-1 erfolgte alle vier Wochen eine intravenöse Induktionstherapie mit Mirikizumab oder eine Placeboinfusion. Nach zwölf Wochen lag der Anteil an Teilnehmern mit klinischer Remission, basierend auf dem modifizierten Mayo-Score (MMS), mit 24% in der Verumgruppe signifikant höher als mit 13% in der Placebogruppe (p < 0,001). Die 554 Patienten mit einer therapeutischen Response wurden im Rahmen von LUCENT-2 nach erneuter Randomisierung alle vier Wochen mit subkutanem Mirikizumab oder Placebo weiterbehandelt. Nach 40 Wochen erreichten 50% der Teilnehmer unter dem IL-23-Antikörper eine klinische Remission, im Vergleich zu 25% unter Placebogabe (p < 0,001), sodass auch für die Erhaltungsphase eine signifikante Überlegenheit für Mirikizumab bestand. Allerdings kam es im Verumarm bei 15 Patienten zu opportunistischen Infektionen, sechs davon waren Herpes-zoster-Infektionen. Bei acht Teilnehmern trat eine Krebserkrankung auf, wobei es sich in drei Fällen um ein kolorektales Karzinom handelte. Nach Anwendung von Placebo wurde lediglich eine Herpes-zoster-Infektion gemeldet, bei keinem der Teilnehmer im Placeboarm trat eine Tumorentwicklung ein.
Erhöhte Tumorgefahr?
Mirikizumab bietet neue Hoffnung für Patienten, deren Erkrankung gegen herkömmliche Colitis-Therapeutika refraktär ist. Zur besseren Einschätzung des klinischen Nutzens sind allerdings längerfristige Untersuchungen erforderlich. Insbesondere sollte die potenzielle Assoziation des IL-23-Antikörpers mit der verstärkten Entwicklung von Tumorerkrankungen betrachtet werden, wie sie sich im LUCENT-Studienprogramm angedeutet hat. Der Wirkmechanismus von Mirikizumab ist nicht neu. Auch Substanzen wie Guselkumab, Risankizumab und Tildrakizumab, die für Plaque-Psoriasis und/oder Psoriasis-Arthritis indiziert sind, wirken über die Inaktivierung des IL-23-Signalwegs. Bislang haben sich bei diesen Wirkstoffen keine Hinweise auf ein signifikant erhöhtes Tumorrisiko ergeben. Auch Mirikizumab wird aktuell in klinischen Studien für den Einsatz bei Patienten mit Morbus Crohn und Plaque-Psoriasis geprüft. Langzeitsicherheit und -wirksamkeit müssen jedoch auch für Colitis-Patienten im Auge behalten werden. |
Literatur
[1] Fachinformation zu Omvoh®, Stand Mai 2023
[2] D‘Haens G, Dubinsky M, Kobayashi T et al. Mirikizumab as induction and maintenance therapy for ulcerative colitis. N Engl J Med 2023;388(26):2444-2455, doi: 10.1056/NEJMoa2207940
[3] EPAR summary for the public. Omvoh®Mirikizumab. Informationen der Europäischen Arzneimittel-Agentur, 8. Juni 2023, EMA/175782/2023
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.