Neue Arzneimittel

Mit Mavacamten kausal therapieren

Innovativer Wirkstoff bei hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie

Im August 2023 erfolgt in Deutschland die Markteinführung des Myosin-Inhibitors Mavacamten (Camzyos®) für Patienten mit sym­ptomatischer hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie. Es handelt sich um das erste kausal wirksame Therapeutikum für diese Indikation, mit völlig innovativem Wirkmechanismus. In den zulassungsrelevanten Phase-III-Studien wurde eine signifikante Überlegenheit gegenüber der Placebogabe nachgewiesen.

Bei Patienten mit hypertropher ob­struktiver Kardiomyopathie (HOCM) liegt eine chronisch progrediente Zunahme des myokardialen Zell­volumens im Bereich der linken Herzkammer, insbesondere im Bereich der Herzscheidewand (Septum), vor. Während der Systole kommt es daher zu einer Reduktion des Blutflusses aus dem linken Ventrikel in die Aorta und damit zu einer Herzinsuffizienz. Die Erkrankung ist bei etwa der Hälfte der Betroffenen genetisch bedingt und beruht häufig auf Mutationen der sarkomeren Herzmuskelproteine. Aufgrund der resultierenden Druckbelastung kommt es bei Patienten mit hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie weiterhin zu einer reduzierten Dehnbarkeit des gesamten linken Ventrikels, was zu einer verringerten Füllkapazität während der Diastole führt. Obwohl eine hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie prinzipiell in jedem Lebensalter auftreten kann, wird sie meist im Alter zwischen 40 und 60 Jahren diagnostiziert. Typische erste Symptome sind Schwindel, Kurzatmigkeit, Brustschmerzen und Synkopen. Im weiteren Verlauf ist das Risiko für Vorhofflimmern, ventrikuläre Arrhythmien, Schlaganfälle und plötzlichen Herztod erhöht. Die Betroffenen werden zunächst angewiesen, körperliche Belastungen zu vermeiden und unterstützend mit Calciumantagonisten vom Verapamil-Typ, β-Adreno­zeptorblockern oder Disopyramid behandelt. Als Methode der Wahl gilt derzeit die transkoronare Ablation der Septum-Hypertrophie. Hierbei wird die Koronararterie, die den hypertrophierten Septumbereich versorgt, mit Ethanol (100%) verödet und damit ein künstlicher Infarkt gesetzt. Die Hypertrophie geht nun an dieser Stelle zunächst zurück, über die im Anschluss stattfindende Bildung von Anastomosen ist die Effektivität dieser Maßnahme jedoch zeitlich begrenzt. Zudem besteht die Gefahr eines AV-Blocks, falls versehentlich ein AV-Knoten infarziert wird. Somit fehlt weiterhin eine sichere und dauerhaft wirksame Therapiemethode für Patienten mit hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie.

Abb. 1: Mavacamten ist ein oral verfügbarer kardialer Myosin-­Inhibitor.

Erste kausale Therapieoption

Ursächlich für die Erkrankung ist eine übermäßige Ausbildung von kraftentwickelnden Myosin-Aktin-Querbrücken am Herzmuskel, die zu einer Hyperkontraktilität führt. Der neue Wirkstoff Mavacamten (s. Abb. 1) von Bristol Myers Squibb ist ein allo­sterischer, reversibler und selektiver Inhibitor von Myosin-7, das überwiegend am Herzen exprimiert wird. Die Substanz bewirkt, dass die gesamte Myosin-7-­Population in Richtung eines energiesparenden, rekrutierbaren, entspannten Zustands verschoben wird. Als Folge wird die Bildung von Aktin-­Myosin-Querbrücken im Herzen vermindert, die Obstruktion in der linken Herzkammer reduziert und der Füllungsdruck des Herzens während der Diastole gesteigert (s. Abb. 2). Bei Patienten mit hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie kann das kausal wirkende Mavacamten mittelfristig eine Verbesserung der Symptomatik und der funktionellen Leistungsfähigkeit herbeiführen.

Abb. 2: Wirkmechanismus Die kleinste kontraktile Einheit in einer Skelettmuskelfaser ist das Sarkomer, das aus dünnen Aktin- und dicken Myosin-Filamenten besteht. Im Rahmen der (Herz-)Muskelkontraktion interagieren Myosin- mit den Aktinfilamenten und bilden Querbrücken aus (links). Bei Patienten mit hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie (HOCM) findet dieser Vorgang am Herzmuskel verstärkt statt, was zu einer Hyperkontraktilität während der Systole mit beeinträchtigter Relaxation in der Diastole führt (Mitte). Als selektiver Inhibitor von kardialem Myosin vermindert Mavacamten am Herzen die Bildung der Aktin-Myosin-Querbrücken. Als Folge wird bei Patienten mit hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie die Hyperkontraktilität in der linken Herzkammer reduziert und der Füllungsdruck des Herzens aufgrund einer verbesserten Relaxation während der Diastole gesteigert (rechts).

Vorsicht CYP2C19-Phänotypus!

Bei Patienten mit dem CYP2C19-Phänotyp „langsamer Metabolisierer“ ist im Vergleich zu „normalen Metabolisierern“ mit einer bis zu dreifach erhöhten Bioverfügbarkeit von Mavacamten zu rechnen, was wiederum verstärkt zu einer systolischen Dysfunktion führen kann. Nach Möglichkeit sind die Patienten daher bereits vor Therapiebeginn bezüglich des CYP2C19-Phänotyps zu genotypisieren. Mavacamten wird normalerweise initial in einer Dosierung von einmal täglich 5 mg peroral appliziert. Im weiteren Verlauf kann im Abstand von jeweils vier Wochen eine stufenweise Steigerung auf bis zu einmal täglich 15 mg stattfinden. Bei langsamen CYP2C19-Metabolisierern liegt die Anfangsdosis bei einmal täglich 2,5 mg, mit einer Steigerungsmöglichkeit auf maximal 5 mg. Als häufigste Nebenwirkungen wurden Schwindel, Synkopen, Angina pectoris, Dyspnoe, Vorhofflimmern, ventrikuläre Tachykardien, Palpitationen, Schmerzen in der Brust und Müdigkeit berichtet. Aufgrund der mit Mavacamten assoziierten Reduktion der systolischen Kontraktion muss allerdings mit einer Verschlechterung der Herzinsuffizienz gerechnet werden. Daher sollte der Einsatz der Medikation bei Patienten mit einer linksventrikulären Ejektionsfraktion von weniger als 55% unterbleiben. Als Kontraindikation gilt die gleichzeitige Behandlung mit starken CYP2C19-Hemmern in Kombination mit starken CYP3A4-Inhibitoren wie Azol-Antimykotika oder Makrolid-Antibiotika, da diese Substanzen die Biotransformation von Mavacamten verlangsamen und möglicherweise zu einer verstärkten Toxizität führen. Ebenso kontraindiziert ist die gemeinsame Anwendung von Mavacamten mit starken CYP3A4-Inhibitoren bei langsamen CYP2C19-Metabolisierern und Patienten mit noch nicht bestimmtem CYP2C19-Phänotyp. Weiterhin darf Mavacamten nicht bei Schwangeren oder nicht verhütenden Patientinnen im gebärfähigen Alter angewendet werden, da die Substanz offenbar embryo- bzw. fetotoxisch wirkt.

Zwei Zulassungsstudien

Die Zulassung von Mavacamten beruht auf den beiden randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-III-Studien EXPLORER-HCM und VALOR-HCM mit Erwachsenen, die unter einer symptomatischen hypertrophen obstruktiven Kardiomyopathie litten.

Die 251 Teilnehmer von EXPLORER-HCM waren den New-York-Heart-Association(NYHA)-Klassen II oder III zuzuordnen. Sie wiesen zu Studienbeginn eine linksventrikuläre Ejektionsfraktion von mindestens 55% und einen Gradienten im linksventriku­lären Ausflusstrakt von mindestens 50 mmHg auf. Als primärer kombinierter Endpunkt wurde der Anteil an Patienten festgelegt, bei denen entweder eine Zunahme der maximalen Sauerstoffaufnahme (pVO2) um mindestens 1,5 ml/(kg * min) mit einer Verbesserung um mindesten eine NYHA-Klasse oder ein Anstieg des pVO2-Werts um mindestens 3,0 ml/(kg * min) ohne Verschlechterung der NYHA-Klasse ermittelt wurde. In Woche 30 erreichten 37% der Teilnehmer aus der Verumgruppe diesen Endpunkt, im Vergleich zu 17% in der Placebogruppe (p = 0,0005). Auch bezüglich der sekundären Endpunkte wie dem Gradienten des linksventrikulären Ausflusstrakts nach Belastung und der Sauerstoffaufnahmekapazität während der Belastung zeigte sich eine hochsignifikante Überlegenheit von Mavacamten. Im Verumarm trat bei 65% der Patienten eine Verbesserung um mindesten eine NYHA-Klasse auf. Der entsprechende Wert unter Placebo lag bei 31% (p < 0,0001).

Die 112 Patienten der VALOR-HCM-Studie litten tendenziell unter einer schwereren Form der hypertrophen obstruktiven Kardiomyopathie mit einer Herzinsuffizienz der NYHA-Klasse III bis IV oder der Klasse II mit Belastungssynkope oder Beinahe-Synkope. Die Teilnehmer erfüllten somit die Leitlinienkriterien für eine Septum-Reduktionstherapie (SRT) und waren für einen invasiven Eingriff überwiesen worden. Der primäre Endpunkt setzte sich aus der Zahl der Patienten zusammen, die sich bis einschließlich Woche 16 für eine Septum-Reduktionstherapie entschieden hatten, sowie der Zahl der Patienten, die in Woche 16 in der Mavacamten-Gruppe im Vergleich zur Placebogruppe weiterhin für eine Septum-Reduktionstherapie infrage kamen. In der Verum-Gruppe erreichten etwa 18% der Patienten den Endpunkt, in der Placebo-Gruppe war dies bei 77% der Teilnehmer der Fall, entsprechend einer hochsignifikanten Überlegenheit der Mavacamten-Therapie (p < 0,0001). Die Werte für die Verbesserung der NYHA-Klasse um mindestens einen Punkt lagen bei 63 vs. 21% zugunsten der Mavacamten-Gruppe (p < 0,0001). Hinsichtlich der sekundären Endpunkte wie des Gradienten des linksventrikulären Ausflusstrakts nach Belastung und des kardialen Troponin-I-Werts zeigte sich ebenfalls ein signi­fikanter Vorteil für die Behandlung mit Mavacamten. In beiden Studien kam es bei 5% der Teilnehmer aus dem Verumarm zu einer reversiblen Verringerung der linksventrikulären Ejektionsfraktion unter einen Wert von 50% (Median 45%).

Neue Arzneimittel 2023

In der bisher monatlich erschienenen DAZ-Beilage „Neue Arzneimittel“ stellte Apothekerin Dr. Monika Neubeck neue Wirkstoffe ausführlich vor und ordnete sie in die bestehenden Therapie­optionen ein. Seit Januar 2023 finden Abonnentinnen und Abonnenten der DAZ die neuen Arzneistoffe auf DAZ.online unter www.deutsche-­apotheker-zeitung.de/­pharmazie/arzneimittel.

Neu hinzugekommen sind:

  • Deucravacitinib
  • Etranacogen und
  • Tremelimumab

Dort steht Ihnen auch ein Archiv mit allen seit 2000 eingeführten Wirkstoffen zur Verfügung. Die für die Offizin bedeutsamen Wirkstoffe stellen wir in der Print-Ausgabe der DAZ regelmäßig in unserer Rubrik „Neue Arzneimittel“ vor.

Vorläufiges Fazit

Aufgrund seiner völlig innovativen, unmittelbar in die Pathogenese der Erkrankung eingreifenden Wirkweise wird der neue Wirkstoff Mavacamten als First-in-Class-Therapeutikum bezeichnet. In den zulassungsrelevanten Phase-III-Studien war ein signifikanter Nutzen feststellbar. Das peroral verfügbare und gut verträgliche Mavacamten verbesserte die Belastungskapazität der Patienten mit hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie und senkte den Bedarf für eine Septum-Reduktionstherapie. Ein gewisses Problem liegt allerdings in der Tatsache begründet, dass Mavacamten maßgeblich durch CYP2C19 biotransformiert wird. Das zugehörige Gen weist Polymorphismen auf, die Einfluss auf die CYP2C19-Enzymaktivität besitzen. Um Wirkverluste, schwere Toxizität oder gefährliche Interaktionen mit Enzyminhibitoren wie Azol-Antimy­kotika oder Makrolid-Antibiotika zu vermeiden, müssen das Behandlungs­regime von Mavacamten und die zugehörigen Begleittherapien daher stets auf den individuellen CYP2C19-Phänotypus des Patienten abgestimmt werden. Für eine endgültige Beurteilung des klinischen Nutzens von Mavacamten bleiben längerfristige Untersuchungen abzuwarten. Unter anderem wäre zu klären, wie lange die beobachteten Effekte anhalten und mit welchen Auswirkungen auf die Lebensqualität und die Lebenserwartung zu rechnen ist. |

Literatur

[1] Fachinformation zu Camzyos®, Stand Juni 2023

[2] EPAR summary for the public. Camzyos® Mavacamten. EMA/227237/2023, European Medicines Agency, www.ema.europe.eu

[3] Olivotto I, Oreziak A, Barriales-Villa R et al. Mavacamten for treatment of symptomatic obstructive hypertrophic cardiomyopathy (EXPLORER-HCM): a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet 2020;396(10253):759-769, doi: 10.1016/S0140-6736(20)31792-X

[4] Keam SJ. Mavacamten: First Approval. Drugs 2022;82(10):1127-1135, doi: 10.1007/s40265-022-01739-7

Autorin

Dr. Monika Neubeck hat in Frankfurt am Main Pharmazie studiert und ordnet für die DAZ regelmäßig die neuen Arzneimittel ein.

autor@deutsche-apotheker-zeitung.de

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.