COVID-19

Vom Wundermittel zum Ladenhüter (und zurück)

Neue Daten zur Haltbarkeit von Paxlovid belegen Stabilität

Groß waren die Erwartungen und Hoffnung an die Kombination aus Nirmatrelvir und Ritonavir (PaxlovidTM) zur COVID-19-Behandlung bei Erwachsenen, ca. eine Million Packungen hatte die Bundesregierung im Jahr 2021 angeschafft, doch dann wollte keiner das Präparat haben: es wurde Ladenhüter genannt, das Erreichen des Verfalldatums schien zu drohen. Jetzt hat Pfizer die Haltbarkeit seines COVID-19-Arzneimittels Paxlovid nochmals verlängert. Erst auf zwölf, dann auf 18 und jetzt auf 24 Monate. Diese sechsmonatige Verlängerung gilt auch für bereits im Verkehr befindliche Packungen mit einem Verfalldatum von November 2022 bis Dezember 2023. | Von Fritz Sörgel, Martina Kinzig, Lukas Kirchner und Ulrike Holzgrabe

Der Umgang mit dem oral wirksamen Anti-SARS-CoV2-Virostatikum PaxlovidTM in den letzten beiden Jahren irritiert, doch auch dem ausschließlich parenteral applizier­baren, gegen SARS-CoV-2 wirkenden Remdesivir erging es nicht besser, wie ein Rückblick zeigt.

Foto: abaca/Picture Alliance

Der Zulassung von Paxlovid folgte in kürzester Zeit ein Wandel bei der Einschätzung der Substanz. Vom „Gamechanger“ wurde es zum „Ladenhüter“.

Der Weg des Remdesivir

Am 21. April 2020 fragte das Fernsehmagazin Report München: „Forschung unter Dauerstress: Wann kommt das rettende Corona-Medikament“? Da in den ersten Wochen der Pandemie nicht sicher war, ob es zeitnah einen Impfstoff geben würde, war das eine berechtigte Frage. Auf zwei unterschiedlichen Wegen versuchte man, zu einem Arzneistoff zu kommen, der gegen SARS-CoV-2 wirkt. Neben kleinen Molekülen mit antiviraler Wirkung, wie man sie in den letzten 40 Jahren oft zur Behandlung viraler Erkrankungen gefunden hatte, waren auch monoklonale Antikörper die Hoffnungsträger. Letztere hatten aber oft eine kurze Lebenszeit, weil das Virus schnell Wege gefunden hatte, das Spike-Protein zu verändern, sodass die Antikörper, die auf das Spike-Protein abzielen, wirkungslos wurden.

Größere Hoffnungen beruhten deshalb zunächst auf Remdesivir, einer Substanz aus der Ebola-Forschung, die ungenutzt in den Schubladen von Gilead gelegen hatte. Anfangs war das Nukleotid-Analogon Remdesivir ausschließlich im Rahmen des Compassionate Use erhältlich, unter Bedingungen also, bei denen nicht zugelassene Arzneimittel aufgrund fehlender Therapieoptionen eingesetzt werden dürfen. Bereits am 1. Mai 2020 wurde von der FDA für Remdesivir (Veklury®) eine Notfallzulassung (Emergency Use) erteilt, und schon am 22. Oktober 2020 erfolgte aufgrund einer erfolgreichen Zulassungsstudie ACCT-1 [1] die reguläre Zulassung. In Europa erhielt Remdesivir am 3. Juli 2020 zunächst eine einjährige „bedingte Zulassung“, die im Anschluss verlängert wurde. Sie ermöglicht den frühzeitigen Zugang zu Arzneimitteln bei einer Notsituation im öffentlichen Gesundheitswesen, wie sie die Pandemie darstellte. Eine uneingeschränkte Zulassung von Remdesivir wurde in Europa erst am 8. August 2022 von der EMA ausgesprochen.

Gleichzeitig mit der US-Zulassung erschien die WHO-Solidarity-Studie, deren Ergebnisse den erhofften positiven Einfluss von Remdesivir auf die 28-Tage-Mortalität nicht nachweisen konnten und die als Beleg für eine nur geringe Wirkung von Remdesivir gesehen wurde. In der Folge wurde Remdesivir in Deutschland bei COVID-19-Erkrankungen kaum eingesetzt. Schaut man aber in die Details der Studie, so kommen Zweifel an der Qualität der Studie. Da war in der Preprint-Publikation der Satz zu lesen: „The protocol was designed to involve hundreds of potentially over-stressed hospitals in dozens of countries. Hence, no form-filling was required, and trial procedures were minimal but rigorous [2]“. Eine ungewöhnliche Beschreibung der Datenerfassung, von der man in der endgültigen Publikation der Studie im New England Journal of Medicine nichts mehr las [3]. Heute gilt Remdesivir jedoch aufgrund zahlreicher kleinerer Studien als wirksam, wird klinisch routinemäßig eingesetzt und findet sich in Therapieempfehlungen der Vereinigten Staaten, Europa und vieler anderer hoch entwickelter Länder. Das war nach der Vorgeschichte nicht unbedingt zu erwarten.

Der Zulassungsweg für Nirmatrelvir / Ritonavir

Die Geschichte des PaxlovidTM mit dem antiviralen Wirkstoff Nirmatrelvir (PF-07321332) begann sehr früh in der Pandemie, im März 2020, etwa zur selben Zeit wie Remdesivir in klinischen Studien zur COVID-19-Behandlung in China und USA geprüft wurde. Remdesivir war eine im Fachjargon als Repurposed Compound bezeichnete Substanz. Ausgedrückt werden sollte damit, dass sie ursprünglich für einen anderen Zweck entwickelt worden war, im konkreten Fall gegen die ebenfalls viral bedingte Ebola-Infektion. Deswegen gab es für Remdesivir schon umfangreiche toxikologische und klinische Untersuchungen. Bei PaxlovidTM lag der Fall ganz anders: Die Verbindung PF-00835231 aus dem Jahre 2003 und insgesamt 20 strukturell ähnliche Substanzen wurden auf antivirale Aktivität geprüft, von denen sich PF-07321332 als geeignet für die weitere Entwicklung gegen SARS-CoV-2 anbot. Das war im Juli 2020. Der Weg zu einer oralen Verbindung war lang, weil PaxlovidTM eben kein Repurposed Drug war, sondern auf dem bekannten Weg einer Arzneimittelzulassung entwickelt wurde – mit einigen Abkürzungen. Am 22. Dezember 2021 wurde von der FDA ein Emergency Use ausgesprochen, der erst am 30. Mai 2023 auf Empfehlung eines FDA-Panels in eine reguläre Zulassung übergeführt wurde. Nirmatrelvir/Ritonavir wurde am 28. Januar 2022 unter „Besonderen Bedingungen“ (bedingte Zulassung) in der Europäischen Union zugelassen und konnte erst seit dem 27. Februar 2022 in Deutschland verordnet werden (s. Kasten „Die Zulassungsstudie für Nirmatrelvir/Ritonavir“).

Die Zulassungsstudie für Nirmatrelvir/Ritonavir

Die Zulassung beruhte auf der randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-II / III-Studie (EPIC-HR-Studie) mit nichthospitalisierten, symptomatischen, erwachsenen Teilnehmern mit laborbestätigter Diagnose einer SARS-CoV-2-Infektion, in der Nirmatrelvir/Ritonavir bei einem Therapiebeginn innerhalb von drei Tagen nach Symptombeginn die Hospitalisierungs-/Sterberate gegenüber Placebo von 6,5% auf 0,7% reduzierte, was einer relativen Risikoreduktion um 89% entspricht. Bei Therapiebeginn innerhalb von fünf Tagen nach Symptombeginn war die Wirksamkeit mit 6,3% gegenüber 0,8% ähnlich. Auch die Viruslast konnte in der Studie in der Verum- gegenüber der Placebo-Gruppe bei Therapiebeginn innerhalb von drei Tagen nach Symptombeginn in etwa um den Faktor 10 signifikant reduziert werden [4].

Das Präparat PaxlovidTM enthält eine pinkfarbene Filmtablette mit 150 mg Nirmatrelvir sowie eine weiße Filmtablette mit 100 mg Ritonavir. Die empfohlene Dosierung beträgt 300 mg Nirmatrelvir (zwei 150-mg-Tabletten) und 100 mg Ritonavir (eine 100-mg-Tablette) zur gleichzeitigen Ein­nahme alle zwölf Stunden über einen Zeitraum von fünf Tagen. Nirmatrelvir ist ein peptidomimetischer Inhibitor der SARS-CoV-2-Hauptprotease (main protease, Mpro, auch 3C-ähnliche-Protease 3CLpro genannt), die Teile viraler Polyproteine spaltet, sodass diese als Grundbausteine für den Aufbau eines neuen Virus zur Verfügung stehen. Werden diese Proteasen blockiert, wird die Virusreplikation verhindert. Der Partner Ritonavir ist schon lange als HIV-Protease-Inhibitor aus der HIV-Therapie bekannt: Ritonavir ist ein RNA-abhängiger RNA-Polymerase(RdRp)-Hemmer und inhibiert den CYP3A-vermittelten Metabolismus von Nirmatrelvir. Dadurch wird die Plasmakonzentration von Nirmatrelvir vervielfacht. Das ist notwendig, da die Konzentrationen, die mit Nirmatrelvir nach oraler Gabe erzielt werden, nicht ausreichen, um das Virus zu eliminieren. Eine simple Erhöhung der Dosis wäre aber ungeeignet, weil die notwendige Substanzmenge zu groß wäre und zum einen eine nicht mehr einnehmbare Tablette entstünde. Zum anderen ist eine Dosis­erhöhung nicht möglich, da solche Substanzmengen nur begrenzt resorbiert werden und unerwünschte Arzneimittelwirkungen im Gastrointestinaltrakt auftreten würden. Der CYP3A4-Inhibitor Ritonavir wird daher als Booster verwendet, der den Abbau von Nirmatrelvir hemmt. Da eine Vielzahl anderer Arzneistoffe über eben jenes CYP-Enzym metabolisiert wird, findet sich in der Fachinformation eine sechseinhalb DIN-A4-Seiten lange Liste mit unterschiedlich starken Arzneimittelinteraktionen mit Nirmatrelvir/Ritonavir. Die in der Fachinformation aufgeführten Interaktionen basieren überwiegend auf In-vitro-Daten. Humanstudien beispielsweise bei gesunden Probanden, die den zeitlichen Verlauf der Interaktionen beschreiben, liegen nur vereinzelt vor und wären hilfreich, um besonders schwere Interaktionen zu vermeiden.

Mehr Humanstudien waren aber unter dem Druck, PaxlovidTM schnell zum Patienten zu bringen, nicht möglich gewesen. In-vitro-Daten sind zwar ein probates Mittel, um die klinische Bedeutung von Interaktionen vorherzusagen, Informationen zum Verlauf der Interaktion und wie man schwere unerwünschte Wirkungen möglicherweise in vivo durch geschicktes Dosieren verhindern könnte, liefern sie allerdings nicht. Vorstellbar wäre es, durch eine besser strukturierte interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Apothekern und Ärzten Therapieregime zu erarbeiten, die den gleichzeitigen Einsatz von Nirmatrelvir/Ritonavir mit anderen Wirkstoffen möglich machen. Eventuell könnte man eine 24/7-Hotline mit speziell fortgebildeten Apothekern einrichten. Solche Überlegungen hatten die Autoren schon früh im vergangenen Jahr angestellt, als sich abzeichnete, dass die Ärzteschaft kritisch auf PaxlovidTM reagieren würde und eine fünftägige PaxlovidTM-Therapie aufwendig und kompliziert ist. Von den unterschiedlichen Organisa­tionen, natürlich auch vom Robert Koch-Institut (RKI), existieren inzwischen viele Listen zu den Interaktionen von Nirmatrelvir/Ritonavir.

Die „Gelbe Liste“ zum Beispiel klärte früh über Interaktionen auf, die klinisch als nicht so bedeutend einzuschätzen sind. So können zum Beispiel Antihypertensiva wie Amlodipin oder Ramipril, für die reichlich klinische Erfahrungen vorliegen, durchaus so dosiert werden, dass während der fünf Tage PaxlovidTM-Einnahme die Inhibition von CYP3A4 kontrolliert werden kann und damit ein vertretbares Risiko für die Patienten darstellt.

Es zeigte sich schon früh, dass mit klinischem Sachverstand viele der Interaktionen, die in den sechseinhalb Seiten der Fachinformation genannt werden, vernachlässigt werden können. Es gab gerade in den letzten Wochen sogar einige Studien, die andeuten, dass man PaxlovidTM sogar in Anwesenheit von Immunsuppressiva unter bestimmten Bedingungen einsetzen kann [5 – 8]. Es geht bei diesen Patienten im Falle einer COVID-19-Erkrankung schließlich um ihr Leben. Warum hat nicht jede Transplantationseinheit oder jede onkologische Klinik ein eigenes Labor für therapeutisches Drug Monitoring, damit die Konzentrationen der wichtigsten Immunsuppressiva oder Krebsmittel bestimmt werden können, um Nirmatrelvir/Ritonavir für die kurze Dauer von fünf Tagen zu verabreichen? In der gemeinsamen Untersuchung mit der Charité wurde eine PaxlovidTM-Therapie von HIV-Patienten mit Dialysepflicht vertragen [6]. Ähnlich konnte unsere Arbeitsgruppe am Anfang der Remdesivir-Therapie in einer Studie zeigen, dass dieses bei Dialyse­pflichtigkeit [9] auch bei einer geringeren Nierenfunktion als der in der Fachinformation beschriebenen Grenze von 30 ml/Minute mit engem Monitoring eingesetzt werden kann [8].

Neben der Interaktionsproblematik wurde als ein Nachteil einer Therapie mit Nirmatrelvir/Ritonavir der sogenannte PaxlovidTM-Rebound angeführt. Darunter versteht man, wenn ein unter Nirmatrelvir/Ritonavir abgeheilter Infekt nach einigen Tagen zurückkommt, in der Regel in milder Form. Uns erscheint der Rebound überbewertet, denn bei genauerem Hinsehen wurde festgestellt, dass ein Rebound auch bei Patienten ohne PaxlovidTM auftrat, und zwar nur geringfügig seltener [10]. Da einige prominente Persönlichkeiten wie US-Präsident Joe Biden und seine Frau Gill sowie der frühere NIH-Chef Anthony Fauci einen PaxlovidTM-Rebound erlebten, wurde dies auch in Deutschland zum großen Thema. Die FDA fordert jetzt Studien, um zu klären, ob bei auftretendem Rebound Nirmatrelvir/Ritonavir weiter verabreicht werden darf. Bei allen Untersuchungen, die zur Notzulassung geführt hatten, bleibt die Frage offen, ob eine Fünf-Tage-Therapie zu kurz sein könnte. Überraschend erscheint es nicht, dass auch bei einem Virostatikum die Therapiedauer zu kurz sein könnte. In den Medien wurde auch das Thema einer möglichen Resistenz von Remdesivir und PaxlovidTM aufgrund von In-vitro-Daten diskutiert, klinisch belegt werden konnte das bisher nicht.

Ausblick auf neue antivirale Anti-SARS-CoV-2-Wirkstoffe

Wie sieht es mit neuen Substanzen aus? Zwar werden viele Anti-SARS-CoV-2-Prodrugs entwickelt, doch dürften keine schon im kommenden Winter zur Verfügung stehen. Theoretisch sollten die beiden identischen Verbindungen der Firma Gilead (GS 621 763) und einer chinesischen Firma (VV116), die beide wie Remdesivir die RNA-abhängige Polymerase hemmen, Chancen auf eine gute Verträglichkeit haben, weil sie sich von GS 441 524 ableiten, dem Abbauprodukt von Remdesivir, das gut verträglich ist. VV116 war in einer direkten Vergleichsstudie bei gleicher Wirksamkeit wie PaxlovidTM besser verträglich [14]. Der Stand möglicher behördlicher Zulassungsverfahren ist nicht bekannt.

In Japan hat die Firma Shionogi nach Vorlage einer positiven klinischen Phase-III-Studie [13] eine Notzulassung für das oral zu verabreichende Präparat Ensitrelvir (S-217622) erhalten. Ensitrelvir hemmt wie Nirmatrelvir die virale Hauptprotease Mpro. Das Präparat hemmt auch CYP3A4, diese Eigenschaft liegt in dem Fall jedoch im virostatischen Molekül Ensitrelvir selbst und wird nicht wie bei PaxlovidTM durch eine zugegebene Substanz verursacht. Für Ensitrelvir wurde bereits bei Behörden eine Zulassung eingereicht, FDA (Emergency Use) und EMA (bedingte Zulassung) haben bisher – im Gegensatz zu Japan – noch keine Notzulassung ausgesprochen [15].

Die Kombination aus Nirmatrelvir und Remdesivir wird inzwischen in anderen Ländern ohne auffallende Meldungen bezüglich unerwünschter Wirkungen eingesetzt. Aus den Zulassungsdokumenten geht hervor, dass bei einer von zehn Personen, die eine PaxlovidTM-Behandlung erhalten haben, folgende typische UAW auftraten: veränderte Geschmackswahrnehmung bzw. Geschmacksstörungen (Dysgeusie), Durchfall, Kopfschmerzen, Erbrechen. Viel in den Medien diskutiert wurde das Auftreten eines metallischen Geschmacks. Diese Nebenwirkung kann auf Nirmatrelvir zurückgeführt werden und ist in der Tat sehr unangenehm. Es gibt Patienten, die die Therapie deshalb abgebrochen haben. Die anderen genannten unerwünschten Wirkungen sind bei vielen Arzneistoffen ähnlich, und es gibt keine Studien, die erklären können, welchen Beitrag Ritonavir dazu leistet. Es erscheint rückblickend bedauerlich, dass zu wenige Hausärzte Nirmatrelvir/Ritonavir abgegeben haben. Heute wird es in der Klinik eingesetzt, wenn kein erhöhter Sauerstoffbedarf erforderlich ist und ein schwerer Verlauf droht. Erfreulicherweise gibt es Kliniken, bei denen der Verbrauch von PaxlovidTM von Januar bis März 2023 (!) doppelt so hoch war wie im gesamten Jahr 2022, dennoch blieben die absoluten Zahlen weiter niedrig. Für den Einsatz von PaxlovidTM spricht eine im März 2023 publizierte Studie aus St. Louis/ USA zu Long-COVID [11]. In der Kohortenstudie mit 281.793 Personen mit einer SARS-CoV-2-Infektion war Nirmatrelvir (in PaxlovidTM) mit einem verringerten Risiko für Post-COVID bei ungeimpften, geimpften und geboosterten Personen sowie bei Personen mit primärer SARS-CoV-2-Infektion und Reinfektion verbunden.

Haltbarkeit von PaxlovidTM-Tabletten

Zuletzt ging durch die Medien die Frage, ob Gesundheitsminister Karl Lauterbach eventuell zu große Mengen PaxlovidTM für die Bundesrepublik eingekauft haben könnte und die große Zahl nicht gebrauchter Tabletten vernichtet werden müsse, da sie zu verfallen drohen. Die Diskussion um die chemische Stabilität war ein großes Thema, obwohl schon im Herbst 2022 Messungen des Herstellers und auch unserer Arbeitsgruppe zeigten, dass es diesbezüglich keinen Grund zur Sorge gab [12]. Wir haben unsere Untersuchungen mit einer der diskutierten Chargen Ende April 2023, also zum festgelegten Prüftermin, fortgesetzt und praktisch die gleichen Werte bei der Gehaltsbestimmung gefunden (102,6 ± 4,1%), wie bei den Untersuchungen im Herbst 2022 (100,3 ± 3,6%) (s. Tab.). Wünschenswert wäre es, dass die Stabilitätsuntersuchungen des Herstellers ausführlicher beschrieben werden und die Methodik wenigstens in Zügen dargestellt wird [13]. Es dürfte nicht zu spekulativ sein, wenn man für den nächsten Prüftermin im November 2023 annimmt, dass sich PaxlovidTM nicht zersetzt haben wird und vermutlich auch weit über diesen Zeitraum hinaus stabil ist. Der Hersteller Pfizer gab kürzlich bekannt, dass man von einer Stabilität von 24 Monaten gerechnet ab Freigabe der Charge ausgehen kann.

Tab.: Untersuchungen zur Haltbarkeit
Gehalt Nirmatrelvir (mg)
Wieder­findung (%)
Batch FX4614: Freigabe der Charge: Januar 2023, Bestimmung am 4. Oktober 2022
Mittelwert
150,4
100,3
Standardabweichung
5,350
3,6
Variationskoeffizient CV (%)
3,6
3,6
Batch FT0016: Freigabe der Charge: November 2022, Bestimmung am 18. April 2023
Mittelwert
154,0
102,6
Standardabweichung
6,213
4,1
Variationskoeffizient CV (%)
4,0
4,0

Wie geht es in Deutschland weiter?

Der Virologe Prof. Dr. Christian Drosten bewertete kürzlich die Einschätzung, dass die Omikron-Variante weniger gefährlich sei, ganz deutlich als falsch. Die milderen Verläufe seien das Ergebnis einer Hybrid-Immunität, also Impfung plus durchgemachte Infektion. Da man davon ausgehen muss, dass die Impfbereitschaft in der Bevölkerung zurückgeht, eventuell auch bei Risikogruppen, scheint es vernünftig, die nicht genau bekannte Zahl noch vorhandener oder aufgrund des Liefervertrages der Bundesregierung noch vom Hersteller zu liefernder PaxlovidTM-Packungen in der Hand des BMG nicht gedanklich schon abzuschreiben, nur weil sie aktuell nicht gebraucht werden oder sie – nach den in den Medien verbreiteten irreführenden Meldungen – zu verfallen drohen. Sie werden gebraucht und dürften auch in einem Jahr noch die Arzneibuchbedingungen für den Gehalt erfüllen. Oder sogar darüber hinaus (s. oben). In den nächsten Jahren werden nie da gewesene Mengen von Daten aus der Zeit der Pandemie aufgearbeitet werden. Wie dann retrospektiv betrachtet der Nutzen von PaxlovidTM oder Remdesivir in der Behandlung einer SARS-CoV-2-Infektion eingeschätzt wird, können wir heute noch nicht sagen. Aber das rechtfertigt nicht, die Substanz in den Lagerhäusern des Bundes zu belassen und wegen Nicht-Anwendung beim Patienten keine Lehren zu ziehen, wie man Wirkstoffe wie Nirmatrelvir und Remdesivir richtig einsetzt. Die gerade in Deutschland besonders diskutierten Nebenwirkungen werden weder durch Studien belegt noch finden sie weltweit Beachtung. Wie schön wäre es, bei den „Virostatika der zweiten Generation“, die derzeit entwickelt werden, nicht die gleichen Fehler zu wiederholen wie bei Remdesivir und Nirmatrelvir, die dann „Virostatika der ersten Generation“ heißen werden. |


Interessenkonflikte

Die Autoren versichern, dass sie von der Firma Pfizer keine Honorare oder Unterstützung für Forschungsprojekte erhalten haben.


Literatur

 [1] Beigel JH, Tomashek KM, Dodd LE, Mehta AK, Zingman BS, Kalil AC et al, ACTT-1 Study Group Members. Remdesivir for the Treatment of Covid-19 - Final Report. N Engl J Med 2020;383(19):1813-1826, doi: 10.1056/NEJMoa2007764, Epub 8. Oktober 2020, PMID: 32445440, PMCID: PMC7262788

 [2] Repurposed antiviral drugs for COVID-19: interim WHO Solidarity trial results. WHO Solidarity trial consortium, Pan H, Peto R, Abdool Karim Q, Alejandria M, Henao-Restrepo AM et al. as the members of the Writing Committee. medRxiv 2020.10.15.20209817, 15. Oktober 2020, doi: https://doi.org/10.1101/2020.10.15.20209817

 [3] Pan H, Peto R, Henao-Restrepo AM, Preziosi MP, Sathiyamoorthy V, Abdool Karim Q, Alejandria MM, Hernández García C, Kieny MP, Malekzadeh R, Murthy S, Reddy KS et al. (WHO Solidarity Trial Consortium). Repurposed Antiviral Drugs for COVID-19 - Interim WHO Solidarity Trial Results. N Engl J Med 2021;384:497-511, doi: 10.1056/NEJMoa2023184

 [4] Hammond J, Leister-Tebbe H, Gardner A, Abreu P, Bao W, Wisemandle W, Baniecki M, Hendrick VM, Damle B, Simón-Campos A, Pypstra R, Rusnak JM; EPIC-HR Investigators. Oral Nirmatrelvir for High-Risk, Nonhospitalized Adults with COVID-19. N Engl J Med 2022;386(15):1397-1408, doi: 10.1056/NEJMoa2118542

 [5] Sun F, Lin Y, Wang X, Gao Y, Ye S. Paxlovid in patients who are immunocompromised and hospitalised with SARS-CoV-2 infection. Lancet Infect Dis 2022;22:1279, doi: 10.1016/S1473-3099(22)00430-3

 [6] Tang Y, Li Y, Song T. Optimizing the use of nirmatrelvir/ritonavir in solid organ transplant recipients with COVID-19: A review of immunosuppressant adjustment strategies. Front Immunol 2023;14:1150341, doi: 10.3389/fimmu.2023.1150341

 [7] Lahmer T, Erber J, Schmid RM, Schneider J, Spinner CD, Luppa P, Sörgel F, Kinzig M, Rasch S. SARS-CoV-2 viral load dynamics in immunocompromised critically ill patients on remdesivir treatment. Multidiscip Respir Med 2022;17:825, doi: 10.4081/mrm.2022.825

 [8] Fishbane S, Hirsch JS, Nair V. Special Considerations for Paxlovid Treatment Among Transplant Recipients With SARS-CoV-2 Infection. Am J Kidney Dis 2022;79(4):480-482, doi: 10.1053/j.ajkd.2022.01.001

 [9] Lingscheid T, Kinzig M, Krüger A, Müller N, Bölke G, Tober-Lau P, Münn F, Kriedemann H, Witzenrath M, Sander LE, Sörgel F, Kurth F. Pharmacokinetics of Nirmatrelvir and Ritonavir in COVID-19 Patients with End-Stage Renal Disease on Intermittent Hemodialysis. Antimicrob Agents Chemother 2022;66(11):e0122922, doi: 10.1128/aac.01229-22, Epub 26. Oktober 2022

[10] Pandit JA, Radin JM, Chiang D, Spencer EG, Pawelek JB, Diwan M, Roumani L, Mina MJ. The COVID-19 Rebound Study: A Prospective Cohort Study to Evaluate Viral and Symptom Rebound Differences in Participants Treated with Nirmatrelvir Plus Ritonavir Versus Untreated Controls. Clin Infect Dis 2023 ciad102, doi: 10.1093/cid/ciad102, Online ahead of print

[11] Xie Y, Choi T, Al-Aly Z. Association of Treatment With Nirmatrelvir and the Risk of Post-COVID-19 Condition. JAMA Intern Med 2023;183(6):554-564, doi: 10.1001/jamainternmed.2023.0743

[12] Holzgrabe U, Sörgel F, Kinzig M. Paxlovid – wie stabil ist es eigentlich? DAZ 2022;42:20-21

[13] Larkin HD. Paxlovid Expiration Dates Extended. JAMA 2022;328(9):819

[14] Cao Z, Gao W, Bao H, Feng H, Mei S e tal. VV116 versus Nirmatrelvir-Ritonavir for Oral Treatment of COVID-19. N Engl J Med 2023;388:406-417, doi: 10.1056/NEJMoa2208822

[15] Yotsuyanagi H, Ohmagari N, Doi Y, Imamura T, Sonoyama T, Ichihashi G, Sanaki T, Tsuge Y, Uehara T, Mukae H. A phase 2/3 study of S-217622 in participants with SARS-CoV-2 infection (Phase 3 part). Medicine (Baltimore) 2023;102(8):e33024, doi: 10.1097/MD.0000000000033024

Autoren

Prof. Dr. Fritz Sörgel studierte Pharmazie an der Universität in Frankfurt am Main, Promotion am Pharmakologischen Institut für Naturwissenschaften bei Prof. Dr. Dr. Drs. h. c. Ernst Mutschler. Seit 1986 Leiter des Instituts für Bio­medizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg-Heroldsberg.

Dr. Martina Kinzig, Diplom-Chemikerin und Laborleiterin am Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung, Nürnberg-Heroldsberg

 

Lukas Kirchner, approbierter Apotheker, Doktorand bei Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe, seit 2023 Mitarbeiter am Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung, Nürnberg-Heroldsberg
 

Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe hat Chemie und Pharmazie studiert und hatte von 1999 bis 2022 den Lehrstuhl für Pharmazeutische und Medizinische Chemie in Würzburg inne.

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