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Engpassgesetz beschlossen – was steckt für die Apotheken drin?

Opposition kritisiert unzureichende Regelungen für Apotheken

ks | Das Arzneimittellieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) ist fast in trockenen Tüchern. Nachdem der Bundestag es am 23. Juni abschließend beraten und in der durch den Gesundheitsausschuss geänderten Fassung beschlossen hat, fehlen nun noch der letzte Durchgang im Bundesrat (7. Juli) und die Verkündung.

Das ALBVVG setzt sich bereits in seinem vollen Namen ambitionierte Ziele. Ob es aber wirklich dafür sorgen kann, die Engpässe langfristig in den Griff zu bekommen, wird von vielen Seiten bezweifelt. Es setzt unter anderem auf ein neues Frühwarnsystem, erhöhte Bevorratungspflichten für Hersteller und Großhandel, gelockerte Preisregeln bei Kinderarzneimitteln und Anreize für eine Produktion in Europa.

Lauterbach: Zu lange gewartet

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erklärte in der Bundestagsdebatte am vergangenen Freitag erneut, dass es falsch gewesen sei, dass die Politik so lange vor einer gesetzlichen Regelung zurückgescheut sei. Lieferengpässe gebe es schon lange, doch man habe auf Selbstverpflichtungen und Abmachungen gesetzt. Dass mittlerweile Krebsmedikamente, Kinderarzneimittel und Antibiotika hierzulande nicht zu haben seien, sei eine unhaltbare Situation. Nun werde man die Probleme ursächlich bekämpfen. Dass durch die ausgesetzten Rabattverträge und Festbeträge für Kinder die Preise steigen, hält er für vertretbar: „Wenn wir hier sparen, ist das nicht ethisch“. Zudem gelte jetzt ganz allgemein für Rabattverträge, dass Hersteller sich mit den rabattierten Arzneimitteln für sechs Monate bevorraten müssen. Wer das nicht könne, bekomme keinen Vertrag.

Schnellere Genehmigungen für Medizinalcannabis

Der Minister sprach zudem drei Änderungsanträge an: So sollen Notfall­sanitäter künftig z. B. bei schweren Unfällen selbst Betäubungsmittel verabreichen können, wenn kein Arzt oder keine Ärztin verfügbar ist. Zudem soll die Genehmigung von Medizinalcannabis beschleunigt werden – zwei Wochen bleiben den Kassen dafür im Regelfall künftig. Überdies können die Länder künftig Modellvorhaben zum Drug-Checking durchführen – Lauterbach verspricht sich hiervon weniger Drogentote. Die Apotheken kamen, anders als bei den nachfolgenden Rednerinnen und Rednern, beim Minister nicht zur Sprache.

Abgeordnete der Oppositionsfraktionen kritisierten das ALBVVG. Georg Kippels (CDU) sprach von einem „Placebo“ mit einem sehr begrenzten Wirkungsgrad. Auch die neue Regelung zu Nullretaxationen ist für ihn eine „Mogelpackung“ und „zu kurz gesprungen“. Es verbleibe eine Reihe von Fallgestaltungen, in denen nicht einleuchtend sei, dass für die korrekte Versorgung von Patienten keine Vergütung gezahlt werden solle.

Stöcker (CDU): Gestärkte Vor-Ort-Apotheken statt Kioske

Auch Kippels’ Fraktionskollegin Diana Stöcker stellte sich offensiv auf die Seite der Apotheken. Sie leisteten höchste Anstrengungen, betonte sie. Daher müssten der Zusatzaufwand bei Engpässen „und vor allem das Fixum dringend erhöht werden, um den Apotheken eine Zukunft zu geben“. Mit Blick auf die vom Bundesgesundheitsminister forcierten Gesundheitskioske machte Stöcker deutlich: Was nutzen solche Parallelstrukturen? Mit den Apotheken habe man bereits ein Netz niederschwelliger Anlaufstellen – sie seien die bessere Alternative zu Kiosken und noch flächendeckend erreichbar. „Streichen Sie die Idee der Gesundheitskioske und stärken Sie die Apotheken vor Ort“, so ihr Appell an die Ampel.

In die Kritik reihte sich auch Jörg Schneider von der AfD-Fraktion ein. Er forderte nicht nur ganz grund­sätzlich: „Weg mit diesen Rabattverträgen!“. In Richtung Regierung sagte er auch: „Wir werden Sie daran messen, inwiefern es Ihnen gelingt, dieses Apothekensterben aufzuhalten“. Ates Gürpinar (Linke) kritisierte, dass die Regierung offenbar denke, mehr Geld für die Pharmaindustrie löse das Problem.

Piechotta (Grüne): Supranationale Lösungen nötig

Paula Piechotta (Grüne) entgegnete der Kritik: Das Gesetz tue gar nicht so, als ließen sich alle weltweit existierenden Probleme von Arzneimittel-Engpässen national lösen. Mit ihm könne nur geregelt werden, was national regelbar sei, und das könne helfen, mit den Engpässen in Deutschland besser umzugehen. Aber den globalen Problemen könne man nur supranational Herr werden – hier setzt Piechotta auf das EU-Pharmapaket, das jetzt schnell und unverwässert kommen müsse. Ausdrücklich adressierte sie auch die Apotheken – für sie bringe das ALBVVG „enorme Verbesserungen“, insbesondere mit den verstetigten erweiterten Austauschregeln. Aber auch mit der Abschaffung von Nullretaxationen und des Präqualifizierungsverfahrens sorge man für den bereits im Koalitionsvertrag versprochenen Bürokratieabbau – und zwar vor einem ausdrücklichen Bürokratieentlastungsgesetz.

Lars Lindemann, apothekenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, betonte, dass man Apotheken bei den neuen Regelungen zu den erhöhten Bevorratungspflichten bewusst ausgenommen habe (anderes gilt allerdings für Krankenhausapotheken und krankenhausversorgende Apotheken). Er rechtfertigte den 50-Cent-Engpass-Zuschlag – man hätte den „entsprechenden Rahmen“ akzeptieren müssen.

Die wichtigsten Neuerungen für Apotheken

Und was erwartet die Apotheken nun? Immerhin in drei wichtigen Punkten will man ihnen das Leben leichter machen: mit den künftig in § 129 Sozialgesetzbuch V gesetzlich verstetigten Austauschregeln im Fall von Engpässen, der Einschränkung von Nullretaxationen und dem weitgehenden Aus für die Präqualifizierung.

Was die neuen Austauschregeln betrifft, die am 1. August in Kraft treten sollen, so bleibt im direkten Vergleich mit der gewohnten Pandemie-Regelung folgende Vorgabe gleich:

Apotheken dürfen ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt von der ärztlichen Verordnung im Hinblick auf Folgendes abweichen, sofern hierdurch die verordnete Gesamtmenge des Wirkstoffs nicht überschritten wird:

  • die Packungsgröße, auch mit einer Überschreitung der nach der Packungsgrößenverordnung maßgeblichen Messzahl,
  • die Packungsanzahl,
  • die Abgabe von Teilmengen aus der Packung eines Fertigarzneimittels, soweit die verordnete Packungs­größe nicht lieferbar ist, und
  • die Wirkstärke, sofern keine pharmazeutischen Bedenken bestehen.

Allerdings wird nicht mehr auf die „Vorrätigkeit“ des laut Verordnung abzugebenden Arzneimittels abgestellt. Die neuen Austauschregeln gelten nun bei „Nichtverfügbarkeit“. Diese liegt vor, wenn bei zwei unterschiedlichen Großhändlern nachgefragt wurde, aber eine Beschaffung in angemessener Zeit nicht möglich ist. Wer nur von einem vollsortierten Großhandel versorgt wird, bei dem reicht eine Nachfrage. Zudem entfällt der bislang nach Arztrücksprache noch mögliche Austausch gegen ein pharmakologisch-therapeutisch vergleichbares Arzneimittel, wenn ein wirkstoffgleiches nicht zu haben ist.

Wann sind (Null-)Retaxationen ausgeschlossen?

Dass eine Nullretaxation ausgeschlossen ist, wenn die vorgesehenen Verfügbarkeitsanfragen beim Großhandel unterbleiben, sieht ein weiterer neuer Absatz des § 129 SGB V vor. Lediglich die Apothekenvergütung (Fix- und prozentualer Zuschlag) kann die Kasse dann verweigern – das Arzneimittel selbst muss sie aber bezahlen. Dasselbe gilt, wenn das verschriebene Arzneimittel trotz eines vorhandenen preisgünstigen beziehungsweise trotz eines vorrangigen Rabattvertrags von der Apotheke nicht ausgetauscht wurde. Zudem werden fünf Fälle genannt, in denen Retaxationen gänzlich zu unterbleiben haben, nämlich wenn

  • die Dosierangabe auf der Verordnung fehlt,
  • das Ausstellungsdatum der Verordnung fehlt oder nicht lesbar ist,
  • die gewöhnliche Belieferungsfrist um bis zu drei Tage überschritten wird (Ausnahmen u. a. bei BtM),
  • die Abgabe des Arzneimittels vor der Vorlage der ärztlichen Verordnung erfolgt oder
  • die Genehmigung der zuständigen Krankenkasse bei Abgabe des Arzneimittels fehlt und diese nachträglich erteilt wird.

ABDA-Präsidentin zieht gemischtes Fazit

ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening zog in einem Videostatement ein gemischtes Fazit. Es sei zwar begrüßenswert, dass die Apotheken mehr Freiheiten bekämen und entbürokratisiert werden. Aber eine angemessene Wertschätzung und eine auskömmliche Honorierung erhielten sie noch immer nicht. „Die nun beschlossenen 50 Cent für das Engpassmanagement sind und bleiben eine Missachtung unserer Arbeit“, so Overwiening. Die ABDA-Präsidentin weiter: „Es muss sich für junge Menschen auch in fünf oder zehn Jahren noch lohnen, eine Apotheke zu gründen und diese mehrere Jahrzehnte lang zu betreiben. Wir sind es unseren Patientinnen und Patienten, aber auch unserem eigenen Nachwuchs, schuldig, dass wir für den Erhalt der wohnortnahen Versorgung durch unsere Apotheken kämpfen. Deswegen werden wir auch während der Sommerpause im Rahmen von gezielten Aktionen immer wieder auf unsere Forderungen hinweisen und stehen zusammen, um im Herbst eine neue Protestwelle auszurollen. Aber wir sind auch weiterhin gesprächsbereit.“ |

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