Arzneimittel und Therapie

Süße Gefahr Erythrit?

Zuckeraustauschstoff ist mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko assoziiert

Der Zuckeraustauschstoff Erythrit erhöhte in einer Studie das Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse wie Herzinfarkt und Schlaganfall. Sollte man beim kalorien­armen Süßen mit Erythrit zurückhaltender sein?

Erythrit: süß, ohne Kalorien, nicht kariogen. Diese Vorteile des Zucker­alkohols nutzt man gerne, um mit ihm Zucker zu ersetzen und Lebensmittel dadurch kalorienärmer zu machen. Zudem beeinflusst Erythrit den Blutzucker- und Insulin-Spiegel nicht – wodurch das Süßungsmittel auch für Menschen mit Diabetes attraktiv ist. Auch ist Erythrit für den Magen-Darm-Trakt gut verträglich: 90% des Erythrits nimmt der Dünndarm auf, um es anschließend über die Nieren auszuscheiden, und nur 10% verbleiben im Dickdarm, können dort „stören“ und Blähungen und Durchfall verursachen.

Doch hat man sich über das kalorienfreie Süßungsmittel zu früh gefreut? Einer Ende Februar 2023 im Fachjournal Nature medicine veröffentlichten Studie zufolge erhöht Erythrit das Risiko für Blutgerinnsel (Thromben), Herzinfarkte und Schlaganfälle [1]. Zu diesem Ergebnis kamen die Wissenschaftler, nachdem sie bei 1157 Patienten mit koronarer Herzkrankheit (aus der GATC-Studie: „Molecular Determinants of Coronary Artery Disease“) das Metabolom – die Gesamtheit aller Stoffwechseleigenschaften einer Zelle – analysiert hatten und untersuchten, welche Stoffwechselprodukte mit späteren schweren Herz-Kreislauf-Ereignissen (MACE: major adverse cardiovascular events) wie Tod, nicht tödlichem Herzinfarkt oder Schlaganfall zusammenhängen.

Foto: Виктория Попова/AdobeStock

Erythrit wird gerne als natürliches, kalorienfreies Süßungsmittel beworben.

Erhöhte Erythritspiegel = erhöhte Herzinfarktgefahr?

Dabei stießen sie auf Erythrit: Patienten mit einem schweren kardiovaskulären Ereignis innerhalb von drei Jahren zeigten erhöhte Konzentrationen von Erythrit im Blut, und das Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse war für den Zuckeraustauschstoff 3,22-mal so hoch (Hazard Ratio = 3,22). Daraufhin untersuchten die Wissenschaftler zwei weitere Kohorten – eine aus den Vereinigten Staaten (2149 weitere Teilnehmer der GATC-Studie) und eine aus Deutschland (833 Teilnehmer der LipidCardio-Studie). Auch diese Menschen wiesen bereits kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Diabetes und Adipositas auf, waren jedoch kardiovaskulär stabil und hatten sich einer elektiven Untersuchung unterzogen. Das Ergebnis: Auch in diesen Studien fanden die Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen erhöhten Erythrit-Spiegeln im Blut und Herz-Kreislauf-Ereignissen. Dabei zeigten jedoch lediglich die obersten 25% ein statistisch signifikant erhöhtes Herz-Kreislauf-Risiko mit Erythrit-Spiegeln bis 46 Mikromol (US-Kohorte) beziehungsweise 137 Mikromol (deutsche Kohorte), drei Viertel der untersuchten Teilnehmer nicht (Ery­thrit-Spiegel bis 6 Mikromol).

Die Wissenschaftler machten sich dann auf die Suche nach dem zugrunde liegenden Mechanismus und testeten in vitro (im Reagenzglas), wie sich Erythrit auf Blut und Blutplättchen (Thrombozyten) auswirkt – da sowohl Herzinfarkt als auch Schlaganfall kardiovaskuläre Ereignisse sind, die typischerweise mit einer Störung der Blutgerinnung einhergehen. Sie konnten tatsächlich zeigen, dass der Zuckeraustauschstoff mit steigender Konzentration die menschliche Thrombozytenaggregation fördert und es zu einer beschleunigten Gerinnungsbildung kommt, was sich tierexperimentell an Mäusen bestätigte. Zuletzt führten die Studienautoren noch eine kleine prospektive Studie mit acht gesunden Probanden durch, die ein mit 30 g Erythrit gesüßtes Getränk konsumierten, was laut den Wissenschaftlern einer handelsüblichen Getränkedose entspricht. Und auch hier: Der Erythrit-Spiegel im Blut stieg um den Faktor 1000, hielt sich über zwei Tage erhöht, und die Blutplättchen veränderten ihre Aktivität signifikant.

Einschätzung eines Experten

Was tun mit diesen Ergebnissen? Ist es Zeit, dass die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ihr positives Gutachten zu Erythrit von 2015 überarbeitet?

Das Science Media Center hat Wissenschaftler gebeten, die Studienergebnisse einzuordnen, darunter auch Dr. Stefan Kabisch, Studienarzt in der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin, Campus Benjamin Franklin an der Berliner Charité. Er erklärte: „Hohe Erythrit-Spiegel standen in statistischer Beziehung mit einem höheren Risiko für Herz-Kreislauf-­Erkrankungen, die typischerweise durch Störungen der Blutgerinnung begleitet sind“, doch könnten die Ergebnisse auch auf möglichen Störgrößen beruhen, denn: Typischerweise seien Personen mit hohem Konsum von Zuckerersatzstoffen adipöser, metabolisch kränker und hätten einen insgesamt ungesünderen Lebensstil [2]. Doch: Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass bei „sehr hoher Erythrit-Dosis“ die Erythrit-Zufuhr tatsächlich bestimmte Gerinnungsprozesse stimuliert“, was einen ursächlichen Zusammenhang untermauere.

Woher kommt das Erythrit?

Der Erythrit-Spiegel im Blut setzt sich zusammen aus durch Nahrung aufgenommenes Erythrit (natürlich oder durch Zusatz) und der körpereigenen Produktion. Könnten die Patienten mit schweren kardiovaskulären Ereignissen und erhöhten Erythrit-Spiegeln nicht vielleicht eine hohe endogene Erythrit-Produktion haben? Kabisch denkt allerdings, dass die in der Studie eingesetzte Dosis – verglichen mit den Spiegeln der Kohorten – „äußerst hoch und somit von den meisten Menschen nicht durch die Ernährung erreichbar“ sei.

Zu früh für eine Warnung

Der Studienarzt weist darauf hin, dass die Kohorten aus Hochrisikopatienten bestanden, für gesündere Menschen sei der „Risikozusammenhang sehr wahrscheinlich geringer“. Dennoch hält er die Publikation für einen „wichtigen, ja überfälligen Impuls“, auch bereits zugelassene Nahrungsmittel-Zusatzstoffe wie Süßungsmittel intensiver zu beforschen. Und: „Für eine Warnung vor Zuckerersatzstoffen ist es zu früh. Der Wechsel zurück zum Zucker ist vermutlich nicht der gesündere Weg.“ |

Literatur

[1] Witkowski M et al. The artificial sweetener erythritol and cardiovascular event risk. Nat Med 2023, doi: 10.1038/s41591-023-02223-9

[2] Zuckerersatz und kardiovaskuläre Erkrankungen. Informationen des Science Media Centers, 27. Februar 2023

Apothekerin Celine Bichay

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