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Arzneimittel und Therapie
Gastrointestinale Beschwerden und übler Geruch
Cystagon-Charge zurückgerufen
Am 23. Februar 2023 hat die Firma Recordati Rare Diseases in Absprache mit der Europäischen Arzneimittel-Agentur und dem Regierungspräsidium Tübingen in einem Rote-Hand-Brief mitgeteilt, dass das Unternehmen die Charge T2208 des Medikaments Cystagon® 150 mg zurückruft, nachdem in der Türkei acht Fälle von gravierenden gastrointestinalen Nebenwirkungen aufgetreten seien, die zur Hospitalisierung geführt haben [1]. Aufgefallen war zudem ein übermäßig schlechter Geruch der Kapseln. Die betroffene Charge wurde in der EU bisher nur in Italien in den Verkehr gebracht. Aber auch im Zusammenhang mit anderen Chargen wurde von einem schlechten Geruch und außerdem von zerbrochenen Kapseln sowie einem nicht schwerwiegenden Fall von gastrointestinalen Nebenwirkungen berichtet.
Orphan Disease Cystinose
Das Mittel enthält den Wirkstoff Mercaptaminbitartrat (auch Cysteaminbitartrat), der gegen die Orphan Disease Cystinose eingesetzt wird. Bei dieser Speicherkrankheit akkumuliert Cystin, die Disulfid-Form der Aminosäure Cystein, aufgrund eines Defektes des Cystin-Transporters in den Lysosomen der Körperzellen, besonders in den Nieren. In den meisten Fällen manifestiert sich die Krankheit schon im Säuglingsalter u. a. mit vermehrter Urinausscheidung, Durst und Rachitis und führt langfristig zur Nierenschädigung. Die Krankheit tritt äußerst selten auf, die Charité berichtet von nur 120 betroffenen Familien in Deutschland [2]. Mercaptamin verzögert den Verlauf. Der Wirkstoff spaltet Cystin und bildet mit den Cystein-Molekülen Mischsulfide, die dann durch den Lysin-Transporter aus den Lysosomen geschafft werden können [3].
Kein Qualitätsmangel
Gastrointestinale Nebenwirkungen mit dem Wirkstoff sind bekannt. Dass sie aber in den berichteten Fällen besonders schwer auftraten, veranlasste den Konzern, die Charge zurückzuziehen und den Vertrieb aller zur gleichen Zeit produzierten Chargen einzustellen. Bei einer Untersuchung konnte jedoch kein Qualitätsmangel festgestellt werden, so der Hersteller. Die Geruchsproblematik hingegen kann erklärt werden. Der Wirkstoff Cysteamin selbst und noch mehr dessen Abbauprodukt Cystamin riechen als Disulfide äußerst unangenehm. Aber warum rochen die Kapseln unangenehmer also sonst?
Fehlende Aktivkohle
In dem Rote-Hand-Brief wird ausgeführt, dass der Hersteller das Fehlen von schwarzer Aktivkohle im Verpackungsgefäß als Ursache für den starken Geruch identifiziert habe. Die Kohle absorbiert den unangenehmen Geruch. 2021 hat die Firma ihre Produktion umgestellt und verpackt das Arzneimittel seitdem nur noch zusammen mit dem Trockenmittel Siliciumdioxid im Behälterverschluss und nicht mehr in der Kombination Siliciumdioxid und Aktivkohle in einem in der Flasche befindlichen 2-in-1-Behälter. Zum Ausgleich verdoppelte der Hersteller die Menge des Trockenmittels, was die gebrochenen Kapseln erkläre. Hartgelatinekapseln werden unterhalb einer Luftfeuchte von 40% im Verpackungsbehältnis brüchig [4].
Recordati betont, dass die Anwendung sicher sei. Als Korrekturmaßnahme wird der Hersteller ab April zum alten Design des Behältnisses mit Aktivkohle zurückkehren. Um bis dahin mögliche Engpässe zu vermeiden, werden Chargen, die unter Verwendung eines anderen Wirkstofflieferanten hergestellt wurden, in den Verkehr gebracht. Diese werden derzeit in europäischen Ländern vertrieben, ohne dass es zu ähnlichen Beschwerden gekommen sei, so der Hersteller. |
Literatur
[1] Rote-Hand-Brief zu Cystagon 150 mg Kapseln der Firma Recordati Rare Diseases: Rückruf der Charge T2208. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, 27. Februar 2023
[2] Allgemeines zu Cystinose. Informationen der Charité Universitätsmedizin Berlin, nephrologie-intensivmedizin.charite.de/fuer_patienten/sprechstunden/cystinose/
[3] Fachinformation Cystagon 150 mg Hartkapseln, Stand: Oktober 2021
[4] Kontny MJ, Mulski CA. Gelatin capsule brittleness as a function of relative humidity at room temperature. Int J Pharm 1989;54(1):79-85
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