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Beratung

Achtung, heiß!

Verbrennungen von Kindern leitliniengerecht behandeln

Das herabhängende Kabel des Bügeleisens, die Rotlichtlampe, Töpfe auf dem Herd, heißes Badewasser oder der erwärmte Brei in der Mikrowelle: Alltägliche Dinge, die gleichzeitig potenzielle Gefahrenquellen für schwere Verbrennungen bei Kindern darstellen. Doch was ist zu tun, wenn sich der kleine Weltentdecker verbrannt hat, wo sind die Grenzen der Selbstmedikation und wie können betroffene Familien in der Nachbehandlung nach der Klinikentlassung beraten werden? | Von Marina Buchheit-Gusmão

Welches Elternteil kennt das nicht: Eine Sekunde nicht aufgepasst, und schon hat der Nachwuchs beim morgend­lichen Frühstück mit erstaunlicher Zielgenauigkeit die heiße Kaffeetasse ins Visier genommen. Zum Glück geht die Situation meist gut aus, und in letzter Sekunde kann dem Sprössling die heiße Gefahr entzogen werden. Was aber, wenn man nicht schnell genug war, und der Nachwuchs zu einem der etwa 30.000 Kindern und Jugend­lichen unter 15 Jahren gehört, die jährlich eine thermische Verletzung (70% davon Verbrühungen) erleiden? Zunächst gilt es, Ruhe zu bewahren, und den Patienten aus der Gefahrenzone zu entfernen. Anders als bei Verbrennungen, bei der eingebrannte Kleidung nicht entfernt werden darf, muss das Kind bei Verbrühungen mit heißen Flüssigkeiten umgehend entkleidet werden (einschließlich der Windel), um weiteres Ausbreiten der heißen Flüssigkeit auf der Körperoberfläche zu vermeiden. Nach Überprüfung und Sicherung der Vitalfunktionen sollte eine erste Einschätzung des Ausmaßes der thermischen Verletzung erfolgen. Orientierung bietet hier die Handflächenregel, bei der eine Handfläche des Verletzten inklusive Fingern einem Prozent Körperoberfläche (KOF) entspricht (s. Abb. 1). Bei schweren Verletzungen sollte umgehend der Rettungsdienst alarmiert werden, bei kleineren Verletzungen reicht der Besuch beim Kinderarzt aus.

Abb. 1: Mithilfe der Neuner-Regel nach Wallace lässt sich das prozentuale Ausmaß der verbrannten Hautoberfläche ermitteln. Dabei entspricht bei Kindern eine Handfläche inklusive Fingern 1% der Körperoberfläche (KOF) [www.paulinchen.de].

Wann Kühlung kontraindiziert ist

Um den Schmerz zu lindern, können kleinflächige Verbrennungen lokal innerhalb der ersten 30 Minuten bis zum Eintreffen des Notarztes mit handwarmem Wasser (ca. 20 °C) gekühlt werden. Um die Körpertemperatur zu erhalten, sollte auf Eis und Gelpads verzichtet werden. Aufgrund des Risikos einer Hypothermie, die signifikant mit einer erhöhten Letalität einhergeht, ist bei großflächigen Verbrennungen > 15% KOF, bei Kleinkindern, Säuglingen oder bewusstlosen Personen jede Kühlung absolut zu vermeiden. Niemals sollten Ersthelfer Mehl, Zahnpasta, Öl oder andere Hausmittel auf die Verbrennung geben, da diese die spätere Wundheilung stören. Stattdessen sollte das betroffene Hautareal mit einem keimfreien Verbandstuch locker abgedeckt werden.

Nachdem der Notarzt eingetroffen ist, hat die Schmerzstillung oberste Priorität. Eingesetzt werden laut Leitlinie bei Kindern intravenöses, intraossäres, intranasales oder rektales Ketamin sowie Opiate (z. B. Fentanyl). Um das Risiko eines Volumenmangelschocks zu reduzieren, bekommen Kinder ab 10% verbrannter Körperoberfläche eine Volumensubstitution mit Ringeracetat-Lösung. Je nach Verletzung, Alter und Begleitverletzungen werden die betroffenen Kinder dann gegebenenfalls in eine der 26 spezialisierten Kliniken für Brandverletzungen gebracht. Dort wird neben Lokalisation und der Ausdehnung der Verbrennung in Prozent der Körperoberfläche (VKOF) auch die Tiefe der Verbrennung in vier Graden bestimmt (s. Abb. 2). Bei Verbrühungen erfolgt die endgültige Beurteilung erst nach einigen Tagen, da eine sichere Bewertung der Tiefe des Ge­webeschadens kurz nach dem Unfall nicht möglich ist (Fläche wird oft überschätzt, Tiefe unterschätzt). Auch treten bei Verbrühungen häufig mehrere Stadien parallel mit fließendem Übergang auf.

Abb. 2: Verbrennungsgrade Je nach Höhe der Temperatur und Zeitdauer der Hitzeeinwirkung entstehen Gewebeschäden in unterschiedlichen Hautschichten. Bei Grad-1-Verbrennungen ist nur die Epidermis geschädigt, es kommt zur Rötung, Schwellung und starken Schmerzen. Verbrennungen der Dermis unterteilt man in „oberflächlich“ (2a: Blasenbildung, feuchter hyperämischer Wundgrund, prompte Rekapillarisierung, Hautanhangsgebilde intakt, starker Schmerz) und „tief“ (2b: Fetzenförmige Epidermolyse, Blasenbildung, weißlicher, feuchter Wundgrund, gestörte Rekapillarisierung, Hautanhangsgebilde partiell vorhanden; mäßiger Schmerz). Während beim schmerzlosen Grad 3 trockene, weiße Hautnekrosen und Verlust von Hautanhangsgebilden bis hin zur Verkohlung auftreten, können bei Grad 4 auch Unterhautfettgewebe, Muskeln, Sehnen, Knochen und Gelenke geschädigt sein [www.paulinchen.de].

Tiefe der Verbrennung entscheidet über Therapie

Die Therapie richtet sich nach der Ausdehnung, Tiefe und Lokalisation der Verletzung. So heilen Verbrennungen 1. Grades – zu denen beispielsweise auch der Sonnenbrand gehört – in der Regel nach etwa fünf bis zehn Tagen ab, wenn pflegende Salben aufgetragen werden. Gleiches gilt für Verbrennungen vom Grad 2a, bei denen es zu einer oberflächlichen Blasenbildung kommt. Diese heilen unter konservativer Salbenbehandlung ohne Operation innerhalb von zwei bis drei Wochen ab. In der Selbstmedikation für Verbrennungen 1. und 2. Grades bieten sich (auch schon für Säuglinge) beispielsweise das Brand- und Wundgel® Medice, das Wala Brand- und Wundgel sowie Medigel® schnelle Wundheilung an. Grundsätzlich sollte bei Kindern mit Verbrennungen 2. Grades mit Blasenbildung ab einer Größe, die den Handteller überschreitet (1% KOF), ein Arzt hinzugezogen werden. Zum Einsatz kommen zudem wundheilende Cremes und Sprays (z. B. Panthenol-ratiopharm® Wundbalsam, Bepanthen® Kühlendes Schaumspray), Wundgele (z. B. Prontosan® akut Wundgel mit Polihexanid) oder antiseptische Gele (z. B. Octenilin® Wundgel). Bei größeren Verbrennung vom Typ 2a wird vor dem Auftragen der Salbe die Wunde unter Narkose mit Schwämmen und Bürsten ge­reinigt (Débridement), um die Brandblasen, nekrotisches Gewebe sowie Fremdkörper und Verunreinigungen zu entfernen, die die Wundheilung negativ beeinflussen können. Neben den genannten Externa kommen dann auch Okklusivverbände mit inaktiven, aktiven oder biologischen Managementsystemen zum Einsatz. Um Infektionen rechtzeitig zu erkennen, sollte die Wunde regelmäßig auf Rötungen, Schwellungen oder Schmerzen untersucht werden. Verbrennungen vom Typ 2b und 3 müssen zeitnah operativ behandelt werden. In Abhängigkeit von Lokalisation und Tiefe der Verbrennung erfolgt ein Wundmanagement mit aktiven oder biologischen Verbandsystemen. Zudem kann eine Hauttransplantation (bei Kindern hauptsächlich vom behaarten Kopf als Entnahmestelle) notwendig sein. Eine antibiotische Therapie erfolgt in allen Stadien nur bei nachgewiesenen Superinfektionen oder positiver Blutkultur entsprechend dem Antibiogramm, eine prophylaktische Gabe von Antibiotika ist nicht empfohlen. Vor und während Hautersatzverfahren sollte die Haut auf eine mögliche asymptomatische bakterielle Besiedlung untersucht werden und gegebenenfalls lokal antimikrobiell behandelt werden.

Kein Flammazine® für Neugeborene und Schwangere!

Häufig bekommen Brandverletzte Flammazine® auf Rezept verordnet. Die Creme enthält als Wirkstoff Sulfadiazin-Silber, welches mögliche Infektionen der verletzten Haut verhindern soll. Für Neugeborene sowie Frühgeborene ist Flammazine® jedoch kontraindiziert. Grund dafür ist das enthaltene Sulfonamid, das die Bilirubin-Albumin-Bindung aufhebt. Die daraus folgende Ablagerung von unkonjugiertem Bilirubin in den Basalganglien und den Hirnstammkernen (Kernikterus) kann zu schweren Schädigungen des Gehirns führen. Da Sulfonamide in allen Phasen der Schwangerschaft über die Plazenta zum Fötus gelangen, gilt die Kontraindikation auch für Schwangere [6].

Und nach der Entlassung?

Auch nach Verlassen des Krankenhauses müssen die Wundbereiche, die Transplantate sowie deren Entnahmestellen regelmäßig kontrolliert werden. Um Funktionsdefizite bei verbrannten Gelenken vorzubeugen, muss rechtzeitig mit Physiotherapie und Ergotherapie begonnen werden. Psychotherapie hilft Kindern und Eltern, das traumatische Ereignis zu verarbeiten. Um stigmatisierende Narben zu vermeiden, sollten sich Betroffene streng an die Entlassempfehlungen der Klinik halten. Neben der Pflege der Narben mit Wasser und milder Seife erfolgt in der Regel auch eine Kompressionsbehandlung, die unmittelbar nach der Verheilung der offenen Stellen begonnen wird. Die nach Maß angefertigten Kompressionsbandagen müssen bis zur vollständigen Inaktivierung der Narbe (etwa ein bis zwei Jahre nach dem Unfall) über 24 Stunden am Tag getragen werden. Der konstante Druck fördert dabei die parallele Anordnung der kollagenen Fasern und verhindert so, dass die Narben hypertroph werden – die Narben erscheinen somit bei regelmäßigem Gebrauch heller, weicher und glatter. Für optimale Ergebnisse ist die langfristige Motivation des Kindes und der Eltern entscheidend. Ein guter Tipp: Damit Betroffene nicht das Gefühl haben, die Behandlung stockt, sollte die Narbe regelmäßig fotografiert werden, um auch kleine Fortschritte sichtbar zu machen. Da die körpereigene Rückfettung der Haut durch die Verletzung gestört ist, und um die Haut elastisch zu halten, müssen die Narben mehrfach täglich mit fettenden und feuchtigkeitsspendenden Externa (z. B. Panthenol Wund- und Heilcreme Jenapharm®) behandelt werden. Für eine optimale Narbenentwicklung sollten die betroffenen Areale dabei unter leichtem Druck massiert werden (die entsprechende Technik wird den Familien in der Physiotherapie sowie in der Klinik gezeigt). Silikongele sowie Silikonauflagen sollten erst nach vollständiger Epithelisierung der Wunden verwendet werden. Wichtig ist in der Beratung, dass diese Produkte die tägliche Pflege nicht ersetzen können. Zwar ist die Evidenz solcher Silikonprodukte schwach, es gibt jedoch Hinweise, dass die Narbendicke und -farbe bei hypertrophen Narben, wie es bei Verbrennungen der Fall ist, positiv beeinflusst werden.

Unterstützung für betroffene Familien

Familien mit brandverletzten Kindern sollten frühestmöglich auf das Angebot der Paulinchen e. V. Initiative aufmerksam gemacht werden. Der Verein berät und begleitet betroffene Familien in jedem Stadium nach dem Unfall. So können Eltern in Seminaren, Workshops und Gesprächskreisen Experten zur Wund- und Narbenbehandlung befragen sowie Eltern in ähnlichen Situationen kennenlernen. Da Experten schätzen, dass circa 60% aller Brandverletzungen vermeidbar sind, legt Paulinchen e. V. auch besonderen Augenmerk auf die Prävention von Brandverletzungen, und stellt auf www.paulinchen.de kostenlose Infobroschüren zur Prävention von Verbrennungsunfällen bei Kindern in verschiedenen Sprachen zur Verfügung.

Was sonst noch wichtig ist

Häufig klagen Kinder über starken Juckreiz an den verbrannten Hautstellen. Neben der Prüfung, ob die Kompressionskleidung ordnungsgemäß sitzt, sollte zudem auf eine luftige Bekleidung geachtet werden. Auch kühlende Auflagen sowie ein erneutes Eincremen mit der kühl gelagerten Narbenpflege können Linderung verschaffen. Generell sollten Kälte und Hitze an den betroffenen Hautstellen vermieden werden: Während eisige Temperaturen die Narben blau und schmerzhaft erscheinen lassen, erhöht Wärme den Juckreiz. Zudem steigt das Risiko für einen Hitzestau, da die verbrannten Hautareale nicht mehr in der Lage sind, zu schwitzen. Mindestens ein Jahr sollten die verbrannten Stellen nicht mit direktem Sonnenlicht in Kontakt kommen, um das Risiko für Sonnenbrand und dunkle Hautflecken zu minimieren. Neben einem ausreichend hohen Sonnenschutz mit Lichtschutzfaktor 50 bietet sich hier auch das Tragen von UV-Schutzkleidern an. Besorgte Eltern können beruhigt werden, dass auf Baden und Schwimmen künftig nicht verzichtet werden muss. Man sollte jedoch auf eine angemessene Badedauer achten, damit die Haut nicht einweicht. Hat ein verbrühtes Kind zunächst Angst vor Wasser, so kann es hilfreich sein, das Baden in lauwarmen und niedrigen Temperaturen zu beginnen, und dann langsam die Temperatur zu steigern. |

Auf einen Blick

  • Bei Verbrennungen darf eingebrannte Kleidung nicht entfernt werden, bei Verbrühungen muss das Kind umgehend entkleidet werden, um weitere Gewebeschäden vorzubeugen.
  • Die Einschätzung der Größe des verbrannten Areals erfolgt nach der Handflächenregel.
  • Kühlung nur bei kleineren Verbrennungen mit handwarmem Wasser, kein Eis!
  • Kontraindiziert ist Kühlung bei großflächigen Verbrennungen > 15% KOF, bei Kleinkindern, Säuglingen oder bewusstlosen Personen.
  • Verbrennungen 1. und 2. Grades können mit wundheilenden Cremes und Sprays, Wundgelen oder antiseptischen Gelen behandelt werden.
  • Für eine optimale Narbenentwicklung ist die tägliche Narbenmassage und -pflege unerlässlich.
  • Silikonpräparate dürfen erst nach vollständiger Epithelisierung der Wunde verwendet werden.
  • Verbrannte Hautstellen vor Sonne, Hitze und Kälte schützen.

Literatur

[1] Altmeyer P, Bacharach-Buhles M. Verbrennungen. Altmeyers Enzy­klopädie. Stand Oktober 2018

[2] Aktion Paulinchen: So schützen Sie ihr Kind vor Verbrennungen und Verbrühungen. Informationsbroschüre des Paulinchen e. V., www.paulinchen.de/fileadmin/Paulinchen/2018/2018_Flyer/2017_AktionPaulinchen_AnsichtsPDF.pdf

[3] Behandlung thermischer Verletzungen des Erwachsenen. S2k-Leitlinie der Deutsche Gesellschaft für Verbrennungsmedizin e. V. (DGV) (federführend), AWMF-Register-Nr.: 044-001, Stand: August 2018

[4] Erste Hilfe bei Verbrühungen und Verbrennungen. Informationen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), www.kindergesundheit-info.de/themen/sicher-aufwachsen/alltagstipps/sicher-im-alltag/thermische-verletzungen/, Abruf am 15. Februar 2023

[5] Fachinformation Wala Wund- und Brandgel. Stand: Februar 2022

[6] Fachinformation Flammazine®. Stand: Dezember 2021

[7] Kinder vor Verbrühungen und Verbrennungen schützen. Infobroschüre der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Stand: Februar 2021

[8] Kleiner Wegweiser für Eltern und Angehörige eines brandverletzten Kindes, Informationsbroschüre des Paulinchen e. V., www.paulinchen.de/fileadmin/Paulinchen/2021/2021_Materialien/2018_KleinerWegweiser_WebPDF.pdf

[9] Therapie pathologischer Narben (hypertrophe Narben und Keloide) – Update 2020. S2k-Leitlinie der Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG) (federführend). AWMF-Register-Nr.: 013-030, Stand: 2020.

[10] Thermische Verletzungen im Kindesalter (Verbrennung, Verbrühung), Behandlung. S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (federführend). AWMF-Registernummer 006-128, Stand: April 2015 (derzeit in Überarbeitung)

[11] Verbrennung. Informationen der AMBOSS GmbH, www.amboss.com/de/wissen/Verbrennung, Stand Januar 2023

[12] Verbrennungen und Verbrühungen im Kindesalter. Informationen des Klinikum Nürnbergs, www.klinikumnuernberg.de/DE/ueber_uns/Fachabteilungen_KN/kliniken/kinderchirurgie/leistungen/az_dokumente/Verbruehungen_und_Verbrennungen_bei_Kindern.h., Abruf am 14. Februar 2023

Autorin

Marina Buchheit-Gusmão, Pharmazeutin und Redakteurin. Sie hat mehrere Jahre in der öffentlichen Apotheke gearbeitet und ist Fachapothekerin sowohl für Allgemeinpharmazie als auch für Arzneimittelinformation.

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