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Warum Versicherer oft zu wenig Geld erstatten

Zwei Klauseln in Versicherungsverträgen sind für Apotheken Gift

Wenn eine Versicherung nach einem Schaden weniger zahlt, als es Kunden erwarten, dann sind dafür meist zwei weitverbreitete Vertragsklauseln verantwortlich: Die Zeitwert- und die Unterversicherungsklausel. Beide sind im Versicherungs­geschäft aus nachvollziehbaren Gründen gebräuchlich.

Doch für Apotheken sind diese beiden Einschränkungen Gift. Deshalb kann als Faustregel gelten: Eine Versicherung zum Zeitwert oder mit Unterversicherungsgefahr ist nicht apothekengerecht. Wer als Apotheker vor einer größeren Auswahl von Gewerbeversicherungen steht, sollte als erste grobe Orientierung im Inhalts­verzeichnis der Versicherungs­bedingungen nach diesen beiden Klauseln suchen. Denn als wesentliche Regulierungseinschränkungen sind der Zeitwertersatz und die Unterversicherungsprüfung gerade für Versicherungslaien ein wertvolles und einfaches Kriterium, schnell zwischen geeigneten und ungeeigneten Vorschlägen zu unterscheiden.

Der Blick ins sogenannte Klein­gedruckte ist in der Tat nötig, weil es häufig vorkommt, dass Versicherungen grundsätzlich vollständige Schadenregulierungen versprechen – denn gut sichtbar steht dann oben in Vorschlag und Police das Stichwort „Versicherung zum Neuwert“. Doch dieses Versprechen wird in den folgenden zig Seiten Bedingungswerk dann meist wieder einkassiert – und genau diesen Passus sollten Sie finden! Aber um was geht es eigentlich bei den beiden Klauseln konkret und warum sind sie gerade für Apotheken so schädlich?

Die Unterversicherungsklausel besagt, dass bei einem zu niedrig vereinbarten Versicherungswert Ausgleichszahlungen nach einem versicherten Schaden entsprechend den dadurch eingetretenen Unterversicherungsprozenten reduziert werden. Wenn also der tatsächliche Apothekenwert – bestehend aus Ausstattung, Einrichtung und Lager – im Schadenfall höher ist, als es im Versicherungsvertrag festgelegt ist, dann gibt es nach einem Schaden weniger Geld. Ansonsten könnten Versicherungsnehmer etwa teure Luxuskarossen zum Preis eines Kleinwagens versichern und nach einem Unfall mit Totalschaden sich von der Versicherung eine neue Limousine finanzieren lassen.

Modernisierungen erhöhen den Versicherungswert

Doch zurück zur Apotheke. In aller Regel wird mit Versicherungsbeginn eine Versicherungssumme festgelegt, die dann so lange Bestand hat, wie der Ver­sicherungsnehmer keine neuen Werte meldet. Also oft über viele Jahre unverändert.

Beispiel aus der Praxis

Ein Beispiel: Apotheke X hat 2015 einen Gesamtwert von 400.000 Euro versichert. Durch zwischenzeitliche Umbauten plus Kommissionierer-Anschaffung und einen neuen DIN 13277 Medikamentenkühlschrank (Achtung: 13277 ist seit Kurzem die gültige Norm) für teure Onkologika ist der tatsächliche Wert der Apotheke kurz vor Schadeneintritt im Sommer 2023 jedoch 600.000 Euro. Damit liegt eine 33%ige Unterversicherung vor. Für einen Schaden von 100.000 Euro müsste der Versicherer also nur 66.666 Euro bezahlen.

Das Ergebnis ist klar: Der Wert der Apotheke ist nach neun Jahren durch Modernisierungen plötzlich über dem Wert, der im Versicherungsvertrag festgelegt wurde – in unserem Beispiel um ein Drittel. Zieht der Versicherer dann dieses Drittel von der Schadensumme ab, weil der Versicherte dafür jahrelang keine Prämie bezahlt hat, ist das aus Versicherersicht korrekt und fair, aber aus Kundensicht „typisch Versicherung, die im Schadenfall eh nicht zahlen“. Das im Schadenfall zu erleben, ist für alle Versicherungsnehmer ärgerlich; für Apotheken aber ist das existenzgefährdend. Denn für Sie als Apothekeninhaber schreibt die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) eine umfassende Grundausstattung vor, die zur Wieder­eröffnungsrevision nach einem Schadenfall nachzuweisen ist, um überhaupt wieder öffnen zu können. Reicht aber die Regulierungssumme wegen Unterversicherungsabzügen für die erforderlichen Neuanschaffungen nicht aus, muss der Inhaber den Rest­betrag selbst finanzieren – oder die Apotheke bleibt zu. Das unterscheidet Apotheken von so gut wie allen anderen Unternehmen.

Das Lager als heimliche Unterversicherungsfalle

Allerdings unterliegen die Warenbestände von Apotheken größeren Schwankungen, etwa weil zum Frühling größere Mengen an Antiallergika (Antihistaminika) ein­gekauft oder der Impfstoff zu bestimmten Zeiten bevorratet wird. Ganz zu schweigen von extremen Hochpreisern, die kurzfristig den Apothekenwert hochtreiben, wie zum Beispiel Hämophilie-Produkte, oder auch der Ratschlag eines zugezogenen Onkologen erhöhen unbemerkt den Lagerwert.

Prall gefüllte Lager sind deshalb eine latente Unterversicherungsfalle, weil die Versicherungssumme nun mal im größeren Schadenfall stimmen muss. Oder der Apothekeninhaber muss einen Maximalwert versichern, der nur ein paar Tage im Jahr gilt, entweder wegen der oben genannten Beispiele oder einfach nur, weil man sich günstig bevorraten konnte. Dann würde die Versicherungssumme immer ausreichen, dafür wären dann aber die meiste Zeit des Jahres überteuerte Beiträge zu zahlen. Daher ist nur der Verzicht auf den Unterversicherungsvorbehalt branchengerecht.

Foto: Marco2811/AdobeStock

Oft liegt die Zeitwert-Grenze bei 40 Prozent

Gerade für in die Jahre gekommene Apotheken ist der Zeitwertersatz noch gefährlicher, denn sehr viele Versicherer bieten – ähnlich zum Neuwagen – Neuwertschutz nur für eine begrenzte Zeit nach der Anschaffung, ab dann gibt es für Inventar nur noch den Zeitwert. Die Grenze liegt meist bei 40 Prozent, umgerechnet etwa sieben bis zehn Jahre nach der Neueinrichtung. Wer also eine ältere Offizineinrichtung sein Eigen nennt oder wer hinten sein altes Generalalphabet hegt und pflegt, kann im Schadenfall – wieder wie beim Auto – nur mit dem Zeitwert rechnen.

Während Autobesitzer ein in die Jahre gekommenes Kfz. irgendwann tauschen, vertrauen Apotheker ihrem bewährten Inventar in aller Regel über die gesamte Inhaberschaft. Übrigens gilt das sogar für Medizinkühlschränke – deren Inhalt bekanntlich mindestens den Kaufwert eines Mittelklasse-Neuwagens entspricht, weshalb nicht versicherte Kühlgutschäden durch Kühlschrank-Ausfall zu den häufigsten und teuersten Apothekenschäden gehören. Einfach nur, weil der Kühlschrank bis zum Exitus im Einsatz ist, während das eigene Kfz. in dieser Zeit – weil langsam werkstattanfällig – schon zweimal gewechselt wurde. Mein Tipp: Bitte behandeln Sie deshalb Ihren Medikamentenkühlschrank wie ihr Auto …

Historische Einrichtung ist praktisch unversichert

Bei Apotheken kommt nun aber wieder das Problem der für eine Betriebserlaubnis notwendigen Grundausstattung ins Spiel. Und eine weitere Besonderheit: Sehr oft finden sich in einer Offizin gut gepflegte, aber eben sehr alte Laborgeräte oder auch uralte, handgefertigte und individuell angepasste Regale. Letztere sind heutzutage unbezahlbar, aber aus Sicht eines Abschreibungsrechners völlig wertlos. Von historisch eingerichteten Apotheken, die ihre Kunden mit nostalgischen Interieurs an­locken, ganz zu schweigen. Wenn der Versicherer im Schadenfall aus Kulanz dafür einige tausend Euro anrechnet, reichen diese bei Weitem nicht für einen adäquaten Ersatz, der obendrein zur Wiedereröffnungsrevision bereits bestellt, geliefert und eingebaut sein muss. Deshalb sind für Apotheken nur Werteversicherungen geeignet, die für alle Apothekeneinrichtungen jederzeit garantierten Neuwert­ersatz bieten.

Professionelle Betreuung durch qualifizierte Berater

Die gute Nachricht: Es gibt Apotheken-Spezialkonzepte, die auf beide hier besprochenen Vorbehalte grundsätzlich verzichten. Doch die Besonderheiten des Apothekenrechts in Bezug auf die Qualität der Absicherung sind den allermeisten Versicherungsberatern nicht bekannt. Sie greifen also entweder zu Konzepten für Handel und Handwerk oder alle Heilberufe. Und damit immer zielsicher ins falsche Regal – und jede Apothekerin bzw. jeder Apotheker kennt die Konsequenzen einer falschen Medikation.

Doch wie finden Versicherungsnehmer diese qualifizierten Berater? Es gibt Versicherungsvermittler, die können sich als zertifizierte Berater Heilwesen (IHK) ausweisen und daher eine besondere Qualifikation vorweisen. Andere arbeiten womöglich schon seit vielen Jahren für Apotheken und haben sich auf diese Weise eine Expertise erarbeitet. Eine weitere Anlaufstelle für qualifizierte Unterstützung sind die bundesweit etablierten Gewerbezentren des Bundesverbands der Sachverständigen für das Versicherungswesen e. V. (BVSV). All diese Experten stellen zudem eine dauerhafte Beratung und Betreuung sicher. Und das ist – siehe schleichende Unter­versicherung bei steigendem Zeitwertmalus die weitaus wichtigere Beratungsleistung, auf die Sie bestehen sollten. |

Ragnar Müller, Hanau, zertifizierter Berater Heilwesen

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