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Wirtschaft

Notdienst braucht Perspektiven

Eine Analyse der aktuellen Situation und ein Ausblick

Der Notdienst ist so alt wie die Apotheke und muss immer wieder neu diskutiert werden, wenn sich die Apotheken und die Welt um sie herum verändern. Dabei hängen Verteilung, Finanzierung und innere Organisation zusammen. Da die Ampel-Koalition das Thema in ihrem Koalitionsvertrag erwähnt, sollte die vorhersehbare Diskussion vorbereitet werden. Aus Apothekenperspektive bildet der dauerhafte Personalmangel den wesentlichen Anlass. Damit steht die Verteilung des Notdienstes im Mittelpunkt. | Von Thomas Müller-Bohn 

Arbeitsverdichtung und höhere Ansprüche an die Freizeit auf der einen Seite sowie die Anspruchshaltung vieler Kunden auf der anderen Seite stellen sich anders als vor Jahren oder Jahrzehnten dar. Vor allem fordert der Personalmangel die Apotheken heraus, und wahrscheinlich wird dieses Problem zunehmen. Die knappe Ressource Personal muss so effektiv wie möglich eingesetzt werden – in der Apotheke und auf gesellschaftlicher Ebene. Wenn der Berufsnachwuchs nicht ausreicht, um die aus dem Berufsleben ausscheidenden Jahrgänge zu ersetzen, und die Apotheker weitere Aufgaben übernehmen, werden Notdienste anders zu organisieren sein. Gefragt sind neue Konzepte, um den wichtigen Notdienst zukunftsfest zu machen.

Weniger Apotheken – weniger Notdienst?!

Dr. Kai Christiansen, Präsident der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, hat das Problem gegenüber der DAZ so zusammengefasst: „Die Dienste entscheiden darüber, ob eine Apotheke verkäuflich ist.“ Das könne zum Problem für Landapotheken werden – und damit für die ländliche Versorgung. Zugleich mahnt Christiansen, die Politik müsse akzeptieren, dass eine abnehmende Zahl von Apotheken nicht die gleiche Leistung erbringen könne.

Folgende Daten verdeutlichen die Entwicklung: Der Nacht- und Notdienstfonds (NNF) rechnete 2014 nach eigenen Angaben bundesweit 421.672 Vollnotdienste ab, 2020 waren es 400.968, also 4,9 Prozent weniger. Die Zahl der Apotheken sank im gleichen Zeitraum von 20.441 auf 18.753, also um 8,3 Prozent. So werden die einzelnen Apotheken immer mehr belastet, obwohl die Notdienstdichte sinkt. Beides wird langfristig zum Problem.

Vielfältige Einflussmöglichkeiten

Zur Gliederung des Themas bieten sich folgende Aspekte an:

  • Zugang zum Notdienst,
  • zeitliche Verteilung auf Abend und Nacht,
  • räumliche Verteilung im Rahmen der bisherigen ­Regularien,
  • mögliche neue Regularien zur räumlichen Verteilung
  • und Finanzierung.

Hinzu kommt die apothekeninterne Organisation, die hier jedoch nicht vertieft wird, weil zuvor die Rahmenbedingungen geregelt sein müssen. Die Finanzierung wird später in einem weiteren Beitrag analysiert. Hier soll der Hinweis genügen, dass der Zuschuss aus dem NNF den wesentlichen Anteil an der Finanzierung hat. Die Notdienstgebühr von 2,50 Euro pro Patient fällt im Vergleich dazu kaum ins Gewicht, dürfte aber mittlerweile auch kaum noch eine Steuerungsfunktion haben.

Gebühr als Steuerung

Dies ist ein wesentlicher Aspekt für den Zugang zum Notdienst. Falls die Gebühr von der unangebrachten Inanspruchnahme bei Banalitäten abhalten soll, ist der Betrag vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklung nicht mehr zeitgemäß. Denn er ist mit üblichen Lieferpauschalen zu vergleichen, die keine Steuerungsfunktion haben. Als Beispiel für eine wirksame Eintrittsbarriere für einen Notdienst kann die Notdienstgrundgebühr von 50 Euro plus Mehrwertsteuer gemäß § 3a der Gebührenordnung für Tierärzte betrachtet werden. Sie wird seit dem 14. Februar 2020 jeweils von 18 bis 8 Uhr und an Wochenenden erhoben, sofern die Praxis zu dieser Zeit keine reguläre Sprechstunde hat. In einem Leserbrief in DAZ 5 bringt Daniela Hänel daraufhin 10 bis 20 Euro als Notdienstgebühr für Apotheken ins Gespräch. Daraufhin ist zu diskutieren, ob, wann und wo eine solche Gebühr erhoben werden soll. Wie bei den Tierärzten könnte eine solche Gebühr verdeutlichen, dass der Notdienst eine Ausnahme ist. Angesichts der vielfach ausgeweiteten Öffnungszeiten des Einzelhandels erscheint das Erheben einer solchen Gebühr in Apotheken schon ab 20 Uhr allerdings vielerorts problematisch. Eine später erhobene, dann aber deutlich höhere Gebühr als bisher dürfte unsinnige Störungen in der Nacht verringern und zugleich Diskussionen über eine Gebühr in einem Umfeld geöffneter Geschäfte erübrigen.

Foto: ABDA

Die Arbeitszeit der Angestellten wird durch das Arbeitszeitgesetz oder den Tarifvertrag begrenzt – doch außer Acht gelassen werden dabei die Inhaberinnen und Inhaber: Warum sollten Selbstständige nach einer anstrengenden Notdienstnacht konzentrierter arbeiten können als Angestellte? Warum soll Arbeitsschutz für Apothekeninhaber irrelevant sein?

Problemkreis Telefon

Ein weiterer Aspekt des Zugangs betrifft Telefonanrufe im Notdienst. Hänel beschreibt in ihrem Leserbrief, wie vielschichtig dies ist. Es geht um sexuelle Belästigungen, nicht eilige Beratungen und schlechte Online-Bewertungen für Anrufe, die wegen gleichzeitiger Arbeit vor Ort nicht sofort bearbeitet werden können. Bei vielen Anrufen wird offenbar nur gefragt, ob die Apotheke tatsächlich dienstbereit ist. Damit ergeben sich mehrere Lösungsansätze. Denkbar sind Ansagen, die den Notdienst bestätigen und den Anruf erst nach einem Tastendruck an die Apotheke weiterleiten. Aufwändiger wäre eine regionale Zentrale, die einfache Fragen klärt und nur „ernsthafte“ Anliegen weiterleitet, eventuell mit einer gebührenpflichtigen Nummer. Vielleicht liegt die Zukunft sogar in einer telepharmazeutischen Vor-Versorgung, die die Arbeit in den Notdienstapotheken planbarer macht und wirklich erleichtert. Angesichts der sprunghaften Entwicklung von Lieferdiensten scheint auch ein Botendienst denkbar, der Arzneimittel nach telepharmazeutischer Beratung ausliefert.

Telefonische Konzepte dürfen allerdings nicht zu neuen Problemen wie mancherorts bei den Ärzten führen. Denn einige Notfallpraxen werden nur über die bundesweite Sammelnummer 116 117 organisiert und sind telefonisch nicht erreichbar. Angesichts der Verpflichtung zur Rückfrage bei unklaren Verordnungen erscheint dies als unhaltbarer Zustand, der wohl als Organisationsversagen eingestuft werden muss. In einigen Bundesländern erhalten die Apotheken daher vertrauliche Durchwahlnummern. Gesucht sind also organisatorische Neuerungen, die den Notdienst einfacher machen und nicht neue Probleme schaffen.

Arbeitsschutz nur für Angestellte?

Ein grundlegendes Problem des Notdienstes sind die Folgen für die Arbeitszeiten. Das Arbeitszeitgesetz lässt die unmittelbare Aufeinanderfolge eines Arbeitstages und einer Notdienstnacht für Angestellte nicht zu – außer bei einer tarifvertraglichen Vereinbarung. Im Bundesrahmenvertrag für Apothekenmitarbeiter wurde vereinbart, dass auf einen „normalen“ Arbeitstag ein nächtlicher Notdienst folgen darf. Doch insbesondere in vielen eher kleinen Apotheken mit geringer Personalausstattung versehen die Inhaber die meisten Dienste, weil die Regeln zur Arbeitszeit für sie nicht gelten. Das kann zu 36-Stunden-Schichten führen. Doch die Folgen für die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit treffen auch die Inhaber. Warum sollte ein Selbstständiger nach einer anstrengenden Notdienstnacht konzentrierter arbeiten können als ein Angestellter? Warum soll Arbeitsschutz für Inhaber irrelevant sein? Die Verlagerung der Notdienste auf die Inhaber löst diese Probleme nicht. Auch wenn verbesserte Begleitumstände die Notdienste erleichtern können, bleibt die Anzahl der Dienste in Relation zur knappen Arbeitszeit aller Apotheker – ob selbstständig oder angestellt – die zentrale Herausforderung. Darum soll die zeitliche und räum­liche Verteilung der Notdienste näher betrachtet werden.

Vielfältige Teildienste

Die zeitliche Verteilung der Notdienste war vor Einführung des NNF im Jahr 2013 vielfältiger. Viele der damals etablierten Teilnotdienste wurden abgeschafft, weil der Fonds nur Vollnotdienste über ganze Nächte honoriert. In Hamburg gab es noch bis Ende 2019 Teildienste, die bis 22 Uhr dauerten. Dabei spricht viel für die Teildienste. Während vielerorts Apotheken regulär um 18 Uhr oder 18.30 Uhr schließen, kommen auch danach Patienten aus Arztpraxen, und angesichts insgesamt flexiblerer Arbeitszeiten können viele Berufstätige nicht bis zu dieser Zeit eine Apotheke aufsuchen. In so alltäglichen Situationen ist mehr als ein „Nachtdienst“ für „Notfälle“ gefragt. Ein überschaubarer Teildienst für die Abendstunden an mehr Standorten erscheint daher als sinnvoller Kompromiss zwischen den Interessen der Patienten und der Apotheker. Die knappen Personalressourcen lassen sich so auch besser einsetzen, als wenn viele Apotheken in städtischen Regionen in den Abendstunden öffnen, ohne rentabel zu arbeiten. Ein abgestufter Zuschuss aus dem NNF galt bei der Einführung des Fonds als zu kompliziert, sollte aber mit vertretbarer Mühe umzusetzen sein, wenn es politisch gewünscht ist. Doch möglicherweise hat die Zeit diese Idee bereits überholt, weil die Zahl der Vollnotdienste im Gegenzug nicht mehr genug reduziert werden kann. Darum wurden die Teildienste in Hamburg abgeschafft. Auch der schleswig-holsteinische Kammerpräsident Christiansen, der jahrelang Teildienste befürwortet hatte, erklärte auf Nachfrage der DAZ, er fürchte mittlerweile, dass mit Teildiensten und einer nur geringen Entlastung bei den Volldiensten die Belastung insgesamt sogar steigen könnte.

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„Notdienste entscheiden darüber, ob eine Apotheke verkäuflich ist“, meint Dr. Kai Christiansen, Präsident der Apothekerkammer Schleswig-Holstein.

Doch das hängt von den Details ab. Was Teildienste leisten können, zeigt sich in Mecklenburg-Vorpommern, dem Bundesland mit der geringsten Bevölkerungsdichte. Dort hat in Notdienstkreisen mit fünf oder mehr Apotheken jeweils eine Apotheke Vollnotdienst. In Notdienstkreisen mit weniger Apotheken dauern die Dienste nur bis 19 oder 20 Uhr. In Notdienstkreisen mit drei oder vier Apotheken dauern die Dienste am Samstag eine Stunde am Nachmittag und am Sonntag jeweils eine Stunde am Vor- und Nachmittag. In Notdienstkreisen mit ein oder zwei Apotheken gibt es noch weniger Notdienst. In „Kreisen“ mit nur einer Apotheke gibt es keinen Sonntagsdienst. Dies alles beruht auf der Erfahrung, dass die ländliche Bevölkerung begrenzte Öffnungszeiten oder längere Fahrzeiten gewohnt ist. Die Wahl, ein paar Stunden zu warten oder eine Stunde zu fahren, ist dort alltäglich. Die Entfernung zu einer Apotheke mit Vollnotdienst kann dann etwa 40 Kilometer betragen. Aus der Apothekerkammer Mecklenburg-Vorpommern heißt es dazu, das Konzept werde von den Aufsichtsbehörden mitgetragen und aus der Bevölkerung seien keine Beschwerden bekannt. Weite Wege sind in einem dünn besiedelten Land normal. Im Vergleich zu anderen Bundesländern entlastet dieses Konzept die besonders versorgungsrelevanten Landapotheken deutlich, aber es belastet die Apotheken in Städten mit fünf oder etwas mehr Apotheken stärker als anderswo. In Notdienstkreisen mit fünf Apotheken ergeben sich 73 Vollnotdienste pro Jahr.

Notdienstkreise …

Dies zeigt, wie wichtig die räumliche Verteilung der Notdienste ist. Dafür gibt es im Grundsatz zwei Konzepte. Bei der „klassischen“ Methode werden alle Apotheken in einem geografisch festgelegten Gebiet jeweils abwechselnd täglich oder wochenweise zum Notdienst eingeteilt. Bei der Zuordnung zu den Notdienstkreisen können die Verkehrswege und die örtlichen Gewohnheiten berücksichtigt werden. Die Größe der Kreise ergibt sich aus einer Abwägung der Patienten- und Apothekerinteressen. Je größer die Kreise sind, umso relevanter wird die Diensteinteilung im Nachbarkreis. Insbesondere für Patienten am Rand eines solchen Kreises kann die Notdienstapotheke des Nachbarkreises näher als im „eigenen“ Kreis sein. Doch wenn zufällig in zwei benachbarten Kreisen Apotheken an den äußersten Enden des jeweiligen Kreises Dienst haben, ergeben sich an anderen Stellen extrem weite Wege. Die Folgen für die Nachbarkreise zu berücksichtigen, widerspricht aber der einfachen Logik dieses Konzeptes.

… oder landesweite Optimierung

Daraus entstand die Idee, alle Apotheken eines Bundeslandes IT-gestützt so einzuteilen, dass sich in Gebieten mit ähnlicher Bevölkerungsdichte ein möglichst gleichmäßiges Netz ergibt, das für jeden Tag neu gestaltet wird. Die zentrale Idee ist, die Apotheken als knappe Ressource möglichst wirkungsvoll für die Versorgung einzusetzen, um den Notdienst auch bei sinkender Apothekenzahl zu bewältigen. Dafür müssen Patienten und Apothekenteams auf lieb gewordene Gewohnheiten verzichten. Denn es gibt keine Regelmäßigkeiten, keine bewährten Tauschpartner für die Apotheken und keine bekannten Wege für die Patienten. Bewohner kleinerer und mittlerer Städte müssen dann auch mal in ein nahe liegendes Dorf fahren, dessen Apotheke die Stadt versorgt. Ein solches System der Medienagentur Cyrano wurde erstmals von der Apothekerkammer Westfalen-Lippe eingesetzt. Seit 2015 wird es auch im Kammerbezirk Nordrhein und in Schleswig-Holstein genutzt. Anders als bei den Notdienstkreisen stellt sich hier nicht die Frage, wie weit der Weg zur Apotheke maximal wird, sondern die maximale Entfernung wird dem Programm vorgegeben. Außerdem kann die maximale Zahl der Notdienste pro Apotheke und Jahr eingegeben werden. Dann lässt sich erkennen, ob mit den vorgegebenen Parametern eine Lösung möglich ist und wie sich veränderte Vorgaben auf die anderen Größen auswirken.

In zahlreichen Kammerversammlungen der Apothekerkammer Schleswig-Holstein wurden die praktischen Folgen der Einführung dieses Konzeptes ausführlich diskutiert. Anfangs wurde berichtet, wie schwer die Gewohnheiten insbesondere auf der Patientenseite zu überwinden waren. Die Information über die jeweils dienstbereite Apo­theke ist offenbar eine Herausforderung. Nach Einschätzung von Christiansen fragen etwa 70 Prozent der Anrufer im Notdienst, ob die Apotheke dienstbereit ist. Insgesamt dominiert die Erleichterung über die vielerorts gesunkene Dienstbelastung. Als verbleibendes Problem wird in Kammer­versammlungen die Unmöglichkeit der Abstimmung an der städtisch geprägten Landesgrenze zu Hamburg angesprochen. Umgekehrt ist dies auch ein Thema in den Hamburger Kammerversammlungen. Doch die Verteilungsregeln in den beiden Ländern sind so grundverschieden, dass sie nicht koordiniert werden können. Daher kommt es immer wieder vor, dass gleichzeitig zwei Apotheken in geringer Entfernung auf beiden Seiten der Landesgrenze Notdienst haben. Damit ergeben sich für andere Bundesländer zwei Erkenntnisse: Erstens kann eine landesweit optimierte Verteilung der Notdienste bei angemessen gewählten Parametern die Notdienstbelastung der Apotheken senken, ohne die Versorgung zu verschlechtern, und zweitens bietet die Anwendung des Konzeptes in zwei benachbarten Bundesländern zusätzliches Potenzial für die Grenzregion. Dies war ein wichtiges Argument für die Einführung in Nordrhein nach dem Start in Westfalen-Lippe.

Zum Weiterlesen

Apothekerinnen und Apotheker im Notdienst sind meist ganz auf sich allein gestellt. Es gilt, regulatorische Fragen zu lösen, schwierige Situationen kommunikativer Art zu meistern und pharmazeutische Kompetenz zu zeigen. Mit dem „Notdienst-Retter“ an der Hand umschiffen Sie brenzlige Situationen und finden kreative Lösungen, wenn es um Dinge geht wie:

  • Apotheken-, Arbeits- und Arzneimittelrecht: von der Festlegung der Dienstbereitschaft bis hin zur potenziell unterlassenen Hilfeleistung
  • Organisation im Vorfeld: Klärung des Status quo der technischen Ausstattung, Notfalltelefonnummern, spezielle Bevorratung oder Verfügbarkeit des Botendienstes
  • gelungene Kommunikation: mit Patienten und Ärzten – auch wenn es schwierig wird
  • Sonderregeln bei der Rezeptbelieferung: Notdienstgebühr, Kontrahierungszwang, Rezepturen oder Substitution – nachts ist manches anders
  • Einordnen von Krankheitssituationen: für schnelle und fundierte Entscheidungen zur adäquaten Versorgung der Patienten
  • Notdienst-relevante Arzneimittelgruppen: Basics und Besonderheiten wie Äquivalenzdosen, Beratungstipps oder Hinweise auf Leitlinien
  • besondere Personengruppen: Versorgung von Schwangeren, Stillenden, Kindern und Senioren – wichtige Spezialinfos auf einen Blick
  • Arzneimittelrisiken: Umgang mit häufigen und nicht so häufigen UAW – von Agranulozytose bis Serotonin-Syndrom

Wichtige Arbeitshilfen wie Checklisten oder Tabellen zum schnellen Nachschlagen stehen zusätzlich als Download auf Online-PlusBase zur Verfügung. So gerüstet starten Sie entspannt in den nächsten Nacht- oder Notdienst!

Von Stefanie Brune, Sebastian Baum und Timo Kieser
Notdienst-Retter
Handbuch für Organisation und Praxis
XVI, 455 S., 20 farb. Abb., 76 farb. Tab., 19,3 × 27,0 cm, Gebunden, 59,80 Euro, ISBN 978-3-7692-7347-2
Deutscher Apotheker Verlag 2021

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Grenzen des Systems

Inzwischen stößt das IT-gestützte System jedoch an seine Grenzen, weil die ursprünglichen Vorgaben mit der gesunkenen Zahl an Apotheken nicht mehr überall zu erfüllen sind. Dies gilt zumindest in einigen dünn besiedelten Regionen Schleswig-Holsteins, insbesondere in Nordfriesland. Als das System eingeführt wurde, gab es in Schleswig-Holstein 730 Apotheken, Ende 2020 waren es noch 626. Im Jahr 2020 wurde festgestellt, dass einige Apotheken mehr als 50 Notdienste pro Jahr leisten. Daraufhin hat die Apothekerkammer Schleswig-Holstein im Juni 2020 ihre Notdienstordnung geändert und festgelegt, dass keine Apotheke mehr als 39 Notdienste pro Jahr versehen soll. Zugleich wurde zugelassen, dass die angestrebte Höchstentfernung von 38 Kilometern bis zur nächsten Apotheke an einigen Orten und einigen Tagen geringfügig überschritten werden darf. Dahinter steckt die eingangs erwähnte Idee, dass Apotheken mit zu vielen Diensten nicht verkäuflich sind und damit die Versorgung langfristig viel mehr gefährdet wird. Demnach ist es besser, den Menschen heute etwas längere Wege zum Notdienst zuzumuten, als dass in einigen Jahren an einem Ort überhaupt keine Apotheke mehr besteht. Hier zeigt sich, dass auch die Notdienstverteilung mit einer landesweiten Optimierung die Apotheken in dünn besiedelten Regionen stärker als in Großstädten belastet. Dies ist deutlich anders als bei dem speziellen Konzept in Mecklenburg-Vorpommern, das Landapotheken begünstigt, aber in Kleinstädten zu Notdiensthäufungen führt, wie sie in Schleswig-Holstein nicht vorkommen.

Neue Wege?

So unterschiedlich diese Systeme sind, setzen sie doch die gleiche Grundidee des reihum verteilten Notdienstes der Apotheken um. Wenn die Apothekenzahlen weiter sinken, wird zu fragen sein, ob die Apotheken ganz neue Wege gehen sollten. Dies ist bei den Ärzten überwiegend bereits geschehen. Der ärztliche Notdienst wurde weitgehend in Anlaufpraxen zentralisiert, abgesehen vom zusätzlichen Fahrdienst. Dies fordert die Apotheken doppelt heraus. Erstens ist zu fragen, ob dies ein Vorbild für die effektive Notdienstorganisation ist, und zweitens könnte die gehäufte Nachfrage am Ort der Notfallpraxis ein Argument sein, dort auch den Apothekennotdienst einzurichten. Denn bei der gleichmäßigen Verteilung der Notdienste in der Fläche kommt es häufig vor, dass im Ort der Notfallpraxis keine Apotheke Notdienst hat. Dann kann für die Patienten eine zweite weite Fahrt zur Apotheke nötig sein. Dies spricht für eine Zentralisierung des Notdienstes. Das meist geäußerte Gegenargument ist, dass viele Notdienstkunden nur OTC-Arzneimittel kaufen. Doch warum sollte ein Apothekennotdienst an einem zentral gelegenen Ort für diese Kunden nachteilig sein? Die wesentlichen Gegenargumente liegen eher in der (vielleicht nur vermeintlichen) Unvereinbarkeit mit einigen Prinzipien des Apothekenwesens. Alle Apotheken sollen als gleich betrachtet werden und möglichst gleiche Notdienste versehen. Doch welchen Wert hat das, wenn Patienten dadurch auf widersinnige Rundreisen geschickt werden und die Apotheken zugleich unter hohen Notdienstbelastungen leiden? Könnte nicht ein so lebensfremdes Konzept der Reputation der Apotheken eher schaden? Möglicherweise kann ein mutiges neues Konzept für den Notdienst das bewährte System der unabhängigen freiberuflich geführten Apotheken besser für die Zukunft rüsten als ein starres Festhalten an der bisherigen Notdienstverteilung. Allerdings wird dies immer eine berufspolitische Gratwanderung sein, weil grundlegende apothekenrechtliche Regeln berührt werden können.

Die DAZ fragte den schleswig-holsteinischen Kammerpräsidenten Christiansen auch nach den Möglichkeiten für einen solchen zentralisierten Notdienst. Christiansen erklärte, die Ärzte hätten sich „aus der Fläche verabschiedet“, und der Besuch in der Notfallpraxis und in der Apotheke könne für die Patienten „eine kleine Weltreise“ werden. Doch das dänische Konzept, bei dem bestimmte Apotheken an zentralen Orten Notdienst haben, eigne sich nicht für Deutschland, meint Christiansen. Denn die Apotheken könnten dies als Werbeargument nutzen. Eher könnte unmittelbar bei der Notfallpraxis eine spezielle Apotheke mit einem begrenzten Sortiment eingerichtet werden, die nur von 18 bis 8 Uhr geöffnet ist und in der die Kollegen reihum Dienst machen. Dafür müsste eine neue Sonderform der Apotheken definiert werden, die von einer „Kassenapothekerlichen Vereinigung“ oder einer ähnlichen Institution betrieben wird, erläuterte Christiansen gegenüber der DAZ.

Ideen der Ampel-Koalition

Was hier noch ein langfristiges Gedankenspiel ist, kann schnell zum politischen Thema werden. Denn im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung steht: „Die Arzneimittelversorgung durch Apotheken an integrierten Notfallzentren in unterversorgten Gebieten verbessern wir durch flexiblere Vorgaben in der Apothekenbetriebsordnung“ (Zeile 2817 f.). Dies geht auf einen Antrag für diverse Änderungen bei Apotheken zurück, den die Grünen-Fraktion bereits 2019 als Opposition in den Bundestag eingebracht hatte (Bundestagsdrucksache 19/9699, siehe DAZ 2021, Nr. 48, S. 20 f.). Die Formulierung im Koalitionsvertrag lässt viel Gestaltungsspielraum, aber sie macht deutlich, dass die Ampel-Koalition den Apothekennotdienst wahrscheinlich in der laufenden Legislaturperiode thematisieren will.

Fragen für Großstädte

Der Satz im Koalitionsvertrag und die zuvor dargestellten Überlegungen beziehen sich auf ländliche Regionen und Kleinstädte, in denen die Sicherstellung des Notdienstes im Vordergrund steht. Doch eine Reform an dieser Stelle würde auch Fragen zur Verteilung des Notdienstes in Großstädten aufwerfen. Dort bieten einige Apotheken aus unternehmerischen Gründen sehr lange Öffnungszeiten. Wenn diese Apotheken in der Nähe von Notfallpraxen liegen, kann die Nachfrage im „offiziellen“ Notdienst massiv sinken. Dann ist vor dem Hintergrund des Personalmangels zu fragen, ob die freiwilligen Angebote in den Notdienstplan einbezogen werden können und ob der „offizielle“ Notdienst reduziert werden kann. Das Extrem wäre das dänische System, bei dem einige Apotheken den Notdienst dauerhaft übernehmen, sodass sich dies für die übrigen Apotheken erübrigt.

Anstehende Diskussion

Dies alles zeigt, wie komplex das Thema ist. Die anstehende Diskussion muss daher gut vorbereitet werden. Dabei möchten offenbar alle den Apothekennotdienst als wichtige Leistung erhalten. Doch es ist zu fragen, wo neue Konzepte nötig sind, damit der Notdienst eine gute Zukunft hat. Dazu gehört auch die Finanzierung, die demnächst in einem weiteren Beitrag in der DAZ analysiert wird. |

Autor

Dr. Thomas Müller-Bohn, Apotheker und Dipl.-Kaufmann, DAZ-Redakteur

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