DAZ aktuell

BfArM muss sich nicht an Sterbehilfe beteiligen

Aktuelles Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen

ks/ral | Seit Jahren befassen sich deutsche Gerichte mit der Frage, ob schwerkranken Menschen der Zugang zu einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels zu gewähren ist. Vor zwei Jahren wurde das bis dahin geltende Sterbehilfeverbot gekippt – bis heute hat dennoch keiner, der in Deutschland mithilfe von Natrium-Pentobarbital sterben möchte, das Betäubungsmittel erhalten. Und das wird sich wohl vorerst auch nicht ändern. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat vergangene Woche geurteilt, dass das BfArM nicht verpflichtet ist, schwerkranken und suizidwil­ligen Menschen den Erwerb von Natrium-Pentobarbital zu erlauben.

OVG NRW, Az: 9 A 146/21 (I. Instanz: VG Köln 7 K 13803/17), 9 A 147/21 (VG Köln 7 K 14642/17), 9 A 148/21 (VG Köln 7 K 8560/18)

Im März 2017 entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass der Staat im Einzelfall einem schwer und unheilbar kranken – aber entscheidungsfähigen – Patienten in einer extremen Notlage den Zugang zu einer tödlichen Dosis Natrium-Pentobarbital nicht verwehren darf. Dazu hatte es die für eine mögliche Erlaubniserteilung einschlägigen Normen des Betäubungsmittelgesetzes (§ 3 Abs. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG) im Lichte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Gebots der Menschenwürde ausgelegt.

Für den Bezug zuständig ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Me­dizinprodukte (BfArM). Das Urteil führte dazu, dass bis heute mehr als 100 Sterbewillige beim BfArM eine entsprechende Erlaubnis beantragten. Doch keinem der Anträge wurde stattgegeben. Das Bundesgesundheits­ministerium hatte die zu seinem Geschäftsbereich gehörende Bundes­oberbehörde 2018 ausdrücklich aufgefordert, derartige Anträge abzulehnen.

Da die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht umgesetzt wurde, klagten zwei Männer aus Rheinland-Pfalz und Niedersachsen und eine Frau aus Baden-Württemberg vor dem Verwaltungsgericht Köln. Sie verlangen vom BfArM, ihnen jeweils eine Erlaubnis zum Erwerb von 15 Gramm Natrium-Pentobarbital zu erteilen, um mithilfe dieses Betäubungsmittels ihr Leben zu beenden. Doch das Verwaltungs­gericht wollte sich mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht abfinden. Es rief daher 2019 das Bundesverfassungsgericht an. Die Kölner Richter meinten, eine verfassungskonforme Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG sei unmöglich, denn es widerspreche dem „erkennbaren historischen und aktuellen Willen des Gesetzgebers“, die Erwerbserlaubnis für ein Betäubungsmittel zur Selbst­tötung zu erteilen.

Im Mai 2020 befand das Bundesverfassungsgericht die Kölner Vorlagen für unzulässig – nachdem es im Februar 2020 in anderen Verfahren das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB alt) kassiert hatte. Den Karlsruher Richtern genügte die Begründung nicht – jedenfalls nicht angesichts seiner drei Monate zuvor gefassten Entscheidung. Und so landeten die Rechts­streitig­keiten letztlich vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen, das vergangene Woche die Urteile des Verwaltungsgerichts Köln bestätigte: Das OVG hält das BfArM nicht für verpflichtet, schwerkranken Menschen, die den Entschluss zum Suizid gefasst haben, hierfür den Erwerb des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital zu erlauben.

Zur Begründung der Urteile führte die Vorsitzende des 9. Senats laut Pressemitteilung des Gerichts aus, dass § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG einen zwingenden Versagungsgrund darstelle. Eine Erwerbserlaubnis, die darauf gerichtet ist, ein Betäubungsmittel zum Suizid zu nutzen, diene nicht dazu, die notwendige medizinische Versorgung sicherzustellen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung wäre es nötig, dass das Betäubungsmittel eine therapeutische Zielrichtung hat. „Grundrechte von Suizidwilligen werden durch diese Auslegung des Betäubungsmittelgesetzes derzeit nicht verletzt“, konstatiert die Richterin.

Ob ein Zugang zu Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung ermöglicht werden soll, müsse vielmehr der Gesetzgeber entscheiden, der dann auch ein entsprechendes Schutzkonzept ent­wickeln müsste. Die Fragen, welche Anforderungen an den freien Willen, die Dauerhaftigkeit des Selbsttötungsentschlusses oder die Information über Handlungsalternativen zu stellen wären und wie Miss- oder Fehlgebrauch verhindert werden könnte, müssten gesetzlich beantwortet werden, so die Richterin.

Nicht zuletzt weist sie darauf hin, dass diese Beschränkung nicht dazu führe, dass Suizidwillige ihr Recht auf Selbsttötung nicht wahrnehmen könnten. Da das Sterbehilfeverbot nicht mehr bestehe, gebe es einen zumut­baren Zugang zu freiwillig bereit­gestellter – auch geschäftsmäßiger – Suizidhilfe. Das ärztliche Berufsrecht stehe dieser Hilfe nicht mehr generell entgegen.

Das letzte Wort ist allerdings nach wie vor nicht gesprochen. Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Angelegenheit die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen. |

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