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Das war dann mal weg

Dinge, die aus der Pharmazie und den Apotheken verschwunden sind – ein Interview

eda | Wenn Sie die DAZ abonniert haben, lag in Ihrer Ausgabe Nr. 48 von letzter Woche wieder der detailreich und liebevoll illustrierte Adventskalender unserer Cartoonistin Barbara bei. Hinter jedem Türchen finden Sie einen Hinweis auf die tagesaktuelle Rätselfrage. Unter DAZ.online erfahren Sie dann, was es mit den Bildern auf sich hat: In diesem Jahr geht um 24 Dinge, die früher einmal im Apothekenalltag oder im Pharmaziestudium eine Rolle gespielt haben, heute aber weitgehend verschwunden sind. Blicken Sie mit uns zurück und erinnern Sie sich an Arzneimittelpräparate, Werkzeuge und andere praktische Hilfsmittel. Über dieses Thema sprachen wir mit Prof. Dr. Christoph Friedrich, der von 2000 bis 2021 das einzige Institut für Geschichte der Pharmazie in Marburg leitete.

DAZ: Herr Professor Friedrich, der DAZ-Adventskalender trägt dieses Jahr das Motto „Das war dann mal weg“. Was kommt Ihnen dabei direkt in den Sinn?

Friedrich: Mir kommen große Mörser mit Pistill oder Geräte zur Herstellung von Pillen oder Pflastern, wie die Pflasterstreichmaschine, in den Sinn, die heute nur noch von musealem Wert sind, da diese Arzneiformen in der Apotheke nicht mehr hergestellt werden. Ich denke aber auch an viele Dinge, die der Bürokratie in den staatlichen Apotheken der ehemaligen DDR geschuldet waren, wie der Betriebskollektivvertrag, den es seit 1951 gab und der die Umsetzung des Planes – in der DDR wurde ja alles geplant – im Apothekenwesen widerspiegelte.

DAZ: Warum verschwinden überhaupt Dinge aus unserem Arbeitsalltag? Welche Gründe gibt es hierfür?

Friedrich: Die deutsche Apotheke hatte in den letzten 150 Jahren vielfältige Veränderungen erlebt. Stand im 19. Jahrhundert noch die Arzneimittel­herstellung im Mittelpunkt, so nimmt diese heute nur noch einen kleinen Teil der pharmazeutischen Tätigkeiten ein. Vor 150 Jahren wurde die Mehrzahl der Arzneimittel in der Apotheke in der Defektur sowie in der Rezeptur selbst hergestellt.

„Das Apothekenwesen gehört zu den wenigen Bereichen, von denen man eindeutig sagen muss, dass die Wiedervereinigung gelungen ist.“

Prof. Dr. Christoph Friedrich

Auch nützliche Informationsmateria­lien wie zum Beispiel die in der DDR eingeführten Piktogrammkarten sind heute nicht mehr erforderlich, da der Apothekencomputer diese Informationen bereithält. Geräte wie der Backwarenherstellung entlehnte Rührmaschinen oder auch Tubenfüllapparate, die man für die semiindustrielle Produktion in den zentralen Herstellungsabteilungen der Pharmazeutischen Zentren der DDR brauchte, sind inzwischen nicht mehr erforderlich, denn Salben in so großen Mengen liefert die Pharmaindustrie in der Bundesrepublik.

DAZ: Wenn Sie das deutsche Apothekenwesen betrachten: Was hat in der Vergangenheit denn zum gravierenden Strukturwandel geführt?

Friedrich: Da ist zum einen die In­dustrialisierung. Mit der Entstehung der pharmazeutischen Industrie, die wie die Firma Merck nach 1827 zunächst Arzneistoffe produzierte, dann aber ab dem Ende des 19. Jahrhunderts die Herstellung von Fertigarzneimitteln übernahm, veränderte sich der Apothekerberuf. Er wandelte sich von einem überwiegenden Arzneimittelhersteller zu einem Berater, der in Zusammenarbeit mit dem Arzt für die richtige Anwendung der Arzneimittel sorgt. Die Niederlassungsfreiheit führte in den 1960er-Jahren zur Erhöhung der Anzahl der Apotheken. Die zahlreichen Kostendämpfungsmaßnahmen im Gesundheitswesen reduzierten seit den 1975er-Jahren das Einkommen der Apothekenbesitzer gravierend. Steigende Kosten, etwa für Energie, werden zur Schließung weiterer Apotheken führen und die Apotheken­dichte, vor allem auch im ländlichen Raum, reduzieren.

Foto: Stefan/AdobeStock

DAZ: Mit der Wiedervereinigung sind zwei Gesundheitssysteme zusammengekommen. Wie sieht die Bilanz der Zusammenführung mit Blick auf die Pharmazie aus?

Friedrich: Das Apothekenwesen gehört zu den wenigen Bereichen, von denen man eindeutig sagen muss, dass die Wiedervereinigung gelungen ist. Nicht zuletzt dank der unbürokratischen Hilfe der westdeutschen Apothekerkammern und -verbände konnte hier sehr schnell ein modernes privatwirtschaftliches Apothekenwesen aufgebaut werden, dass sich heute kaum von dem in den alten Bundesländern unterscheidet. Viele ostdeutsche Apotheker haben die Chance genutzt und sich zu erfolgreichen Unternehmern entwickelt, die zudem einige Tugenden des ostdeutschen Apotheken­wesens weiterpflegen. So gab es dort ein sehr kollegiales Verhältnis zu den Ärzten. Die ostdeutschen Apotheker waren wirtschaftlich nicht von diesen abhängig und die sehr intensive Kommunikation zwischen beiden Berufen fand auf Augenhöhe statt. Besonders erfolgreich erfolgt diese in den ehe­maligen Polikliniken der ostdeutschen Bundesländer, wo nach wie vor der Apotheker mit den einzelnen Ärzten in engstem Kontakt zum Wohle der Patienten steht.

Foto: Privat

Die nach und nach in Rente gehenden Pharmazieingenieure werden laut Pharmaziehistoriker Prof. Dr. Christoph Friedrich eine große Lücke hinterlassen. „Da aus Kapazitätsgründen vorerst die Anzahl der Studienplätze für Pharmazie nicht erhöht werden kann, wirkt sich das Fehlen dieses Berufes mit Vertretungserlaubnis besonders gravierend aus und belastet die Apothekenleiter zusätzlich“, so Friedrich.

DAZ: Ohne zu sehr in Nostalgie zu verfallen: Welche Dinge, die verschwunden sind, hätte es in unseren Apotheken weiterhin geben müssen?

Friedrich: Es gab in einigen Pharmazeutischen Zentren Informationsmaterialien, wie zum Beispiel der „Infor­mationsdienst“ in Rostock, die das Apothekenwesen den Ärzten zur Verfügung stellte und die nicht nur über Versorgungsengpässe informierten, sondern auch über neue Arzneimittel, neue Erkenntnisse und Spezifika. Dazu gehört auch die Tatsache, dass man in der DDR-Apotheke von Patienten und nicht von Kunden sprach, denn dies hebt den Apothekerberuf auf die gleiche Stufe wie den Arzt.

Die in den Pharmazeutischen Zentren der DDR existierenden großen zentralen Herstellungsabteilungen, die auch immer stärker für die semiindustrielle Herstellung von nicht lieferbaren Arzneimitteln genutzt wurden, waren vor allem den Lieferengpässen der sozialistischen Planwirtschaft geschuldet. Sie sind mit ihren Geräten für die Großherstellung – wie Tablettenpressen, Tubenabfüllgeräten etc. – auch verschwunden. Arzneimittelherstellung in einem zentralen Labor für mehrere Apotheken dürfte aber sicherlich effektiver sein als eine Defekturherstellung in jeder Apotheke.

Als schmerzlich empfindet ein Pharma­ziehistoriker, wenn eine so bekannte historische Apotheke wie die Adler-Apotheke in Leipzig, in der schon der Dichter Theodor Fontane (1819 – 1898) als Apothekergehilfe gearbeitet hat, ihre historische Offizin „modernisiert“.

Eine große Lücke hinterlassen schließlich die nun nach und nach in Rente gehenden Pharmazieingenieure. Da aus Kapazitätsgründen vorerst die Anzahl der Studienplätze für Pharmazie nicht erhöht werden kann, wirkt sich das Fehlen dieses Berufes mit Vertretungserlaubnis besonders gravierend aus und belastet die Apothekenleiter zusätzlich.

„Pharmaziehistoriker werden es bedauern, dass E-Rezepte in 100 Jahren kaum noch einer Analyse unterzogen werden können.“

Prof. Dr. Christoph Friedrich

DAZ: Einige Veränderungen stehen uns im Hinblick auf die Digitalisierung im Gesundheitswesen unmittelbar bevor. KIM und TIM statt Fax und E-Rezepte sollen Papierrezepte verdrängen. Werden in der heutigen Zeit viele Veränderungen zu vollmundig angekündigt?

Friedrich: Ja, bei manchen vollmundig angekündigten Veränderungen zeigen sich dann schon bei der Einführung Schwierigkeiten, wie man jetzt beim E-Rezept sieht. Pharmaziehistoriker werden es bedauern, dass E-Rezepte in 100 Jahren kaum noch einer Analyse unterzogen werden können, das geht uns ja auch mit E-Mails so. Briefe und Papierrezepte sind geblieben und bieten die Möglichkeit, aus historischen Untersuchungen Rückschlüsse für die Gegenwart zu ziehen, wie unser Verbund-Projekt zur Geschichte der Rezepte zeigt. Bei der Digitalisierung muss zudem aufgepasst werden, dass der Patient nicht auf der Strecke bleibt. Viele unserer Patienten sind ältere Menschen, die gerne ihre Informationen auf Papier gedruckt erhalten wollen und die Schwierig­keiten mit einem E-Rezept haben. In Apotheken begegnen uns kranke, häufig ältere Menschen, die Zuwendung brauchen und die lässt sich (noch)nicht digitalisieren.

Foto: LiliGraphie/AdobeStock

DAZ: Als Pharmaziehistoriker dürfen Sie auch mal in die Zukunft blicken: Mit welchen unmittelbaren Neuerungen in den Apotheken und im Pharmaziestudium rechnen Sie?

Friedrich: Im Apothekenwesen wird man wohl mit einer stärkeren Komprimierung rechnen müssen, das gegenwärtige „Apothekensterben“ kündigt dies bereits an. Es wird wohl immer weniger, dafür aber größere Apotheken, evtl. mit Filialen, geben. Wichtig ist aber, dass einwohnerschwache Gebiete nicht von einer guten pharmazeutischen Versorgung abgekoppelt werden. Hoffen kann man nur, dass die Politik die Vorzüge der deutschen Apotheke gegenüber ausländischen Internet-Apotheken weiter anerkennt.

Wenn die Vorschläge zur Änderung der Approbationsordnung umgesetzt werden, wird dies zu hervorragend ausgebildeten Apothekern führen, die auf ihre Hauptaufgabe, die Beratung der Patienten und der Ärzte, noch besser vorbereitet sind. Das Pharmazie­studium erlebt gegenwärtig größere Veränderungen, Fächer wie Pharmakologie und Klinische Pharmazie gewinnen an Bedeutung, wobei in diesem Unterricht auch Kenntnisse für die Beratung in der Apotheke vermittelt werden. Wichtig ist jedoch auch, dass das Pharmaziestudium nicht seine naturwissenschaftliche Basis verliert, wenn auch einige für die moderne Pharmazie weniger relevante Themen, etwa aus der Chemie, verschwanden. Aber ohne gründliche Kenntnisse der Pharmazeutischen Chemie, Pharmazeutischen Biologie und der anderen Hauptfächer ist die Wirkungsweise der immer komplizierter werdenden Arzneimittel nicht zu verstehen. Wenn der Pharmazeut weiterhin der Arzneimittelfachmann bleiben will, muss er diese Grundlagen verstehen. Dafür ist aber eine Verlängerung des Studiums auf zehn Semester, die es schon seit 1975 in der DDR gab, unbedingt erforderlich. Auch die Anfertigung einer wissenschaftlichen Arbeit, früher Diplom-, heute Master­arbeit, ist wichtig für einen wissenschaftlich ausgebildeten Apotheker. Als Pharmaziehistoriker wünsche ich mir natürlich, dass in der Ausbildung eines so traditionsreichen Berufes wie der des Apothekers weiterhin dessen Geschichte berücksichtigt wird, die das Verständnis von neuen Entwicklungen erleichtert und auch Grundlagen für ein ethisches Verhalten im Beruf legt.

DAZ: Herr Professor Friedrich, vielen Dank für das Gespräch. |

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