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Den Tätern die Schrecksekunde nicht gönnen

Drohanrufe im Notdienst: Interview mit Rheinland-Pfalz‘ Kammerpräsident Peter Stahl

gbg | Drohanrufe im Notdienst sind nach wie vor ein Problem in den Apotheken. Die Landesapothekerkammer (LAK) Rheinland-Pfalz räumt dem Thema hohe Priorität ein: Zusammen mit Hamburg hat sie unter anderem beim Deutschen Apothekertag einen Antrag eingebracht, in dem der Gesetzgeber aufgefordert wird, das Strafrecht nachzuschärfen, um die Täter belangen zu können. Die DAZ sprach mit dem Präsidenten der LAK, Peter Stahl, darüber, was jetzt nötig ist, um die diensthabenden Approbierten besser zu schützen als bisher.
Foto: DAZ/Alex Schelbert

Peter Stahl,Präsident der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz beim Deutschen Apothekertag 2022.

DAZ: Herr Stahl, die Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz hat sich in einem Rundschreiben vom März 2022 intensiv mit dem Thema Drohanrufe im Notdienst befasst und in einem Leitfaden dargestellt, was die Kolleginnen und Kollegen tun können, um sich zu schützen. Weshalb haben Sie das Problem so in den Fokus ge­nommen?

Stahl: Wir beobachten derzeit ganz allgemein eine Verrohung der Gesellschaft, die sich in einem fragwürdigen Umgang miteinander niederschlägt. Das erleben wir auch im Notdienst: Unsere Mitglieder berichten von Bedrohungen, Beschimpfungen und sexuell belästigenden Anrufen. Betroffen sind nach unserer Kenntnis vor allem Kolleginnen im Nachtdienst. Das ist hochproblematisch. Wir wollen nicht wegschauen, sondern Unterstützung anbieten, so gut wir können.

Foto: imago images/Westend61

DAZ: Sind Ihnen aus dem persönlichen Umfeld Fälle bekannt?

Stahl: Ich selbst habe so etwas zum Glück noch nie erlebt. Einem Mitarbeiter eines Kammerkollegen ist es aber schon passiert, dass er am Telefon bedroht wurde, und der betroffene Apotheker hat den Vorfall recht drastisch geschildert. Es ist einfach erschütternd, was unsere Mitglieder an uns herantragen. Eine Kollegin hat sogar berichtet, dass der Anrufer letztlich bei ihr vor der Apothekentür stand und versucht hat, einzubrechen. Sie konnte die Tür zuhalten und hat laut um Hilfe gerufen, das hat den Angreifer vertrieben. Aber dieses Beispiel zeigt, dass durchaus die Gefahr besteht, dass es nicht bei einer verbalen Attacke bleibt. Wir müssen alles daran setzen, solche Vorfälle im Keim zu ersticken.

DAZ: Was tut die Kammer konkret?

Stahl: Unser Rundschreiben haben Sie bereits angesprochen. Darin haben wir viele Tipps gesammelt, wie man auf belästigende Anrufe reagieren kann. Es ist wichtig, sich auf solche Situationen vorzubereiten, um dem Anrufenden die Kontrolle über das Gespräch zu nehmen und sich nicht machtlos zu fühlen. Man darf den Tätern die Schrecksekunde nicht gönnen. Wir stehen diesbezüglich auch mit der Telefonseelsorge in Kontakt, die bei Bedarf Schulungen zum Umgang mit solchen Anrufen anbietet.

DAZ: Damit zielen Sie vor allem auf die individuelle beziehungsweise inner­betriebliche Ebene ab. Sehen Sie auch bei der Strafverfolgung Nachbesserungsbedarf?

Stahl: Absolut. Bisher ist es nur schwer möglich, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Um das zu ändern, haben wir zusammen mit der Kammer Hamburg einen Antrag beim Deutschen Apothekertag eingebracht, in dem wir den Gesetzgeber auffordern, das Strafrecht nachzuschärfen, um das Problem in den Griff zu bekommen. Der Staat möchte, dass wir die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung Tag und Nacht sicherstellen. Dann muss er auch dafür sorgen, die Kolleginnen und Kollegen angemessen zu schützen. Solche Vorfälle wirken sich natürlich auch auf die Bereitschaft aus, Notdienste zu leisten. Das verschärft Probleme, mit denen wir ohnehin schon zu kämpfen haben.

„Ich kann nur an alle Betroffenen appellieren, das Erlebte nicht in sich hineinzufressen, sondern die Vorfälle zu melden, sowohl an uns als auch die Polizei.“

Peter Stahl

DAZ: Der DAT war Mitte September – hat sich seither schon etwas getan?

Stahl: Nicht, dass ich wüsste. Man muss aber auch bedenken, dass die ABDA sehr viele Hausaufgaben aus München mitgenommen hat, da müssen wir wohl noch ein wenig Geduld haben. Das Thema wird sich auch nicht kurzfristig erledigen, wir werden einen langen Atem brauchen, um wirklich etwas zu bewegen. Ideal wäre es, wenn wir dieses Problem gemeinsam mit anderen Gesundheitsberuflern, die ähnlich negative Erfahrungen machen, an die Politik herantragen könnten. Aber das sind dicke Bretter, die wir bohren müssen. Mir scheint, dass nicht einmal innerhalb unseres eigenen Berufsstands alle verstanden haben, wie ernst es ist.

DAZ: Wie kommen Sie auf diesen Gedanken?

Stahl: Zu unserem Antrag gab es beim DAT keinerlei Diskussion. Das wäre nachvollziehbar, wenn wir uns alle einig wären – es haben aber nur etwa 85 Prozent der Delegierten für den Antrag gestimmt. Was ist mit den anderen? Wie kann man dagegen sein? Ich hätte gern gewusst, was genau die Kolleginnen und Kollegen davon abgehalten hat, mit Ja zu votieren. Leider hat sich niemand zu Wort gemeldet. Auch bei einer Sitzung der Bundesapothekerkammer habe ich das Thema auf den Tisch gebracht. Die Resonanz war verhalten. Es gibt einfach noch zu viele, die glauben, es beträfe nur einzelne und die keinen Grund sehen, aktiv zu werden. Das halte ich für falsch.

DAZ: Da spricht auch das Ergebnis einer DAZ-Umfrage eine andere Sprache: Drei von vier Approbierten haben demnach schon mal einen solchen Anruf im Notdienst erhalten, unter den Frauen sind es sogar 84 Prozent. Allerdings melden offenbar nur sehr wenige Betroffene den Vorfall. Auch wenn die Umfrage nicht repräsentativ ist, deutet das Ergebnis darauf hin, dass die Dunkelziffer sehr hoch ist.

Stahl: Das vermuten wir auch. In unserem Rundschreiben vom März haben wir unsere Mitglieder ausdrücklich aufgerufen, uns und die Polizei über belästigende Anrufe zu informieren. Wir brauchen erst mal belastbare Zahlen, um der Politik klarzumachen, dass es ein echtes Problem ist. Bei uns hat sich die Melderate nicht erhöht, ich weiß aber, dass das zum Beispiel in Hamburg anders aussieht, auch wenn ich die konkreten Zahlen nicht kenne. Ich kann nur an alle Betroffenen appellieren, das Erlebte nicht in sich hineinzufressen, sondern die Vorfälle zu melden, sowohl an uns als auch die Polizei. Wir können zwar in der individuellen Situation meist nicht helfen, aber wir brauchen die Information, um grundlegend etwas zu verändern. Und auch bei der Polizei sollten derartige Anrufe statistisch erfasst werden, damit wir eine Argumentationsgrundlage gegenüber der Politik haben.

DAZ: Herr Stahl, vielen Dank für das Gespräch! |

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