Aus den Ländern

Antibiotikaprobleme: Lieferengpässe und ökologische Folgen

Scheele-Tagung in Warnemünde

ROSTOCK-WARNEMÜNDE (tmb) | Vom 11. bis 13. November trafen sich etwa 140 Apothekerinnen und Apotheker in Mecklenburg-Vorpommern erstmals seit 2019 zu einer Scheele-Tagung in Präsenz. Zum Tagungs­wochenende gehörte wieder der Apothekertag Mecklenburg-Vorpommern (siehe Seite 67). Im fachlichen Teil ging es um Antibiotika. Besonders aktuell war das Vorsymposium zu Antibiotikarückständen in der Umwelt und zu Lieferengpässen.

Die zentrale Frage der Scheele-Tagung war, ob Antibiotika „vom Retter der Menschheit zum Sorgenkind“ werden. Das Vorsymposium am 11. November lehnte sich diesmal besonders eng an das Hauptthema an, wie der Vorsitzende der Scheele-Gesellschaft, Prof. Dr. Christoph Ritter, und der stellvertre­tende Vorsitzende Prof. Dr. Thomas von Woedtke bei der Eröffnung betonten. Dabei ging es um die wichtigen Aspekte, die vor und nach der Therapie liegen: Versorgung und Entsorgung.

Antibiotika mit One-health-Ansatz betrachten

In seinem Vortrag zu Antibiotikarückständen und -resistenzen merkte Prof. Dr. Sebastian Günther, Greifswald, zunächst an, dass Resistenzen ein natürliches Phänomen sind. Resistenzgene sind auch in konservierten Eiszeittieren im Permafrost zu finden. Doch heute ergeben sich durch den Eintrag von Antibiotikaresten in die Umwelt ganz andere Entwicklungen. Günther sieht den Umgang mit Antibiotikaresistenzen als Paradebeispiel für den One-health-Ansatz, der die Gesundheit von Menschen und Tieren sowie die Folgen für die Umwelt gemeinsam betrachtet. Bei Antibiotika kommt es gerade auf diese Zusammenhänge an. Denn Resistenzgene, die für Bodenkeime typisch sind, kommen mittlerweile in Menschen vor, und typische Krankheitserreger für Menschen sind zunehmend in der Umwelt zu finden.

Foto: DAZ / tmb

Prof. Dr. Sebastian Günther, Greifswald, bei seinem Vortrag.

Resistenzausbreitung durch Selektionsdruck

Die Ausbreitung von Resistenzen wird gemäß einem alten Dogma durch Selektionsdruck erklärt. Wenige resistente Keime können bei einer Antibiotikabehandlung dazu führen, dass die nächste Generation der Keime weitgehend resistent ist. Bei geringeren Antibiotikakonzentrationen in der Umwelt läuft dieser Vorgang ähnlich, aber langsamer ab. Da bereits subklinische Konzentrationen ein Ökosystem umkippen lassen können, sieht Günther Antibiotikareste in der Umwelt problematischer als Rückstände anderer Arzneimittel. Beta-Lactam-Antibiotika sind aufgrund ihrer relativ geringen Stabilität kaum in der Umwelt zu finden, stabilere Antibiotika hingegen umso mehr. Die wichtigsten Quellen sind weitgehend bekannt. Günther betonte, dass die Einträge durch die Veterinärmedizin aufgrund jahre­langer Bemühungen zurückgegangen sind. Doch die Nachfrage nach billigem Fleisch mit den daraus folgenden Haltungsbedingungen setze hier Grenzen. Zu bedenken sei auch, dass Menschen und Tiere etwa 90 Prozent der Antibiotika unverändert ausscheiden. In Ländern mit Antibiotikaproduktion würden in den Industrie­abwässern sogar wirksame Konzentrationen von Antibiotika gefunden.

Arzneimittel werden durch die üblichen Kläranlagen nicht zurückgehalten. Hierzulande enthalten Klärschlämme die höchsten Konzentrationen von Antibiotika in der Umwelt, weil Kläranlagen mit vielen Nährstoffen, Biofilmen und großen Mengen von E. coli sogar als Bioreaktoren wirken. Dennoch sei das Ausbringen von Klärschlämmen nur für Städte mit über 50.000 Einwohnern verboten. Günther forderte ein vollständiges Verbot. Durch Selektionsdruck können bei einer Antibiotikatherapie typische Resistenzgene von einzelnen Bodenbakterien im Darm auf menschliche Keime übergehen. Dafür reicht der Austausch eines einzigen Plasmids. Mittlerweile sind aber auch im Boden etwa 15 Mal mehr Resistenzen als vor der Antibiotikaära zu finden. Offenbar ist ein Kreislauf in Gang gekommen, bei dem Resistenzen wieder in die Umwelt gelangen, folgerte Günther und machte auf die weitere Konsequenz aufmerksam: „Was in der Umwelt ist, kommt auch in der Klinik an.“

Seit etwa 15 Jahren werden sogar multiresistente Keime in der Umwelt ge­funden. Günther hat dies bei eigenen Untersuchungen in Greifswald und Umgebung, auch an einem beliebten Badestrand, bestätigt. Viele solche Beobachtungen, beispielsweise an Ratten in Klinikabwässern, lassen sich durch Selektionsdruck erklären, aber es wurden auch multiresistente Keime in Wildtieren gefunden. Günther berichtete über eigene Untersuchungen vor fünf Jahren an Wildvögeln in der Mongolei. Dort gebe es keinen Selektionsdruck.

Virulenzeigenschaften als zusätzliches Problem

Als Erklärung vermittelte Günther, dass die Resistenz insbesondere bei multiresistenten Gram-negativen Keimen mit einer zusätzlichen Überlebensfähigkeit gekoppelt ist. Beispielsweise wurde bei resistenten E. coli ein besonders stabiler Biofilm gefunden, der bei nicht resistenten E. coli nicht vorkommt. Solche zusätzlichen Eigenschaften können auch Unempfindlichkeiten gegen Schwermetalle sein, sodass die Umweltverschmutzung durch Schwermetalle die Verbreitung dieser Bakterien fördert. So werden diese zusätzlichen Virulenzeigenschaften zu einem zweiten Instrument für die Verbreitung resistenter Keime. Dies verdeutlicht die Dimension des Problems. Darum forderte Günther, die Antibio­tikaeinträge in die Umwelt deutlich zu reduzieren. Ein Ansatz dazu ist die Vorbehandlung von Krankenhausabwässern, beispielsweise mit UV-Licht oder Plasma.

Foto: DAZ/tmb

Nach drei Jahren Corona-Pause fand die Scheele-Tagung nun wieder in Präsenz in Warnemünde statt.

Immer mehr Lieferengpässe

Ein anderes Problem, das zeitlich vor dem Arzneimitteleinsatz liegt, beschrieb Prof. Dr. Martin Hug, Freiburg, in seinem Vortrag über Lieferengpässe bei Antibiotika. Er wies auf die Diskrepanzen zwischen unterschiedlichen Statistiken zur Häufigkeit von Lieferengpässen hin, die sich aus freiwilligen Meldungen beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), unterschiedlichen Zählweisen und den jeweils relevanten Zeiträumen ergeben. Das BfArM zählt nur Lieferengpässe über voraussichtlich mehr als zwei Wochen. Eine Lieferunfähigkeit von zwei Wochen könne bei einer guten Lagerhaltung in einer Krankenhausapotheke zu verkraften, aber in einem anderen Einzelfall problematisch sein. Insgesamt zeigt sich ein Trend zu immer mehr Lieferengpässen. In seiner Statistik in der Krankenhausapotheke der Uniklinik Freiburg hat Hug zuletzt 499 Lieferengpässe und damit die bisher höchste Zahl verzeichnet. Davon dauere ein großer Teil „nur“ höchstens drei Wochen, aber 100 Lieferengpässe würden seit über zwölf Wochen bestehen.

Weltweites Problem

Hug betonte, dass Lieferengpässe ein weltweites Problem sind. Aus den USA liegen viele Arbeiten dazu vor. Gemäß einer US-amerikanischen Studie von 2020 ist die Ursache in mehr als der Hälfte der Fälle unbekannt. Als häufigster bekannter Grund werden mit 14 Prozent Unternehmensentscheidungen genannt. Hug nannte vielfältige mögliche Gründe, beispielsweise plötzliche Nachfrageerhöhungen, Chargenprobleme, Engpässe bei Wirk- oder Hilfsstoffen, Katastrophen, Unter­nehmensübernahmen, Insolvenzen, schlechte Planung und Unternehmensstrategien angesichts höherer Preise in anderen Ländern. Ein wesentliches Problem sei, dass viele Monopräparate und viele Wirkstoffe weltweit nur von einem Hersteller oder sehr wenigen Herstellern angeboten werden. Die meisten Arzneimittelexporte kommen aus China, gefolgt von Indien. Doch bei Antibiotika liege Italien auf Platz zwei und dies habe bei den dortigen Corona-Lockdowns auch in Deutschland belastend gewirkt, erklärte Hug.

Information als wichtigste Reaktion

Für Krankenhausapotheken berichtete Hug über ein recht breites Spektrum an Handlungsmöglichkeiten bei Versorgungsproblemen durch Lieferengpässe, beispielsweise Umstellung auf andere Arzneimittel oder Applikationsformen, Importe und Eigenherstellung. Doch jeder Therapiewechsel berge durch die Abweichung von Gewohnheiten Risiken für die Arzneimitteltherapiesicherheit. Hug betonte, die wichtigste Maßnahmen sei auf jeden Fall die Information der Patienten und Ärzte. Chronisch Kranken müsse die Angst genommen werden, die bei der Nicht-Verfügbarkeit eines Arzneimittels entsteht. In der Diskussion zum Vortrag wurde die Möglichkeit eines Aut-simile-Austausches, zumindest für den Notdienst, angeregt. Doch Hug gab zu bedenken, die Politik könnte dann einen Wechsel zur billigsten Möglichkeit fordern. |

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