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Aus den Ländern
Pharmazie und Psyche im Wandel der Zeit
Pharmaziehistoriker der Landesgruppen Baden und Württemberg trafen sich in Bad Schussenried
Arznei für „Irre“
Nach den Grußworten von Vertretern der Stadt und des LAV in der Region berichtete Larissa Leibrock-Plehn (Brackenheim) über die medikamentöse Therapie psychisch Kranker im 19. Jahrhundert am Beispiel der 1857 eröffneten „Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster“. Nachdem Geisteskranke jahrhundertelang menschenunwürdigen Zwangsmaßnahmen wie Aderlass, Hungerkuren oder mechanischen Zwangsstühlen ausgesetzt waren, führte Ende des 18. Jahrhunderts das Konzept des französischen Arztes Phillipe Pinel (1745 – 1826) zu neuen Wegen in der Psychiatrie: Die vorher übliche Verwahrung Geisteskranker unter gefängnisartigen Bedingungen wurde ersetzt durch eine Behandlungsmethode, bei der gute Ernährung, Ordnung, Beschäftigung mit Musik u. ä. im Vordergrund stand, das „traitement moral“. Auf dieser Basis entstanden im 19. Jahrhundert auch in Deutschland „Heil- und Pflegeanstalten“ vorzugsweise an abgelegenen und landschaftlich schönen Orten. Die Krankenakten aus Klingenmünster (Pfalz) belegen, dass Maßnahmen wie ein geregelter Tagesablauf, Bäder und Beschäftigungstherapie in vielen Fällen eine heilende Wirkung entfalteten. Nur etwa 40% der Kranken – besonders die Tobsüchtigen – erhielten sedierende Medikamente, wobei Opium, Morphin und ab 1870 Chloralhydrat die Hauptrolle spielten. In Einzelfällen wurde Kaliumbromid und das Alkaloid Hyoscin verabreicht, bei Nebenwirkungen jedoch wieder abgesetzt. Gegen Ende des Jahrhunderts kam mit Sulfonal ein neues synthetisches Schlafmittel auf den Markt, das ebenfalls appliziert wurde. Insgesamt lässt sich festhalten, dass etwa 40 Prozent der Patienten – teils mit und teils ohne Medikamente – nach einer Behandlung von mehreren Wochen bzw. Monaten als „geheilt“ oder „gebessert“ aus der Anstalt entlassen werden konnten.
Schönheit aus Karlsruhe
Michael Mönnich (Karlsruhe) sprang für eine erkrankte Referentin ein und stellte in seinem Vortrag dar, wie auch Kosmetika einen Beitrag zum seelischen Wohlbefinden von Menschen leisten können. Er schilderte anhand der Akten im Stadtarchiv Karlsruhe die Geschichte der Parfümerie- und Toilettenseifenfabrik F. Wolff & Sohn, die 1829 mit Gründung eines Friseursalons durch Ludwig Gottlob Friedrich Wolff (1803 – 1864) ihren Anfang nahm. 1857 trat der Sohn Friedrich Wolff (1833 – 1920) in die inzwischen gewachsene Firma ein und brachte Kenntnisse und Erfahrungen bei der Herstellung von „feinen englischen und französischen Parfümerien“ mit, die er sich bei längerem Aufenthalt in Frankreich erworben hatte. Neben Parfüm und Toilettenseifen enthielt das Sortiment der Fabrik F. Wolff & Sohn auch Puder, Hautcreme, Rasiercreme, Haarwasser und Zahnpflegeprodukte. Die Firma knüpfte internationale Kontakte und zog 1891 an die Durlacher Allee im Osten der Stadt um. Nachdem 1913 noch etwa 1000 Mitarbeiter beschäftigt waren, erlitt die Firma mit Beginn des Ersten Weltkrieges unter der Kriegswirtschaft einen Rückschlag und stellte zwangsweise KA-Seife („Kriegsausschuss-Seife“) mit stark reduziertem Fettanteil her. Zum großen Geschäftserfolg in der Nachkriegszeit trugen Werbeplakate der Graphiker Ludwig Hohlwein (1874 – 1949) und Jupp Wiertz (1888 – 1939) für die umsatzstarke Marke „Kaloderma“ bei. Nach dem Tod von Friedrich Wolff im Jahr 1920 führten dessen Söhne, ein Schwiegersohn und ein Neffe das Unternehmen weiter. Obwohl die Fabrik 1944 starke Kriegsschäden erlitten hatte, konnte die Produktion im Juni 1945 mit 30 Mitarbeitern wieder aufgenommen werden. Die Akten belegen, dass Apotheken für den Vertrieb der Firmenprodukte in den 60er-Jahren nur eine untergeordnete Rolle spielten. Mit Verkauf der Firma an die Fa. Schwarzkopf wurde Ende 1973 die Produktion in Karlsruhe eingestellt.
Haschisch als Medikament
Manfred Fankhauser (Langnau, Schweiz) berichtete über die medizinische Nutzung von Hanf, schon lange Bestandteil der traditionellen Materia medica. Schon im 19. Jahrhundert begannen einige Ärzte damit, sich intensiv mit dem therapeutischen Einsatz von Cannabis indica und Cannabis sativa auseinanderzusetzen. 1839 veröffentlichte der irische Arzt William B. O‘Shaughnessy (1809 – 1889), der am Medical College von Kalkutta lehrte, den Aufsatz On the preparations of Indian Hemp, or Gunja, in dem er auf die narkotische Wirkung von hasheesh hinwies. Wissenschaftliche Veröffentlichungen weiterer Autoren folgten, und Extractum cannabis indicae wurde in Arzneibücher aufgenommen sowie in Apotheken in Magistralrezepturen verarbeitet. Aufgrund von wirtschaftlichen Aspekten bei der zunehmenden Vermarktung von Fertigarzneimitteln sowie aufgrund rechtlicher Einschränkungen, beispielsweise der Single Convention on narcotic drugs der UN im Jahr 1961, verschwand Cannabis aus der Medizin. Inzwischen hat jedoch mit der Entdeckung und Erforschung des Endocannabinoid-Systems als einem Teil des menschlichen Nervensystems ein neues Zeitalter begonnen. Man fand heraus, dass Cannabinoide, wie Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD), sowie Endocannabinoide wie Anandamid (indisches Sanskrit, ananda: Glückseligkeit) an Cannabinoid-Rezeptoren binden und so ihre Wirksamkeit entfalten.
Am Sonntag erfuhren die Tagungsteilnehmer bei einer Führung durch das Klostermuseum, das auch eine Abteilung für Psychiatriegeschichte enthält, viel Interessantes über die wechselvolle Geschichte des Klosters und der „Königlichen Heil- und Pflegeanstalt Schussenried“. Den Höhepunkt bildete der prachtvolle Bibliothekssaal, dessen barockes Deckengemälde zahlreiche allegorische Figuren, darunter die Schutzpatrone Cosmas und Damian, umfasst. Zudem öffnete Apothekerin Beate Dochtermann für die Besucher die von ihr geführte „Alte Apotheke“, die sich seit 1833 in einem historischen Fachwerkgebäude befindet und seit 1894 im Familienbesitz ist.
Für die Organisation der gelungenen Tagung sei an dieser Stelle den beiden Vorsitzenden der DGGP-Landesgruppen Baden und Württemberg, Prof. Dr. Marcus Plehn und Prof. Dr. Michael Mönnich, herzlich gedankt!
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