Arzneimittel und Therapie

Wie hoch ist das kardiovaskuläre Risiko unter Hormonersatztherapie?

Die Rolle von Dosis, Wirkstoff und Darreichungsform

In der Postmenopause steigt das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen deutlich an. Die Einnahme einer Hormonersatztherapie, von der man sich früher sogar eine kardioprotektive Wirkung erhoffte, erhöht die Gefahr zusätzlich. Ob das kardiovaskuläre Risiko unter neueren Wirkstoffen, unterschiedlichen Dosierungen und Anwendungsformen unterschiedlich ausfällt, war Frage­stellung eines Mini-Reviews.

Zur Erinnerung: In den späten 1990er-Jahren gehörte die Hormonersatz­therapie (HET) zu den häufigsten Interventionen in der Menopause. Damit sollten nicht nur vasomotorische Symptome gelindert, sondern auch kardioprotektive Wirkungen erzielt werden. Diese Annahme beruhte damals vornehmlich auf Tier- und Beobachtungsstudien. Die Sicht der Dinge änderte sich, als in den folgenden zwei Dekaden mehrere randomisierte klinische Studien zu anderen Aussagen kamen. Als Beispiel seien hier zwei große Studien erwähnt:

In der HERS-Studie (Heart and Estrogen/progestin Replacement Study) wies die kombinierte Estrogen-Gestagen-Behandlung bei älteren Frauen mit bestehender Herzerkrankung auf ein erhöhtes Risiko für Koronar­ereignisse hin. Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen die beiden großen WHI(Women’s Health Initiative)-Studien, die vorzeitig abgebrochen wurden, da weder konjugierte equine Estrogene in Gestagen-Kombination (rund fünf Jahre) oder in der Monotherapie (knapp sieben Jahre) einen Vorteil ergaben. Die erwartete Reduktion kardiovasku­lärer Ereignisse blieb nicht nur aus, das Risiko war in einigen Endpunkten sogar erhöht (vor allem bei älteren Studienteilnehmerinnen).

Foto: RFBSIP/AdobeStock

Das Risiko unter Hormonen

Oral eingenommenes Estradiol und konjugierte equine Estrogene beeinflussen den Lipid- und Lipoproteinstoffwechsel positiv, indem sie zu einer Zunahme von HDL(High-density Lipoprotein)- und einer Abnahme von LDL(Low-density Lipoprotein)-Cholesterol führen. Außerdem wirken sie sich günstig auf den Kohlen­hydratmetabolismus aus, u. a. durch die Abnahme der Nüchtern-Glucose. Der Zusatz von Progesteron hingegen schwächt die vorteilhaften Wirkungen auf den Lipidstoffwechsel ab. Dieser abschwächende Effekt ist am geringsten unter der Kombination von konjugiertem equinem Estrogen plus mikronisiertem Progesteron. Durch eine Hormonersatztherapie können somit zwar kardiovaskuläre Risikofaktoren gesenkt werden. Daraus kann aber nicht automatisch der Schluss gezogen werden, eine Hormonersatztherapie sei zur Primärprävention kardiovaskulärer Ereignisse geeignet. Im Gegenteil: Sowohl unter einer Estrogen-Monotherapie wie auch unter einer kombinierten Hormonersatztherapie wurde in Studien ein erhöhtes Risiko fest­gestellt, ein kardiovaskuläres Ereignis zu erleiden (mit der Ausnahme von etwas weniger koronaren Herz­erkrankungen und Myokardinfarkten unter einer reinen Estrogen-Behandlung vornehmlich bei jüngeren Frauen). Auch im Hinblick auf eine Sekundärprävention kardiovasku­lärer Ereignisse zeigte eine Hormonersatztherapie keinen Benefit.

Neue Wirkstoffe, neue Fragen

Da zwischenzeitlich weitere Applikationsformen, andere Wirkstoffmodifikationen (z. B. mikronisiertes Progesteron) und andere Dosierungen der Hormonersatztherapie eingesetzt werden, stellt sich erneut die Frage, ob und in welchem Ausmaß eine solche Behandlung das kardiovaskuläre Risiko beeinflusst. Mithilfe eines „Mini-­Reviews“ sollte diese Frage geklärt werden. Er beruht auf der Auswertung randomisierter Studien, in denen die Wirksamkeit unterschiedlich gestalteter Hormonersatztherapien sowohl zur Primär- als auch zur Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse untersucht wurde. Im Fokus standen hierbei verschiedene Formulierungen, Dosierungen und Applikationswege der eingesetzten Hormone.

Der Einfluss der Dosis

In einigen Studien wurde ein Zusammenhang zwischen der Estrogen-Dosis und dem Schlaganfall­risiko beobachtet. Bei einer nied­rigen Dosis von 0,3 mg Estrogen pro Tag war die Schlaganfallrate vergleichbar mit der Rate bei Frauen, die nie eine Hormontherapie angewendet hatten. Eine signifikante Zunahme der Schlaganfallrate fand sich jedoch bei höheren Dosen über 0,625 mg Estrogen pro Tag.

Was ist mit bioidentischen Estrogenen?

Bioidentische Estrogene werden aus Pflanzen gewonnen und im Labor in eine ähnliche biochemische Struktur wie physiologische Estrogene gebracht, die in den weiblichen Ovarien oder anderen Geweben gebildet werden. Auf diese Weise sollen sie nebenwirkungsarm Wechseljahrsymptome lindern (s. auch DAZ 2021, Nr. 37, S. 32 „Natürlich durch die Wechseljahre?“). Inwiefern die beiden bioidentischen Estrogene Estradiol (17-beta-Estradiol) und Estron die Progression einer subklinischen Atherosklerose beeinflussen, wurde in Präventionsstudien untersucht. Die Zunahme der Intima-­Media-Dicke der Karotis unter einer Hormonersatztherapie war alters­abhängig. Sie war bei Frauen in der frühen Postmeno­pause unter einer Estradiol-Einnahme im Vergleich mit einer Placebo-Einnahme signifikant verringert. Bei Frauen, die sich in der späten Postmenopause befanden, war dieser Unterschied hingegen nicht zu beobachten.

Die Rolle des Gestagens

Da bei nicht hysterektomierten Frauen bei alleiniger Estrogen-Gabe ein erhöhtes Risiko für Endometriumhyperplasie und -karzinome besteht, muss bei diesen Frauen unbedingt ein Gestagen kombiniert angewendet werden. Aus Parallelstudien der WHI geht jedoch hervor, dass eine Estrogen-Gestagen-Kombination im Vergleich zu einer reinen Estrogen-Gabe das kardiovaskuläre Risiko erhöht. Zwischenzeitlich werden unterschiedliche Gestagene eingesetzt, und es ist anzunehmen, dass auch die Art des Gestagens das kardiovaskuläre Risiko beeinflusst. Dies zeigen beispielsweise Studien zum Risiko, unter einer Hormonersatztherapie eine venöse Thromboembolie zu erleiden. Bei der Kombination von Estrogenen mit mikronisiertem Progesteron ergab sich kein erhöhtes Thromboserisiko, während bei Kombinationen mit Norpregnan-­Derivaten (Nomegestrolacetat oder Promegeston) eine Risikosteigerung auffiel.

Pflaster als Alternative

Da transdermal appliziertes Estrogen im Vergleich zu oralem Estrogen keinem hepatischen First-pass-­Effekt unterliegt, hat es auch weniger Einfluss auf Koagulation und inflammatorische Biomarker. Theoretisch müsste sich dies in einem geringeren Risiko für Schlaganfälle und venöse Thromboembolien auswirken. Auch wenn es hierzu keine großen randomisierten Studien gibt, scheint dies der Fall zu sein. Daher wird bei Vorliegen eines moderaten kardiovaskulären Risikos und dem Bedarf einer Hormonersatztherapie eher zu einer transdermalen Applikation von Estrogen geraten. |

Literatur

Shufelt CL et al. The Role of Formulation, Dose, and Route of Delivery. J Clin Endocrinol Metab. 2021;106(5):1245-1254. doi: 10.1210/clinem/dgab042

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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