Pandemie Spezial

Wie geht es weiter mit Omikron?

Die Forschung zur neuen Virusvariante läuft auf Hochtouren

Omikron ist derzeit nicht nur die dominierende SARS-CoV-2-Variante in Deutschland, sie spielt auch in den Forschungsaktivitäten eine herausragende Rolle. Denn viele ihrer Eigenschaften sind noch unbekannt und bisherige Erkenntnisse durchaus überraschend. Fest steht bereits jetzt: Omikron ist nicht so harmlos wie ein Schnupfen.

Die erste Meldung einer neuen besorgniserregenden Virusvariante (variant of concern, VOC) an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erfolgte am 24. November 2021 aus Südafrika, bereits drei Tage später wurde in Deutschland der erste Fall bestätigt. Bald zeigte sich, dass sich Omikron in vielen Eigenschaften von den vorhergehenden besorgniserregenden Virusvarianten unterscheidet, erläuterte Prof. Dr. Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt/Main in einem Vortrag auf der virtuellen Fortbildungsveranstaltung pharmacon@home. So besitzt Omikron im Vergleich mit dem Wildtyp in dem Gen, das das Spike-Protein codiert, mehr als 30 Mutationen. Außerdem ist die Inkubationszeit mit nur zwei bis drei Tagen viel kürzer als bei allen bisherigen Varianten. Schon bald wurde klar, dass die verfügbaren Impfstoffe bei der neuen Variante nur unzu­reichend wirksam sind. Während die Corona-Schutzimpfung bei der Delta-­Variante sowohl vor einem schweren Krankheitsverlauf als auch in gewissem Maße vor einer Übertragung schützt, stellt sich das bei Omikron etwas anders dar. Durch die rasche Abnahme der Zahl der neutralisierenden Antikörper innerhalb kurzer Zeit bietet eine zweimalige Impfung keinen Schutz vor Ansteckung, aber immer noch vor einem schweren Verlauf. Auch bezüglich der Booster-Impfung haben Untersuchungen gezeigt, dass drei Monate nach der dritten Immunisierung nur noch ein Viertel der gegen Omikron wirksamen neutralisierenden Antikörper vorhanden waren.

Leichtere Symptome, aber nicht harmlos

Omikron wird in den Medien häufig als recht harmlose Variante dargestellt, die nur milde Symptome hervorruft. Und tatsächlich führte die zunehmende Verbreitung in Deutschland bislang nicht zu einem Anstieg der Fälle beatmungspflichtiger Patienten. Stattdessen füllten sich die Normalstationen der Krankenhäuser mit COVID-19-Patienten mit leichteren Verläufen. Der Grund dafür könnte laut Ciesek auch im veränderten Zelltropismus von Omikron liegen; das heißt im Unterschied zu den anderen Varianten werden die oberen Atemwege leichter als die Lunge infiziert. Dennoch warnte sie davor, Omikron als harmlos oder mit einem Schnupfen vergleichbar darzustellen. Denn in afrikanischen Ländern wie Simbabwe, Mosambik oder Angola, wo lediglich zwischen 20 und 30% der Bevölkerung mindestens eine Impfung erhalten haben, fordert Omikron noch immer zahlreiche Todesopfer. Besorgniserregend war auch die Erkenntnis, dass der in Europa zugelassene Antikörper Casirivimab/Imdevimab (Ronapreve®) eine deutlich geringere Neutralisierungsaktivität gegenüber Omikron als gegen andere SARS-CoV-2-Varianten besitzt und damit wahrscheinlich unwirksam ist. Das Paul-Ehrlich-Institut hatte vor wenigen Tagen darauf hingewiesen und gleichzeitig betont, dass in Regionen, in denen die Delta-Variante noch zirkuliert, Ronapreve® weiterhin entsprechend der Indikation großzügig eingesetzt werden kann. Dagegen ist laut Ciesek der ebenfalls in Europa zugelassene Antikörper Sotrovimab (Xevudy®) auch gegen Omikron gut wirksam und wird wahrscheinlich in Zukunft bevorzugt eingesetzt werden. Auch bei Paxlovid®, dessen Zulassung bald erwartet wird, ist keine Abnahme der Wirksamkeit gegen Omikron zu befürchten. Denn das Target dieses Arzneimittels ist nicht das bei Omikron mutationsbedingt stark veränderte Spike-Protein, sondern eine Virus-Protease.

Der Weg zu einem modifizierten Impfstoff

Weltweit wird intensiv an Impfstoffen und Arzneimitteln gegen SARS-CoV-2 und COVID-19 geforscht. Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller e. V. (vfa) berichtet, dass derzeit mindestens 348 Impfstoffprojekte laufen, wobei nicht alle eine EU-Zulassung anstreben, einige fokussieren auf eine Zulassung z. B. in Ostasien.

Verstärkt wird im Moment an Impfstoffen gearbeitet, die gegen die Omikron-Variante von SARS-CoV-2 gerichtet sind. Dazu passen die Hersteller die Impfstoffe im Labor an die neue Variante an. Im Fall von mRNA- und Vektorviren-Impfstoffen wird dafür der RNA- bzw. DNA-Abschnitt, der die Bauan­leitung für das Spikeprotein (oder ein Stück davon) darstellt, gegen einen entsprechenden Abschnitt für das Spikeprotein der Variante ausgetauscht.

Dann wird der Impfstoff einer technischen Qualitätsprüfung (zur Konzentration der Inhaltsstoffe, der Reinheit und der Stabilität) unterzogen. Dabei sind keine Wirksamkeits- und Verträglichkeitstests mit Zellkulturen oder Tieren erforderlich. In zwei parallelen klinischen Studien wird der Varianten-Impfstoff mit Freiwilligen mit dem ursprünglichen Impfstoff verglichen: in der einen Studie als Erstimpfung, in der anderen als Auffrischimpfung. Dabei muss der Varianten-Impfstoff hinsichtlich der Bildung neutralisierender Antikörper gegen die neue Virusvariante besser abschneiden als der ursprüng­liche. Ein Kontakt der Geimpften mit dem Virus ist nicht erforderlich, es müssen keine Erkrankungsfälle gezählt werden.

Für den Varianten-angepassten Impfstoff wird bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) die Genehmigung beantragt. Sie kann nach einer priorisierten Prüfung die Genehmigung befürworten, die EU-Kommission sie dann genehmigen. Die eigentliche Produktion der Varianten-Impfstoffe ist relativ einfach, da sich am Herstellungsverfahren bei den mRNA- und Vektor-Impfstoffen kaum etwas ändert.

Unter www.vfa.de/de/arzneimittel-­forschung/coronavirus/omikron-impfstoffeIn gibt der vfa in einer Übersicht und in einem Podcast darüber Auskunft, welche Impfstoffhersteller derzeit an Omikron-Versionen ihrer Vakzine arbeiten.

Quelle

Impfstoffe zum Schutz vor der Coronavirus-Infektion COVID-19. Informationen des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller e. V. (vfa), Stand: 21. Januar 2022, www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/woran-wir-forschen/impfstoffe-zum-schutz-vor-coronavirus-2019-ncov

Noch viele offene Fragen

Unklar ist weiterhin, wie häufig eine Infektion mit Omikron in eine Long-COVID-Erkrankung münden kann, wie häufig es bei Kindern zu PIMS, ­einem in Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion auftretenden multisystemischen Entzündungssyndrom führt und wie groß der Nutzen einer zweiten Booster-Impfung ist. Ciesek rechnet damit, dass es zukünftig wahrscheinlich analog zur Influenza einen saisonalen Verlauf der Coronainfektionen geben wird. Ähnlich wie bei der Virusgrippe könnten Ältere und Immunsupprimierte ein höheres Krankheits- und Sterberisiko haben. Einig sind sich die Wissenschaftler auch darin, dass SARS-CoV-2 nicht mehr verschwinden und früher oder später jeder einmal die „Bekanntschaft“ mit diesem Virus machen wird. Ciesek hält es für deutlich sinnvoller, beim Zusammentreffen mit einer Virusvariante schon Antikörper zu besitzen als völlig ungeschützt zu sein. Wünschenswert ist aus ihrer Sicht ein Impfstoff, der zu einer sterilen Immunität führt, indem er bereits auf der Schleimhaut die Ansteckung verhindert. Intensive Forschungen an nasalen Impfstoffen laufen bereits. |

 

Literatur

An X et al. Single-dose intranasal vaccination elicits systemic and mucosal immunity against SARS-CoV-2. iScince 24(9) vom 24. September 2021

Ciesek S. Vortrag „Update Corona – allgemeine Situation und Wirkstoffe“, 7. Januar 2022, pharmacon@home

Stark verminderte Neutralisierungseigenschaften des Volllängen-Spike-Proteins der ­Omikron-Variante durch die Antikörperkombination Casirivimab/Imdevimab. Information des Paul-Ehrlich-Instituts vom 13. Januar 2022, www.pei.de, Abruf am 19. Januar 2022

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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