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Umweltschutz

Plastik im Essen

Wie Mikro- und Nanopartikel in den Körper gelangen und welche Auswirkungen das haben kann

Es schwimmt in den Meeren, Flüssen und im Trinkwasser. Nach Jahrzehnten von inflationärem Plastikgebrauch befinden sich Unmengen Abfall in quasi allen Gewässern und vielen Böden der Erde. Und dort werden sie bis auf absehbare Zeit bleiben. Bis ein Plastikgegenstand vollständig abgebaut ist, dauert es hunderte Jahre. Durch UV-Strahlung und mechanische Belastung entstehen aus Kunststoffen kleinste Teilchen im Mikro- und Nanometerbereich. Lebewesen nehmen die Partikel auf, die dann in die Nahrungskette gelangen. Welche Folgen eine chronische Belastung mit ­Mikro- und Nanoplastik hat ist weitestgehend unbekannt. | Von Ulrich Schreiber

Die ersten Kunststoffe wurden bereits im 19. Jahrhundert entwickelt, blieben aber zunächst teure Nischenprodukte. Mit der Weiterentwicklung von Stoffen wie Polyvinylchlorid, Polyethylen oder Polystyrol im 20. Jahrhundert wurde die Herstellung günstiger und die Anwendung in Alltagsprodukten nahm zu. Während die globale Industrie im Jahr 1950 rund 1,5 Millionen Tonnen Kunststoffe produzierte, waren es 2020 367 Millionen Tonnen. Der europäische Anteil daran betrug rund 55 Millionen Tonnen. Ein großer Teil der Produktion wird zu Verpackungsmaterialien verarbeitet, die meist nur einmal verwendet werden. Pro Kopf verursachte jeder Deutsche 2016 durchschnittlich rund 38 kg Plastikverpackungsabfall, der EU-Durchschnitt lag bei 24 kg [1, 2]. Würde der Plastikmüll recycelt, wäre das alles kein großes Problem. Viel davon gelangt jedoch in die Umwelt und persistiert hier für Jahrzehnte. Sonnenstrahlung, Wärme und mechanischer Abrieb beanspruchen das Material und brechen größere Teile wie eine Einwegflasche herunter zu Mikro- (5000 bis 0,1 µm) und Nanopartikeln (< 0,1 µm). Aber auch ohne Umwelteinflüsse entstehen kleinste Plastikpartikel, etwa durch Reifenabrieb auf Straßen oder beim Waschen von Kleidung aus synthetischen Materialien (z. B. Polyester). Eine Maschine mit 6 kg synthetischer Wäsche setzt mit dem Wasser rund 700.000 Mikro­fasern frei [3]. Auch manche Kosmetika enthalten Mikro- oder Nanoplastikpartikel. Über Klärschlamm, der zur Düngung auf Äcker aufgebracht wird, landen die Plastikpartikel im Boden. Selbst auf Flächen ohne Klärschlammeintrag finden sich Mikroplastikpartikel, wie Forscher der Universität Bayreuth zeigten. In einer 2018 publizierten Untersuchung eines Ackers in der Nähe von Nürnberg fanden sie pro Hektar 206 Makroplastikpartikel und 0,34 Mikroplastikpartikel pro kg Boden [4]. Es ist davon auszugehen, dass weniger schonend behandelte Böden deutlich größere Mengen an Plastikteilchen enthalten. Im Vergleich zu Böden ist der Plastikanteil in Gewässern besser erforscht. In einer 2020 erschienenen Studie fanden die Autoren im ­Sediment der Elbe mehr als 3 Millionen Mikroplastikpartikel pro Kubikmeter. Im Wasser schwammen dagegen durchschnittlich „nur“ 5,57 Partikel pro Kubikmeter [5]. Je nach Region und Gewässer schwankt der Gehalt stark. Während sich in einigen Meeren weniger als ein Mikroplastikpartikel pro Kubikmeter befindet, schwimmen in manchen Flüssen mehrere tausend Partikel pro Kubikmeter [6]. Die meisten Studien geben keine Auskunft über die Menge der schwieriger zu detektierenden Nano­plastikpartikel in den Proben.

Eigenschaften der Partikel sind entscheidend

Ähnlich variabel wie die Menge des Plastikabfalls in unterschiedlichen Ökosystemen sind Größe, Form und Zusammensetzung. Fasern und Folien werden am häufigsten gefunden, gefolgt von Fragmenten. Der mit Abstand größte Teil besteht aus Polyethylen (PE), Polypropylen (PP) und Polystyrol (PS). Weitere in Wasser- und Sedimentproben gefundene Kunststoffpartikel bestehen aus Polyvinylchlorid (PVC), Polyethylenterephthalat (PET), Polymethylmethacrylat (PMMA), Polyurethan (PUR), Polyamiden (PA) oder Styrol-Butadien-Copolymer (SBR). Die Oberfläche der Partikel kann durch Oxidation und Hydrolyse verändert sein. Auf ihnen können sich Biofilme bilden, sodass Partikel unter Umständen eine Fracht pathogener Keime mit sich tragen. Dazu kommt die Problematik der Zusatzstoffe. Viele Kunststoffe enthalten Weichmacher, Farbstoffe oder Stabilisatoren. Zudem bleiben oft Monomere der Polymerisierungsreaktion im Plastik zurück. Plastikpartikel ­haben zudem die Angewohnheit, hydrophobe Fremdstoffe aus dem Umgebungswasser zu akkumulieren. Somit könnten sie als „trojanische Pferde“ fungieren, wenn sie beladen mit Toxinen von Meerestieren aufgenommen werden. Spanische Ökotoxikologen testeten diese Hypothese kürzlich in Zebrafischen (Danio rerio), die sie Hexachlorbenzol und dem Insektizid Chlorpyrifos aussetzten. Die Testsubstanzen befanden sich entweder direkt im Wasser oder absorbiert in PE-Mikropartikeln (150 µm). Die Chemikalien im Gewebe der Mikropartikelgruppe waren nach 14 Tagen sogar niedriger konzentriert als in der direkt exponierten Gruppe [7].

Plastik im Blut

Eine Forschungsgruppe an der Universität ­Amsterdam hat 2021 in 17 von 22 humanen Blutproben Plastikrückstände feststellen können. In circa der Hälfte der untersuchten Proben konnte PET nachgewiesen werden, in einem Drittel Polystyrol. Ein Viertel der Proben enthielt Polyethylen, den weltweit am meisten hergestellten Kunststoff. Die meisten Blutproben beinhalteten nur eine Sorte Kunststoff. Es gab aber auch Personen, die Partikel aus mehreren Quellen im Blut hatten (sechs ­Studienteilnehmer). Quantitativ konnten ebenfalls Unterschiede festgestellt werden: Zwischen unter 1 µg bis über 12 µg Plastik pro ml Blut wurden im Vollblut identifiziert. Es ist unklar, ob die Partikel frei im Plasma schwammen oder an Zellen gebunden transportiert ­wurden. Ob und wie das Plastik ausgeschieden wird oder im Körper akkumuliert, ist noch nicht bekannt [15].

Muscheln besonders stark belastet

Der Mensch kommt vorrangig über das Trinkwasser und seine Ernährung in Kontakt mit kleinen Plastikpartikeln. Wer vor allem in Plastikflaschen abgefülltes Wasser trinkt, nimmt Schätzungen zufolge einige hundert Mikroplastikpartikel am Tag zu sich. Diese Menge lässt sich halbieren, wenn man auf Leitungswasser zurückgreift. Mit Lebensmitteln kommen täglich über 100 weitere Partikel hinzu, die Menge kann jedoch je nach Ernährungsweise schwanken. Besonders belastet sind Meeresfrüchte und Filtrierer, die ihre Nahrung aus dem Wasser filtern. Am stärksten belastet sind dabei Muscheln, wobei auch hier starke regionale Unterschiede bestehen. Während vor der belgischen Küste gesammelte Miesmuscheln im Durchschnitt 5,1 Plastikteilchen pro 10 g Muschelfleisch enthielten, hatten Mies­muscheln vor der chinesischen Küste zwischen 16 und 33 Plastikpartikel pro 10 g Muschelfleisch aufgenommen [8, 9]. Meersalz ist ebenfalls oft mit Mikroplastik belastet.

Zusammenfassender Ausblick

Winzige Plastikpartikel werden sich in den kommenden Generationen weiter in der Umwelt verteilen und anreichern. Das liegt nicht zuletzt am herrschenden Konsumismus. Plastikgegenstände und -verpackungen sind günstig zu produzieren, werden nur einmal gebraucht oder gehen schnell kaputt und werden oft nicht nachhaltig entsorgt. Fragmente, die sich bereits in der Umwelt befinden, brechen zu immer kleineren Partikeln auf, sodass sich das Problem vom Mikro- in den Nanometerbereich verschieben wird. Grundsätzlich sind Partikel im Nanometerbereich in allen Matrizes schwieriger zu detektieren und quantifizieren als größere Partikel. Sie werden von Organismen leichter aufgenommen. Neben analytischen Fragen und den toxikologischen Eigenschaften der Partikel werden kommende Generationen vor allem ein Problem klären müssen: Wie werden sie das Zeug wieder los? Hier könnten Mikroorganismen eine wichtige Rolle spielen. Weltweit arbeiten Forschungsgruppen an Pilzen und Bakterien, die Kunststoffe abbauen können und entwickeln diese gezielt weiter [12 – 14].

Kunststoff kann unserer Darmflora schaden

Im menschlichen Organismus am stärksten betroffen ist der zuerst exponierte Magen-Darm-Trakt. Hier kann die chronische Belastung mit Mikro- und Nanoplastik zu Störungen der Darmflora führen. Dazu können auch im Plastik enthaltene Weichmacher mit endokriner Wirkung wie Bisphenol-A (BPA) oder Phthalate beitragen, von denen bekannt ist, dass sie im Menschen und anderen Spezies die Diversität und Zusammensetzung des Mikrobioms beeinflussen. Diese endokrinen Disruptoren können außerdem die Integrität der Darmbarriere verändern. Wenig erforscht ist inwieweit Partikel abhängig von Größe, Material und Oberflächen­beschaffenheit vom Darm aufgenommen werden. Die Aufnahme in das Darmgewebe könnte über Phagozytose durch Makrophagen erfolgen, per Endozytose durch Enterozyten oder durch parazelluläre Aufnahme über Tight Junctions zwischen den Darmzellen. Mit steigender Partikelgröße wird es immer unwahrscheinlicher, dass die Partikel ins Darmgewebe gelangen. Es ist bekannt, dass Partikel, die kleiner als 150 µm sind, lokale Ansammlungen in der Schleimhaut bilden und von dort wahrscheinlich auch in andere Organe vordringen. Eine systemische Aufnahme über Blut- oder Lymphgefäße wird umso wahrscheinlicher, je kleiner die Partikel sind. In-vitro-Experimente zur intestinalen Aufnahme von Polystyrol-Nanopartikeln (50 bis 100 nm) zeigten, dass 1,5% bis 10% der Partikel die Darmbarriere durchdrangen. In Darmzellen eingedrungene Nanopartikel gelangen in Endolysosomen. Hier persistieren die Partikel, da die Zellen erfolglos versuchen, sie abzubauen, wie Zellkultur-Versuche zeigten. Menschen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, deren Darmbarriere beeinträchtigt ist, nehmen rund 25% mehr Partikel auf als gesunde Kontrollpersonen [3]. Kardiologen der Universität Marburg beobachteten in Mäusen, dass systemisch verabreichte PS-Partikel (1 µm) entzündliche Prozesse in Gefäßen in Gang setzten [10]. In einem anderen In-vivo-Experiment entwickelten Mäuse nach PS-Mikropartikel-Exposition über ihr Futter Anzeichen von Übergewicht. Veränderungen der Genexpression deuteten hier auf eine vermehrte Bildung von Adipozyten hin [11]. Bei der Erörterung der Langzeitfolgen ist die Frage nach einem Beitrag zur Krebsentstehung von entscheidender Bedeutung. Einige Hinweise sprechen dafür, dass winzige Plastikpartikel bei der Karzinogenese eine Rolle spielen. So ist von anderen Nanopartikeln bekannt, dass an ihrer Oberfläche reaktive Sauerstoffspezies entstehen, die das Genom schädigen können. Einige Weichmacher, darunter BPA und Phthalate, haben hormonelle und wahrscheinlich tumorpromovierende Wirkungen. Nanoplastikpartikel ver­ursachen möglicherweise epigenetische Veränderungen. Hier existieren große Wissenslücken, die die zukünftige Forschung füllen muss [3]. |
 

Literatur

[1] Heinrich-Böll-Stiftung und BUND (ed). Plastikatlas 2019. Daten und Fakten über eine Welt voller Kunststoff. 2nd ed. (2019)

[2] Plastics Europe. Plastics – the Facts 2021. An analysis of European plastics production, demand and waste data 2021

[3] Gruber ES et al. To Waste or Not to Waste: Questioning Potential Health Risks of Micro- and Nanoplastics with a Focus on Their Ingestion and Potential Carcinogenicity. Expo Health 2022, doi: 10.1007/s12403-022-00470-8

[4] Piehl S et al. Identification and quantification of macro- and microplastics on an agricultural farmland. Scientific reports 2018;8:17950, doi: 10.1038/s41598-018-36172-y

[5] Scherer C et al. Comparative assessment of microplastics in water and sediment of a large European river. The Science of the total environment 2020;738:139866, doi: 10.1016/j.scitotenv.2020.139866

[6] Aytan U et al. First evaluation of neustonic microplastics in Black Sea waters. Marine environmental research 2016;119:22–30, doi: 10.1016/j.marenvres.2016.05.009

[7] Schell T et al. Influence of microplastics on the bioconcentration of organic contaminants in fish: Is the „Trojan horse“ effect a matter of concern? Environmental pollution 2022;306:119473, doi: 10.1016/j.envpol.2022.119473

[8] Witte B et al. Quality assessment of the blue mussel (Mytilus edulis): comparison between commercial and wild types. Marine pollution bulletin 2014;85:146–155, 10.1016/j.marpolbul.2014.06.006

[9] Li J et al. Microplastics in mussels along the coastal waters of China. Environmental pollution 2016;214:177–184, doi: 10.1016/j.envpol.2016.04.012

[10] Vlacil AK et al. Polystyrene microplastic particles induce endothelial activation. PloS one 2021;16, doi: e0260181; 10.1371/journal.pone.0260181

[11] Zhao J. et al. Polystyrene bead ingestion promotes adiposity and cardiometabolic disease in mice. Ecotoxicology and environmental safety 202;232:113239, doi: 10.1016/j.ecoenv.2022.113239

[12] Kosiorowska KE, Moreno García AD, Iglesias R, Leluk K, Mirończuk AM. Production of PETase by engineered Yarrowia lipolytica for efficient poly(ethylene terephthalate) biodegradation. The Science of the total environment 2022;846:157358, doi: 10.1016/j.scitotenv.2022.157358

[13] Wang L et al. Analysis of the performance of the efficient di-(2-ethylhexyl) phthalate-degrading bacterium Rhodococcus pyridinovorans DNHP-S2 and associated catabolic pathways. Chemosphere 2022;306, doi: 135610; 10.1016/j.chemosphere.2022.135610

[14] Saeed S, Iqbal A, Deeba F. Biodegradation study of Polyethylene and PVC using naturally occurring plastic degrading microbes. Archives of microbiology 2022;204:497, doi: 10.1007/s00203-022-03081-8

[15] Leslie et al. Discovery and quantification of plastic particle pollution in human blood. Environmental International 2022;163:107199

Autor

Ulrich Schreiber studierte Chemie an der Uni Münster und Toxikologie an der Charité in Berlin. Derzeit promoviert er am Institut für Lebensmittelchemie der Uni Münster zu genotoxischen Naturstoffen. Nebenbei schreibt er regelmäßig für die DAZ.

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