Arzneimittel und Therapie

Vazkepa-Zulassungsstudie sät Zweifel

Hintergrundwissen zu dem außer Vertrieb genommenen Omega-3-Fettsäurepräparat

Zum 1. September 2022 hat die Amarin Deutschland GmbH ihr einziges Präparat Vazkepa® in Deutschland außer Vertrieb gesetzt. Man konnte sich mit dem GKV-Spitzenverband nicht auf einen Erstattungspreis einigen und empfiehlt nun den Import (s. DAZ 2022, Nr. 34, S. 27). Im Hintergrund schwelt eine Diskussion um die zulassungsrelevante Studie REDUCE-IT und einen daraus für den Gemeinsamen Bundesausschuss G-BA nicht abzuleitenden Zusatznutzen für Icosapent-Ethyl.
Foto: Amarin Germany GmbH

Kardiovaskuläre-Erkrankungen gelten mit etwa 35% als häufigste Todesursache in Deutschland. Zur Reduktion des entsprechenden Risikos empfehlen kardiologische Fachgesellschaften u. a. die vermehrte Zufuhr langkettiger Omega-3-Fettsäuren wie α-Linolen­säure, Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA). Diese Substanzen können zu einer Verbesserung der Fließeigenschaften des Blutes beitragen und besitzen zudem antiinflammatorische Wirkungen. Eine etwa 15%ige Reduktion der Triglycerid-Spiegel sowie schwach antihyper­tensive Effekte durch Omega-3-Fettsäuren gelten als gesichert. Zudem gelingt es offenbar, das Risiko von Todesfällen oder Ereignissen durch koronare Herzkrankheit zumindest leicht zu verringern. Allerdings hatte die europäische Zulassungsbehörde EMA dieser Wirkstoffgruppe 2018 die Kennzeichnung aberkannt, in der Sekundärprävention nach Myokard­infarkt wirksam zu sein. Für die prophylaktische Anwendung von Omega-3-Fettsäuren konnte in Metaanalysen kontrollierter Studien an mehr als 150.000 Patienten bislang kein klinisch relevanter Nutzen nachgewiesen werden.

Icosapent-Ethyl, ein Prodrug

Das seit Ende 2021 bis Ende August 2022 auf dem deutschen Markt verfügbare Präparat Vazkepa® enthält das Prodrug Icosapent-Ethyl, einen stabilen Ethylester der Omega-3-Fettsäure Eicosapentaensäure. Es ist für erwachsene Patienten vorgesehen, die mit Statinen behandelt werden und ein hohes kardiovaskuläres Risiko sowie erhöhte Triglycerid-Werte ab 150 mg/dl aufweisen. Der Wirkstoff soll über die Reduktion Triglycerid-reicher Lipoproteine, entzündungshemmende und antioxidative Effekte, die Reduktion der Makrophagen-Akkumulation, die Verbesserung der endothelialen Funktion und eine Thrombozyten­aggregationshemmung zur Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen beitragen. Allerdings ist der Wirkmechanismus laut Fachinformation – ähnlich wie bei Omega-3-Fettsäuren im Allgemeinen – nicht vollständig bekannt. Icosapent-Ethyl wird normalerweise in einer Dosis von zweimal täglich 1996 mg eingenommen, entweder zu oder nach einer Mahlzeit, wobei die Kapseln im Ganzen zu schlucken sind. Nach oraler Gabe unterliegt die Substanz bereits während des Resorptionsprozesses einer Esterspaltung. Der aktive Metabolit Eicosapentaensäure wird über den Dünndarm aufgenommen und erreicht hauptsächlich über das Lymphsystem des Ductus thoracicus den systemischen Kreislauf.

Erhöhte Blutungsgefahr

Während der Einnahme von Icosapent-Ethyl kommt es sehr häufig zu Blutungen, vor allem, wenn eine Begleittherapie mit Thrombozytenaggregationshemmern wie Acetylsalicyl­säure und/oder mit Antikoagulanzien wie Apixaban oder Dabigatran durchgeführt wird. Häufig berichten Patienten unter Icosapent-Ethyl-Therapie über Gicht, Vorhofflimmern oder –flattern, Obstipation, Aufstoßen, Hautausschläge, Schmerzen des Muskel- und Skelettapparats sowie über periphere Ödeme. Gelegentlich treten Überempfindlichkeitsreaktionen und Dysgeusie auf. Das Interaktionspotenzial des EPA-Vorläufers ist gering, Icosapent-Ethyl wird nur unwesentlich durch CYP450-Isoenzyme biotransformiert.

Aus Fischöl gewonnen

Patienten mit Überempfindlichkeit gegen Fisch oder Schalentiere dürfen das Präparat Vazkepa® nur mit Vorsicht anwenden, da der Wirkstoff aus Fischöl gewonnen wird. Bei Patienten mit Leberfunktionsstörungen sollten während der Icosapent-Ethyl-Therapie regelmäßig die Transaminasen-Werte überwacht werden. Insbesondere bei prädisponierten Patienten ist Icosapent-Ethyl offenbar mit einem erhöhten Risiko für hospitalisierungspflichtiges Vorhofflimmern oder -flattern asso­ziiert. Auf entsprechende Anzeichen wie Dyspnoe, Palpitationen, Synkopen, Schwindelgefühle, Brustkorbbeschwerden, Blutdruckänderungen oder unregelmäßigen Puls ist daher zu achten und gegebenenfalls ein EKG durchzuführen. Wegen nur sehr begrenzter Erfahrungen sollte bei Schwangeren Icosapent-Ethyl nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung angewendet werden. Eicosapentaensäure, der aktive Metabolit von Icosapent-Ethyl, geht in größeren Mengen in die Muttermilch über. Da ein Risiko für den gestillten Säugling nicht ausgeschlossen werden kann, muss eine Entscheidung darüber getroffen werden, ob auf das Stillen oder die Behandlung mit dem EPA-Prodrug verzichtet werden soll.

Zulassungsstudie REDUCE-IT

Sicherheit und Wirksamkeit von Icosapent-Ethyl wurden im Rahmen der randomisierten, doppelblinden, placebo­kontrollierten Studie REDUCE-IT an 8179 Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen oder einem hohen kardiovaskulären Risiko geprüft. Die durchgehend mit Statinen behandelten Teilnehmer wiesen erhöhte Nüchtern-Triglycerid-Spiegel im Bereich zwischen 135 und 499 mg/dl sowie LDL-Werte von 41 bis 100 mg/dl auf. 71% der Patienten litten unter Arteriosklerose, 29% unter Diabetes mellitus, 47% hatten im Vorfeld einen Myokardinfarkt erlitten. Primärer, kombinierter Wirksamkeitsendpunkt war das Auftreten eines der fünf kardiovaskulären bzw. ischämischen Ereignisse kardiovaskulärer Tod, nicht-tödlicher Myokardinfarkt oder Schlaganfall, Koronarrevaskularisation und Hospitalisierung wegen instabiler Angina pectoris. Die mediane Beobachtungszeit betrug 4,9 Jahre. In der Verum-Gruppe erreichten 17,2% der Teilnehmer (705 von 4089) den Endpunkt, unter Placebo-Gabe in Form eines Mineralöls 22,0% (901 von 4090) (p < 0,0001). Somit konnte das kardiovaskuläre Risiko durch den EPA-Ester signifikant um etwa 25% reduziert werden. Auch bezüglich des sekundären zusammengesetzten Endpunkts – Zeit bis zum ersten Auftreten von kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt oder Schlaganfall – ergab sich mit 11,2 vs. 14,8% ein signifikanter Vorteil für die Verum-Medikation (p < 0,0001).

25%ige Risikoreduktion

Die unter Icosapent-Ethyl in der zulassungsrelevanten Studie beobachtete 25%ige Reduktion des kardiovaskulären Risikos war zumindest in diesem Ausmaß nicht zu erwarten. Da die Wirkung des neuen Therapeutikums auf der aus dem Prodrug freigesetzten EPA beruht, ist es schwer nachzuvollziehen, wieso ein relevanter Vorteil gegenüber einer direkten Verabreichung von dieser und anderen Omega-3-Fettsäuren bestehen sollte.

Mineralöl-Placebo kein Placebo?

Einen Erklärungsversuch bieten die Resultate einer Subgruppenanalyse der REDUCE-IT-Studie. Verschiedene Biomarker, die bekanntermaßen mit einem erhöhten Arteriosklerose-Risiko assoziiert sind, blieben unter Icosapent-Ethyl mehr oder weniger stabil, während es nach Gabe des Mineralöl-Placebos zu einem hochsignifikanten Anstieg dieser körpereigenen Marker kam (p < 0,001 für alle Vergleiche). Nach zwölf Monaten wurde im Placebo-Arm ein medianer Homocystein-Anstieg von 1,5% gegenüber dem Ausgangswert beobachtet. Die entsprechenden Werte für Lipoprotein A waren 2,2%, für oxidiertes LDL-Cholesterol 10,9%, für Interleukin 6 16,2%, für Lipoprotein-assoziierte Phospholip­ase A2 18,5%, für hochsensitives C-reaktives Protein 21,9% und für Interleukin 1β sogar 28,9%. Nach 24 Monaten wurden ähnliche Werte gemessen. Inwieweit die Überlegenheit von Icosapent-Ethyl gegenüber dem Mineralöl auf der Beeinflussung dieser Arteriosklerose-Biomarker beruht, ist derzeit allerdings offen. Head-to-Head-Vergleiche mit der direkt verabreichten Wirksubstanz Eicosapentaensäure wären von Interesse. Aufgrund theoretischer Überlegungen könnte auch entsprechend hoch dosiertes EPA zu ähnlichen Resultaten führen.

Als möglicher Ergebnis-verzerrender Faktor wird die Wahl von Mineralöl als Placebo in der REDUCE-IT-Studie diskutiert. Dieses beeinträchtigt bekanntermaßen die Resorption von Statinen aus dem Gastrointestinaltrakt, was im Placebo-Arm zu einer Erhöhung der LDL-Spiegel und damit potenziell auch zu einem Anstieg von kardiovaskulären Ereignissen geführt haben könnte. Aufgrund proinflammatorischer Wirkungen ist auch eine unmittelbare Erhöhung des kardiovaskulären Risikos durch Mineralöl nicht auszuschließen. Die Aussagekraft von REDUCE-IT ist somit begrenzt. In zukünftigen Studien sollte neben hoch­dosiertem EPA als aktive Vergleichssubstanz auch eine tatsächlich neutrale Zubereitung als Placebo eingesetzt werden, um den therapeutischen Stellenwert von Icosapent-Ethyl einordnen zu können. |
 

Literatur

[1] Fachinformation zu Vazkepa®, Stand März 2022

[2] Bhatt DL, Steg PG, Miller M, Brinton EA et al. Cardiovascular risk reduction with icosapent ethyl for hypertriglyceridemia. N Engl J Med 2019;380(1):11-22

[3] Ridker PM, Rifai N, MacFadyen J, Glynn RJ et al. Effects of randomized treatment with icosapent ethyl and a mineral oil comparator on interleukin-1β, interleukin-6, C-reactive protein, oxidized low-density lipoprotein cholesterol, homocysteine, lipoprotein(a), and lipoprotein-associated phospholipase A2: a REDUCE-IT biomarker substudy. Circulation 2022;146(5):372-379

[4] Neubeck M, Mutschler E. DAZ-Beilage Neue Arzneimittel 2021;12:201-203

Apothekerin Dr. Monika Neubeck

Das könnte Sie auch interessieren

Hersteller zieht Konsequenzen aus gescheiterten Preisverhandlungen

Vazkepa wird vom Markt genommen

Verhindern sie nun kardiovaskuläre Ereignisse oder nicht?

Omega-3-Fettsäuren: Die Zweifel bleiben

Umstrittene Omega-3-Fettsäuren-Modifikation zur Zulassung empfohlen

Vazkepa jetzt auch in der EU

Erstattungspreis und Wirksamkeit nicht zufriedenstellend

Vazkepa ab 1. September in Deutschland nicht mehr im Handel

Epanova reduziert kardiovaskuläre Risiken nicht

Kein Vorteil durch Fischöl-Präparat

Omega-3-Fettsäuren-Mischung Epanova kann Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse nicht reduzieren

Fischölderivat zeigt keinen Benefit

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.