Beratung

„Niederschwelligkeit ist ein großer Trumpf“

Impfen in der Apotheke gegen COVID-19 und Grippe – so gelingt es

eda | In die nächste Herbst- und Wintersaison starten die Apotheken in Deutschland mit einem ganz besonderen Auftrag. Erstmals dürfen sie der Bevölkerung ein niedrigschwelliges Impfangebot unterbreiten und so die Menschen aktiv vor COVID-19 und Grippe bewahren. Aus dem Politikum „Impfen in der Apotheke“ ist eine Notwendigkeit geworden. Die gesetzlichen und praktischen Voraussetzungen wurden geschaffen. Nun müssen die Apothekenteams nur noch loslegen.

Seit Jahren lässt die Impfsituation in Deutschland zu wünschen übrig. Gemessen an den saisonalen Grippeimpfungen sind die empfohlenen Quoten in den Altersgruppen hierzulande zu niedrig. So lautet die Zielvorgabe der Europäischen Union, dass eine Impfquote von 75 Prozent bei älteren Menschen erreicht werden soll. In Deutschland wird diese Quote nicht annähernd erreicht. Seit den Saisons 2008/09 und 2009/10 zeigt die Impfsurveillance der Kassenärztlichen Vereinigungen einen rückläufigen Trend. In der Saison 2019/20 ließen sich in westlichen Bundesländern rund 35 Prozent der über 60-Jährigen impfen, in den östlichen Bundesländern waren es immerhin 57 Prozent. Eine Strategie, um die Impfbereitschaft zu erhöhen, ist die Aufklärung. Die Corona-Pandemie führte in den letzten Jahren offenbar zu einer Sensibilisierung der Bevölkerung und vergegenwärtigte die Gefahren von schwerwiegenden Verläufen bei Atemwegserkrankungen. Die Kranken­kassen registrierten deutlich höhere Grippeimpfquoten. Die Techniker Krankenkasse veröffentlichte ihre Auswertungen, wonach sich in der Saison 2020/21 rund 47 Prozent der über 60-Jährigen impfen ließen, ein Plus von mehr als zehn Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr und auf Deutschland insgesamt bezogen.

Doch auch ein verändertes Impfangebot könnte die Durchimpfungsrate sowohl gegen Grippe als auch gegen COVID-19 positiv beeinflussen. Waren es bisher vor allem die Haus- und Betriebsärzte (im Falle von COVID-19 auch Impfzentren), die impfen sollten, werden in der nächsten Saison auch die Apotheken im Land dazustoßen. Rund 18.000 Impfstellen könnte es also theoretisch mehr geben, wenn sich alle Betriebe beteiligen würden.

Foto: Michael Vetter

„Die Apothekerschaft hat genau den richtigen Zeitpunkt gewählt“, meint Inhaber Dr. Michael Vetter zu den Impfungen.

Gesetzliche Grundlagen

Für die gesetzlichen Grundlagen wurde unlängst gesorgt. Seit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) im Dezember 2021 sind Apothekerinnen und Apotheker ermächtigt, Schutzimpfungen gegen das Corona­virus durchzuführen (§ 20b). Die Personen, die geimpft werden dürfen, müssen das zwölfte Lebensjahr vollendet haben.

Mit dem Ende Juni 2022 in Kraft getretenen Pflegebonusgesetz wurden die Grippeimpfungen in Apotheken als Regelversorgung realisiert. Somit ist es Apotheken nun dauerhaft und unabhängig von Modellprojekten ermöglicht, Menschen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, gegen Grippe zu impfen.

Voraussetzung für die Apothekerinnen und Apotheker in beiden Fällen sind eine ärztliche Schulung sowie geeignete Räumlichkeiten mit der erforderlichen Ausstattung. Außer in öffentlichen Apotheken darf auch im Rahmen von mobilen Impfteams mitgewirkt werden.

Curriculum, Leitlinien und Arbeitshilfen

Die Bundesapothekerkammer hat in Zusammenarbeit mit der Bundesärztekammer ein Mustercurriculum für die Schulung der Apothekerinnen und Apotheker entwickelt. Dieses besteht aus fünf Teilen: einem Selbststudium, zwei Theorieteilen, einer umfang­reichen Praxisschulung sowie einem Teil, der sich ausschließlich mit den Erste-Hilfe-Maßnahmen bei Impfreaktionen beschäftigt. Das Curriculum sieht einen zeitlichen Gesamtumfang von insgesamt zwölf Fortbildungsstunden à 45 Minuten vor.

Um COVID-19-Schutzimpfungen qualitätsgesichert durchführen zu können, hat die Bundesapothekerkammer die entsprechende Leitlinie erstellt. Diese und weitere Arbeitshilfen werden den Apotheken im Mitgliederbereich der ABDA zur Verfügung gestellt.

Die Voraussetzungen für die Durchführung der Grippeimpfungen in Apotheken sind vergleichbar mit denen der COVID-19-Impfungen. Anzumerken ist, dass es einer ärzt­lichen Schulung nicht bedarf, wenn die Apothekerin oder der Apotheker bereits im Rahmen von Modellvorhaben zur Grippeimpfung in Apotheken oder zur Durchführung von COVID-19-Impfungen erfolgreich eine ärztliche Schulung absolviert hat.

Foto: Michael Vetter

Geeignete Räumlichkeiten Apothekeninhaber Vetter hat sich eine maßgeschneiderte Liege für seinen Impfbereich anfertigen lassen.

Dokumentation und Zertifikate

Neben der eigentlichen Tätigkeit des Impfens müssen die Apotheken auch für die Dokumentation und Zertifizierung sorgen. Im Falle der COVID-19-Impfungen müssen die Apotheken an das Digitale Impfquoten-Monitoring (DIM) angeschlossen sein, über das tagesaktuell die durchgeführten Impfungen an das Robert Koch-Institut (RKI) gemeldet werden müssen. Auf Wunsch ist der geimpften Person ein digitales Impfzertifikat auszustellen. Hierfür muss die Apotheke an die Telematikinfrastruktur (TI) angeschlossen sein und Zugriff auf das Apothekenportal des Deutschen Apothekerverbands (DAV) haben. Hierüber werden sowohl die tagesaktuelle Meldung der durchgeführten Impfungen als auch die Ausstellung der digitalen Impfzertifikate abgewickelt.

Auch impfwilligen Personen bietet der DAV ein Portal an, auf dem Apotheken gesucht und gefunden werden können, die Impfungen anbieten (www.mein-apothekenmanager.de). Doch darüber hinaus werden auch verschiedene Bundesländer ähnliche Portale anbieten, die neben den Apotheken auch Praxen und andere Einrichtungen auflisten, die Impfungen anbieten.

Vergütung und Bestellung

Mit der Zweiten Verordnung zur Änderung der Coronavirus-Impfverordnung (CoronaImpfV) und der neuen Allgemeinverfügung zur Sicherstellung der flächendeckenden Verteilung von Impfstoffen gegen COVID-19 wurden weitere rechtliche Voraussetzungen geschaffen, damit die Apotheken COVID-19-Impfungen anbieten und abrechnen können (s. Tabelle).

Tab.: Für die COVID-19-Impfung erhält die Apotheke folgende Vergütung:
Tätigkeit
Vergütung*
Impfung
pro Person 28 Euro
Impfung an Samstagen, Sonn- und gesetzlichen Feiertagen
pro Person 36 Euro
zzgl. Hausbesuchspauschale:
  • Aufsuchen einer zu impfenden Person
zzgl. einmalig 35 Euro
  • Durchführung weiterer Impfungen von Personen in derselben Einrichtung oder sozialen Gemeinschaft
zzgl. pro Person 15 Euro
Erstellung des Impfzertifikats für Erst-, Zweit-, Booster-Impfungen in der Apotheke
pro Impfzertifikat 6 Euro

* umsatzsteuerfrei

Bis Ende August hatten DAV und GKV-Spitzenverband Zeit, sich auf die Vergütungsmodalitäten für die in Apotheken durchgeführten Grippe-Impfungen zu einigen. Offenbar ist es den beiden Parteien aber nicht gelungen, eine Einigung zu erzielen. Darüber informierte der LAV Baden-Württemberg vergangene Woche seine Mitglieder. Eine Entscheidung der zuständigen Schiedsstelle stehe noch aus. Bereits gesetzlich vorgeschrieben ist, dass in diesem Vertrag eine Vergütung von 1 Euro je Einzeldosis sowie die Umsatzsteuer für die Beschaffung der in der Apotheke angewendeten Grippeimpfstoffe vorzusehen ist.

Foto: Michael Vetter

Der DAV meldet künftig bis zum 15. Januar eines Kalenderjahres den Bedarf an saisonalen Grippeimpf­stoffen auf Grundlage der durch die Apotheken geplanten Bestellungen an das Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Das PEI wiederum prüft dann bis zum 15. März diesen übermittelten Bedarf unter Berücksichtigung einer zusätz­lichen Reserve von 10 Prozent, indem es ihn mit den von den Impfstoffherstellern mitgeteilten Daten zu Absatzmenge und Verschreibungsvolumen vergleicht.

Einblick in die Praxis

Wie das Impfen in der eigenen Apotheke mit großer Motivation gelingen kann, zeigt Dr. Michael B. Vetter. Er betreibt zwei Apotheken im baden-württembergischen Stockach und in Konstanz am Bodensee. Heilberuflich und betriebswirtschaftlich sieht er viele Vorteile im Impfen, wie er uns im Rahmen eines Interviews erzählt. Daher sei es wichtig, dass sich die Kollegen in der kommenden Saison beteiligen würden.

Foto: LAV BW

„Kein Arzt hat mich jemals gefragt, ob es mir gefällt, wenn er sein Leistungs­spektrum ändert. Warum sollte ich dies tun?“

Dr. Michael Vetter

DAZ: Herr Dr. Vetter, seit Anfang des Jahres bieten Sie Corona-Impfungen an. Welche Bedeutung hat diese Dienstleistung in Ihrer Apotheke erlangt?
Vetter: Die Bedeutung dieser Dienstleistung ist für uns enorm. Seitdem wir „direkt am Patienten“ arbeiten, hat unser Ansehen in der Bevölkerung einen Sprung gemacht, und wir werden zusätzlich von Kunden aufgesucht, die wir bisher nicht kannten.

DAZ: Ein großer Unterschied zwischen einer Arztpraxis und einer Apotheke ist die Niederschwelligkeit. Inwiefern spielt diese eine Rolle beim Impfangebot?
Vetter: Die Niederschwelligkeit ist ein großer Trumpf der Apotheke. Immer wieder hören wir, dass die Impfungen bei uns so un­kompliziert, schnell, schmerzfrei und professionell erledigt werden. Man möchte gerne zur nächsten Impfung wiederkommen und macht bereits einen neuen Termin aus.

DAZ: Wie machen Sie auf sich und das Impfangebot Ihrer Apotheke aufmerksam?
Vetter: Wir versuchen das Angebot auf mehreren Kanälen zu promoten. Zuerst natürlich auf unserer Homepage die mit einem Terminbuchungs-Modul verlinkt ist. Dort können sich internetaffine Patienten anmelden, ansonsten erledigen wir dies natürlich auch telefonisch. Des Weiteren stellen wir kurze Mitteilungen auf unserer Google-Präsenz ein, um auch in dieser Suchmaschine gefunden zu werden. Einen großartigen Effekt erzielen wir mit unseren monatlichen 13.500 Flyern, die wir über ein Anzeigenblatt ver­teilen. Dort ist auf der Frontseite ein kleiner Bereich, der mit einem Spritzen-Piktogramm auf diese Dienst­leistung aufmerksam macht und zur Terminabsprache einlädt. Abgerundet werden unsere Bemühungen durch Poster im Schaufenster und Motive in unserem Infoscreen. Poster und Motive sind z. B. unter apotheken­kampagne.de einfach zu generieren und herunterzuladen.

Foto: Michael Vetter

Der Wartebereich in der Offizin.

DAZ: Erläutern Sie uns bitte beispielhaft, wie Sie Menschen in Ihrer Apotheke gezielt ansprechen.
Vetter: Das Gespräch ergibt sich fast schon zwangsläufig. Da wir ein eigenes PCR-Labor betreiben, kommen viele an COVID-19 erkrankte Menschen zu uns, um sich testen zu lassen. Die Frage, die wir immer wieder hören, lautet: „Werde ich sehr leiden?“ Wir antworten mit einer Gegenfrage: „Sind Sie geimpft?“

DAZ: Welche Reaktionen gibt es?
Vetter: Da wir auch überzeugte Impfskeptiker nicht bedrängen und Ihren Standpunkt akzeptieren, sind die Gespräche überwiegend positiv. Als Erfolg rechne ich uns die zunehmende Anzahl an Erstimpfungen an. Der Großteil der Impfungen sind aber erste und zweite Auffrischimpfungen. Zu unserem Erstaunen hatten wir auch einige Passanten, die sich umgehend haben impfen lassen – „Impfen to go“ as a service!

DAZ: „Impfungen in Apotheken“ war viele Jahre ein sehr brisantes standespolitisches Thema. Wurde es zu heiß gekocht und hätte man es schon früher angehen können, oder war jetzt der richtige Zeitpunkt?
Vetter: Es ist kein Geheimnis, dass ich schon vor Jahren impfen wollte. Aber standespolitische Veränderungen benötigen lange Jahre der Vor­arbeit in vielen Gremien, und ich denke, die Apothekerschaft hat genau den richtigen Zeitpunkt gewählt. Wir folgen den Entwicklungen in vielen Ländern weltweit, die die Kompetenzen der Apotheker zum Wohle der Bevölkerung deutlich erweitert haben.

Foto: Michael Vetter

„Just do it“ Zum Impfen gehört auch das passende Marketing. Jeden Monat verteilt Apotheker Vetter rund 13.500 Flyer. Hinzu kommen Plakate und Infoscreens.

DAZ: Wie haben Sie Ihre Ärztinnen und Ärzte in unmittelbarer Umgebung darauf vorbereitet?
Vetter: Gar nicht. Kein Arzt hat mich jemals gefragt, ob es mir gefällt, wenn er sein Leistungsspektrum ändert. Warum sollte ich dies tun, solange ich im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben arbeite? Im Umfeld meiner Filiale haben wir zwei Praxen, die sich richtig freuen, dass wir Ihnen die Arbeit abnehmen und sie sich auf die Patientengespräche konzentrieren können.

DAZ: Testen und Impfen sind sehr körpernahe bzw. invasive Tätigkeiten am Menschen. So etwas war bislang den Ärzten vorbehalten. Warum ist es in Ihren Augen wichtig, dass sich auch die Apotheker auf dieses Feld wagen?
Vetter: Das Apothekengeschäft hat sich in den letzten Jahren massiv verändert. Große, finanzstarke Player, wie der Versand, sind dazugekommen und versuchen, das bisherige, erfolgreiche System zu zerstören. Testen und Impfen sind zwei neue Bausteine, die die Bedeutung der stationären Apotheke enorm be­flügeln, und sind ein gutes Mittel der Gegenwehr. Mit der weiteren Abnahme der Anzahl an nieder­gelassenen Hausärzten, besonders im ländlichen Bereich, werden der Apotheke sukzessive weitere Aufgaben zuwachsen, um die Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Diese Entwicklung können wir in vielen Ländern beobachten.

DAZ: Der Herbst steht an. Influenza und COVID-19 könnten uns zu schaffen machen. Was ist Ihr Appell an die Kolleginnen und Kollegen?
Vetter: Es bietet sich eine einmalige Chance für die Apotheken. Nutzen wir diese gemeinsam und machen die Apotheke unentbehrlich. Genießen Sie die neue Aufmerksamkeit der Patienten und die Anerkennung, die Ihnen aus dieser Tätigkeit zuteil wird. Erschließen Sie sich einen neuen, lukrativen Dienstleistungsmarkt, ohne Wareneinsatz. Und: Just do it!

DAZ: Herr Dr. Vetter, vielen Dank für das Gespräch. |

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