Foto: Anton Petrus/AdobeStock

Medizin

Mysteriöses Sjögren-Syndrom

Trockenheit von Augen und Mund als Leitsymptom

Viele Menschen klagen über trockene Augen. Meistens sind die Beschwerden harmlos und lassen sich mit künstlicher Tränenflüssigkeit schnell beheben. Eine mögliche Ursache ist aber auch das Sjögren-Syndrom, eine Autoimmunerkrankung, die im weiteren Verlauf schwerwiegende Schädigungen nach sich ziehen kann. | Von Daniela Leopoldt

Die Bezeichnung Sjögren-Syndrom geht auf den schwedischen Ophthalmologen Henrik Samuel Conrad Sjögren zurück, der im Jahr 1933 erstmals eine Korrelation zwischen trockenen Augen, trockenem Mund und Polyarthritis beschrieben hatte. Inzwischen ist klar, dass es sich beim Sjögren-Syndrom um eine systemische chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des rheumatischen Formenkreises handelt, die relativ häufig vorkommt und über­wiegend Frauen (90%) im mittleren Alter betrifft. Angaben zur Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung sind sehr unterschiedlich und liegen in epidemiologischen Studien zwischen 0,1 und 4 auf 1000 Erwachsene. Typisch für die Erkrankung sind übermäßige Trockenheit der Augen, des Mundes und anderer Schleimhäute, was auch als Sicca-Syndrom bezeichnet wird. Die Symptomatik der Erkrankung ist jedoch vielfältig. Betroffene klagen häufig über ausgeprägte Müdigkeit und Erschöpfung sowie Schmerzen am ganzen Körper. Mehr als die Hälfte aller Patienten weisen im weiteren Verlauf extraglanduläre Manifestationen wie Polyneuropathie, Arthritis oder gehäufte Atemwegsinfekte auf und die Lebensqualität ist oftmals stark eingeschränkt. Der Analyse einer Arbeitsgruppe der European League against Rheumatism (EULAR) zufolge, bei der Daten von mehr als 8000 Patienten auf fünf Kontinenten ausgewertet wurden, haben sowohl der Wohnort als auch die Ethnizität einen starken Einfluss auf den biologischen und klinischen Phänotyp der Erkrankung. Es handelt sich um ein primäres Sjögren-Syndrom, wenn es sich in Abwesenheit einer anderen Autoimmunerkrankung entwickelt. Tritt die Erkrankung dagegen in Begleitung anderer Autoimmunerkrankungen auf, wie z. B. rheumatoide Arthritis, systemische Sklerodermie oder systemischer Lupus erythematodes, spricht man von einem sekundären Sjögren-Syndrom, das in der Regel weniger schwer verläuft [1, 2, 3].

Selbsthilfegruppen finden

Am Sjögren-Syndrom Erkrankte profitieren oft vom Austausch mit anderen Patienten. Selbsthilfegruppen gibt es in vielen größeren Städten und können unter www.sjoegren-erkrankung.de gefunden werden. Oftmals sind auch Ärzte und Psychotherapeuten Teil einer solchen Gruppe, um fachlich unterstützen zu können. Im Internetforum kann gezielt nach anderen Erkrankten in der Umgebung gesucht werden, um eine eigene Austauschgruppe zu gründen. Ungefähr einmal jährlich findet der Sjögren-Tag statt, in der Angehörige und Patienten sich in Vorträgen und Seminaren über die Autoimmunerkrankung informieren und Kontakte knüpfen können. Hinweise dazu und auch über die Teilnahme an klinischen Studien, Erfahrungsberichte, Fachinformationen und spezialisierte Kliniken und Praxen finden sich auf der genannten Internetseite.

Viren, Gene oder Mikrobiom als Ursache?

Die genauen Ursachen für die Erkrankung sind noch immer unklar und die Datenlage ist nicht eindeutig. Eine genetische Beteiligung ist jedoch unumstritten und zahlreiche mit dem Sjögren-Syndrom assoziierte Risikogene sind auch im Rahmen von genomweiten Assoziationsstudien identifiziert worden. Dazu gehören unter anderem die HLA-DR- und HLA-DQ-Isotypen der Klasse-II-humanes-Leukozytenantigen(HLA)-Gene, die in die Antigenpräsentation des Immunsystems involviert sind, sowie Gene, die beim Interferon-Signalweg eine Rolle spielen. Eine Überexpres­sion von Interferonen im Zuge der Entwicklung eines primären Sjögren-Syndroms ist schon lange bekannt. Damit verbundene Störungen der angeborenen Immunabwehr sind vermutlich entscheidend für die Pathogenese. Die meisten der bei einem Sjögren-Syndrom hochregulierten Gene sind jedoch nicht spezifisch für die Erkrankung. Viele von ihnen wurden unter anderem auch beim systemischen Lupus erythematodes nachgewiesen. Eine Verwandtschaft dieser beiden Krankheiten liegt deshalb nahe. Zur genetischen Prädisposition kommen diverse Faktoren hinzu, die sich begünstigend auf die Entstehung des Sjögren-Syndroms auswirken können. Hierzu gehören vor allem Viren wie HIV, Hepatitis-C-, Epstein-Barr-, Zytomegalie-, Coxsackie- und Herpes-Viren. Eine eindeutige Assoziation zwischen einer Virusinfektion und dem Sjögren-Syndrom ist jedoch noch nicht nachgewiesen worden. Auch hormonelle Faktoren spielen eine Rolle. So kann möglicherweise der Estrogen-Mangel bei postmenopausalen Frauen als Trigger für den Ausbruch der Erkrankung wirken. Untersuchungen zur Beteiligung des Mikrobioms stehen noch am Anfang.

Neben dem angeborenen Immunsystem spielt auch das adaptive Immunsystem mit seinen B- und T-Zellen eine Rolle. Entscheidend scheint hier die B-Zell-Hyperaktivität zu sein, die die Produktion von Autoantikörpern (SS-A, SS-B) und Immunkomplexbildung zur Folge hat. Eine maßgebliche Rolle kommt zudem den Epithelzellen der Speicheldrüsen zu, da sie auch als antigenpräsentierende Zellen agieren und so an der Rekrutierung und Aktivierung von B- und T-Zellen beteiligt sind. Indem sie die Produktion zahlreicher Zytokine und vaskulärer endothelialer Faktoren induzieren, die wiederum daran beteiligt sind, Immun- und Entzündungszellen, wie natürliche Killerzellen, B-, T-Zellen und Makrophagen, anzulocken, orchestrieren sie den gesamten pathologischen Prozess. Eine Schlüsselfunktion nimmt der B-Zell-aktivierende Faktor (BAFF) der Tumor-Nekrose-Faktor-Familie ein, dessen Expression durch Interferon induziert wird. Er spielt eine entscheidende Rolle für die Aktivierung, Proliferation, Differenzierung und das Überleben von B-Zellen und ist damit ein wichtiges Verbindungsglied zwischen dem angeborenen und dem adaptiven Immunsystem [1 – 4].

Von Augentrockenheit bis zum Lymphom

Das klinische Spektrum des Sjögren-Syndroms ist variabel. Mund- und Augentrockenheit sind charakteristische, meist frühzeitig auftretende Symptome der Erkrankung. Aus bislang noch unbekannten Gründen gelangen weiße Blutkörperchen in Sekretdrüsen (lymphozytäre Infiltration), wie z. B. die Tränendrüsen am Auge oder die Speicheldrüsen am Mund, und verletzen diese dabei. Die Trockenheit am Auge kann mit Fremdkörpergefühl, Jucken, Brennen, Lichtempfindlichkeit sowie gereizten und geröteten Augen verbunden sein, die häufig auch Bindehautentzündungen und Hornhautschädigungen nach sich ziehen. Im Mund verursacht der verminderte Speichel Mundgeruch und schlechten Geschmack, die Zähne können angegriffen werden und das Essen und Schlucken wird erschwert. Eine nicht zu vernachlässigende Folge ist das Auftreten einer schnell fortschreitenden Karies, oftmals auch an ungewöhnlichen Stellen wie den Schneidezähnen. Ebenso treten Candida-Infektionen im Bereich des Mundes häufiger auf. Als Folge der reduzierten Speichelproduktion vergrößern sich bei einigen Patienten die Speicheldrüsen und werden berührungsempfindlich. Auch andere Schleimhäute können von Trockenheit betroffen sein. So verursacht eine trockene Luftröhre Husten und Heiserkeit sowie rezidivierende Infekte. Trockenheit an der Scheide ist mit einem unangenehmen Gefühl und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr verbunden.

Im weiteren Verlauf ist eine Ausbreitung der Erkrankung auf weitere Organe möglich, wobei neueren Erkenntnissen zufolge nahezu jedes Organsystem betroffen sein kann. Dabei ist erwähnenswert, dass die extraglanduläre Manifestation auch initial und ohne Sicca-Syndrom vorkommen kann. Häufig treten Gelenkentzündungen (Arthritis) auf, die in der Regel die gleichen Gelenke wie bei einer rheumatoiden Arthritis betreffen jedoch etwas weniger aggressiv verlaufen. Müdigkeit und Erschöpfung, Morgensteifigkeit sowie Muskelschmerzen am ganzen Körper, die häufig von depressiven Zuständen begleitet sind, sind ebenso charakteris­tische Symptome wie das Auftreten eines Raynaud-Syndroms (oftmals schon vor Auftreten der Sicca-Symptomatik). Andere Erscheinungsformen sind z. B. Vaskulitis, periphere Neuropathien, Nierenschädigungen und intersti­tielle Lungenkrankheit. Das Spek­trum reicht bis hin zu lymphoproliferativen Erkrankungen und immunologischen Abnormalitäten. So können die Lymphknoten im ganzen Körper vergrößert sein und etwa 5% aller Patienten mit einem primären Sjögren-Syndrom entwickeln im späteren Verlauf ein Lymphom (meist Non-Hodgkin-Lymphom), das wiederum mit einer erhöhten Mortalität verbunden ist. Auch ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko geht mit der Erkrankung einher, wobei eine Beteiligung des Herzens selten ist. Die Prognose ist im Allgemeinen gut und, sofern keine schweren extra­glandulären Manifestationen bzw. ungünstige Prognosefaktoren wie z. B. ein Lymphom auftreten, ist die Erkrankung im Vergleich zur Normalbevölkerung nicht mit einer erhöhten Mortalität verbunden [1 – 5].

Diagnose Sjögren-Syndrom

Das Sjögren-Syndrom wird meist in der fünften Lebens­dekade diagnostiziert, auch wenn die ersten Symptome oftmals schon viele Jahre davor auftreten. Die Diagnose basiert auf charakteristischen klinischen Anzeichen und Symptomen, einschließlich dem Nachweis einer immunologischen Beteiligung, unter Berücksichtigung entsprechender Differenzialdiagnosen (s. Tab. 1). Zu Studienzwecken entwickelte Klassifikationskriterien, wie z. B. die 2016 ACR (American College of Rheumatology )/ EULAR-Klassifikationskriterien für das Sjögren-Syndrom, können dabei hilfreich sein. Spezifische Tests schließen unter anderem die Bestimmung der Tränen- und Speichelproduktion ein. So kann z. B. mithilfe eines definierten Lackmuspapierstreifens (5 mm breit und 35 mm lang), der in den unteren Bindehautsack eingelegt wird, die Tränenproduktion gemessen werden (Schirmer Test). Anhand von Färbemethoden lassen sich Schädigungen der Bindehaut und Kornea identifizieren und quantifizieren. Für die Funktionsüberprüfung der Speicheldrüsen wird in der Regel der gesamte Speichel innerhalb einer bestimmten Zeit, mit oder ohne Stimulation, gesammelt. Anatomische Veränderungen der Speicheldrüsen lassen sich mit einer Ultraschalluntersuchung erfassen, und in speziellen Zentren kann eine Speicheldrüsenbiopsie durchgeführt werden. Auf jeden Fall ist auf extraglanduläre Manifestationen zu achten, und es sollten Antikörper vor allem gegen SS-A und SS-B im Blut bestimmt werden [3, 6, 7].

Tab. 1: Beispiele für Differenzialdiagnosen bezüglich Mund- und Augentrockenheit (modifiziert nach Negrini et al. [2])
Ursache
Bemerkungen
Arzneimittel
Beispiele: Anticholinergika, Sympathomimetika, Antidepressiva, Benzodiazepine, Beta-Blocker, Antihistaminika, Diuretika, Opioide
Diese Arzneimittel können die Sicca-Symptome bei Patienten mit Sjögren-Syndrom verstärken!
Alter
Speichel- und Tränenproduktion lässt mit dem Alter nach (verstärkt durch Polypharmazie bei älteren Menschen)
neuropathische Ursachen
verminderte Stimulation exokriner Drüsen (z. B bei Diabetes, Morbus Parkinson und multipler Sklerose)
Dehydrierung
verminderte Speichelproduktion (krankheitsbedingt oder auch als Arzneimittelnebenwirkung) z. B. durch Diabetes, Diuretika, Nierenerkrankungen, vermindertes Durstgefühl
Strahlentherapie (Kopf, Hals und Nacken)
Schädigung von Tränen- und / oder Speicheldrüsen
Rauchen
Langzeitrauchen verändert signifikant die Speichelflussrate und den pH-Wert des Speichels
Alkoholmissbrauch
Schädigung von Schleimhäuten und Speicheldrüsen
trockene oder windige Umgebung
verstärkte Verdunstung von Tränen und Speichel
Hepatitis-C-Virus-Sialadenitis
kann sowohl Speicheldrüsenvergrößerung als auch reduzierte Speichelproduktion verursachen
HIV-Speicheldrüsenkrankheit
Mundtrockenheit und Schwellung der Speichel­drüsen durch lymphozytäre Infiltration und einige antiretrovirale Arzneimittel
Stress, Depressionen, Angst
Einfluss auf Aktivitäten des Sympathikus, der die Speichelsekretion kontrolliert

Unheilbar, aber symptomatisch behandelbar

Nach heutigem Stand der Wissenschaft ist die Krankheit nicht heilbar und eine wirksame zielgerichtete Therapie lässt noch immer auf sich warten. Die Behandlung erfolgt individuell in Abhängigkeit von der Art und dem Ausmaß der Symptome. Augen- und Mundtrockenheit werden symp­tomatisch behandelt. Bei ungenügendem Ansprechen auf befeuchtende Augentropfen (z. B. mit Hyaluronsäure oder Methylcellulose; am besten ohne Konservierungsmittel!) bzw. Augensalben (vorzugsweise nachts) kann eine topische antiinflammatorische Behandlung mit Ciclosporin A-Augentropfen angezeigt sein. Um Hautreizungen an der empfindlichen Augenpartie vorzubeugen, ist zudem eine gute Augenlidrandpflege zu empfehlen. Frühzeitig eingesetzte prophylaktische Maßnahmen im Bereich der Mundhygiene, einschließlich regelmäßiger Dentalhygiene und Fluorid­behandlungen, können einer rasch progredienten Karies entgegenwirken. Die Speicheldrüsen reagieren sowohl auf Geschmacks- und Geruchsreize, auf mechanische Reize der Mundschleimhaut sowie auf den Kauakt mit einer erhöhten Speichelproduktion. So kann der Speichelfluss mit zuckerfreien Kaugummis oder Bonbons stimuliert werden und auch der Verzehr faserreicher, kauaktiver Nahrung wirkt sich positiv aus. Muskarin-Agonisten wie Pilocarpin (Salagen®), können bei moderater bis schwerer Mundtrockenheit zum Einsatz kommen, sofern noch eine Restaktivität der Speicheldrüsen vorhanden ist. Unerwünschte Nebenwirkungen wie exzessives Schwitzen, Übelkeit und Sehstörungen limitieren jedoch oftmals den Einsatz. Bei Scheidentrockenheit helfen Gleitgele und topische Estrogene. Akute Muskel- und Gelenkschmerzen können symptomatisch mit Paracetamol oder nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAID) behandelt werden, bei Patienten mit häufig wiederkeh­renden Episoden kommen auch Cortison-Präparate und Hydroxy­chloroquin zum Einsatz. Insbesondere bei der Behandlung von Fatigue und chronischen Schmerzen nehmen nicht-pharmakologische Maßnahmen wie körperliche Aktivität und Physiotherapie einen hohen Stellenwert ein. Durch sie können der Schweregrad der Schmerzen reduziert und physikalische Funktionen verbessert werden. Gabapentin, Pregabalin und Amitriptylin können unter Berücksichtigung einer möglichen Verschlimmerung der Sicca-Symptomatik bei chronisch neuropathischen Schmerzen in Betracht gezogen werden. Nicht angewendet werden sollten Opioide.

Im Fall einer erhöhten Krankheitsaktivität und Einbeziehung andere Organe orientiert sich die Behandlung an entsprechenden Organmanifestationen anderer systemischer Autoimmunerkrankungen (z. B. systemischer Lupus erythematodes, rheumatoide Arthritis) und erfordert ein interdisziplinäres Management, möglichst unter Federführung eines Rheumatologen bzw. Spezialisten für Autoimmunkrankheiten. In jüngsten EULAR-Empfehlungen aus dem Jahr 2019 wird hervorgehoben, dass Dosis und Dauer einer Gluco­corticoid-Therapie, um die systemische Erkrankung unter Kontrolle zu bringen, auf einem Minimum gehalten werden sollten. Immunsuppressive Arzneimittel sollen hauptsächlich eingesetzt werden, um den Einsatz von Glucocorticoiden zu reduzieren und häufig werden beide kombiniert. Hier kommen z. B. Methotrexat, Leflunomid, Azathioprin oder Cyclophosphamid zum Einsatz. Aufgrund mangelnder Studiendaten kann keines davon speziell herausgehoben werden, und die Auswahl erfolgt auf Basis einer Fall-zu-Fall-Evaluierung. Aufgrund der zentralen Rolle der B-Zell-Hyperaktivität kann bei Patienten mit schwerer systemischer Manifestation bzw. schweren Organschäden eine zielgerichtete B-Zell-Therapie z. B. mit dem Anti-CD20-mono­klonalen-Antikörper Rituximab erwogen werden. Für den Notfall steht darüber hinaus Belimumab zur Verfügung, ein humaner monoklonaler Antikörper, der gegen den B-Zell-­aktivierenden Faktor (BAFF) gerichtet ist und diesen inhibiert. Der Einsatz systemischer Therapien einschließlich Gluco­corticoiden, Hydroxychloroquin, Immunsuppressiva und Biologika sollte jedoch, entsprechend den EULAR-Empfehlungen, Patienten mit aktiver systemischer Erkrankung vorbehalten bleiben [2, 8 - 10].

Auf einen Blick

  • Das Sjögren-Syndrom ist eine systemische Autoimmunerkrankung des rheumatischen Formenkreises, die überwiegend Frauen betrifft.
  • Typische Symptome sind Augen- und Mundtrockenheit (Sicca-Syndrom), Muskel- und Gelenkbeschwerden, Müdigkeit und Erschöpfung. Die Erkrankung kann jedoch nahezu jedes Organ­system betreffen.
  • Patienten haben ein 40-fach höheres Risiko an einem Non-Hodgkin-Lymphom zu erkranken.
  • Die Ursachen sind multifaktoriell. Bei genetischer Prädisposition können unter anderem Viren und Hormone als Trigger wirken.
  • Die Erkrankung ist noch nicht heilbar und die Behandlung von Sicca-Symptomen und Schmerzen erfolgt symptomatisch.
  • Das bessere Verständnis der Pathogenese lässt zielgerichtete Therapien erwarten.

Zukünftige Therapiemöglichkeiten

Das in den vergangenen Jahren verbesserte Verständnis der Pathogenese des Sjögren-Syndroms lässt für die nahe Zukunft neue therapeutische Möglichkeiten erwarten. Ergebnisse bisheriger Studien bezüglich einer wirksamen Therapie sind jedoch noch unschlüssig. Das könnte unter anderem an der Variabilität der Symptomatik liegen sowie an der zu späten Rekrutierung von Patienten, wenn pathologische Veränderungen bereits irreversibel sind. Neue Hoffnungen für eine wirksame biologische Therapie bietet unter anderem der noch in Entwicklung befindliche Wirkstoff S95011. Dabei handelt es sich um einen Antikörper gegen Interleukin 7, der die beim primären Sjögren-Syndrom auftretenden Entzündungsprozesse unterdrücken soll. Inter­leukin 7 reguliert die Gewebemigration menschlicher T-Lymphozyten und fördert so entzündliche Prozesse. S95011 bindet an CD127, die α-Kette des Rezeptormoleküls, und blockiert so die Aktivität von Interleukin 7. Nach erfolgreich absolvierter Phase-I-Studie an gesunden Freiwilligen werden zurzeit Patienten mit primärem Sjögren-Syndrom für die internationale Phase-II-Studie rekrutiert. In dieser randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudie mit 45 Teilnehmern im Alter von 18 bis 75 Jahren werden Wirksamkeit und Sicherheit des Antikörpers untersucht. Patienten der Verumgruppe erhalten zunächst alle zwei Wochen, anschließend im Drei-Wochen-Rhythmus, 750 mg der Prüfsubstanz als Infusion im Krankenhaus verabreicht. Insgesamt werden fünf Infusionen verabreicht [10 – 13].

Bisherige Daten deuten darauf hin, dass sich nicht alle Patienten mit primärem Sjögren-Syndrom nach dem gleichen Schema behandeln lassen. Für eine zielgerichtete Therapie sind eine bessere biologische oder pathologische Charakterisierung der verschiedenen Phänotypen und die Identifizierung neuer Biomarker, die eine frühzeitige Diagnose der Erkrankung erlauben und zwischen verschiedenen Phänotypen unterscheiden, dringend erforderlich. Die Aufdeckung der zugrunde liegenden Signalwege und Komponenten der Entzündungsvorgänge wird deshalb der Schlüssel sein, für die Entwicklung neuer therapeutischer Optionen [1, 4]. |
 

Literatur

 [1] Vitali C et al. Management of Sjögren syndrome: present issues and future perspectives. Front Med 2021;8:676885

 [2] Negrini S et al. Sjögren’s syndrom: a systemic autoimmune disease. Clin Exp Med 2022;22:9-25

 [3] Aeby M et al. Das primäre Sjögren-Syndrom – eine Systemerkrankung: Teil 1. Swiss Med Forum 2017;17(47):1027-1038, EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG

 [4] Barone F und Colafrancesco S. Sjögren‘s syndrom: from pathogenesis to novel therapeutic targets. Clin Exp Rheumatol 2016;34(Suppl98):58-62

 [5] Nevares AM. Sjögren-Syndrom. in: MSD Manual. www.msdmanuals.com, Abruf: 30. Juni 2022, Merck & Co, Inc., Rahway, NJ, USA

 [6] Shiboski CH et al. 2016 American College of Rheumatology/European League against Rheumatism classification criteria for primary Sjögren’s syndrome: A consensus and data-driven methodology involving three international patient cohorts. Arthritis Rheumatol 2017;69(1):35-45

 [7] Baldini C et al. Classification criteria in Sjögren’s syndrome. Ann Transl Med 2017;5(15):313

 [8] Ramos-Casals M et al. EULAR recommendations for the management of Sjögren’s syndrome with topical and systemic therapies. Ann Rheum Dis 2020;79:3-18

 [9] Klimek J. Xerostomie und Speicheldrüsendysfunktion. zm - Zahnärztliche Mitteilungen 2012;10, www.zm-online.de

[10] Aeby M et al. Das primäre Sjögren-Syndrom – eine Systemerkrankung: Teil 2. Swiss Med Forum 2017;17(48):1063-1066, EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG

[11] Phase-II-Studie für Sjögren-Syndrom-Medikament: Kooperation zwischen Servier Forschung- und Entwicklung GmbH und Clariness. Pressemitteilung der Clariness GmbH Hamburg, April 2022

[12] Sjögren-Studie. Informationen der Servier Deutschland GmbH, www.servier.de/patienten/teilnahme-klinische-studien

[13] Efficiacy and safety of S95011 in Primary Sjörgren‘s Syndrome Patients. https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT04605978, Institut de Recherches Internationales Servier

 

Autorin

Dr. Daniela Leopoldt ist Apothekerin und Pharmakologin. Nach ihrer Promotion an der FU Berlin war sie mehrere Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin in den USA und anschließend in der öffentlichen Apotheke sowie der pharmazeutischen Industrie tätig. Seit 2017 schreibt sie als freie Medizinjournalistin unter anderem Beiträge für die DAZ.

Das könnte Sie auch interessieren

Speichel ist das „Blut“ der Mundhöhle – ohne geht’s nicht

Ausgetrocknet

Wie Autoimmunerkrankungen entstehen

Der Feind im eigenen Körper

Antiphospholipid-Syndrom: Wenn Immun- und Blutgerinnungssystem interagieren

Überall Thrombosen

Was tun bei Arzneimittel-induzierter Dysphagie?

Schlucken als Qual

Glucocorticoide reduzieren und Biologika früher einsetzen

Neue Empfehlungen für die Lupus-Therapie

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.