Die Seite 3

Der 15-Euro-Köder

Foto: DAZ/Alex Schelbert
Dr. Doris Uhl, 
Chefredakteurin der DAZ

Bundesgesundheitsminister Lauterbach gibt gerade keine besonders glückliche Figur ab. Und das nicht nur wegen der Corona-Infektion, die ihn trotz Vierfach-Impfung und Paxlovid-Therapie wohl ziemlich gebeutelt zu haben scheint. Schon lange ist auch für Fachkreise nicht mehr nachvollziehbar, warum Lauterbach immer wieder Impfempfehlungen abgibt, die nicht nur denen der STIKO widersprechen. Diese hat bislang jenseits von Risikogruppen eine generelle vierte COVID-19-Impfung nur für über 70-Jährige empfohlen. Diese generelle Empfehlung soll jetzt entsprechend der EU-Empfehlung auf über 60-Jährige ausgeweitet werden. Aber Karl Lauterbach hatte auch allen jüngeren Menschen im „Spiegel Polit-Talk“ vom 16. Juli 2022 geraten, sich einfach ein viertes Mal impfen zu lassen, wenn sie den Sommer genießen und kein Erkrankungsrisiko eingehen wollen. Selbstverständlich in Absprache mit dem Hausarzt, der dann den Schwarzen Peter hat.

Warum? Weiß er mehr zum Nutzen-Risiko-Verhältnis als die ihn umgebenden Experten, machen die ihren Job nicht richtig oder muss der alte Impfstoff einfach weg, bevor die 200 Millionen neu georderten Impfstoffe im Herbst kommen? Einfach weg scheinen auch die 1 Million Paxlovid-Packungen zu müssen, die Lauterbach bei Pfizer bestellt hat. Etwa die Hälfte lagert schon beim pharmazeutischen Großhändler, der Rest soll bis Ende des Jahres folgen. Ärztlich verordnet wurden bislang Schätzungen zufolge gerade einmal etwa 30.000 Packungen. Da Paxlovid nur ein Jahr haltbar ist, droht hier 2023 ein Verfall von Hunderttausenden 500 Euro teuren Packungen, wenn die Verordnungszahlen in den nächsten Monaten nicht zügig steigen (s. S. 12). Ein Desaster für unseren Gesundheitsminister. Der Verdacht liegt nahe, dass er auch deshalb einfach mal schnell das Dispensierverbot für Ärzte über den Haufen werfen will. Doch damit nicht genug: Mit einer Verordnungsprämie von 15 Euro will er die Ärzteschaft animieren, den Paxlovid-Berg abzutragen – und uns Pharmazeuten sträuben sich alle Nackenhaare.

Wer garantiert, dass die Packungen nicht im Kühlschrank landen oder sich nicht bei weiteren Hitzewellen über 25 °C aufheizen? Doch noch mehr Sorge bereitet, was passiert, wenn jetzt bei jedem positiven Test gleich mal die Packung Paxlovid folgt und so der Selektionsdruck auf die doch unglaublich mutationsfreudigen SARS-CoV-2-Viren erhöht wird (s. a. S. 23). Am Ende des Tages müssen dann vielleicht nicht so viele Packungen vernichtet werden, dafür droht eine der wenigen Waffen zur Bekämpfung der COVID-19-­Infektion durch eine leichtsinnig geförderte Resistenzentwicklung wirkungslos zu werden. Im schlimmsten Fall werden diese wehrhaften Erreger auch nicht mehr von den Impfstoffen erfasst und heizen das ganze Infektionsgeschehen neu an. Und wer garantiert, dass das wirklich beeindruckende Wechselwirkungsspektrum von Paxlovid mit anderen Arzneimitteln beachtet und die Medikation sicher angepasst wird?

Die bisherige zurückhaltende Verordnung lässt jedoch hoffen, dass den Ärzten die Probleme durchaus bewusst sind, dass sie die Schwächen der neuen Virostatika auch im Hinblick auf die Datenlage sehr gut einordnen können und gerade ihren multimorbiden älteren Risikopatienten einfach wegen des hohen Interaktionspotenzials Paxlovid sehr zurückhaltend verordnet haben. Verantwortungsbewusste Ärztinnen und Ärzte werden sich sicher nicht von dem 15-Euro-Köder locken lassen. Sie werden sich auf die bewährte Zusammenarbeit mit der Apotheke verlassen, die die Patienten, die von einer virostatischen Therapie profitieren können, in kürzester Zeit auch mit Paxlovid sicher versorgt.

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