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Aus den Ländern
Die Geschichte des Rezeptes im Fokus
Vorstandswahlen und wissenschaftliche Tagung der hessischen Pharmaziehistoriker
Bei einem einstündigen Rundgang stellte der Stadtführer Stefan Runzheimer die Geschichte des im Jahre 1237 erstmals urkundlich erwähnten einstigen Marktflecken vor, der 1937 zur Stadt erhoben wurde. Das Zentrum des südlichen „Hinterlandes“ verfügt noch über viele ansehnliche Amts- und Bürgerhäuser, von denen das alte Pfarrhaus mit der Jahreszahl 1607 eine gewisse Nostalgie ausstrahlt. An die frühere jüdische Gemeinde mit über 100 Mitgliedern erinnert ein Gedenkstein am Aufgang zur ehemaligen Synagoge. Durch das älteste Gladenbacher Gebäude, die evangelische Martinskirche (erstmals 1280 erwähnt), führte Pfarrer Klaus Neumeister und erläuterte die zahlreichen sakralen Kostbarkeiten aus den vergangenen 700 Jahren, darunter das romanische Taufbecken aus dem Hochmittelalter.
Im Anschluss fand die Mitgliederversammlung statt. Nach dem Bericht über die Tätigkeiten der letzten drei Jahre durch den Landesgruppenvorsitzenden Dr. Peter Hartwig Graepel fand die Wahl des Vorstandes statt. Prof. Dr. Müller-Jahncke, Vorsitzender der Landesgruppe Rheinland-Pfalz, leitete als Unabhängiger den Wahlvorgang in gekonnter Weise. Gewählt wurde als Vorsitzender Dr. Peter Hartwig Graepel (Gladenbach) und als stellvertretende Vorsitzende Melanie Köppe (Bad Homburg).
Den wissenschaftlichen Vortrag mit dem Titel „Die ‚Sprache‘ der Rezepte. Beispiele aus der Geschichte der Arzneiverordnung“ hielt Dr. Kerstin Grothusheitkamp (Lohra), zurzeit Wissenschaftliche Mitarbeiterin im BMBF-Projekt „Durch das Artefakt zur infra structura – Das Arzneimittelrezept als Zugang zur Gestaltung gesellschaftlicher Infrastruktur“. Arzneimittelrezepte stellen einzigartige und vielseitige Forschungsobjekte dar. Als Bindeglied der medizinischen und pharmazeutischen Praxis lassen sie Rückschlüsse auf den historischen Wandel des offizinellen Arzneischatzes zu, und als personenbezogene Dokumente bieten sie Einblicke in individuelle Lebensschicksale. Gesundheits- und sozialpolitische Umbrüche sowie wissenschaftliche Innovationen hinterlassen ebenfalls ihre Spuren auf Rezepten, die daher auch für andere Forschungsbereiche wie die Wirtschaftsgeschichte interessante Quellen darstellen. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierte Projekt widmet sich diesem einzigartigen Artefakt. An dem interdisziplinären Projekt zwischen der RWTH Aachen, der Universitäten Marburg und Münster sowie dem Deutschen Apotheken-Museum Heidelberg sind neben Pharmazie- und Wirtschaftshistorikern auch Wirtschaftsinformatiker beteiligt. Seit 2018 wurden über 10.000 Rezepte digitalisiert und periodisiert, die in einer Rezeptdatenbank für zukünftige Forschungsprojekte zur Verfügung gestellt werden. Der Vortrag widmete sich der pharmaziehistorischen und biografischen Analyse von Rezepten aus dem 16. bis 20. Jahrhundert. Untersuchungsmethoden wie die Ermittlung einer möglichen Indikation einer Verordnung wurden exemplarisch vorgestellt. Die von Leibarzt Caspar Philipp Fromm für Amalie von Beulwitz (geb. Reichsfreiin von Bibra; 1768 – 1826) ausgestellten Rezepte sowie eine 1919 verfasste Verordnung von Leibarzt Gustav Adolf Balthasar von Hoesslin (1854 – 1925) für „s[eine] Majestät den [abgesetzten] König“ (Ludwig III von Bayern) zeigen, dass es sich lohnt, nicht nur den historischen Wandel des Arzneimittelrezeptes zu untersuchen, sondern auch die biografischen Ereignisse zu rekonstruieren, die hinter den Rezepten stehen.
Nach dem offiziellen Teil des Treffens wurde bei einem gemeinsamen Abendessen das Thema „Rezepte“ weiter diskutiert. |
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