Arzneimittel und Therapie

Orale Anämie-Therapie mit Roxadustat

Patienten mit chronischer Nierenerkrankung können von neuem Wirkprinzip profitieren

Roxadustat (EvrenzoTM) ist ein neuer Arzneistoff zur Behandlung der symptomatischen Anämie bei chronischer Nierenerkrankung. Der Wirkstoff überzeugt mit neuartigem Wirkprinzip und erweitert das derzeitige Behandlungsspektrum.

Ein Großteil der Patienten mit chronischer Nierenerkrankung (chronic kidney disease, CKD) entwickelt im Verlauf der Krankheit eine Anämie – insbesondere beim Abfall der glomerulären Filtrationsrate unter 60 ml/min. Die Prävalenz nimmt mit zunehmendem Schweregrad der Niereninsuffizienz zu – bei Grad fünf sind mehr als die Hälfte der Patienten davon betroffen. Dabei führt die renale Anämie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität und geht mit einer Erhöhung der Mortalität einher.

Hauptursache für die Entstehung einer renalen Anämie ist die verminderte Erythropoetin (EPO)-Bildung in den Nieren. Früher bestand die einzige Behandlungsoption aus Bluttransfusionen. Heute kommen häufig in Kombination mit einer Eisensubstitution Erythropoese-stimulierende Agenzien wie Epoetin alfa, Epoetin beta und Darbepoetin alfa in Betracht. Die Therapieoptionen sind begrenzt – insbesondere Arzneistoffe zur oralen Applikation fehlen.

Der neue Arzneistoff Roxadustat (EvrenzoTM) konnte im Rahmen eines weltweit durchgeführten Phase-III-Studienprogramms, das aus acht multizentrischen und randomisierten Studien mit nicht dialysepflichtigen und dialysepflichtigen CKD-Patienten mit Anämie bestand, überzeugen und erhielt kürzlich die Zulassung der EMA.

Der Wirkstoff ist zur Behandlung Erwachsener mit symptomatischer An­ämie bei chronischer Nierenerkrankung indiziert und wird oral appliziert – die Filmtabletten sind in fünf verschiedenen Stärken (20 mg, 50 mg, 70 mg, 100 mg und 150 mg) erhältlich.

Mehr Erythrozyten durch Enzymhemmung

Der Wirkmechanismus von Roxadustat basiert auf der Inhibition der HIF-Prolylhydroxylase (s. Abb.). HIF (Hypoxie-induzierbarer Faktor) ist ein Transkriptionsfaktor, der die Expression von an der Erythropoese beteiligten Genen steuert. Kommt es zu einer Abnahme des Sauerstoffgehalts im Blut, wird der HIF-Signalweg aktiviert – die Erythrozyten-Produktion wird gesteigert. Bei ausreichendem Sauerstoffangebot wird HIF wieder durch das Enzym Prolylhydroxylase (PH) deaktiviert. Roxadustat wirkt dem entgegen – es kommt zur reversiblen Inhibition von HIF-PH. Infolgedessen kommt es zu einer Zunahme der EPO-Produktion. Auch die Bioverfügbarkeit von Eisen wird durch die Regulation von Eisentransporterproteinen und die Verringerung der Hepcidin-Produktion erhöht. Es kommt zu einer Zunahme der Hämoglobin-Bildung und der Anzahl an Erythrozyten.

Abb.: Bei ausreichender Sauerstoffversorgung wird die α-Untereinheit des Hypoxie-induzierbaren Faktors (HIF-α) durch das Enzym HIF-­Prolylhydroxylase (PHD) an zwei Prolin-Aminosäuren hydroxyliert. Das entstehende Produkt wird mit einer Ubiquitin-Kette markiert und nachfolgend vom Proteasom abgebaut (oben). Bei Hypoxie oder dem Einsatz des Hypoxie-induzierbarer-Faktor-Prolylhydroxylase-Inhibitors Roxadustat findet keine Hydroxylierung von HIF-α statt. Das unveränderte HIF-α gelangt in den Zellkern und bildet mit HIF-β ein Heterodimer. Der Transkriptionsfaktor löst über die Bindung an sogenannte Hypoxia Response Elements (HRE) die Expression von an der Erythropoese beteiligten Genen aus (unten).

Dreimal wöchentlich

Roxadustat wird dreimal wöchentlich an nicht aufeinanderfolgenden Tagen oral eingenommen. Die Initialdosis ist u. a. vom Körpergewicht abhängig – Patienten, die nicht mit Erythropoese-stimulierenden Agenzien vorbehandelt sind, erhalten bei einem Gewicht unter 100 kg dreimal wöchentlich 70 mg, bei einem Gewicht über 100 kg dreimal wöchentlich 100 mg. Patienten mit mittelgradiger Leberfunktionsstörung erhalten eine reduzierte Anfangsdosis – die Einnahme bei schwerer Leberfunktionsstörung wird nicht empfohlen. Die Erhaltungsdosis ist individuell und richtet sich nach dem Hb-Zielwert von 10 bis 12 g/dl und liegt zwischen 20 und 400 mg dreimal wöchentlich. Dabei kann die Dosis in vierwöchigen Intervallen schrittweise erhöht oder erniedrigt werden. Wenn nach 24 Wochen kein klinisch bedeutsamer Anstieg des Hb-Wertes erreicht wird, sollte die Behandlung mit Roxadustat beendet werden.

Umstellung möglich

Patienten, die bereits mit Erythropoese-stimulierenden Agenzien therapiert werden, können auf den HIF-PH-Inhibitor umgestellt werden – bei Dialysepatienten sollte die Umstellung jedoch genau abgewogen werden.

Sollte die Einnahme versehentlich vergessen worden sein und vor der nächsten planmäßigen Dosis liegt noch mehr als ein Tag, muss die Einnahme nachgeholt werden. Wenn nur ein Tag oder weniger bis zur nächsten Dosis verbleibt, muss die fehlende Einnahme übersprungen werden.

Abstand zu Phosphat-Bindern

Die Filmtabletten werden mit oder ohne Nahrung im Ganzen geschluckt – sie dürfen nicht zerbrochen oder zerkleinert werden. Sollten gleichzeitig Phosphat-Binder (Ausnahme Lanthan) oder andere Arzneimittel mit mehrwertigen Kationen eingenommen werden, ist auf einen zeitlichen Abstand von mindestens einer Stunde zu achten.

 

Sicher verhüten!

Roxadustat ist kontraindiziert bei Überempfindlichkeit gegen Erdnuss und Soja, im dritten Trimester der Schwangerschaft und in der Stillzeit.

Vorsicht ist generell bei gebärfähigen Frauen geboten – bei Kinderwunschplanung sollte die Therapie nicht begonnen werden. Während der Therapie und bis mindestens eine Woche nach der letzten Gabe von Roxadustat muss eine hochwirksame Verhütungsmethode angewendet werden. Kommt es dennoch während der Therapie zu einer Schwangerschaft, ist die Behandlung zu beenden und auf Alternativen zu wechseln.

Cave Statine

Roxadustat ist ein Substrat von CYP2C8 und UGT1A9 – bei gleichzeitiger Einnahme von starken Inhibitoren oder Induktoren sind die Hb-Werte zu überwachen und ggf. die Dosis anzupassen. Darüber hinaus inhibiert Roxadustat BCRP und OATP1B1 – diese Transporter regulieren u. a. die Aufnahme und den Efflux von Statinen. Patienten, die mit einem Statin behandelt werden, müssen engmaschig auf Statin-spezifische Neben­wirkungen hin beobachtet werden – eventuell muss eine Dosisreduktion in Betracht gezogen werden.

Cave Shunt-Thrombosen

Unter der Einnahme von Roxadustat traten sehr häufig gastrointestinale Beschwerden (Übelkeit, Diarrhö), Hyperkaliämie, Hypertonie und periphere Ödeme auf. Bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung, die eine Dialyse erhielten, wurde auch sehr häufig über Shunt-Thrombosen berichtet. Weitere häufige Nebenwirkungen waren Sepsis, Schlaflosigkeit, Krampfanfälle, Kopfschmerzen und tiefe Venenthrombosen. |

Literatur

Produktinformation Evrenzo, INN-roxadustat; verfügbar unter www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/evrenzo-epar-product-information_de.pdf, letzter Abruf am 8. November 2021

Apothekerin Dr. Martina Wegener

Das könnte Sie auch interessieren

Therapiebegleitung von Anämie-Patienten in der Apotheke

Füllstandsmelder Hämoglobin

Nobelpreis-würdige Erforschung des zellulären Sauerstoffmesssystems

Dicke (oder dünne) Luft?

Bayer mit gut gefüllter Forschungspipeline

„Rosige“ Aussichten

Angeborener Schutz vor Polyzythämie

Dünne Luft in Tibet

Fünf neue Wirkstoffe

Bayer beschleunigt Entwicklung

Medizin-Nobelpreis 2019 geht an drei Zellforscher

Wie Zellen Sauerstoff „fühlen“

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.