Arzneimittel und Therapie

Reduzieren Antibiotika Impfschutz von Kleinkindern?

Geringere Antikörperbildung wirft Fragen auf

Impfungen gegen lebensbedrohliche Erkrankungen erfolgen meist in den ersten beiden Lebensjahren. Gleichzeitig bekommen gerade Kleinkinder aufgrund von akuten Infekten häufig Antibiotika verordnet. Eine aktuell publizierte Studie hat nun gezeigt, dass eine Antibiotika-Gabe im Kleinkindesalter die Antikörperbildung nach einer Impfung – und somit den Impfschutz –deutlich verringern kann. Ein möglicher Grund könnte eine durch die Antibiotika-Gabe verursachte Veränderung des Darmmikrobioms sein, aber auch eine generell schlechtere Immunantwort, die sich in vermehrten therapiebedürftigen bakteriellen Infekten äußert.

Schutzimpfungen im Säuglings- und Kleinkindesalter führen zu einer zuverlässigen Antikörperbildung und einem hohen Schutz vor der entsprechenden Infektion. Dennoch gibt es interindividuelle Schwankungen im Ausmaß des Impfschutzes. Die Gründe hierfür sind nicht vollständig bekannt. Im Mausmodell konnte ein negativer Effekt einer Antibiotika-­Gabe auf eine impfinduzierte Immunität gezeigt werden. Gleichzeitig wurde eine Beeinträch­tigung der Diversität innerhalb des Darmmikrobioms festgestellt. So wird vermutet, dass sich Veränderungen des Darmmikrobioms durch Antibiotika wiederum auf immunologische Vorgänge auswirken. Und auch bei Erwachsenen, die vor einer In­fluenza-Impfung antibiotisch behandelt worden waren, konnten in der Vergangenheit ver­ringerte Antikörperspiegel gemessen werden. Eine US-amerikanische Arbeitsgruppe hat sich nun mit der Frage beschäftigt, ob und in welchem Ausmaß Anti­­biotika-Gaben auch im Kleinkindes­alter die Immunantwort auf gängige Schutzimpfungen beeinflussen ­könnten.

Foto: Syda Productions/AdobeStock

Studie mit Kleinkindern

Im Rahmen einer retrospektiven Kohortenstudie wurden 560 Kleinkinder im Alter zwischen sechs und 24 Monaten untersucht, die routinemäßig gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten (DTaP), Polio (IPV), Haemophilus influenzae Typ B (Hib) und Pneumokokken (PCV) geimpft worden waren. Von allen Kindern lagen Blutproben vor, die im Alter von sechs, neun, zwölf, 15, 18 und 24 Monaten bei Vorsorgeuntersuchungen sowie beim Auftreten einer akuten Otitis entnommen worden waren. 342 Kinder hatten Antibiotika erhalten, die Vergleichsgruppe von 218 Kleinkindern nicht. Anschließend verglichen die Forscher die Antikörperspiegel im Serum dieser zwei Gruppen, wobei auch Häufigkeit und Art der Antibiotika-Gaben sowie das Alter, in dem die Therapie erfolgte, ­berücksichtigt wurden.

Negativer Antibiotika-Einfluss

Kinder der Antibiotika-Gruppe wiesen im Vergleich geringere Antikörperspiegel auf als Kinder der Kontrollgruppe. So war jede Antibiotika-Verschreibung mit einem reduzierten medianen Antikörperspiegel verbunden: für DTaP um 5,8%, für Hib um 6,8%, für IPV um 11,3% sowie für PCV um 10,4%. Nach der Auffrischungsimpfung war dieser Effekt noch ausgeprägter: Die Antikörperspiegel gegen DTaP-Antigene fielen im Vergleich zur Kontrollgruppe um 18,1% geringer aus, gegen Hib-Antigene um 21,3%, ­gegen IPV-Antigene um 18,9% und gegen PCV-Antigene um 12,2%. Das stärkere Absinken der Antikörperspiegel nach der Boosterimpfung weist darauf hin, dass diese nicht ausreicht, um den negativen Einfluss einer Antibio­tika-Gabe aufzufangen.

Frage des Alters und der Dauer?

Auch scheint das Alter, in dem die Antibiotika-Therapie erfolgte, die ­Immunantwort zu beeinflussen. So fielen die Antikörpertiter besonders häufig signifikant geringer aus, wenn die Kinder im Alter zwischen neun und zwölf Lebensmonaten eine Antibiotika-Behandlung erhalten hatten. Hier sanken die Werte unter die protektive Schwelle. Auch wiederholte Antibiotika-Therapien, das eingesetzte Antibiotikum sowie die Dauer einer antibiotischen Behandlung wirkten sich auf die Immunantwort aus. So führten mehrfache Antibiotika-Anwendungen zu einer stärkeren Abnahme der Antikörperspiegel und verringerten somit die Schutzwirkung der Vakzinen. Das galt auch für die Länge einer Antibiotika-Therapie. Hierzu ein Beispiel: Eine fünftägige Behandlung mit Amoxicillin/Clavulansäure führte zu keiner Abnahme der Antikörperspiegel in einen subprotektiven Bereich, was aber bei einer zehntägigen Therapie der Fall war. Im Hinblick auf das eingesetzte Antibiotikum konnte Folgendes festgestellt werden: Eine Monotherapie mit Amoxicillin führte zu keinem unterschwelligen Impfschutz; im Gegensatz hierzu war dies bei Ceftriaxon oder Cefdinir der Fall.

Probiotika eine Option?

Als möglicher Grund für die verminderte Immunantwort nach Antibio­tika wird ein negativer Einfluss auf das Mikrobiom im Darm vermutet. Antibiotische Therapien können die Diversität des Mikrobioms langfristig stören und so Homöostase und Immunantwort beeinflussen. Allerdings muss dieser vermutete Zusammenhang noch bestätigt werden. In der vorliegenden Studie wurden keine Stuhlproben untersucht. Erstmals wurde nun auch im Kleinkindesalter ein Zusammenhang zwischen einer Antibiotika-Therapie und einer verminderten Impfantwort gezeigt. Die Ergebnisse könnten mehrere Konsequenzen nach sich ziehen. So empfehlen die Autoren, eine antibiotische Behandlung so kurz wie möglich und nur nach sorgfältiger Indikationsstellung und gezielter Auswahl des Antibiotikums anzusetzen. Diskutiert wird auch der Einsatz von Probiotika sowie ein weiteres Boostern der Kinder. So kann sich Dr. Cornelia Gottschick, Arbeitsgruppenleitung Infektionsepidemiologie am Institut für Medizinische Epidemiologie, Bio­metrie und Informatik der Martin-­Luther-Universität Halle-Wittenberg, vorstellen, „[...] dass ein verminderter Immunschutz durch eine weitere Impfung ausgeglichen werden kann. [...] Möglicherweise kann eine Einnahme von Probiotika, welche das Darmmikrobiom während einer Antibiotika-Einnahme schützen sollen, den in der Studie beobachteten Effekt reduzieren“. Solche die Darmresilienz verbessernden Probiotika müssen ­jedoch nach Ansicht von Prof. Dr. ­Ulrich Schaible, Leiter der Forschungsgruppe Zelluläre Mikrobiologie vom Lungenzentrum Leibniz, erst einmal untersucht werden. Generell ist zu überlegen, die Impfungen während einer Antibiotika-Therapie auszusetzen und erst nach Beendigung vorzunehmen.

Boosterbedarf prüfen

Ob eine Boosterung sinnvoll ist, lässt sich nach Dr. Claudius Meyer, Leiter der Arbeitsgruppe Pädiatrische Immunologie am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsmedizin Mainz, aus der diskutierten Studie nicht ableiten. Er räumt aber ein, dass möglicherweise eine Nachkontrolle zum dritten oder fünften Lebensjahr hilfreich sein könnte, um den Bedarf nach einem Booster zu erkennen. In einigen Ländern würden einige der betrachteten Impfstoffe ohnehin im Laufe der Kindheit aufgefrischt. Ob dann nach einer Auffrischungsimpfung die Kinder mit Antibiotika-Gabe noch von der Kontrollgruppe zu unterscheiden sind, könne nur eine Nachfolgestudie mit den gleichen Kindern zeigen.

Ein intrinsisches Problem?

Für Schaible bleibt noch die Frage, inwieweit kleine Kinder, die häufiger bakterielle Infektionskrankheiten ­haben und damit häufiger mit Antibiotika behandelt werden, vielleicht generell eine schlechtere Immun­antwort aufbauen. Damit könnte bei diesen Kindern die schlechtere Antikörperantwort gegen die Impfstoffe auch ein intrinsisches immu­nologisches Problem darstellen. |

Literatur

Chapman TJ, Pham M, Bajorski P et al. Antibiotic Use and Vaccine Antibody Levels. Pediatrics. 2022;149(5): e2021052061

Expertenmeinungen (Auszüge) zitiert nach www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/research-in-context/details/news/antibiotika-verringern-impfschutz-bei-kleinkindern/, Abruf am 30. April 2022

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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