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Einfach erklärt

Verständnis tut Not

Komplexe Sachverhalte einfach erklärt – Folge 8: Der Apothekennotdienst

„Wer reitet so spät durch Wind und Nacht? Es ist der Vater. Es ist gleich acht. Den Knaben er im Arm wohl hält, er reitet schnell, denn er ist erkält‘.“ Vielleicht hat es der Protagonist in Otto Waalkes’ „König Erl“ aus Gründen der Sparsamkeit so eilig. Schließlich wird nach 20 Uhr die Notdienst­gebühr fällig. Nicht jeder Apothekenkunde findet das ein faires Anliegen, und nicht selten kommt es zu unangenehmen Diskussionen. Respektlosigkeit, Wutausbrüche, ja sogar sexuelle Belästigung: Wir machen im Notdienst ganz schön was mit. Wie also umgehen mit dem (Un-)Verständnis auf der anderen Seite der Notdienstklappe? | Von Christine Gitter

Auf gar keinen Fall den gleichen Fehler machen, wie ich, als ich „raffgieriges Weib in diesem Saftladen“ einem Kunden mit zwei Wochen altem Privatrezept auch noch die Notdienstgebühr „abknöpfen“ wollte. Ich bat den Mann nämlich, dass er sich doch beruhigen möchte. Glauben Sie mir: Das ist kein Erfolgsrezept. Ebenso wenig Deeskalation versprechend sind ausschweifende Erklärungen, warum es sich bei besagter Apotheke keineswegs um einen Saftladen handle und man sich ja schlicht an die Arzneimittelpreis­verordnung halten würde, und überhaupt: Nicht in diesem Ton! Letzteres habe ich mir freilich nur gedacht, denn ein wenig Erfahrung und Ahnung von Kommunikation habe ich inzwischen ja doch.

Apropos Kommunikation: Haben wir hier nicht eine Art sprachliche Medizin in petto, die wir schwierigen Menschen ad hoc verabreichen können, und schon werden diese wieder unschwierig? Die „10 besten Tipps für eine gelungene und beruhigende Kommunikation“? Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber jedes Mal, wenn ich solche todsicheren Anleitungen für wertvolle Kommunikation lese, bekomme ich ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Ich sehe vor meinem inneren Auge nichtssagende Gesichter, die jegliche Aggression an sich abperlen lassen und geduldig vor sich hinlächeln. Das Material für diese Vorstellung ist ungefähr 20 Jahre alt und stammt aus dem einzigen Präsenzseminar für Kommunikation, an dem ich jemals teilgenommen habe. Denn obwohl ich mich als freundlichen Menschen einschätze, ist das Kommunizieren nach Vorlage für mich ein Faktor, der weniger dazu geeignet ist, Stress abzubauen, als vielmehr, ihn zu verursachen. Schon gleich nachts um zwei, mitten im Apothekennotdienst, nach wenig erholsamen Minuten unruhigen Schlafes.

Und wissen Sie was? Deshalb gibt es im Gegensatz zu den bisherigen Folgen an dieser Stelle auch keine Erklärungen, warum der Mensch wie tickt und wie man wohl die Kommunikation gewinnbringend für alle Beteiligten optimieren könnte. Auch wir Apothekerinnen und Apotheker sind nachts einfach nur müde Menschen.

Im Übrigen habe ich damals „meine“ 2,50 Euro doch noch bekommen. Und einen wunderschönen Blumenstrauß tags darauf dazu.

Komplexe Sachverhalte aus dem Apothekenalltag einfach erklärt …

… das ist die Idee hinter dieser Serie!

Denn wie alle Experten sind auch wir Apothekerinnen und Apotheker chronisch gefährdet, einen zu hohen Wissensstand beim Gegenüber – unseren Kundinnen und Kunden – vorauszusetzen. Bei der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) sind einfache Erklärungen auf die Frage „Warum?“ oft förderlicher als detaillierte Ausführungen, die sich mit dem „Wie“ beschäftigen.

Deshalb finden Sie in dieser Serie regelmäßig ent­sprechend aufbereitete Informationen, die Sie an Ihre Kundinnen und Kunden weitergeben können – wir übernehmen sozusagen die Übersetzungsarbeit aus dem Pharmazeutischen.

Bei der Themenauswahl haben wir uns an der Häufigkeit im Apothekenalltag und am praktischen Nutzen für die AMTS orientiert.

Patienten fragen – wir antworten

Was bedeutet Apothekennotdienst?
Die Versorgung mit Arzneimitteln muss auch außerhalb der regulären Öffnungszeiten von Apotheken sichergestellt sein. Egal, ob sonntags, an einem Feiertag oder mitten in der Nacht: Deutschlandweit sind in jeder Nacht ca. 1300 Apothekerinnen und Apotheker dienstbereit, um im Notfall dringend benö­tigte Medikamente abgeben zu können. In bestimmten Regionen, auf manchen Nordseeinseln etwa, sind Apotheken sogar 24 Stunden täglich an 365 Tagen im Jahr im Dienst. Welche Apotheke wann dienstbereit ist, wird durch die Apothekerkammer des jeweiligen Bundeslandes geregelt und alle Apotheken müssen sich an den Notdiensten beteiligen.

Rund 20.000 Menschen nehmen den Notdienst der Vor-Ort-Apotheken pro Nacht in Anspruch. Nur etwa jede/r Zweite hat vorher eine ärztliche Notfallpraxis besucht. Die andere Hälfte kommt direkt in die Apotheke, um sich beraten zu lassen und Arzneimittel im Rahmen der Selbstmedikation zu kaufen.

Für Familien hat der Apothekennotdienst offenbar eine besondere Bedeutung, denn bei jedem dritten Notdienstbesuch werden Arzneimittel für Kinder gewünscht.

Welche Produkte kann ich im Notdienst kaufen?
Der Begriff „Notdienst“ drückt es bereits aus: Wir sind im NOTfall sehr gerne für Sie da! Zahnpasta, Hustenbonbons und ein fünf Tage altes Rezept zählen streng genommen nicht dazu. Der Notdienst schließt sich meist an einen vollen Arbeitstag an, und auch wir Apothekerinnen und Apotheker freuen uns über ein paar Stunden Schlaf. Bitte rufen Sie daher auch nicht an, um Ihren Besuch „in etwa einer Stunde“ anzukündigen. Wir laufen zwischendurch nicht weg, versprochen!

Während des Notdienstes dürfen wir übrigens – und das ist gesetzlich geregelt – nur Arzneimittel, Krankenpflegemittel, Desinfektionsmittel, Säuglingsnahrung, Säuglingspflege- und Hygieneartikel abgeben. Ist ein Produkt nicht vorrätig, können wir es auch nicht über den Großhandel nachbestellen, denn die Apothekengroßhändler unterliegen keiner Dienstpflicht. Wir versuchen aber immer, eine Alternative zu finden.

Was ist die Notdienstgebühr?
Die Notdienstgebühr wird an Werktagen (oder besser -nächten) von 20.00 Uhr bis 6.00 Uhr und an Sonn- und Feiertagen den ganzen Tag er­hoben. Pro Besuch und unabhängig von der Anzahl der Rezepte oder der Arzneimittel werden 2,50 Euro zusätzlich zur Zuzahlung oder zum Verkaufspreis der Arzneimittel berechnet. Der Betrag ist durch die Arzneimittelpreisverordnung festgelegt und im Vergleich zu einem Nachteinsatz des Schlüsseldienstes ziemlich günstig.

Kreuzen der Arzt oder die Ärztin auf dem Rezept „noctu“ an (das ist Lateinisch für „Nacht“), wird die Gebühr von der Krankenkasse übernommen.

Woher weiß ich, welche Apotheke dienstbereit ist?
Jede Apotheke muss während ihrer Schließzeiten auf die nächstgelegene diensthabende Apotheke hinweisen. Dienstbereite Apotheken werden auch in Tageszeitungen und auf Internetsuchportalen veröffentlicht. |

Autorin

Christine Gitter, Apothekerin, sammelte über zwanzig Jahre Erfahrung in der Offizin, davon 16 Jahre als Inhaberin. Die Buchautorin engagiert sich in unterschiedlichen Projekten zur Förderung der AMTS.

Illustratorin

Nadine Roßa ist Designerin, Illustra­torin und „Spiegel“-Bestseller-Autorin für diverse Sketch­notes-Bücher. Sie gibt Workshops und Vorträge rund um das Thema Visualisierung und begleitet Veranstaltungen durch Graphic Recordings (Visuelle Protokolle).

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