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Einfach erklärt

Wenn’s nicht richtig rutscht

Komplexe Sachverhalte einfach erklärt – Folge 6: Schluckstörungen

Bei Problemen mit dem Tablettenschlucken muss ich unweigerlich an meinen geschätzten Schwiegervater denken. Er war immer der Meinung, zweimaliges Gebissaufeinanderklappern reiche aus, um das Frühstücksbrötchen vor dem Schlucken angemessen zu zerkleinern. Doch kaum lag eine winzige Tablette auf dem Tisch, durfte man einem rituellen Kampf beiwohnen, der aus einer fest vorgegebenen Choreografie bestand: Schwungvolles Kopf-in-den-Nacken-Werfen, rhythmische Hustenanfälle, lautes Schimpfen. Den Sieg trug fast immer die Tablette davon. | Von Christine Gitter

Wieso ist das Tablettenschlucken für manche Menschen ein so nahezu unlösbares Problem? Durchschnittlich 1000 bis 2000 Mal pro Tag läuft das Schlucken doch wie geschmiert! In der Tat gestaltet sich der Schluckablauf nicht unkompliziert: Ganze 26 Muskelpaare in Mundhöhle, Rachen, Kehlkopf und Speiseröhre sind beteiligt. Dazu noch fünf Hirnnerven und drei Zervikalnerven – ein Albtraum für alle Medizinstudierenden.

Auf jeden Fall hat etwa ein Drittel der Erwachsenen hierzulande Schwierigkeiten, feste orale Arzneiformen zu sich zu nehmen. Vom harmlosen Würgereiz über Steckenbleiben in der Speiseröhre bis hin zu Erbrechen ist da wirklich alles dabei. Im Extremfall berichten Betroffene von einer Phagophobie. Phagophobie heißt „Schluckangst“ und die äußert sich in extremer Sorge davor, sich zu verschlucken oder sogar zu ersticken.

Komplexe Sachverhalte aus dem Apothekenalltag einfach erklärt …

… das ist die Idee hinter dieser Serie!

Denn wie alle Experten sind auch wir Apothekerinnen und Apotheker chronisch gefährdet, einen zu hohen Wissensstand beim Gegenüber – unseren Kundinnen und Kunden – vorauszusetzen. Bei der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) sind einfache Erklärungen auf die Frage „Warum?“ oft förderlicher als detaillierte Ausführungen, die sich mit dem „Wie“ beschäftigen.

Deshalb finden Sie in dieser Serie regelmäßig ent­sprechend aufbereitete Informationen, die Sie an Ihre Kundinnen und Kunden weitergeben können – wir übernehmen sozusagen die Übersetzungsarbeit aus dem Pharmazeutischen.

Bei der Themenauswahl haben wir uns an der Häufigkeit im Apothekenalltag und am praktischen Nutzen für die AMTS orientiert.

In der Folge nehmen viele Patientinnen und Patienten weniger ein, als sie sollten. Jeder Zehnte verzichtet gleich komplett auf die Einnahme. Manche greifen zu drastischen Maßnahmen und zerkleinern ihre Medikamente, oft unerlaubterweise. Alle drei Wege sind ungünstig bis gefährlich.

Professor Walter Haefeli, Pharmakologe an der Uni Heidelberg, hat sich 2013 dieser Problemstellung angenommen und 151 Freiwillige im Alter zwischen 18 und 85 Jahren rekrutiert. Diese sollten 16 wirkstofffreie Tabletten und Kapseln unterschiedlicher Größe und Form auf die ihnen gewohnte Weise schlucken. Das Ergebnis fiel wie erwartet aus: je größer die Pillen desto größer die Probleme. Außerdem: Runde Tabletten flutschen etwas schlechter als längliche.

Das Problem sitzt schon im Kopf, aber nicht unbedingt im Rachenbereich. Mit der richtigen Technik kann man die Medikamente nämlich meist dorthin befördern, wo sie hingehören. Professor Haefeli hat brauchbare und wissenschaftlich fundierte Vorschläge.

Bevor wir Ihnen diese in gewohnter Weise präsentieren, darf ein Hinweis nicht fehlen:

Es ist nicht ungewöhnlich, dass ältere Menschen durch die verminderte Speichelproduktion im Alter manchmal Probleme mit der Tabletteneinnahme haben. Solche Schluckprobleme sind zwar unangenehm, haben aber keinen Krankheitswert und es kann ein Versuch mit den unten aufgeführten Tipps erfolgen.

Viele ältere Menschen und über die Hälfte aller Pflegeheimbewohner sind jedoch von einer Dysphagie betroffen. Eine solche Schluckstörung ist keine natürliche Folge des Alterungsprozesses, sondern wird durch Krankheiten, wie Demenz, Morbus Parkinson, Myopathien, multiple Sklerose, Schlaganfall, Tumoren und andere verursacht. Betroffene haben ein hohes Risiko für Aspirationspneumonien: Teile der Nahrung oder der Medikation gelangen in die Luftröhre und können zu Entzündungen führen.

Für Menschen, die an einer Dysphagie leiden, sind oft spezielle Hilfsmittel erforderlich und eine logopädische Therapie wird dringend empfohlen.

Patienten fragen – wir antworten

Wie schaffe ich es, Kapseln zu schlucken?

Kapseln rutschen am angenehmsten mit dem sogenannten Kapsel-Nick-Trick. Dazu legen Sie die Kapsel auf die Zunge. Anschließend nehmen Sie einen großen Schluck Wasser in den Mund und neigen das Kinn in Richtung Brust. Erst jetzt wird geschluckt!

Warum funktioniert das besser? Kapseln sind meist etwas leichter als gepresste Tabletten. Die Körnchen des Arzneistoffes werden bei der Kapselherstellung nicht gepresst. Neben dem Arzneistoffgemisch bleibt deswegen oft ein kleiner luftgefüllter Raum in der Kapsel. Die Kapsel „treibt“ daher im wassergefüllten Mund oben und dort liegt bei gesenkter Kopfhaltung der Rachen. Ist die Kapsel erst einmal dorthin gelangt, wandert sie auch leichter weiter abwärts.

Wie schaffe ich es, Tabletten zu schlucken?

Das Schlucken von großen Tabletten funktioniert genau andersherum. Sie legen die Tablette auf die Zunge und nehmen einen kräftigen Schluck Wasser aus einer möglichst flexiblen Trinkflasche. Der Kopf darf dabei leicht nach hinten geneigt werden.

Wenn das nicht gut klappt, sind Schnabelbecher mit einem Tabletteneinschub einen Versuch wert. Beim Trinken wird das Medikament direkt mit dem Getränk in den Rachen gespült. Solche Becher sind inzwischen in verschiedenen Ausführungen im Handel.

Welche Tricks gibt es noch?

Manche Menschen kommen auch mit den obigen Tipps nicht gut zurecht. Dann können sie z. B. den „Brottrick“ probieren: Ein Bissen Brot wird so lange gekaut, bis ein Brei entsteht. Vor dem Schlucken gibt man die Tablette zum Brei und schluckt erst dann.

Das funktioniert auch gut mit einem Stück Banane, einem Löffel Apfelmus oder Pudding.

Diese Methode eignet sich allerdings nicht für das Schlucken von Medikamenten, die nüchtern ein­genommen werden müssen oder sonstige Wechselwirkungen mit der Nahrung eingehen!

Es gibt außerdem Schluckhilfen in Form eines Tablettenüberzugs. Die sehen ein bisschen aus, wie Kondome für Tabletten. Diese Tablettenmäntelchen schmecken leicht sauer-zitronig und regen so den Speichelfluss an. Das kann zusätzlich helfen, wenn man generell unter Mundtrockenheit leidet. Außerdem machen diese Überzüge die Tabletten glatter und lassen sie leichter in der Speiseröhre hinuntergleiten.

Der Nachteil: Gerade, wenn man mehrmals täglich Medikamente schlucken muss, wird es kostspielig.

Achten Sie generell auf genügend Flüssigkeit! Verwenden Sie zu wenig Wasser, werden manche Tabletten und Kapseln klebrig. Das bremst sie in der Speiseröhre aus. Nehmen Sie am besten bereits vor der eigentlichen Einnahme einen großen Schluck, dann werden die Schleimhäute schon mal gut befeuchtet. Und spülen Sie ausreichend nach! 150 bis 200 Milliliter Wasser sind optimal.

Was Sie auf keinen Fall tun sollten: Tabletten teilen, zerkleinern oder mörsern. Auch Kapseln dürfen nicht ohne Weiteres geöffnet werden, es sei denn dies wurde ärztlich angeordnet oder in der Apotheke zuvor geklärt. |

Autorin

Christine Gitter, Apothekerin, sammelte über zwanzig Jahre Erfahrung in der Offizin, davon 16 Jahre als Inhaberin. Die Buchautorin engagiert sich in unterschiedlichen Projekten zur Förderung der AMTS.

Illustratorin

Nadine Roßa ist Designerin, Illustra­torin und „Spiegel“-Bestseller-Autorin für diverse Sketch­notes-Bücher. Sie gibt Workshops und Vorträge rund um das Thema Visualisierung und begleitet Veranstaltungen durch Graphic Recordings (Visuelle Protokolle).

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