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Einfach erklärt
Verdammt, ich schluck dich! Ich schluck dich nicht!
Komplexe Sachverhalte einfach erklärt – Folge 4: Nebenwirkungen und Adhärenz
„Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage...“. Ganz abgesehen davon, dass die bloße Menge der in winziger Schriftgröße dargebrachten Informationen keinen Menschen zum Lesen einlädt, verwirrt die Aufzählung der unerwünschten Wirkungen die Leserinnen und Leser zumindest. Oder versetzt sie gleich in Angst und Schrecken. Eine Krankheit soll kuriert werden und dafür kommen möglicherweise drei neue hinzu? 28 Prozent ihrer Versicherten sind da laut einer Untersuchung der AOK skeptisch und verzichten bei Bedenken vorsichtshalber auf die Einnahme.
Doch auch unter denen, die brav mit der Therapie beginnen, bleiben etwa die Hälfte nicht konsequent am Ball. Besonders dann, wenn der Leidensdruck gering ist. Deswegen sind Statine ganz vorne dabei, wenn „Drug Holidays“ eingelegt werden. Ein hoher Cholesterinspiegel tut nicht weh, und erstaunlich viele Patientinnen und Patienten glauben, sie tun sich etwas Gutes, wenn sie die Arzneimitteleinnahme pausieren.
Chancen vor Nebenwirkungen stellen
Mangelnde Adhärenz ist ein Problem. Ein medizinisches, weil nicht angewendete Medikamente nun mal nicht wirken können und die Therapie erfolglos bleibt. Grunderkrankungen, wie etwa Diabetes mellitus, können und werden sich verschlechtern und Folgeerkrankungen nach sich ziehen.
Mangelnde Adhärenz ist aber auch ein ökonomisches Problem. Ungenügende Therapietreue verursacht hohe Folgekosten im Milliardenbereich, zum Beispiel durch dann notwendige Krankenhauseinweisungen.
Allein das Wissen, welche Nebenwirkungen auftreten könnten, kann diese hervorrufen. Was fangen wir also mit dem unangenehmen Thema „Packungsbeilage“ an? Sollte man Patientinnen und Patienten aus diesem Grund unerwünschte Begleiterscheinungen verschweigen? Natürlich nicht, denn sie haben ein Recht auf die vollständige Aufklärung über Risiken und Nebenwirkungen. Wie wäre es stattdessen mit einer Patienten-freundlicheren Packungsbeilage?
Daneben (oder sogar noch davor?) sind aber ganz klar wir Apothekerinnen und Apotheker gefragt, indem wir Patientinnen und Patienten unterstützen, ihre Therapie zu verstehen. Und dazu gehört eben, dass wir nicht nur die richtige Anwendung des Arzneimittels erklären, sondern gleichermaßen über die Folgen bei Nicht-Anwendung aufklären.
Wie in anderen Bereichen, macht auch hier der Ton die Musik. Worte wirken. Geben wir uns optimistisch bezüglich der Therapie und stellen die Chancen – und eben nicht die Nebenwirkungen, wie Packungsbeilagen das tun – in den Vordergrund, klappt´s vielleicht auch mit der Therapietreue.
Patienten fragen – wir antworten
Was versteht man unter Nebenwirkungen?
Als Nebenwirkungen bezeichnet man in der Regel unerwünschte Wirkungen eines Medikaments, die zusätzlich zur gewünschten Hauptwirkung auftreten. Nebenwirkungen treten in den meisten Fällen dosisabhängig auf. Sie werden also umso wahrscheinlicher, je mehr man von einem Arzneimittel einnimmt und je länger man es anwendet.
Können Nebenwirkungen verhindert werden?
Über den Blutkreislauf verteilen sich Medikamente meist im ganzen Körper. Nebenwirkungen können zum Teil verhindert werden, wenn man die Wirkstoffe direkt am Wirkort anwenden würde. Das ist aber meistens nicht möglich. Daran wird schon seit langer Zeit geforscht. Bis das allerdings gelungen ist, werden wir damit leben müssen, dass Antibiotika nicht zwischen „guten“ Bakterien im Darm und „bösen“ Bakterien beispielsweise in der Nasennebenhöhle unterscheiden können. Deshalb verursachen sie manchmal als Nebenwirkung Durchfall und Bauchschmerzen.
Nebenwirkungen treten aber auch auf, weil sich die Aktivität der Leberenzyme bei vielen Menschen unterscheidet. Manche Menschen bauen bestimmte Arzneistoffe sehr schnell ab, andere nur im Schneckentempo. Deswegen forscht man im Rahmen der personalisierten Medizin an maßgeschneiderten Therapien.
Was bedeuten die Angaben zur Häufigkeit in der Packungsbeilage?
„Sehr häufig“: Wenn eine Nebenwirkung sehr häufig auftritt, kommt es bei mindestens einem von zehn Patientinnen und Patienten zu Nebenwirkungen. Das können wir aber auch positiv sehen: Etwa neun von zehn Patientinnen und Patienten bekommen keine Nebenwirkungen.
„Häufig“: Wenn eine Nebenwirkung häufig auftritt, tritt sie bei mehr als 1 von 100 Behandelten auf, aber bei weniger als 1 von 10.
Positiv gesehen: Mindestens 90, bestenfalls sogar 99 von 100 Patientinnen und Patienten bekommen keine Nebenwirkungen.
„Gelegentlich“: Wenn eine Nebenwirkung gelegentlich auftritt, tritt sie bei mehr als 1 von 1000 Behandelten, aber bei weniger als 1 von 100 auf.
Positiv gesehen: Etwa 990 von 1000 Patientinnen und Patienten bekommen keine Nebenwirkungen.
„Selten“: Von 10.000 Behandelten treten nur bei 1 bis 10 Personen Nebenwirkungen auf. Oder: Mindestens 9990 Patientinnen und Patienten bekommen keine Nebenwirkungen.
Bei „sehr seltenen“ Nebenwirkungen sind weniger als 1 von 10.000 Behandelten betroffen. Und mindestens 9999 eben nicht.
Könnte ich selbst für das Auftreten von Nebenwirkungen verantwortlich sein?
Wenn Sie sich an die Einnahmevorschriften halten, minimieren Sie das Risiko für das Auftreten von Nebenwirkungen. Wenn Sie unsicher sind, fragen Sie in Ihrer Apotheke nach!
Manche Tabletten dürfen nicht geteilt oder auf andere Art zerkleinert werden, weil sie etwa retardiert sind.
Retard-Arzneimittel wirken über einen längeren Zeitraum und müssen dadurch weniger häufig eingenommen werden. Dafür enthalten sie eine höhere Dosis, die durch das Zerkleinern auf einmal freigegeben wird und zu einer Überdosierung führen kann.
Manche Arzneimittel dürfen nicht mit bestimmten Lebensmitteln, wie etwa Grapefruitsaft, eingenommen werden. Mittel gegen erhöhten Cholesterinspiegel etwa werden in Kombination mit Grapefruitsaft sehr viel langsamer abgebaut. Dadurch erhöht sich das Risiko für Muskelschmerzen oder sogar schwere Nierenprobleme.
An wen kann ich mich wenden, wenn ich Nebenwirkungen bei mir vermute?
Sie können sich sowohl an Ihre Ärztin, an Ihren Arzt als auch an Ihre Apothekerin oder Ihren Apotheker wenden.
Sie können Verdachtsfälle von Nebenwirkungen auch direkt an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) melden.
Die Kontaktdaten finden Sie in der Packungsbeilage des Arzneimittels.
Ihre Meldung ist ein wichtiger Beitrag, um Arzneimittel und Impfstoffe noch sicherer zu machen! |
Komplexe Sachverhalte aus dem Apothekenalltag einfach erklärt …
… das ist die Idee hinter dieser Serie! Denn wie alle Experten sind auch wir Apothekerinnen und Apotheker chronisch gefährdet, einen zu hohen Wissensstand beim Gegenüber – unseren Kundinnen und Kunden – vorauszusetzen. Bei der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) sind einfache Erklärungen auf die Frage „Warum?“ oft förderlicher als detaillierte Ausführungen, die sich mit dem „Wie“ beschäftigen.
Deshalb finden Sie in dieser Serie regelmäßig entsprechend aufbereitete Informationen, die Sie an Ihre Kundinnen und Kunden weitergeben können – wir übernehmen sozusagen die Übersetzungsarbeit aus dem Pharmazeutischen.
Bei der Themenauswahl haben wir uns an der Häufigkeit im Apothekenalltag und am praktischen Nutzen für die AMTS orientiert.
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