Wirtschaft

„Hauen und Stechen in der Wertschöpfungskette“

Wohin höhere Kosten und geringere Umsätze führen könnten – ein Interview

eda | Inmitten der Corona-Pandemie herrscht nun auch noch Krieg in Europa. Neben der humanitären Tragödie bekommen wir die unmittelbaren Folgen auch hierzulande zu spüren: Verteuerung von Lebensmitteln und Kraftstoff sowie weiteren Energieträgern. Hinzu kommt die finanzpolitische Aufarbeitung der Pandemie, die vor allem im Gesundheitswesen zu spüren sein wird. Außerdem steigt die Inflation und durch neu verhandelte Tarifgehälter werden auch die Personalkosten mehr. Dr. Frank Diener, Generalbevollmächtigter der auf Apotheken spezialisierten Steuerberatungs­gesellschaft Treuhand Hannover, erklärt im DAZ-Interview, wie er die Lage für die Apotheken beurteilt und welche Wege er aus der wirtschaftlichen Krise für möglich hält.

DAZ: Herr Dr. Diener, hohe Energiepreise, steigende Personalkosten und dann steht da plötzlich noch der Entwurf eines drastischen Spargesetzes aus dem Bundesgesundheitsministerium im Raum. Wie stark, glauben Sie, werden die Apotheken dies alles zu spüren bekommen?

Diener: Sie sprechen damit zwei unterschiedliche Flanken an: Die Inflation trifft die Apotheken auf der Kosten­seite, der Spargesetzentwurf von Minister Lauterbach würde sie auf der Umsatzseite treffen. Man sollte darauf getrennte Blicke werfen.

Foto: Privat

Dr. Frank Diener, Generalbevollmächtigter der Treuhand Hannover

DAZ: Beginnen wir mit der Inflation.

Diener: Für die adäquate Beurteilung hilft hier der Blick auf die apothekenspezifische Inflationsrate. Die bekommt der Apothekeninhaber von seinem Steuerberater mit der monatlichen betriebswirtschaftlichen Auswertung in der Rubrik „Betriebskosten-Änderung zum Vorjahr“ ausgewiesen. Und die lag schon in 2021 im Bundesdurchschnitt bei etwa 7,5 Prozent. Da waren die aktuellen Energiepreise und der neue Tarifvertrag noch gar nicht virulent.

DAZ: Und was ist mit dem Spargesetzentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium?

Diener: Da sollen eine Kassenabschlagserhöhung und eine Mehrwertsteuersenkung kombiniert werden. Beim Kassenabschlag muss man den Umsatzsteuereffekt berücksichtigen: Er ist bislang auf 1,77 Euro inklusive 19 Prozent Umsatzsteuer fixiert, was einem Nettobetrag von 1,49 Euro entspricht. Eine Erhöhung des Kassenabschlages auf 2 Euro inklusive 19-prozentiger Umsatzsteuer würde die Branche aufs Jahr gerechnet insgesamt rund 123 Mio. Euro kosten – der Apothekenanteil würde von 1,49 auf 1,68 Euro, also 19 Cent je GKV-Packung und der Anteil des Fiskus von 28 auf 32 Cent steigen. Wenn – wie im Gesetzentwurf vorgesehen – ab 1. Januar 2023 dann als zusätzliche Maßnahme die Umsatzsteuer auf Arzneimittel von 19 auf 7 Prozent reduziert werden sollte, würde dies den Bruttoabschlag von 2 Euro auf einen Nettobetrag von 1,87 Euro liften: Das wäre gegenüber den heutigen 1,49 Euro dann 38 Cent zusätzlicher Apothekenanteil. Für die Apotheken insgesamt wäre das dann ein Opferbeitrag in Höhe von rund 250 Millionen Euro jährlich – also ungefähr so viel, wie für die bisherige Notdienstvergütung und die neuen pharmazeutischen Dienstleistungen zusammen vorgesehen ist. Für den Fiskus würde diese Umsatzsteuersenkung auf Arzneimittel über 10 Mrd. Euro Steuerausfall bedeuten – das hat jedenfalls in den letzten drei Jahrzehnten alle Finanzminister veranlasst, hier ihr Veto einzulegen.

DAZ: Durch die Corona-Pandemie konnten viele Apotheken ihr Leistungsspektrum erweitern. Das hat zu Mehreinnahmen geführt. Gleichzeitig war auch klar: Nach der Krise ist vor der Krise. Spargesetze könnten die Erträge rückwirkend wieder aufzehren. Ist das eine Nebenwirkung der sozialen Marktwirtschaft, die man einfach so hinnehmen muss?

Diener: Ja, die Corona-Pandemie hat zu Mehrumsatz geführt. Der musste aber auch mit zusätzlichem Aufwand erwirtschaftet werden. Und bitte nicht vergessen, die Corona-bedingten Sonderumsätze sind zu einem wesentlichen Teil temporär, sie verflüchtigen sich mit der Pandemie. Wir sehen das doch aktuell in diesem ersten Quartal, in dem die Masken-Umsätze im Vergleich zu 2021 nicht mehr vorkommen.

Entwicklung der Wirtschaftsleistung, der GKV-Einnahmen, der Verbraucherpreise und der Tarifgehälter in Apotheken. Außerdem wird die Apothekenvergütung pro GKV-Rx-Packung unter Berücksichtigung des Apothekenabschlags dargestellt. Alle Größen indexiert und auf das Jahr 2004 bezogen. Der Vergleich der Gesamtbetrachtungen mit einer packungsbezogenen Größe irritiert zunächst. Doch ein wichtiger Teil der Kosten in Apotheken hängt von der Packungszahl ab, und die fixen Kosten der Apotheken werden von der GKV nur über den packungsbezogenen Zuschlag finanziert, der damit der zentrale Teil der Apothekenhonorierung ist. Außerdem war die Packungszahl zuletzt rückläufig, sodass die jüngere Entwicklung des absoluten packungsbezogenen Honorars sogar noch ungünstiger ist. Das Ergebnis des Vergleichs bleibt deutlich: Die Apothekenvergütung bleibt als Folge des 2004 eingeführten Kombimodells weit hinter den Kosten und der Wirtschaftsentwicklung zurück. Die Inflation wird dies verschärfen.

Quellen: ABDA, Bundesministerium für Gesundheit, Destatis (Statistisches Bundesamt), ADEXA

DAZ: In der vergangenen Legislatur­periode hat die Große Koalition der Apothekerschaft klar gemacht, dass es neues Geld nur mit den neuen pharmazeutischen Dienstleistungen geben wird. Weder die Dienstleistungen sind da, noch ein alternatives Honorierungsmodell. War es ein Fehler, sich als Standesvertretung von der Forderung einer Dynamisierung des Packungshonorars so deutlich zu entfernen?

Diener: Ich plädiere dafür, die Vergütung über die Arzneimittelabgabe und durch die neuen Dienstleistungen nicht zu vermischen. Das Honorierungsmodell für die neuen Dienstleistungen ist „eigentlich“ schon da, insofern ist für neue Leistungen auch neues Geld vorgesehen – denn seit Mitte Dezember werden ja mit jeder Rx-Packung 20 Cent eingesammelt und demnächst in den Dienstleistungsfond überführt. Was noch nicht da ist, ist die Ergänzung im Rahmenvertrag DAV/GKV, in dem unter anderem fixiert wird, welche Dienst­leistungen in welchem Quantum und welcher Qualität zu welchem Preis von den Apotheken erbracht werden dürfen. Auch die Frage, wer die Leistungsbeanspruchung auslösen kann, muss definiert werden: vom Patienten, vom Arzt, von der Krankenkasse, vom Apotheker? Hier warten wir alle auf die Schieds­stellenentscheidung.

DAZ: Droht die Branche demnächst noch stärker von der Inflation abgekoppelt zu werden?

Diener: Das hängt davon ab, ob die Rx-Vergütung angepasst wird. Dies ist überfällig. Die Fixkomponente, die für die fixen Betriebskosten vorgesehen ist, ist seit 2004 nur einmal, und das auch noch unzureichend, angepasst worden. Und der dreiprozentige AEP-Aufschlag, der die variablen Betriebskosten abdecken soll, passt auch nicht mehr, denn der Anteil der umsatzabhängigen Kosten ist seit 2004 deutlich angestiegen. Den erforderlichen Anpassungsbedarf kann man anhand der apothekenspezifischen Inflationsrate detailliert belegen.

DAZ: Wie kann man es schaffen, mithilfe der Dienstleistungshonorare die steigenden Kosten zu kompensieren?

Diener: In 2021 hatte die Durchschnittsapotheke gute 30.000 Euro Betriebskostenanstieg. Wie soll das mit neuen pharmazeutischen Dienstleistungen kompensiert werden können, wenn dafür im Dienstleistungsfonds gerade mal 8000 Euro je Apotheke liegen? Zumal die Erbringung der neuen Dienste ja mit Personal- und Sachkosten verbunden ist, die diesen Umsatz noch deutlich reduzieren. Selbst mit einem üppigen Gewinnzuschlag bei den neuen Diensten wäre der Gesamtkostenzuwachs nicht zu kompensieren.

DAZ: In der vergangenen Woche erreichten die Apotheken die Schreiben der pharmazeutischen Großhandlungen, in denen sie auf höhere Gebühren z. B. für Touren hinweisen. Hinzu kommen auch immer höhere Personalausgaben. Wie sollten die Apotheken mit diesen Mehrkosten umgehen? Welche Möglichkeiten bestehen, diese auch selbst wieder einzunehmen?

Diener: Eingefrorene, herunterrabattierte und anderweitig gedeckelte Herstellerpreise, nicht angepasste Rx-Vergütungen für den Großhandel und die Apotheken – da herrscht in der Tat Hauen und Stechen in der Wertschöpfungskette. Was man tun kann, falls bislang noch nicht geschehen, ist, seinen Großhandelsbezug zu optimieren: Mengen bündeln, Touren reduzieren, Zahlungsfristen vorziehen, … Doch, wenn man bereits sein Waren-Handling durchoptimiert hat, ist es schwer. Das heißt, die effizienten Betriebe haben auf der Kostenseite die geringsten Spielräume.

DAZ: Welchen Einfluss haben diese ganzen Entwicklungen auf den Rückgang der Apothekenzahl?

Diener: Auch wenn ich wieder mal als Kassandra beschimpft werde: Der Schrumpfungstrend der letzten zehn Jahre wird sich fortsetzen.

DAZ: Herr Dr. Diener, können Sie uns zum Abschluss denn doch noch einen positiven Ausblick geben?

Diener: Na ja. Das ist derzeit nicht ganz einfach. Wenn wir Glück haben, trifft die Schiedskommission eine gute Entscheidung in Sachen Pharmazeutische Dienstleistungen. Vielleicht bilden sich auch die Energiepreise etwas zurück und die „Apothekenbestrafung“ wird aus Lauterbachs Spargesetz entfernt, weil der Finanzminister sein Veto einlegt. |

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