Prisma

Tödliche Elektrowellen

Neues zur Entstehung von Schlaganfällen

Foto: flashmovie/AdobeStock

us | Werden Neuronen von ihrer Sauerstoffzufuhr abgeschnitten, etwa bei ­einem Schlaganfall, sterben sie innerhalb weniger Minuten ab. Bisher herrschte unter Medizinern die Annahme, dass dieses rasche Absterben vor allem durch stark erhöhte Konzentrationen des Neurotransmitters Glutamat hervorgerufen wird. Die daraus resultierende Übererregung der Nervenzellen kann zum Anschwellen der Neuronen und schließlich zu ihrem Tod führen. Obwohl dieser Mechanismus allgemein als anerkannt galt, konnte bisher kein einziges Medikament entwickelt werden, dass die exzitotoxischen Effekte von Glutamat im Falle eines Schlaganfalls abmildern kann. Ein internationales Team von Neurowissenschaftlern hat nun die zu dem Thema verfügbare Literatur der letzten 60 Jahre kritisch unter die Lupe genommen und neu bewertet. Sie kamen zu dem Schluss, dass nicht die Glutamat-Toxizität der entscheidende Faktor ist, sondern sich ausbreitende Depolarisationen, also der Verlust des Membranpotenzials der Neuronen. Der durch diese Wellen elektrischer Aktivität verursachte metabolische Stress könnte demnach verantwortlich für das Absterben von Nervenzellen sein. In ihrer Publikation in der Fachzeitschrift „Neurocritical Care“ schlagen die Autoren eine Neuinterpretation existierender Daten vor. Würde sich die Erkenntnis durchsetzen, dass elektrische Wellen die Hauptverursacher von Hirnschäden nach einem Schlaganfall sind, wäre dies ein neuer Ansatz für die Entwicklung innovativer Arzneimittel. Unter den bekannten Arznei­mitteln zeigt der NMDA-Rezeptor-­Antagonist Ketamin das Potenzial, die sich ausbreitenden Depolarisationen in Schlaganfall-Patienten abzumildern. |

Literatur

Andrew RD et al. Questioning Glutamate Excitotoxicity in Acute Brain Damage: The Importance of Spreading Depolarization. Neurocrit Care 2022, doi: 10.1007/s12028-021-01429-4

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