Arzneimittel und Therapie

Nützlich oder sogar potenziell schädlich?

Vitamin D3 und Omega-3-Fettsäuren sind keine Wundermittel

Die groß angelegte VITAL-Studie befasst sich mit der Frage, inwieweit eine Supplementation von Vitamin D3 und Omega-3-Fettsäuren zur Prävention von Herz-Kreislauf- und Tumorerkrankungen nutzen oder schaden kann. Die bisherigen Ergebnisse geben ein differenziertes Bild: Neben einigen günstigen Aspekten sind auch potenziell negative Auswirkungen zu befürchten. Dies sollte in der Apotheke bei der Abgabe entsprechender Präparate beachtet und in einem Beratungs­gespräch geklärt werden.

Das Angebot an Vitamin-D3- und Omega-3-Fettsäure-Präparaten ist groß und vor allem bei frei verkäuflichen Nahrungsergänzungsmitteln kaum überschaubar. Das gilt auch für die beworbenen Indikationen, zu denen die Primärprävention der Osteoporose, von kardiovaskulären Ereignissen und Tumorerkrankungen zählen. Doch auf welchen Daten beruhen diese Aussagen, wie valide sind sie und wie sieht der Präparatemarkt aus? Die „Karriere“ von Arzneimitteln mit Omega-3-­Fettsäuren zur Rezidivprophylaxe nach einem Herzinfarkt und zur Senkung hoher Triglycerid-Werte erhielt 2019 einen Knick. Nachdem die Europäische Arzneimittel-Agentur keinen kardioprotektiven Nutzen feststellen konnte, wurde die Indikation „Prophylaxe für ein Herzinfarktrezidiv“ wieder zurückgenommen. Seit 2021 ist erneut ein Omega-3-Fettsäurepräparat (Icosapent-Ethyl, Vazkepa®) mit der Indikation „Risikoreduktion für kardiovaskuläre Ereignisse bei mit Statinen behandelten Patienten mit hohem kardiovaskulären Risiko und Triglycerid-Werten ≥ 150mg/dl sowie nachgewiesener kardiovaskulärer Erkrankung oder Diabetes mellitus und mindestens einem weiteren kardiovaskulären Risikofaktor“ rezeptpflichtig verfügbar.

Der Markt für frei verkäufliche Fischölkapseln boomte indes ungehindert, wie die Angebote im Internet zeigen. Die Präparate werden für eine Vielzahl weiterer Anwendungsgebiete angepriesen. Treffen all die postulierten Wirkungen zu oder sind die Präparate unwirksam oder im schlimmsten Fall schädlich? Mit dieser Frage befasst sich die noch laufende VITAL-Studie (s. Kasten). Im Folgenden sollen die bisher veröffentlichten Ergebnisse der Studie zusammengefasst werden.

Die VITAL-Studie (VITamin D and OmegA-3 TriaL)

In die US-amerikanische Placebo-kontrollierte, randomisierte Studie wurden zwischen 2013 und 2014 knapp 26.000 Probanden (Männer ab dem 50. und Frauen ab dem 55. Lebensjahr) ein­geschlossen. Alle Teilnehmer hatten weder eine kardiovaskuläre Erkrankung noch eine Karzinom-Vorgeschichte. Sie erhielten 1 : 1 : 1 : 1 randomisiert einmal täglich entweder

Vitamin D3 (2000 IE Colecalciferol) und Omega-3-Fettsäuren (840 mg marine Omega-3-Fettsäuren mit 465 mg Eicosapentaensäure [EPA] und 375 mg Docosahexaensäure [DHA]) oder

  • Vitamin D3 und Placebo oder
  • Omega-3-Fettsäuren und Placebo oder
  • zwei Placebo

Der primäre Studienendpunkt setzte sich aus Herzinfarkt, Schlaganfall und kardiovaskulärem Tod sowie dem Auftreten einer invasiven Tumorerkrankung zusammen. Hinzu kamen weitere sekundäre kardiovaskuläre Endpunkte, Erkrankungen im Hinblick auf einzelne Tumorentitäten und Tod aufgrund einer Krebserkrankung. Die Studienteilnehmer wurden im Mittel 5,3 Jahre (3,8 bis 6,1 Jahre) beobachtet.

Die Studie ist noch nicht abgeschlossen. Neben den Kernfragen „Verringern Vit­amin D und Omega-3-Fettsäuren das Risiko, an Krebs oder an einem kardiovaskulären Ereignis zu erkranken?“ sollen weitere Aspekte geklärt werden. So etwa der Einfluss einer Supplementation auf Diabetes mellitus, Vorhofflimmern, Autoimmunerkrankungen, Depressionen, Kognition und weitere Erkrankungen.

Kardiovaskuläre Ereignisse und Krebs unter Vitamin D3 ...

Im Hinblick auf alle kardiovaskulären Ereignisse zeigte sich eine kleine, nicht signifikante Reduktion unter der Vitamin-D3-Einnahme. Bei den Teilnehmern der Vitamin-D3-Gruppe traten insgesamt 396 kardiovaskuläre Ereignisse (zusammengesetzter Endpunkt) auf, verglichen mit 409 in der Placebo-Gruppe (Hazard Ratio [HR]: 0,97; p = 0,69). Weder Herzinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulärer Tod (als jeweils einzelne Komponenten betrachtet) noch die Mortalität waren in der Vitamin-D3-Gruppe im Vergleich mit der Placebo-Gruppe vermindert.

Foto: Graphicroyalty/AdobeStock

In der Vitamin-D3-Gruppe traten mit 793 Fällen etwas weniger Tumor­erkrankungen auf als unter Placebo (824 Fälle). Der Unterschied war statistisch nicht signifikant (HR: 0,96; p = 0,47). Die Krebsmortalität (sekundärer Endpunkt) in der Colecalciferol-Gruppe war bei einigen Tumorentitäten verringert. Die größte Reduktion der Krebstodesfälle mit 25% zeigte sich nach Ausschluss der ersten beiden Jahre [Anmerkung: Dies entspricht einer gängigen Praxis bei der Analyse von Daten aus Studien mit Nahrungsergänzungsmitteln und Krebs, da erwartet wird, dass sich die Auswirkungen von Ernährungsfaktoren auf das Krebsrisiko langsam entwickeln und erst nach mehreren Jahren deutlich werden]. Bei einer Subgruppe von afroamerikanischen Teilnehmern, die in den USA das größte Risiko einer Vitamin-D3-Unterversorgung haben, zeigte sich eine signifikante Reduktion des Tumorrisikos um 23%. Die Gesamtmortalitäten waren in der Vitamin-D3- und der Placebo-Gruppe identisch.

Der Einfluss einer Vitamin-D3-Supplementation auf die Entwicklung fortgeschrittener Tumore – also nicht zur Prävention – wurde in einer Sekundäranalyse untersucht. Hier zeigte sich ein Benefit der Colecalciferol-­Einnahme: In der Vitamin-D3-Gruppe wurde eine signifikante Reduktion an Tumorerkrankungen im fortgeschrittenen Stadium festgestellt (Abnahme um 17%; HR: 0,83; p = 0,04). Diese Reduktion war am stärksten ausgeprägt bei Probanden mit Normalgewicht (HR: 0,62) und nicht nachweisbar für Teilnehmer mit Übergewicht.

Fazit

  • keine Risikoreduktion kardio­vaskulärer Ereignisse
  • keine signifikante Abnahme des Krebsrisikos
  • Verringerung des Krebsrisikos in Subgruppen
  • bei Subgruppen weniger Tumor­erkrankungen im fortgeschrittenen Stadium

... und unter Omega-3-Fettsäuren

In der Omega-3-Fettsäuren-Gruppe trat bei 386 Probanden ein schweres kardiovaskuläres Ereignis auf, in der Placebo-Gruppe bei 419 Teilnehmern. Dieser Unterschied war statistisch nicht signifikant (HR: 0,92; p = 0,24). Lediglich bei der Einzelkomponente Herzinfarkt gab es einen auffallenden Wert: Hier betrug die Risikoabnahme 28% (HR: 0,72). Dieser Effekt trat vor allem bei Personen mit relativ geringem Fischverzehr und bei Studienteilnehmern afroamerikanischer Abstammung auf.

Invasive Tumore wurden bei 820 Patienten der Omega-3-Fettsäure-Gruppe und bei 797 in der Placebo-Gruppe festgestellt (HR: 1,03; p = 0,56). Auch hier zeigte sich kein statistisch signifikanter Unterschied. Die Gesamtmortalität war in beiden Gruppen gleich.

Fazit

  • Abnahme des Herzinfarktrisikos, vor allem bei Afroamerikanern
  • Risikoreduktion kardiovaskulärer Ereignisse bei Probanden mit geringem Fischkonsum
  • keine Abnahme des Krebsrisikos

Mehr Vorhofflimmern, weniger Autoimmunerkrankungen

Neben den primären Endpunkten werden in der VITAL-Studie auch sekundäre Endpunkte ermittelt sowie die gewonnen Daten in untergeordneten Studien zu anderen Fragestellungen ausgewertet. Zu einigen von ihnen liegen bereits Ergebnisse vor. Auch diese zeigen, dass eine Gabe von Vitamin D3 und Omega-3-Fett­säuren sehr differenziert gehandhabt werden muss.

  • In der VITAL-Rhythmus-Studie wurde das Auftreten von Vorhofflimmern unter der Einnahme von Vit­amin D3 oder Omega-3-Fettsäuren untersucht. Dies zeigte sich bei 3,7% der Probanden unter einer Omega-3-­Fettsäuren-Einnahme vs. 3,4% unter Placebo (HR: 1,09; p = 0,19). Unter Colecalciferol trat bei 3,7% Vorhofflimmern auf vs. 3,4% unter Placebo (HR: 1,09; p = 0,19). Somit konntekein Nutzen einer Vitamin-D3- oder Omega-3-Fettsäuren-Supplementation in Bezug auf die Primärprävention eines erstmaligen Vorhofflimmerns gesehen werden.
  • Auf dem diesjährigen amerikanischen Rheumatologenkongress wurde ein günstiger Einfluss einer Gabe von Vitamin-D3- und Omega-3-Fettsäuren im Hinblick auf Auto­immunerkrankungen gezeigt. So traten unter Vitamin D3 bei 117 Personen bestätigte Autoimmunerkrankungen auf, unter Placebo bei 150 (HR: 0,78; p = 0,04). Unter Omega-3-­Fettsäuren entwickelten 123 Probanden eine Autoimmunerkrankung, unter Placebo 144 (HR: 0,85; p = 0,2). Wenn die Subgruppen in einem factorial design analysiert wurden, nahm das Risiko noch stärker (zwischen 25 und 30%) ab. Die NNT (number needed to treat, also die geschätzte Zahl der Patienten, die behandelt werden müssen, um bei einem weiteren Patienten eine Autoimmunerkrankung zu verhindern) betrug für beide geprüften Substanzen 167.

Enttäuschung auch in weiteren Untersuchungen

In einer untergeordneten Studie wurden das Depressionsrisiko oder klinisch relevante depressive Symptome unter der Einnahme von Colecalciferol bei über 50-Jährigen untersucht. Dabei konnte kein Einfluss der Vit­amin-D3-Supplementation auf das Depressionsrisiko oder auf das Wiederauftreten einer Depression festgestellt werden.

Ebenfalls keine Wirksamkeit zeigte die Einnahme von Vitamin D3 und Omega-3-Fettsäuren auf das Ausmaß von Knieschmerzen aufgrund einer Osteoarthritis. Weder die Schmerzen noch die Funktion oder Steifheit des Knies wurden durch die Supplemente gebessert.

In einer weiteren Analyse wurde eine einjährige Supplementation beider Supplemente auf inflammatorische Biomarker (IL-6, TNFR2, C-reaktives Protein) untersucht. Weder unter Vit­amin D3 noch unter der Gabe von Omega-3-Fettsäuren sank die Konzentration dieser Biomarker.

Auch die Daten zur Sturzprophylaxe zeigten keinen Benefit durch die Supplementation mit Vitamin D3. Bei gesunden Erwachsenen ohne Vit­amin-D3-Mangel verringerte eine Supplementation die Sturzhäufigkeit nicht. |

Literatur

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Omega-3-Fettsäuren: EMA bewertet die Anwendung nach Herzinfarkt. Informationen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medzinprodukte, www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RV_STP/m-r/omega-3-fettsaeuren.html, Abruf am 1. Dezember 2021

Homepage der Vitalstudy, Informationen des Brigham and Women‘s Hospital, www.vitalstudy.org/, Abruf am 1. Dezember 2021

Vitamin D3 and Omega-3 Trial (VITAL) https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01169259, Abruf am 1. Dezember 2021

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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