Wirtschaft

„Wir haben zu wenig Panik“

„Berliner Dialog am Mittag“ von Pro Generika diskutiert über die Abhängigkeit der Arzneimittelversorgung von China

cha | Dass die Abhängigkeit von asiatischen Ländern und speziell von China bei der Arzneimittelversorgung beendet werden sollte, wird schon seit Langem gefordert. Spätestens mit Ausbruch der Corona-Pandemie und den dabei auftretenden Problemen bei den Lieferketten hätten in der Politik die Alarmglocken schrillen müssen. Doch passiert ist bislang nichts. Warum das der Fall ist und welche Möglichkeiten es gibt, hier etwas zu ändern, wurde vergangenen Mittwoch beim „Berliner Dialog am Mittag“ von Pro Generika diskutiert.

Wie abhängig ist Deutschland tatsächlich von China? Das werde ganz allgemein, also nicht speziell auf Pharma bezogen, häufig überschätzt, äußerte Dr. Tim Rühlig, Research Fellow im Programm Technologie und Außenpolitik der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Mit China betreiben wir zwei bis drei Prozent unseres Im- und Exports, rund eine Million Arbeitsplätze hängen daran. Doch der Teufel steckt im Detail. Man müsse fragen: Wo gibt es kritische Abhängigkeiten? Dies sei unter anderem bei Pharma der Fall, aber auch bei digital-technischen Innovationen. Rühlig fordert, man müsse solche kritischen Abhängigkeiten identifizieren und gezielt dagegen vorgehen.

Auch Jürgen Salz, Redakteur bei der Wirtschaftswoche, will keine Loslösung von China, aber ein Ende der Abhängigkeit im Pharma­bereich. Dass 60 Prozent der generischen Wirkstoffe aus Asien, speziell China stammten, erinnere ihn daran, dass Deutschland 55 Prozent seines Erdgasbedarfs aus Russland erhielt.

Rossen: Konkurrenz gegen Asien ist nicht hoffnungslos

Dr. Kai Rossen, Vorstand und Chief Scientific Officer von Euro­api, einem von Sanofi ausgegliederten Hersteller von pharmazeutischen Wirkstoffen, verwies darauf, dass sein Unternehmen über 200 APIs (Active Pharmaceutical Ingredients) an sechs Standorten ausschließlich in Europa produziere. Zwar gebe es ein starkes Konkurrenzumfeld, aber es sei vor allem bei komplexen Produkten nicht hoffnungslos, gegen Asien zu konkurrieren. Euroapi sei bei einigen, auch großen Produkten wie Metamizol und Vitamin B12 der einzige nicht-asiatische Anbieter. Was in Deutschland an Produktionsmöglichkeiten und Wissen vorhanden sei, sollte verwendet werden, um wieder mehr zu produzieren, forderte Rossen. „Das muss dann aber auch gewollt werden.“

Weiter stellte Rossen fest, dass es beim Preis oft nur extrem geringe Unterschiede zu China gebe. Rückblickend kritisierte er, es sei irrational gewesen, eine komplexere Versorgungskette anzulegen, nur um Pfennigbeträge pro Tablette zu sparen. Die Frage sei: Was ist eigentlich der gesellschaftliche Vorteil davon?

Darüber hinaus sprach Rossen das Problem der Basischemikalien an. Zwar gebe es Steamcracker in Europa, aber bei den anschließenden Schritten fehlten die Anlagen. In den USA habe man das bereits unter dem damaligen Präsidenten Trump erkannt und gebe viel Geld dafür aus, um die Basischemikalien zurückzuholen.

Foto: Pro Generika e. V. / Svea Pietschmann

Welche Möglichkeiten gibt es, die Abhängigkeit von China bei der Arzneimittelversorgung zu beenden? Darüber diskutierten (von rechts): Peter Stenico, Dr. Kai Rossen, Jürgen Salz, Dr. Tim Rühlig und Moderatorin Monika Jones.

Stenico: Es fehlen staatliche Investitionsprogramme

Peter Stenico, Vorstandsvorsit­zen­der von Pro Generika und Deutschlandchef von Sandoz, stellte fest, dass bei volumenträchtigen Produkten sehr viel Abhängigkeit von China bestehe. Vor allem bei Blutdrucksenkern und Antibiotika sei dies gefährlich. Bei den Bio­similars sei das nicht der Fall, hier müsse man aufpassen. Die Fragen seien: „Wo wollen wir gezielt Abhängigkeiten reduzieren? Wo ist das Risiko eher gering?“

Dabei beklagte Stenico den „ruinösen Preiswettbewerb in Europa“ und vor allem in Deutschland. Nur der mit dem günstigsten Preis komme zum Zug. Davon müsse man wegkommen, Gesundheit müsse wieder etwas wert sein. Die Wirkstoffherstellung sei rohstoff- und energieintensiv und daher in Europa sehr viel teurer als in Asien. Um günstiger zu werden, müsse man in bessere Technologie investieren. In China und Indien gebe es dafür staatliche Förderungsprogramme. In Österreich habe die Regierung die Antibiotikaproduktion unterstützt, aber in Deutschland fehlten solche Investitionsprogramme.

Rühlig: Taiwan kann 2024 akut werden

Doch warum ist bislang nichts passiert? „Wir haben zu wenig Panik im Moment“, meinte Rühlig dazu. Zur Situation in China führte er aus, dass dort im Rahmen der Politik der dualen Zirkulation zwar weiter exportiert, aber zugleich die Abhängigkeit von anderen durch eine Steigerung des Binnenkonsums reduziert werde. Dass andere abhängig seien von China, sei aber weiterhin gewünscht.

Zudem ging Rühlig auf das Risiko Taiwan ein. Anders als früher, sei sich die chinesische Führung nicht mehr sicher, dass die Zeit auf ihrer Seite sei. Das sei keine gute Nachricht für die Frage, wie schnell eine Eskalation drohe. Eine Intervention könne möglicherweise 2024 erfolgen.

Salz: Was passiert bei Nachfrageerhöhung in China?

Salz ergänzte, dass es – neben der Bedrohung von Taiwan – auch zu einer Nachfrageerhöhung bei wichtigen Wirkstoffen in China kommen könne. Die Frage sei, ob dann die Lieferverträge eingehalten würden. Als wegen Corona die Lieferketten problematisch wurden, habe man darüber diskutiert, aber passiert sei nichts. Die Unternehmen müssten ihre Risiken breiter streuen, forderte Salz. Bei der Diversifizierung bestehe durchaus Luft nach oben, räumte Stenico ein. Aber es habe seinen Preis, zwei bis drei Lieferanten zu haben.

In Frankreich hat man das Problem erkannt

Doch nicht überall läuft es so schlecht wie in Deutschland. In Frankreich hat man das Problem erkannt und ist sehr aktiv beim IPCEI Health, führte Rossen aus (Anmerkung: ein EU-Förderprojekt zur Stärkung der Gesundheitswirtschaft, an dem 16 EU-Staaten beteiligt sind). Neben dem Preis eines Arzneimittels seien auch die Innovation, die Verbesserung der Verfahren, das Abwasser und die Green Chemistry wichtig. In Deutschland habe man jetzt wohl realisiert, dass es nicht so günstig sei, beim IPCEI danebenzustehen. Zum Hintergrund: Laut Medienberichten beteiligte sich Deutschland zunächst nicht, da Bundesfinanzminister Christian Lindner sein Veto eingelegt hatte. Nach Mitteilung der SPD-Bundestagsfraktion sollen nun aber in den kommenden Jahren 185 Mil­lionen Euro bereitgestellt werden (s. AZ 2022, Nr. 47, S. 4).

Rossen betonte, man müsse aufpassen, dass man nicht über ein Zurückbringen der Produktion nach Deutschland, sondern nach Europa rede. So würden in Norditalien mehr Wirkstoffe hergestellt als in China. Ein bisschen Panik sei gut, aber man müsse sehen, was wir haben, und das ausbauen. „Es braucht politische Leadership“, forderte Rossen. Um die Probleme zu lösen, sei eine konzertierte Aktion westlicher Länder erforderlich.

Rühlig: Zur Zeitenwende gehört auch China

Doch woran hakt es in Deutschland? Zum einen sieht Rühlig hier vor allem auch die Industrie in der Verantwortung. Zum anderen sieht er aber ein mangelndes Bewusstsein bei der Politik: Das Problem werde „an höchster Stelle“ anders bewertet „als hier am Tisch“.

Bezogen auf den Begriff „Zeitenwende“ forderte er, dass diese drei Säulen haben müsse:

  • Die Abhängigkeit von russischer Energie beenden – das sei bereits Konsens.
  • Die Abhängigkeit von US-Sicherheitsgarantien reduzieren, was mit der Investition von 100 Mrd. Euro in die Verteidigung impliziert sei.
  • Die Abhängigkeit von Technologie aus China reduzieren.

„Wenn das der Dreiklang wird, was wir unter Zeitenwende verstehen, dann können wir vielleicht auch den Kanzler mitnehmen“, so Rühlig. |

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